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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 28 |
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Leipzig leuchtet, lästert und lacht
Heute überlebt Leipzig im strahlenden Licht der Medien. Eine Tagung jagt die andere. Bald ist's die SPD, bald die Völkerschlacht, die Linkspartei oder der Hauptbahnhof, die Buchmesse und wieder die SPD auf der Suche nach ihrer großen Vergangenheit. Bebel, Liebknecht Vater und Sohn, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, in Leipzig gelebt, gesprochen, zumindest verlegt, gedruckt worden – das war Kultur und Politik und Geschichte.
Mit diesen aus dem Original kopierten Passagen beginnt Kopf und Bauch, Erstdruck 1971 im S. Fischer Verlag Frankfurt/Main, auch als TB vergriffen, letzte Ausgabe als März Buch 2005 zu meinem 80. Geburtstag. Dank dafür an Jörg Schröder und Barbara Kalender. Die Edition, ursprünglich als Unikat für wenige helle Köpfe gedacht, speziell jedem einzelnen Interessierten gewidmet, schaffte es nach und nach auf mehr als 100.000 Auflage. Neulich betitelte ein Weltblatt seinen Leitartikel mit KOPF ODER BAUCH. Bei mir gibt's kein ODER dazwischen. Es ging ums ganze Leben. So sah ich es als Auslandssachse im Jahr 1971. Heute gegen Ende 2013 findet sich in der FAZ eine Beilage, die den Freistaat Sachsen so richtig ins Kerzenlicht zu rücken vermag.
Die Kopie vom sächsischen Weihnachtsmärchen ist am rechten Rand zu kurz geraten. Dem Stollen fehlen ein paar Buchstaben, wurden wohl schon aufgefuttert. Frohe Kunde kommt aus dem Netz, die königliche Stollen-Stadt Dresden will im Februar 2014 endlich so europäisch klug handeln, dass die gewohnten Straßenschlachten wegen der alliierten Bombardements im 2. Weltkrieg ausbleiben. Das bringt uns nach Leipzig zurück, dessen Ehrenbürger Loest aus dem Klinikfenster sprang, welche Tatsache ich der Stadt verübeln könnte, was ich unterlasse, weil ein Auslands-Sachse auf Distanz und dennoch intim vor (Tat-)Ort sein kann.
Vom letzten Kurzbesuch in Leipzig berichtete schon im poetenladen Folge 4. mein Lieblings- Pseudonym Gert Gablenz, den ich gern erneut zitiere: Am 5. Juni 2005 feierten wir im Leipziger Mendelssohn-Bartholdy-Haus den 120. Bloch-Geburtstag. Antike Feindseligkeiten ballten sich dort zu Theaterdonner und fuhren als Blitze zur Hölle, die für Momente ausgeleuchtet wurde wie ein Bühnenbild von Bertolt Brecht. Die Szene geriet in Bewegung. Napoleon floh im fliegenden Ritt zu Pferde, von Kosaken und Preußen verfolgt, die Sachsen wechselten listig von den Besiegten zu den Siegern. Richard Wagner keuchte die Treppen im Hause Goldschmidtstraße 12 zur Mendelssohn-Wohnung empor, ein lustiges antisemitisches Liedlein auf den Lippen, dass es fast klang, als wolle er auf einer Bachschen Fuge triumphierend in Adolfs Walhalla Einzug halten. In meiner Eigenschaft als Gert Gablenz sprang ich zur Eingangstür, rief Wagner ein donnerndes sächsisches Guten Tag, Sie exrevolutionäres Arschloch! entgegen, wies mit dem steilen Daumen nach oben und erläuterte: Dort hockt Zwerenz in seiner Studentenbude und schickt sich an, einen bolschewistischen Filosofen ins Leben zurückzurufen. Der eitle Richard, noch zittrig von den Mühen der Ebene samt anschließendem Treppensteigen, hielt aufgeschreckt inne. In die Ecke, Besen, Besen! rief ich, von der Logik des Ortes befeuert und schon erschien Goethe, verkleidet als Leipziger Studiosus in der Tür, die ihm der Thomaskantor Bach generös aufhielt. Mendelssohn-Bartholdy lächelte dem großen Johann Sebastian herzlich zu. Goethe blickte leicht beleidigt zur Seite. Der Nachmittag verlief so angenehm irrwitzig, wie ein Sancho Pansa es sich nur wünschen kann.
