Werner Söllner
(Horia 1951 – Frankfurt/Main 2019)
Gerettet
An die Namen jener, die
uns geschlagen haben, erinnern wir uns
bis ans Ende unserer Tage.
Unsere Flucht nennen wir
Vertreibung, als kämen wir
aus dem Paradies, als schämten wir uns
dafür, daß wir nicht mit den Gegnern
marschiert sind.
Daß sie so mächtig waren, sagen wir.
Und daß unser Schrecken so groß war,
größer als unsere Kraft, führen wir
ins Feld, als müßten wir uns noch
immer verteidigen.
Eingebrannt auf unseren Stirnen
ist das Schandmal der Opfer.
In unseren Adern fließt Asche.
Aus: Kopfland Passagen. Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1988.
»Söllners besondere wortbezogene Empfindlichkeit stammt nicht zuletzt von seiner Herkunft: Für den Rumäniendeutschen, auf einer Sprachinsel im Reiche des modernen Dracula Ceausescu lebend, war wenig mehr als Sprache an Heimat vorhanden.«
Günter Kunert
Werner Söllner wurde 1951 in Horia, Rumänien, geboren und studierte zunächst Physik, später Germanistik, wobei er sein Studium mit einer Arbeit über Paul Celan abschloss. Er war als Deutschlehrer und Lektor tätig. 1982 siedelte er in die Bundesrepublik über. Viel Beachtung fand u. a. sein Band Kopfland, Passagen (1988). Über seine Beziehung zur rumänischen Securitate wurde wiederholt in den Medien berichtet. Mehrere Jahren war er von der Securitate zur Zusammenarbeit gezwungen und in Verhören über Freunde und Kollegen ausgefragt worden, was er lange Zeit verschwieg (FAZ, 2009). Werner Söllner starb im Juli 2019 im Alter von 67 Jahren in Frankfurt am Main.