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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 8 |
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Der Übermenschen letzter Wille
Erinnerungen an ein Leipziger Seminar. Die Definitionen, was Philosophie sei, sollten gezählt werden. Beim vollen zweiten Dutzend hörte man auf. Ein Ironiker schlug am Ende Weisheitslehre vor, was verlegenes Gelächter auslöste, denn davon war man ja ausgegangen. Wer keinen ins akademische Kauderwelsch reichenden Marathonlauf beabsichtigt, ist mit Weisheitslehre gut beraten. Was aber, fragt ein Skeptiker, ist Weisheit, wenn sie nicht das Wesentliche anzielt? Die heruntergekommene Politik, deren wir tagtäglich teilhaftig werden, folgt Nietzsches Zarathustra:»Tot sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Übermensch lebe … dies unser letzter Wille!« Die Herren der Welt des 20. und 21. Jahrhunderts ernennen sich, ihre toten Götter beschwörend, zu Übermenschen. Die Berliner Republik ist schon weiter. Ihre Götter werden verjagt, es herrscht eine Übermenschin, vordem FDJ, hernach CDU mit SPD-Spuren. Ist Angela also, wie alle Welt, inklusive Obama behauptet, die mächtigste Frau der Welt, die feminine Variante von Nietzsches Übermenschen, die ihre alten (CDU-)Götter, wo nicht tötet, so doch ins Wirtschaftsleben abschiebt, wo die einstigen CDU/CSU/SPD-Gottheiten als Goldschürfer reüssieren können, solange sie politisch fein die Klappe halten. Dazu fällt mir doch unabweisbar ein schöner Marx-Satz ein. »Wir unsere Hirten an der Spitze, befanden uns nur einmal in Gesellschaft der Freiheit, am Tage ihrer Beerdigung.« (Quelle: Die heilige Familie) Welch passendes Stichwort.
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Karl Marx, Friedrich Engels
Die heilige Familie
oder Kritik der kritischen Kritik
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In der Antike bildeten die Götter eine unheilige Familie aus Kriegern, Säufern, Lügnern, Totschlägern, Schändern von Frauen und Kindern, also dachte Nietzsche sich als Folge von Gottes Tod eine neue heilige Familie göttlicher Übermenschen aus. Wer unser Zeitalter durch das mediale Prisma beobachtet, der begreift Nietzsches Sehnsucht nach Rückkehr ins alte Barbarentum der blonden Bestien. Merkel allerdings erinnert weniger an die Antike als an Brunhilde auf dem Wege nach Richard Wagners Bayreuth. Soviel zur Erneuerung der heiligen Familie, deren Heiligkeit dem Kampf ums Kapital entstammt. Wer es schon besitzt, der will mehr davon. Marx dekonstruierte es wie einst ein gewisser Herr Jesus, der seiner Anhängerschaft die Wahl zwischen Revolte (Kreuz) und Glaube (Kirchenstaat) ließ. Seit Marx heißt das Revolution, also Niederlage. Nietzsche flüchtete davor in die Ausrede von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Ein träger Reformist mit hohen Tönen. Marx hielt mit der Diktatur des Proletariats dagegen. Trotzki konstatierte Stalins Diktatur ü b e r das Proletariat. Bloch feierte den aufrechten Gang, weg vom Tierreich – eine Philosophie, die aufs Wesentliche geht, indem sie sich von der Sklavensprache zur Revolte steigert. Falls der aufrechte Gang nicht zum aufrechten Untergang missrät. Das Rezept, die maskulinen Übermenschen loszukriegen ist bekannt, seit die letzte regierende Übermenschin es erfolgreich praktizierte, alles im christlichen Rahmen selbstverständlich. Deutschland, dieser permanente Herrenwitz, entwickelt sich im letzten Stadium zielstrebig über die Damenwahl zum unvermuteten Damenwitz.
