Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Sabah al-Kharrat Zouein
(Zouk Mosbeh 1954 – Beirut 2014)
weiß ich wie die reise zuende
vielleicht endet sie nie
fährt mich der zug noch immer
die schwellen unter mir
jetzt zu wörtern
zerspellt
*
krümmte mich doch in bilder
und wände waren sie nicht
die enttäuschungen
und wieder morgen voll sonne
und fragen
*
die augenblicke im haus
wie falten in meinen kleidern
morgenstunden so
rein
wie unser letztes schweigen
*
an fuhr der zug
zurück zum nordbahnhof
die orte schwanden zusammen
in einen einzigen ort
die bäume so viele und sonntagsonne
die schmerzensorte bloß noch einer
*
hob sich das gleis und senkte sich
über die alte brücke aus stein
die bäume naß
am eingang der stadt
das gleis eine flüchtige sprache
oder geste ein räuspern
bloß
Übertragung: Brigitte Oleschinski
»Der Text der Dichterin ist ein langes Band der Erfahrung, gezogen aus der Büchse der Pandora (noch eine mythische Schwester), das beides ist, Schmuck und fotografischer Film.« Ritta Baddoura
Sabah Zouein, 1954 im Libanon geboren, studierte Soziologie und lebte zuletzt in Zouk Mosbeh, nahe Beirut. Sie arbeitete unter anderem als Journalistin, Literatur- und Filmkritikerin sowie Übersetzerin und beherrschte sechs Sprachen. Die ersten ihrer Gedichtsammlungen veröffentlichte sie in französischer Sprache und übertrug sie selbst später ins Arabische. Ihr letzter Gedichtband Indamā al-dhākira kam im November 2013 heraus, kurze Zeit vor ihrer tödlichen Krankheit. Sie starb am 5. Juni 2014.