Matthew Sweeney
(Lifford/Irl. 1952 – Cork 2018)
Kleine Blume
Kleine Blume, die du am Berghang wächst,
den Atlantik betrachtest: Ich weiß nicht, was du bist.
Ich weiß, du wächst wild, doch laß mich dich wässern
mit dieser Flasche Ballygowan, dir erzählen
vom klitzekleinen Pferd, das sich entschloß,
bis zur Antarktis zu gallopieren, jedwedes
Meer zu durchschwimmen, Menschen ignorierte,
die aufzuspringen versuchten, vorbei an Kameras
und Grenzen, Männern, die es aufhalten wollten,
hinab zum letzten, langen Zipfel Argentiniens,
zur walisisch- (nicht irisch-)sprachigen Tierra del Fuego,
wo es ins kalte Wasser sprang, auftauchte bei den
verblüfften Pinguinen des Kontinents aus Eis.
Was sagst du dazu, kleine Blume?
Brauchst du noch Wasser? Sonst irgendwas?
Wäre der Ort, wo du wächst, nicht derart perfekt,
ich pflückte, trüge dich in meinem Knopfloch,
marschierte direkt ins hiesige Himmelskontor.
Aus dem Englischen übersetzt von Jan Wagner.
Aus: Hund und Mond. München, Hanser, 2017.
»Matthew Sweeney verfügt über die Gabe, die scheinbar feste Grenze zwischen dem Wirklichen und Möglichen durchlässig zu machen. Wenn er über die Landschaft des irischen Nordens schreibt, wo er 1952 geboren wurde, hat das nichts von Heimatliteratur, ja nicht einmal die Natur scheint ihn recht eigentlich zu interessieren.«
Nico Bleutge
Matthew Sweeney wurde 1952 in Lifford, Irland, geboren und studierte in London und Freiburg, wo er sich mit der deutschen Literatur, insbesondere mit der Lyrik des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigte. Seit den 1980er Jahren veröffentlichte er Gedichtbände und erhielt zahlreiche Literaturpreise, unter anderem den Cholmondeley Award und den Arts Council of England Writer's Award. Auf Deutsch erschien 2008 Rosa Milch, herausgegeben und übersetzt von Jan Wagner. Matthew Sweeney lebte zuletzt im County Cork, wo er am 5. August 2018 starb.