Soviel zu Leipzig als Lebensmärchen im Juni 2005 – im Jahr zuvor hatte sich ein tapfrer Verlag daran gewagt, den Titel Sklavensprache und Revolte herauszubringen, unser Bloch-Buch genannt, von Ingrid und Gerhard im Wechselspiel verfasst, nur ein geplanter Band II erschien nicht mehr. Der so optimistisch gestartete Verlag schwächelte. Dafür eröffnete mitten in Leipzig ein Poetenladen, wir pfiffen auf kriselnde Buch-Editionen und stiegen voll ins futuristische online-Universum ein. Wie aber sollte der Titel, sollten die Titel lauten? Kurze Auswahl vom Markt der Möglichkeiten:
- Salut Saxonia und warum Karl May die Pleiße erfand Autobiographische Fragmente
- Lachen Liebe Leipzig Aus unserem Leben
- Die Sachsentaufe oder hat Karl May die Pleiße erfunden? Autobiographische Rhapsodie
- Warum Karl May die Pleiße erfand – Vorlesungen aus meinem letzten Buch
- Aus den Memoiren eines vigilanten Wanderarbeiters
- Als ich ein vagabundierender Humorist war …
- Von Leipzig nach anderswo und retour
- Leipzig lästert, leuchtet und lacht
- Ein Sachse im Jenseits und warum Karl May die Pleiße erfand – Aufzeichnungen eines vagabundierenden Humoristen der Leipziger Schule
- Trotz und Hoffnung Das Prinzip Bloch Gegen Heulen und Zähneklappern
- Der SAX und warum Karl May die Pleiße erfand – Autobiographische Fragmente
- Mein Zwei-Titel-Buch Ernst Bloch – Philosoph der Revolte und Ernst Bloch – Philosoph der Zweiten Reformation – Aufzeichnungen für das 3. Jahrtausend
- Verdammte Sachsen oder warum Karl May die Pleiße erfand Erinnerungen Band I
Die luftige Vielzahl der Titel vereinigte sich auf den Kompromiss der einen Formulierung: »Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte.« Das sind zehn Worte – als Titel zu viele. Deshalb unterließen wir es, noch die unabdingbaren drei Worte beizufügen, die wir hier nachreichen. Komplett müsste also dastehen: »Der 3.Weg. Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte.« Variante: »…warum Karl May den Karl Marx liebte.« Wenn der Titel zu lang und die 3000 Seiten zu heftig für angesäuerte Buchverlage in der Krise sind, wird der Andreas-Heidtmann-Laden der Poeten zum originalen Troublemaker, der es riskiert, die Massengeschichte des Jahrhunderts als Summe abenteuerlich erlebter Einzelfälle zu erzählen. Ach, liebe Zeitgenossen, was wir mitteilen, ist das, was andere verschweigen, entstellen, nicht wahrzunehmen wagen. Sind eben Christen mit viel Luther und wenig Münzer.
Der junge Heilige
Zuerst haben sie ihm ein hemde gegeben
Dann palmen im garten gepflanzt
Und weil er sich nach liebe sehnte
Bohrten sie ihm den speer in seinen bauch
Dann haben sie ihm ein silberstück gegeben
Und inwendig eine gute seel
Mit der sehnt er sich nach dem himmel
Und den versprachen sie ihm auch
Zuletzt ward er in einen felsspalt gelegt
Und blieb doch frisch ins jahrtausend
Und man wusste da fehlt nur die wurzel
Und man sah: aus dem mund stieg rauch
Ich weiß nicht war der wirklich ein zimmermann
Oder ein straßenbahnschaffner oder astrologe
Ich seh mir nur manchmal die bilder an
Und denk: der tote heilige war ein recht junger mann
Und sowas haben die römer ernstgenommen?
