Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Ryhor Baradulin
(Vierasouka 1935 – Minsk 2014)
In der Familie der Geflügelten
bin ich das Double des Kosmonauten.
Losgerissen hat sich „Wostok“ von der Erde, –
los von ihrem eignen Donnergrollen.
Unten bleibt mein Haus, der Kosmodrom,
bleibt der Donner und der Purpurspritzer Morgenröte.
Da ist Ewigkeit …
Mit der Spitze glitzert meine Feder,
die in andre Form geflossene Rakete.
Ich besinge meiner Mutter Hände
und die Ebereschenflamme in den Tälern.
Stilles Lied, wann kommst auch du
auf deine Umlaufbahn?
Auf die Umlaufbahn zu allen Herzen,
bis zur Sonne!
Übersetzt von Heinz Kahlau. Aus der Zeitschrift: Sowjetliteratur 11, Berlin (Ost) 1972.
»In Paradoxien fortschreitend, macht er oft den Eindruck eines rein spielerischen Schreibens, um dann den Leser plötzlich innehalten zu lassen. Seine Arbeit umreisst eine Tapisserie belarussischen Lebens und nationaler Bestrebungen, eine Chronik der Wagnisse und Enttäuschungen, nationaler Tragödien und des persönlichen Überschwangs, untermauert durch stärkstes Vertrauen in die Zukunft.« Arnold B. McMillin
Ryhor Baradulin wurde 1935 in Vierasouka, im Norden der BSSR geboren, er starb am 2. März 2014 in Minsk. Nach einem Philologie-Studium in Minsk arbeitete er als Redakteur für verschiedene Literaturzeitschriften, später lange Jahre als Lektor für den Verlag Mastackaja litaratura. In den 1990er Jahren stand er dem Belarussischen PEN-Zentrum vor. Neben zahlreichen eigenen Lyrikbänden, deren Bandbreite von Kindergedichten bis zu religiöser Dichtung im Spätwerk reicht, veröffentlichte er auch Übersetzungen von Autoren wie García Lorca, Pasternak, Chagall oder Johannes Paul II.
(Dank an Thomas Weiler)
Druckansicht 01.05.2014