Pablo García Baena
(Córdoba 1923 – 2018)
Tag des Zorns
Entkleide mich, mir ist nichts mehr geblieben.
Kalte Lippen von den Küssen sovieler Toter.
Zerschneide mir den Blick, reiß aus das tränenlose Auge
Wie das armselige Fleisch, Gebein für die Fliegen.
Auf deinem Stein stehe ich, unbesiegt, gefesselt:
das schmerzt und mit dem trüben Tropfen Blut verendet das
unreine Tier des hitzigen Geschreis,
denn ich liebte das Fleisch und seinen Umgang
und fleischlich war der Ruf nach ihm, ängstlich
feige wie eine Handvoll Küken
und das Gebet ein gekautes Blütenblatt zwischen den Zähnen.
Schabe, kratze von meiner Zunge deinen Namen, wenn du einen hast
am Tag der Strenge Waben voll Süße
und operiere mit deinem langen Skalpell der Milde
am Herzen, Eingeweide, das keine Müdigkeit kannte
kein Vergessen in der Betäubung des Weins und der Nächte
das du unerbittlich verfolgst
durch die engen Gassen der alten Schwermut.
Nimm von meinen Fingern die Kette deiner Liebkosungen
und laß fallen, was meine Hände blind und fremd ergreifen
das weite kalte Gewebe der Ernüchterung.
Wehrlos auf Marmor lausche ich deinem Wind
aus den Fanfaren des Protests an den letzten Mond
wenn der Engel die Flamme der Zeit löscht
und die Binden entfernt
die schattige Heimstatt der Urnen
das finstere Loch, das Zenotaph ...
Denn entkleidet stehe ich vor dir und ich fürchte dich.
Übersetzt von Hans Thill. Aus Óleo, Col. Ágora, Madrid 1958.
»Seine Gelassenheit, seine Eleganz werden mir immer im Gedächtnis bleiben, aber auch [...] seine Art, ein Lob zu differenzieren, das früher erschöpfend und präzise war, seine Verachtung, wenn er jemand mit einer einfachen Geste der Nichtigkeit preisgab.« Juan José Téllez
Pablo García Baena wurde 1923 in Córdoba, Andalusien, geboren und studierte Malerei und Kunstgeschichte an der Kunstgewerbeschule von Córdoba. Er war Mitbegründer der Zeitschrift Canticle und der sich darum bildenden Künstlergruppe Cántico (Grupo Cántico). Nach längeren Reisen ließ er sich in Benalmádena (Málaga) nieder, wo er bis 2004 als Antiquitätenhändler lebte. Er erhielt unter anderem 1984 den Prinzessin-von-Asturien-Preis für Literatur sowie 2012 den Premio Internacional de Federico García Lorca. Sein gesammeltes poetisches Werk, das zahlreiche Einzelbände umfasst, findet sich in Poesía completa (1940-2008) bei Visor Libros, Madrid. García Baena starb im Januar 2018 im Alter von 96 Jahren in Córdoba.