Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Thor Vilhjálmsson
(Edinburg 1925 – Reykjavík 2011)
Herbst I
Der Mann ging
und Herbst war Herbst
war gekommen und der Winter
nicht weit
Die Nacht streckte blaue Finger
zwischen Schnee am Wolken-
himmel hinab auf die Erde
blaue Finger
Und wir dachten
nicht an den Sommer
den Sommer der vergangen war
noch weniger an den Frühling
der einmal war
als alles vor uns lag
sondern an den Schnee den der Winter bringt
Deutsch von Gert Kreutzer. Aus: Bei betagten Schiffen – Islands Atomdichter. die horen,
Bd. 242, 2011
»(In Island wurde) ein Volk geboren, das nichts anderes für real hielt als das Gedichtete und das Erzählte. Ein Volk, das die messbare Wirklichkeit ignorierte, in dem der Geist ein heimliches Leben führte, das nur in der Dichtung oder in betrunkener Rhetorik offenbar wird.«
Thor Vilhjálmsson
Thor Vilhjálmsson geboren 1925 in Edinburg/Schottland, gestorben am 2. März 2011 in Reykjavík; nach einem Studium der Literatur in England, Frankreich und Island zunächst tätig als Bibliothekar in der isländischen Nationalbibliothek und für das Nationaltheater; anschließend Maler und freier Schriftsteller; gilt als Wegbereiter des Modernismus in der isländischen Prosa; erhielt zahlreiche Ehrungen und Preise, u. a. 1988 den Literaturpreis des Nordischen Rats für den Roman Grámosinn glóir (Das Graumoos glüht), – dt. 1990 im Kleinheinrich Verlag und 1998 als Taschenbuch im Ullsteinverlag unter dem Titel Das Graumoos – und 1998 den Isländischen Literaturpreis für Morgunþula í stráum (Morgengebet) – dt. Übersetzung 2011 im Osburg Verlag.
20.08.2011