Heute, am 19. Mai
Heute, am 19. Mai
Als ich im Bett lag
War ich bereit, ein Gedicht zu schreiben, das Ihn verhöhnt.
Plötzlich stank die Poesie nach Ihm
Denn ich dachte
Ein beschissener Politiker wie er
Hat nicht verdient
Daß ich Schweiß vergieße
Für ein Gedicht über Ihn
Und sei es, um Ihn zu verhöhnen.
Selbst Marx
Dieser Scheißer von einem Vorfahren
Hat nicht eine Zeile von mir gekriegt!
Wozu also die Mühe?
Sollen die Lohnschreiber, Federhuren
Seinen Bart kämmen, seinen Kopf tätscheln, seinen Arsch küssen!
Ich hatte anderes zutun.
Soll Er zur Hölle fahren!
(1964)
Nach einer englischen Version übersetzt von Hans Thill.
»Er führte ein einfaches Leben, mietete sich bei anderen Leuten ein, trug allem Anschein nach immer denselben Anzug, dankte für eine Spende von Obst oder Büchern. Nguyen Chi Thien, gefeierter Dichter der ›Blumen der Hölle‹, wurde verehrt für seine Bescheidenheit und schöpferische Kraft, die erblüht waren in 27 Jahren Gefängnis, viele davon in Isolation.« Anh Do
Nguyen Chi Thien wurde am 27.02.1939 in Ha Noi, Vietnam, geboren. Früh geriert er mit dem kommunistischen Regime in Konflikt und verbrachte insgesamt 27 Jahre mit Unterbrechungen als Dissident im Gefängnis. Wahrend dieser Zeit schrieb er Gedichte bzw. memorierte sie, da ihm Stift und Papier verweigert wurden. Seine Gedichte kamen auf Vietnamesisch und Englisch erstmals in der Sammlung Flowers from Hell heraus. Für sein Werk erhielt Nguyen Chi Thien unter anderem 1985 den Internationalen Gedicht-Preis (Rotterdam). Er starb am 2. Oktober 2012 in Santa Ana in den USA.
28.10.2012