Der wär bei uns vors jugendgericht gekommen
Und alte männer hätten ihn infantil gescholten
Und deshalb nicht als senil gegolten
(Offenbach am Main 1977)
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Professor Helmut Seidel,
bereit und gut gerüstet, Bloch in Leipzig zu rehabilitieren |
Verinnerlicht: Leipzig Mendelssohn-Bartholdy-Haus, Goldschmidtstr. 12, Blochs 120. Geburtstag, letzter Treffpunkt, sensibles Publikum, hochinteressiert, wissend, erinnernd, wissenwollend, Verabredung mit Helmut Seidel, Professor nach Bloch am Nicht-mehr-Bloch-Insitut – vereint armiert würden wir die Verzerrungen und Fälschungen kontern. Philosophie an die Front. Wenig später ruft Seidel im Taunus an, Ingrid gibt Bescheid, Gerhard in der Hochtaunus-Klinik Bad Homburg, Herzinfarkt. Ich denke, so läuft das nicht. Herz, nimm dir ein Herz und heile heile. In Leipzig anrufend erfahre ich von Helmuts plötzlichem Tod. Ist der Sensenkerl vom Taunus zur Pleiße gesprungen. Ende der Blochvor- und -nachstellung. Weshalb blieb Loest am 5. Juni 2005 dem Treffen in der Goldschmidtstraße fern? Der Riss durch die Erde, breiter geworden seit Erichs Rückkehr. Er hätte unser Mandela sein können.
Als Schulkind in Crimmitschau von der Brücke in die Pleiße spuckend stellte ich mir vor, wie der Speichel zwei Stunden später in der Messestadt landete. So das heimatimprägnierte Hochgefühl, das mich alle Feindschaften ignorieren ließ. Ingrid ging es nicht anders. Kein Problem, wir lebten auf Distanz. Der heimgekehrte Loest aber schreckte vor jedem Gesicht zurück. Sein wieder aufgenommenes Leben in Leipzig führte zu Energieleistungen in Arbeitswut, Herzensglück und Zornesausbrüchen. Bald verschrieb er sich dem Ruhm der Stadt, bald wollte er sie verlassen und nach Halle übersiedeln. Suchte die Klinik auf. Sprang aus dem Fenster. Was sagt Leipzig dazu.
Soviel zu Sachsen 2005. Was ist aus uns geworden? Wie denken wir an unsere Vergangenheit? In Kopf und Bauch erinnerte ich mich 1971 in Köln der hoffnungsprallen 50er Jahre in Leipzig:
Alarmiere ich genug Spott und Verachtung? Verletze ich die Gedemütigten spürbar genug? Wir sind nun zu alt, als dass wir noch lange auf Revolutionen warten könnten? Ja, wir kommen, aufgepasst ihr akademischen Traditionstrottel und Universitäts-Erbhofbesitzer, eure Exklusivität ist im Eimer, eure Zeit läuft ab. Aufgepasst, wir kommen, kriechen aus den Gullys, den muffigen Mietskasernen, Hinherhofpisswinkeln, Kellerlöchern, Wanzendachkammern, kommen aus letzten Landschaften, die vor Jahrhunderten vergessen worden sind, aus beschränkten Kleinstädten und Kaffs, entlaufen Fabriken, Meistern, Maschinen, Besitzern. Wir kommen. Die seit Ewigkeit Kolonisierten des europäischen Herrenkontinents, der seine Sklaven und Knechte versteckte und den Arbeitern die Klassenlosigkeit des Freiheit genannten Kapitalismus predigte, sie desto nachhaltiger auszuquetschen, zu peinigen, zu enteignen. Wir kommen nicht mit einem Male, in gewohnten Ordnungen und Bildern, als Steppe, Untermenschen, Faule, Arbeitsscheue, Minderrassige, Farbige; wir kommen anders, sickern einzeln ein, bleiben ungreifbar zu Anfang, keine Klasse, doch krepiert ihr daran …
So der Blick 1971 von Köln aus auf das Leipzig der fünfziger Jahre. Das waren selbstbewusste plebejische Töne. Klassenschalmei gegen Kriegstrompete. Kopfstoß gegen Arschtritt. Wir sind gekommen und weggegangen. Wer am Ort blieb, erreichte trotzdem nicht das Ziel. Heute überlebt Leipzig im strahlenden Licht der Medien. Eine Tagung jagt die andere. Bald ist's die SPD, bald die Völkerschlacht, die Linkspartei oder der Hauptbahnhof, die Buchmesse und wieder die SPD auf der Suche nach ihrer großen Vergangenheit. Bebel, Liebknecht Vater und Sohn, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, in Leipzig gelebt, gesprochen, zumindest