Im aufgezwungenen Kampf ums Dabeisein machen die im Schlaf überraschten Parteien Zirkus, eine immer hektischer als die andere. Die SPD versucht sich als Löwenbändiger, schwingt graziös die Peitsche und wird gefressen. Als unverdaulich ausgespuckt gibt sie den Futtermeister und darf den Löwen am Schwanz ziehen. Aus Dankbarkeit füllt sie die Fresströge mit den kleingehackten Schwestern und Brüdern vom linken Rand, die noch aus dem Raubtiermaul heraus nach Revolution rufen. Unser Zirkus bietet auch eine rechte Manege, wo die Luftnummern stattfinden. Seit dem Massaker an einer Schar konservativer Christherren schwingt Angela sich unnahbar als Herrin der Lüfte von Seil zu Seil, eine Artistin auf der Schaukel in der Zirkuskuppel. Ringsum applaudiert das internationale Publikum. Tief unten reißen die lauernden Löwen das Maul weit auf. Es sind eben Raubtiere. Weil also unsere Welt zum Staatspanoptikum mutiert, ist sie nur noch in der Comic-Dimension darstellbar, streng nach der Ästhetik des Aristoteles in der Einheit von Ort, Zeit und Personen, ergo die Wiederkehr Nationaldeutschlands als globaler Führungsmacht.
Angelangt beim Übermenschen-Kabinett sehen wir es mal so: Nietzsches Werk besteht aus dem Wunder zweier ungleichgewichtiger Hälften. Die erste ist mehr Philologie und Psychologie als Philosophie, als welche aber die Hälfte insgesamt gilt. Der zweite Bestandteil ist das Zarathustra-Buch samt verstreuter Vorarbeiten. Das Sprachwerk kann als Philosophie und als Kunstwerk – Kunststück – gelesen werden. Oder als Sprach-Oper im Wagnerschen Sinne, ihm zugleich kontrastiert. Wagners germanischen Siegfried-Suff- und-Sangeshelden wird ein Übermensch aus dem Zwischenreich entgegengestellt. Nicht Morgenland, nicht Abendland, doch beides zugleich, der Übermensch macht's möglich in einem artifiziellen Meister-Idiom, das als Partitur gelten kann, da gibt der Dirigent Ton und Rhythmus an. Ist er, bist du nun für den Krieg oder dagegen? Gott ist tot? Schon nahen die Interpreten: Gott ist tot heißt Gott ist nicht tot. Das liest sich wie mit Sahne serviert, geht runter wie Wein und wirkt wie Schnaps. »So lässt der Herr seine Sklaven gewähren und ergötzt sich noch an ihrem Übermute.« Im totalen Sprachwerk hemmt keine einzige feststehende Tatsache den Lauf der Wohlklänge. Der Mensch in seines Tages Mühen ist überwunden und über allen thront der neue Gott, dieses Fritzchen Zara aus Sachsen-Thüringen: »Nur, wo das Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern – so lehre ich's dich – Wille zur Macht.« Dagegen artikulieren sich noch rechtzeitig vorm 1. Weltkrieg die Geistesbrüder Georg Lukács und Ernst Bloch, der neuen Contra-Macht den konkreten Namen gebend: Revolution per Diktatur des Proletariats. Womit wir bei Fakten ankommen, die in der Sprache der Übermenschen dem Untermenschentum zugerechnet werden. Es geht um Revolution-Konterrevolution.
Wo immer der Sozialismus versucht wurde, scheiterte er, wird behauptet. Am 2.3.2013 steht's wieder so unumstößlich auf Seite 28 der FAZ. »Der Untergang der DDR beweist, wohin linke Deckelwirtschaft führt … Armut für alle …« Auf Seite 20 der selben Ausgabe allerdings wird groß angekündigt: »Daimler wird Großaktionär in China« – dazu im Fotosuperformat: »Partner und jetzt auch Aktionär: Daimlers Vorstandschef Dieter Zetsche einigt sich mit Xu Heyi, Chairman con BAIC«. Wollen nun beide damit die Armut für alle erreichen oder leidet unser Frankfurter kapitales Amtsblatt an Schizophrenie? Als drittes bieten wir die Realitäten des schwarzen Humors an. Der reale Kern ist allerdings anders beschaffen und wir erwähnten das schon mehrfach. Rot-China widerstand dem Untergang von SU und DDR und entwickelte sich zum rot-gelben Wunderland. Vonwegen Sozialismus als Armut für alle. Das Land steht jedoch wie wir vor drei Gefahren: a) Krieg, b) Begrenzung der Erd-Ausbeutung, c) Auf dem zweiten langen Marsch sind Misshelligkeiten und Nöte zu überwinden, die das Kapital verlangt. Immerhin ist der chinesische Sozialismus bisher nicht gescheitert, obwohl oder weil er einen dritten marxistischen Weg einzuschlagen wagte. Die FAZ aber wird schon wegen linker Tendenzen abgemahnt. Im Fokus, heißt es, nehmen sich Peter Sloterdijk, Rüdiger Safranski und Hugo Müller-Vogg den FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher vor. Dessen neuester Bestseller mit dem Titel Ego sei antikapitalistisch und außerdem auch noch links. Wohin soll das noch führen, wenn sogar ein FAZ-Ego revolutionär über die Stränge schlägt?
