Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Renate Rasp
(Berlin 1935 – Gräfelfing 2015)
Kunststücke
Er kippt
sein Wasser aus
und wirft mir
vor daß er
Durst hat
und ich
nehme ihm auch
das Brot weg
Butter mache
den Eisschrank dicht
den Fuß tief
in seinen Schlund
bin ich ein
Knebel der
Autoreifen
der über ihn
wegfährt ein
vergittertes Fenster –
was noch?
Als Schwert
tanze ich den
Schwertertanz
in seiner Hand
drehe mich
springe liege
flach in der
Luft bohre mich
in ihn hinein.
Ich halte
ihn an
auf diese
klassische Art. War das gut?
Aus: Eine Rennstrecke. Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin 1969
»[…] keine Hohepriesterin irgendeiner Lebensform […], sondern eine Sprachkünstlerin mit herbem Humor.« Konstantin Ames
Renate Rasp wurde 1935 in Berlin geboren und begann nach einer Tätigkeit als Grafikerin Mitte der sechziger Jahre mit dem Schreiben. So trat sie 1967 auf der letzte Tagung der Gruppe 47 auf und las sechs Gedichte, ein Jahr darauf folgte ihr Romandebüt Ein ungeratener Sohn. Seit 1990 wohnte sie zusammen mit dem Autor Klaus Budzinski in Gräfelfing. Ebendort starb sie am 21. Juli 2015.