verlegt, gedruckt worden – das war Kultur und Politik und Geschichte und war Leipzigs Stammpersonal in Auerbachs Keller, geprägt von Old Goethes Faust und Mephisto, wir fügten Nietzsche, Kafka, Brecht, Bloch und Walter Ulbricht dazu und ließen Ernst Jünger am Gewässer vorm Messetempel mit Platzpatronen erschießen, wegen unseres Pazifismus, ein Fehler von vielen. Tut mir leid. Mein Lebensgefühl enthielt ganz nebenbei eine Prise Unsterblichkeit. Kugeln, Granatsplitter, Narben, Tuberkel, Operationen aller Art, Infarkte kamen und vergingen ohne mich mitzunehmen. Soll euch doch Ernst Jünger als ewiger Ritter bleiben, bald wird 2014 mit seinem Jahrhundert-Abstand zu 1914 beginnen – das lässt sich feiern wie 2013 das Jahr 1813. Feuer frei für die Platzpatronen-Intelligentsia. Soviel zu den Krimis für Soko Leipzig. Mit dem entsprungenen Erich L. als Kommissar, der uns Aufklärung schuldet – siehe Nachruf 2: »Wer löst den Loest-Konflikt?«
Hand aufs Herz – was sagt es mir zu Loests überraschenden, wenn nicht unglaublichen Freitod? Seine letzten Worte beschworen unser Leipzig von 1956/57, als mit Ulbrichts Brief an Paul Fröhlich das mögliche DDR-Tauwetter endete. Die DDR stand auf der Kippe. Ungarn war die fröhlichste Baracke im Ostblock. Bei uns entgleiste der Name Fröhlich zum Menetekel. Loests Freitod eine letzte Warnung vor kollektivem Selbstmord? Die Parteien stehen nicht zur Wahl, sie haben selbst die Wahl oder keine mehr. Merkel sozialdemokratisiert die CDU? Evangelisiert die Katholiken? Sediert die Deutschen und veruneinigt Europa? Zweimal Krieg für deutsche Weltherrschaft, zweimal Niederlagen und ein dritter Krieg wegen Exportüber-Schüssen? CDU plus SPD zusammengeklebt zur nahtlosen Einheitspartei? Das wäre die Chance einer pluralen Linkspartei, die sich traute, wüsste sie, was sie wollen kann. Was wäre, fänden die Christen zu ihrem Jesus zurück und die Linken zu Marx? Ende des Opportunismus ab 1914, der Krieg heißt Burgfrieden, die nationalistisch entsolidarisierte SPD geht als Kriegspartei auf den Strich. Wie wär's mit Kopfrevolte statt Barrikaden und Kanonen? Dagegen stehen 150 Jahre Antimarxismus inklusive DDR als Teil deutscher Untergänge. Jetzt ist der Westen dran.
Die Lumpensammler des Kalten Krieges von Arnulf Baring bis Hans-Ulrich Wehler sind von der Großen Koalition animiert. Wehler lässt in der FAZ vom 25.11.2013 kein antilinkes Klischee aus, eine rot-grün-rote Allianz als Alternative lehnt er ab. Und weiter: »Versäumt aber würde durch eine solche Entscheidung jener strategische Vorstoß in die Moderne, von dem Gabriel und Steinbrück, auch politisch kluge Frauen wie Nahles und Schwesig sich ungleich mehr versprechen als von einer Umarmung der Linkspartei.« Anschließend fordert Wehler »eine innovative, energisch vorangetriebene Politik, die durch eine Tändelei mit der Ex-PDS radikal diskreditiert würde.« Folgt des Historikers großer Schlussmonolog: »Wäre es deshalb nicht weitsichtiger, jetzt endgültig auf klägliches Selbstmitleid und weinerliche Trauer ob der vergangenen Größe zu verzichten, um wieder einen Kurs der expansiven Parteierneuerung einschlagen zu können?«
Solange Wehler diese zwar schönen, doch ebenso schlaffen Allgemeinheiten nicht realisiert, tändelt er nur notdürftig zwischen Noske und Schumacher herum. Dabei zahlte seine SPD für ihren Opportunismus nach Willy Brandt mit hohen Einbußen. Gemessen an 1990 hat die SPD bis Ende 2012 fast die Hälfte der Mitglieder verloren. Weiter so und der Rest schmilzt nach Wehlers Rezepten auch noch dahin. Wäre Gysis Linkspartei so klug und mobil wie sie sein könnte, förderte sie die Große Koalition als endgültigen bürgerlichen Schmelzprozess von CDU/CSU/SPD und verstünde sich selbst als real vereinte Linke per expansiver Erneuerung. Übrigens ist selbst die FAZ nicht immer so wehlerschwarz. In ihrer Sonntagsausgabe vom 17. November erkühnte Volker Weidermann sich zu der Frage: »Vor hundert Jahren wurde Willy Brandt geboren: Soll er in Zukunft eine größere Rolle spielen?