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Wohin soll das führen, wenn sogar ein FAZ- EGO-ist über die Stränge schlägt ...
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Laut Bibel scheiterte, wir erinnern uns, der Turmbau zu Babel an der Nichtkommunikation infolge Verfremdsprachlichung. Fehlte es an Dolmetschern und Übersetzern? Ein sagenhaftes Bild zeigt den Turm als konisch nach oben verengtem Rundbau. Den Transport der Steine zu bewerkstelligen zieht sich ein begehbarer Weg um den Turm herum hinauf. Der konischen Form halber verringern sich Radius und Umfang, bis ein Endpunkt erreicht ist, von dem aus es nicht weitergeht. Man braucht keine Mauersteine mehr. Es führt auch keine verbale Kommunikation weiter, Geometrie und Architektur sabotieren den Hochbau. Da gerät Nietzsche ins Spiel. Die Wiederkehr des Ewiggleichen ließ ihn erst jubeln, dann verzweifeln. Wenn es nicht weiter in die Höhe geht, dann tief hinunter zu den Urahnen. Gibt es keinen Fortschritt, philosophieren wir uns einen heldenhaften Rückschritt herbei. Man muss ihn den Sklaven nur mundgerecht zurichten. Dazu braucht es den neuen alten Herrn – den Übermenschen als Typ der frischgekürten Gottheit. Scheiterte der Turmbau von Babel am Anfang des Nietzscheanischen Drangs zur Höhe – stehen diverse City-Hochhäuser am Ende der Kulturgeschichte des Kapitals als Zeugen sprachlicher Disharmonie. Denn, spricht Großmäulchen Nietzsche: »Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.« Dann besser mit Bloch: »Der greuliche Zustand unserer Hochschulen ist mit schuld daran und am Ende nur die trockene Erscheinung der gleichen Dumpfheit. So bleibt nur dieser Anblick personloser Literatur, unwissender Philosophen … Und eine hydrantenhafte Beredsamkeit hebt an … abgestanden, abgeschrieben, ohne Gestalt und Kern, sich in endlosen Zeitschriften sammelnd und stockend.« (Durch die Wüste, anno 1919 zu Papier gebracht, als wäre vorgestern schon heute gewesen.)
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Wolfgang Harich – Rudolf Augstein:
Hoher Preis für eine Begegnung
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Unsere gestrige Wüste hieß DDR. Nicht jedes Hochhaus sah aus wie von Stalin erfunden. Wir durchquerten die Wüste, um nicht darin zu verkommen. Mensch, das musst du exakt, also konkret marxistisch darlegen. Notgedrungen erfand ich die Bezeichnung Bloch-Kreis. Sie war ein Tarn-Name für die Begriffe Gruppe oder Fraktion, die beide als justiziabel galten. Von jetzt an war es der Bloch-Kreis ebenfalls. Für Ostberlin war das durch Harichs West-Verbindung mit Augstein und dem SPD-Ostbüro sogar begründbar gewesen, was für Leipzig kaum zutraf. Um die Leipziger Beteiligten für die Verfolgung aufzupeppen, konstruierten Ulbricht und Paul Fröhlich ihren eigenen ortsgebundenen Kriminalfall, der auf nichts als Verdächtigungen beruhte. Die Verfolger handelten hier aus Parteidisziplin trotz fehlender oder gar falscher Information, es ging um ihre Karrieren. Diese kriminelle, weil kriminalisierende Lügenlinie wirkt bis heute nach. In diesem Punkt stimmen Erich Loest und ich überein. Doch nur bis zur nächsten Entscheidung. Loest verharrt im Schatten seiner Haftjahre, das macht ungerecht und lässt die damaligen Verfolger ein zweites Mal triumphieren.
