Mark Strand
(Prince Edward Island 1934 – New York 2014)
Gedichte fressen
Tinte läuft mir aus den Mundwinklen.
Kein größeres Glück als das meine.
Ich habe Gedichte gefressen.
Die Bibliotekarin traut ihren Augen nicht.
Ihre Augen sind traurig
wie sie da geht, die Hände in den Taschen vergraben.
Die Gedichte sind fort.
Das Licht ist trübe.
Die Hunde kommen die Kellertreppe hoch gelaufen.
Die Augäpfel rollend,
die blonden Läufe brennend wie Besen.
Die arme Bibliotekarin beginnt, mit den Füßen zu stampfen und zu weinen.
Sie versteht die Welt nicht mehr.
Als ich vor ihr auf die Knie falle und ihre Hand lecke,
schreit sie auf.
Ich bin ein neuer Mensch.
Ich fletsche mit den Zähnen und belle.
Ich tobe ausgelassen im Bücherdunkel.
Übersetzt von Stefanie Golisch. Aus: Selected Poems, Alfred A. Knopf, New York 1979.
»… seine sparsamen, entwaffnend einfachen Erkundungen in Sachen Entwurzelung, Entfremdung und der unsäglichen Seltsamkeit des Lebens machten ihn zum unwiderstehlichsten meditativen Dichter Amerikas« William Grimes
Mark Strand, geboren 1934 in Kanada, aufgewachsen in den USA und in Lateinamerika. Er war Professor an der University of Chicago und zählt zu den wichtigsten Gegenwartslyrikern seines Landes, u.a. ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis und 1990 zum poet laureate ernannt. In deutscher Sprache sind von ihm erschienen: Über die Gemälde von Edward Hopper (2004) und die Gedichtsammlung Dunkler Hafen (Suhrkamp 1997). Der Dichter starb am 29. November in New York.