« Der Genosse Brandt kam ursprünglich von der SAP her. Wer erläutert dem global und besonders in den USA gerühmten Historiker Wehler, dass mit der SAP einst der linke Rand außerhalb der SPD begann? Das war so wie heute: »Führende Vertreter der Wirtschaft haben immer wieder bekräftigt, dass sich eine ordentliche Reichtumspolitik nur durchsetzen lässt, wenn die SPD in der Regierung vertreten ist.« So Oskar Lafontaine in der jungen Welt vom 29.11.2013. Jetzt ist sie vermutlich bald wieder mal drinnen und der Genosse Wehler wirft dem externen Linksgenossen Lafontaine einen »vergeblichen Rachefeldzug« vor. Als Sarrazin-naher Türkenfeind blieb der Professor wenigstens noch argumentativ, als notorischer Linkenfeind gefällt er sich in saudummen Floskeln aus Mauerbauzeiten. Seine SPD aber hat, vielleicht letztmalig, die Wahl zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das ähnelt einer Situation in der DDR, als die SED selbst nach Stalins Tod sich nicht von ihm separierte. Jetzt verkündet gar der Papst: »Diese Wirtschaft tötet.«
Ist Franziskus etwa »ehemaliger Trotzkist, Maoist, irrlichternder Linksradikaler«? So Wehlers Sprachgebrauch als rechtsgläubiger Sozialdemokrat von vorvorgestern. Lassen wir also die braven Grünen mit dem gütigen Bouffier und die stolze SPD mit der verlockenden CDU/CSU selig werden und setzen Leipzig als Stichwort dagegen. Da war doch was? Handelsmetropole, Industrie, Kultur, Arbeiterbewegung inklusive Marx-Engelsscher Kapital-Analyse. Eine Wirtschaft, die tötet, ist systemische Kriegswirtschaft. Die alte SPD ist seit 1914 dabei. Wie wäre es, wenn sich jetzt mit CDU/CSU/SPD schon wieder eine fatale große Rechts-Koalition bildet, als Kontrast dazu in der traditionellen Gründerstadt Leipzig eine linke Große Koalition zu proklamieren? Erich Loest sprach sich, wie wir anmerkten, in einem späten tv-Interview gegen Hass und Rachsucht aus. Mich bedrückt, dass er dieser Maxime selbst nicht folgte. Er verwand die Bautzen-Haft nicht nur nicht, sie belastete ihn immer heftiger. So gesellte er sich eilfertig jenem Bundespräsidenten zu, der eben seine individuelle Unempfindlichkeit staatspolitisch manifestiert, indem er die Olympischen Spiele in Sotschi lautstark meidet. Elefant im Porzellanladen? Eine Beleidigung – das sind sehr sensible Tiere. Schlägt bei Joachim G. die Herkunft durch? Vater und Mutter NSDAP ab1932/34, wofür der Sohn nichts kann, er lebt nur von Nazis so erzogen distanzlos dahin als ließe bürgerlich-unreflektierte Elternliebe den Russenhass endemisch werden. Achtung Putin, die Gaucks kommen, indem sie nicht nach Sotschi kommen. Näheres zum Bundespräsidenten im poetenladen, Nachwort 29: »Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad«.
Nach Erich Loests Freitod am 12.9.2013 berichtet seine Frau Linde Rotta in der Leipziger Volkszeitung über die letzten Tage mit ihm. Das geschieht auf seinen Wunsch. Mir erscheint es als ein den Freitod anstrebendes Protokoll. In den Medien herrschen jetzt im Dezember die ukrainischen Unruhen und der Tod Mandelas vor, dessen Leben viele rühmen, die dessen nicht würdig sind. Die pompösen Worte Obamas am Sarg in Soweto und die von ihm angeordneten Drohnenmorde dementieren einander. Wieviel Mörder feiern den Tod des Friedensengels. Für politische Enttäuschungen bin ich zu alt. Wir wissen, in Niedergangszeiten ist Karriere nichts als beschleunigte Negativauslese. Hätte Loest nach DDR-Ende mehr Mandela als Gauck sein können? Noch in den letzten Monaten wollte ich mit Erich darüber reden. Er gab Zeichen, beschwieg jedoch alle Fragen.
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