Das Ende des Bloch-Kreises bedeutete das Aus für die linke Volksfrontvariante, wie es sie in den dreißiger Jahren schon mal als Strategie gegen den aufkommenden Hitler-Faschismus in Europa gegeben hatte. Jetzt stellten die um Machterhaltung besorgten Politbüros die Weichen so falsch, dass es zum Untergang von SU samt DDR und zur drohenden Balkanisierung Europas führte. Für uns stand am Anfang die kleine Säuberungsaktion der Partei in der DDR, die mit einem Ulbricht-Brief aus Berlin nach Leipzig begann. Blochs Philosophie war als Hauptquelle der Differenzen entdeckt worden. Es ging um Sklavensprache und Revolte, was exakt den Spannungsbogen zwischen Politik und Philosophie entwirft. Wer sich als Denker, Theoretiker und Praktiker einmischt, muss Kompromisse schließen, was er nur in Sklavensprache riskieren kann. Das intellektuelle Dilemma begleitet die Philosophiegeschichte seit jeher und bestimmt, nein verurteilt die Politik zur Abfolge von Opportunitäten. Aber die Demokratie – hören wir sagen. Sie ist immer nur das, was die in ihr Mächtigen daraus machen. Friedrich der Große versuchte als junger König zugleich Philosoph zu sein und endete als kleiner Alter Fritz, der statt der Philosophie seine Hunde liebte.
Die bisherige Geschichte der Klassenkämpfe ist der Versuch von Übermenschen, ihre Untergebenen zum Dasein als Untermenschen zu zwingen. Entweder du steigst auf oder du unterwirfst dich dem Aufsteiger. Entweder du wirst Übermensch oder lässt dich zum Untermenschen degradieren, der brav gehorcht in der Hoffnung, dabei auch seinen kleinen Reibach zu machen. So gehorsam endete schon die 6. Armee in Stalingrad. Lauter tüchtige Kameraden, die ihre Wiedergeburt erwarten. Der Herr Pastor Bundespräsident würde sie gewiss gern feierlich segnen. Und die freiwillige Bundeswehr braucht Nachwuchs, wenns erlaubt ist. Die Stalingrader Toten-Armee aufzuwecken wäre eine christliche Idee. Minister de Maizière will einen offiziellen Bundeswehr-Veteranenverband schaffen. Zweihunderttausend wiederauferstandene Stalingrader Wehrmachtsveteranen wären ein Stammpersonal. In einem früheren Hörspiel exemplifizierte ich das mal mit Hitler allein. Textprobe:
Führer: Die reine Hölle war das, anfangs. Ich saß unten beim Teufel und oben auf der Erde wurde entnazifiziert. Heute weiß ich, die hätten mich mit entnazifiziert, aber damals wusste ich das noch nicht.
Direktor: So sind Sie glücklich um die Entnazifizierung herumgekommen -
Führer: Die unterirdischen Atombombenversuche befreiten mich aus der Hölle. Zwischen der Hölle im Erdinneren und der Erdoberfläche ist eine Verbindung hergestellt. Da kam ich heraus. Amnestiert durch die Atombombe - im Vertrauen, mein Lieber, was sind die paar Millionen Toten, die ich, beim Teufel, verantworte, gegen das, was die jetzt mit ihren Wasserstoffsuperbomben fertig kriegen.
Direktor: Sie kommen wirklich direkt aus der Hölle?
Führer: Man kann nie ganz sicher sein, ist das da unten die Hölle oder ist's das hier heroben – (hebt die Hände zum Himmel) Allmächtiger im Himmel. Was war ich für ein Waisenknabe, was für eine reine Seele war ich – und ein Übermensch dazu –
Die Frankfurter Hauszeitung, als Morgenblatt zuerst zur Stelle, wird plötzlich bekenntnissüchtig, vielleicht punktuell gar antifaschistisch, was man doch keinesfalls sein will, weils verdächtig nach DDR klingt, heute jedoch, am 20. Februar 2013 heißt es ohne Umschweife: Hessischer Landtag arbeitet NS-Vergangenheit auf – 92 Abgeordnete hatten braune Vergangenheits-Studie zu ehemaligen Nazis im Landtag vorgestellt – Wissenschaftliche Tagung im März .. Dazu werden schöne Fotos präsentiert: Rudi Arndt (SPD), Alfred Dregger (CDU) und andere umtriebige Übermenschen der Übergangszeit von Hitler zu Adenauer. Der jetzige Anklägerfleiß und die neue Studie gehen allerdings auf einen Antrag der Fraktion der Linkspartei Anfang Mai 2011 zurück, die seinerzeit dafür heftig gescholten wurde. Jetzt zieht die CDU nach und siehe da, es ist noch viel übler:
»Im Hessischen Landtag saßen nach 1945 weit mehr Abgeordnete mit NS-Vergangenheit als bislang bekannt …« Und dann hagelt es NSDAP, SA, SS … und obendrein: »Dregger und Koch verschwiegen ihre frühere Mitgliedschaft in der NSDAP in den Entnazifizierungsunterlagen.« Wundert sich da jemand? Über all den braunen Schmodder schrieb ich ganze Bücher und konnte einst im Hessischen Rundfunk mehrere Hörspiele gegen Krieg und Nazis unterbringen, dafür wurde der Sender als Rotfunk beschimpft. Wir bleiben nicht ohne Mitleid. Arndt wie Dregger sind inzwischen vergangen, Hitler aber hat überlebt. Allerdings gerät auch Georg August Zinn, von 1950 bis 1969 Ministerpräsident in Hessen, unter die bösen Kameraden. Er war neun Monate lang in der SA und hatte es im Unterschied zu den Beschönigern und Lügenbolden nicht verschwiegen.
