Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Rachel Wetzsteon
(New York 1967 – New York 2009)
Manhattan Tryptichon
I Café Pertutti
Ausgerechnet in diesem Augenblick hier zu sein, plötzlich
ist da etwas in den Passanten,
das mich verstört und Sehnsüchte weckt.
Hochsommerabend, pfaufarben treiben
Frauen vorüber; gibt es einen passenderen Gedanken
als Ihnen nachzublicken macht mich glücklich?
Doch glühendes Frühjahr und dichter Herbst umrahmen den Sommer.
Wohin mögen sie laufen in ihren smaragdfarbenden Schals?
II Skater's Waltz
Dies war die Herausforderung: dem späten grauen
Nachmittag in Port Authority nicht zu unterliegen,
sich aufzulösen in süßlichen Musiken –
solch sorglos lockende Klänge sollten
glücklichere Wege als meine untermalen –
Üppigkeit das Grau durchbohren zu lassen,
mich selbst auf einer Eisbahn zu entdecken
dahin gleitend mit all den anderen Läufern.
III Grove Street
Im Geäst genoss ich den Wind
und fürchtete die Stürme. Verfließende Tage
sahen, wie ich mich stur durch die Menge kämpfte,
mit breitem Grinsen und leeren Blicken – zwei Seiten
der selben Medaille, so oder so war ich martini-trocken,
unverwundbar, Flecken an Hälsen bemerkte ich eher
als Augen, ihre Dolche und ihre Blicke.
Und dann weinte ein Baum! Die Blütenblätter zu meinen Füßen …
Aus:
Sakura Park (2006), übersetzt von
Stefanie Golisch
»Wir bewunderten ihre Gedichte schon seit Jahren: sie war erst 42, aber bereits einer der besten Dichter ihrer Generation, ein Naturtalent für Form, das sich auszeichnete durch robuste urbane Romantik und eine reizvolle Kombination aus Melancholie und Witz.«
Adam Kirsch
Rachel Wetzsteon wurde am 25. November 1967 in N.Y. geboren und starb ebendort am 24./25. Dezember 2009 mit 42 Jahren.
Rachel Wetzsteon lebte in Manhattan und unterrichtete an der William Paterson Universität. Ihre Gedichte erschienen unter anderem in The New Yorker, The Paris Review, The New Republic und The Nation. Der letzte ihrer drei Gedichtbände war Sakura Park (Persea Books, 2006). Sie nahm sich in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 2009 das Leben.
08.02.2010