Stele [griech.] Pfeiler, Säule als Grab- oder Gedenkstein
Die Stelen sind der Anfang einer Sammlung kleiner literarischer „Gedenksteine“ in Form eines Gedichtes jüngst verstorbener Dichter, überwiegend fremdsprachiger, aber auch deutschsprachiger. Ausgangspunkt sind unter anderem aktuelle Todesmeldungen in den poetry news. Idee und Konzept: Hans Thill.
Vesna Parun
(Zlarin 1922 – Zagreb 2010)
Dankbarkeit
Wäre ich in meiner Kindheit gestorben
dann würde ich nicht wissen
wohin die weißen Umwege führen
die sich um das Herz ausbreiten.
Wäre ich gestorben
auf deiner blühenden Brust
o du Rose der Liebe
du Rose der Wollust
dann würde ich nicht wissen
wie der Raum Mut machen kann
wie unendlich treu
die Einsamkeit ist.
Übersetzung von Alida Bremer
»In einer von Männern, Institutionen und Ideologien beherrschten Gesellschaft hatte die Dichterin, die ein großes Opus hinterlässt, kein einfaches Leben, doch auch sie machte es ihrer Umgebung nicht leicht und sie verschonte niemanden in ihren luziden, polemischen, satirischen Gedichten.«
Alida Bremer
Vesna Parun, geboren am 10. April 1922 auf der kroatischen Insel Zlarin, besuchte Schule in Dalmatien und studierte Romanistik und Philosophie in Zagreb. Ihr erstes Gedichtband Zore i vihori (Morgendämmerungen und Sturme) veröffentlichte sie mit 25 und lebte seit dem ausschließlich als freie Autorin und Übersetzerin u.a. von Heine, Rilke und Goethe.
Ihre Liebeslyrik ist unvergesslich geblieben und es gibt wohl kaum jemanden in Kroatien, der ihr Gedicht Du, mit den Händen, die unschuldiger als meine sind nicht kennt, in dem sie sich von dem geliebten Mann verabschiedet und ihn einer anderen Frau überlässt.
Sie schrieb Gedichte, Dramen, Prosa, Gedichte für Kinder; ihre Autobiographie unter dem Titel Die Nacht für Häme: Mein Leben in 40 Müllsäcken erschütterte die kroatische Öffentlichkeit, da »unsere größte Dichterin« tatsächlich ihre Notizen und Texte in Müllsäcken in ihrer winzigen Wohnung gehütet hatte.
30.10.2010