Der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war gut beraten, als er z.B. zum Auschwitz-Prozess sowie im Fall Eichmann ausführliche und geheime Gespräche mit Zinn führte. Die Wände in Hessen wie auch im rheinländischen Bonn hatten braune Ohren, was endlich, wenn auch mit arger Verspätung, eingestanden wird. Und eine Wissenschaftliche Tagung solls im März auch noch geben. Vielleicht hören sie bei der Gelegenheit meine HR-Trilogie der Schuldlosen an. Der HR, obzwar kein Rotfunk mehr, wird's schon gestatten. Notfalls könnte ich aus Soldaten sind Mörder lesen, wo das Dregger-Kapitel mit einem Zitat von Hermann Kesten schließt: »Wer gewisse Gesetze des Dritten Reiches respektiert hat, machte sich mitschuldig.«
Zu den Leipziger Gedichten, die 1956 in der DDR unveröffentlicht bleiben mussten, gehört der
Wahlaufruf
Es ist gekommen
die große Zeit
da wir euch regieren
wie wir wollen.
Dass ihr uns wählt
wissen wir.
Wenn trotzdem gewählt wird
so nur um zu zeigen
wie demokratisch es zugeht.
Wir sind die einzigen
Feinde des Volkes.
Also ist es unser Recht
euch zu regieren.
Abgesehen davon
dass ihr
uns gewählt habt.
Unser bestes Argument
im Wahlkampf
ist immer noch:
Wählt uns
es bleibt euch sowieso
nichts anderes übrig.
Und schließlich
haben wir wenigstens
unser Gutes davon.
Das Jahr 2013 ist wieder ein Wahljahr. Meine Zeilen von 1956 sind aktuell geblieben. Ist das Prophetie oder dekonstruktiv? 1961 veröffentlichte Kiepenheuer und Witsch in Köln mein Buch Ärgernisse – Von der Maas bis an die Memel, inzwischen sind wir vom Rhein bis an Elbe und Oder vorgerückt. Auf Seite 210 ist zu lesen:
Der Text stammt von 1961. Das ist ein halbes Jahrhundert her. Manches hat sich seither verändert, anderes nicht. Inzwischen wurde die gesamte DDR als Parteienstaat republikflüchtig. Gültig bleibt: Duckt euch nicht, ihr habt einiges erlebt, was anderen noch bevorsteht. Revolutionen enden in Konterrevolutionen. Krisen lösen einander ab. Die Waffenproduktion aber bleibt weltweit krisenfest und verweist stolz auf Steigerungsraten. Deutschland an dritter Stelle. Wir sind wieder Frontstaat. Denn Krieg ist der Übermenschen letzter Wille.
PS: Kaum ist Nachruf 8 versandfertig, gratuliert Die Welt am kalten 20. März dem Autor Ralph Giordano zum 90. Geburtstag. Das hebt so elementar wie glorios an: »Sie zelebrierten jahrzehntlang Hochämter des Mahnens und Tadelns, und bis auf Günter Grass, Gerhard Zwerenz und den dementen Walter Jens sind inzwischen alle tot …« Der Passus endet mit dem Vorwurf, wir hätten im Gegensatz zu Giordano »die Diktatur im Osten vernehmlich beschwiegen …« Ob der seit nicht allzu langer Zeit im Blatt Die Welt beheimatete Sachse Marko Martin beim Schreiben des Artikels früh vergreist, besoffen oder sonstwie umdüstert war, weiß ich nicht, als Analphabet ist er Meister aller Klassen. Ach, du lieber Ralph Giordano, wer solche engen Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Ob Geburtstag oder nicht, was über Giordano angemerkt werden muss, war einst nicht in der Zeitung Die Welt, sondern im politischen Magazin Der Spiegel zu lesen.
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