|
|
Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 27 |
|
Das Ende der Linksintellektuellen (2)
Wie jeden Herbst preisen die Medien fleißig den allfälligen Büchner-Preis. Wer den Irak-Krieg lauthals lobte, die Büchner-Stücke nicht mag oder die 68er-Sicht auf den Revolteur ablehnt, der kann den Staats-Hauptgewinn einsacken. Es gab mal einen privat finanzierten Alternativen Büchner-Preis. Alternativen aber, das walte Angela M., sind nicht mehr vorhanden. Hier spare ich mir weitere Sätze, verweise aufs Nachwort 70: »Büchner und Nietzsche und wir« und empfehle ohne jede zeitliche Distanzierung meine liebenswürdigen Provokationen aus dem Jahr 1991. Den Alternativen Büchner-Preis erhielt übrigens u.a. Dieter Hildebrandt, dessen damalige Preisrede unvergessen ist. Das Nachklicken bei Nachwort 70 ist angebracht, bevor die Preisverschleuderer amtlich deklarieren, Büchner habe Friede den Palästen und Krieg den Hütten gepredigt. Büchners Literatur und Philosophie stehen jedoch festgebannt im Brief an Gutzkow: »Das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt …« Dieser revolutionären Philosophie steht heute eine konterrevolutionäre Weltsicht und Praxis des Misslingens gegenüber. Weil Philosophen nichts bewirken, nutzen sie ihr Fach als Abreiß-Kalender. Jeder Geistesriese fetzt seinen Vorgänger wie ein Kalenderblatt vom gestrigen Tag ab. Andere lesen alte Kalenderblätter neu. Schopenhauer unterschied Philosophen von Philosophie- Professoren. Den Menschen begriff er als Raubtier. Die Krone der Schöpfung aber ist der Mensch als sprechendes Raubtier, dem es um die erweiterte Macht im Revier geht. Wir sammelten Erfahrungen in vielen Revieren.
Die Artikel des fleißigen Historikers Kurt Pätzold in nd und jW las ich mit gebotenem Interesse als kritisches Gegenstück zu den vorherrschenden Bekundungen westdeutscher Historiker, bis ich von Pätzolds enger, ja inniger Nähe zum DDR-Universitätsparteifunktionär Gottfried Handel erfuhr, der eines schönen Tages im Jahr 1957 laut Zeugnis von Prof. Rochhausen am Leipziger Philosophischen Institut im Überschwang seiner Gefühle äußerte: »Morgen früh wird zum Glück Zwerenz, das Schwein, endlich verhaftet!« Der Plan misslang, das Schwein war nicht greifbar. Rochhausen erzählte mir erst nach dem Ende der DDR von Handels liebenswertem Ausruf. Seither lese ich die Artikel Pätzolds, dem Freund und Förderer von Gottfried H. mit doppeltem Interesse. Die beleidigte Seele delegiere ich an mein Pseudonym Gert Gablenz, der hier den Loest macht, d.h. die eklatante Beleidigung nicht vergessen kann. Weil, nun ja, mit seiner Rückkehr nach Leipzig begegnete Erich vielen Handels und Pätzolds (?). So beschrieb er es bis zur Resignation in dem Satz: »Meine alten Gegner haben gesiegt.«
|
|
Albert Camus
Der Mensch in der Revolte |
Der Mensch in der Revolte von Albert Camus, aus der Zeit seiner Erfahrung im besetzten Paris geschrieben, führt über die Bereiche Revolution, Kunst, Roman ins Jenseits des Nihilismus. Davon las ich in der Rowohlt-Ausgabe von 1953, das Signalwort Revolte beschäftigte mich seitdem als Korrektiv zu Revolution und Konterrevolution. Nazi-Deutschland war nur revolutionär von innen oder militärisch von außen zu besiegen. Die Stalinsche Sowjetunion bedurfte der inneren Revolte. In der DDR lebten wir im besetzten Land, das es zu befreien galt, ohne in die Konterrevolution zu verfallen. Es kam anders. Wir waren zu schwach zur Revolte. Das Resultat verstärkt die Globalisierung von Lüge, Verrat, Folter, Mord und kriegerischen Asymmetrien.
Die im Nachruf 26 geschilderte Episode, wie Bloch auf dem Flur des Philosophischen Instituts Ingrid wegen seiner Differenz zu Lukács geradezu beschwört, lässt die Tiefe des Konflikts vielleicht ahnen. Ob Vorlesung, Seminar oder privates Gespräch, Bloch insistierte, Lukács war Partei-Insider, er nicht. Also benötigte ihre Sprache unterschiedliche Differenzierungen. Der Freund ging von Allgemeinheiten aus, er aber suchte die konkreten Details, von denen aus sich überraschend neue Allgemeinheiten finden ließen. Hier liegt die Quelle der Blochschen Sprache als Dekonstruktion herrschender Allgemeinheiten plus Spurensuche nach neuen Fakten. Wenn Loest in Durch die Erde ein Riss berichtet, dass sie in Leipzig beisammen saßen und sich erklären ließen, was »Zwerenz bei Bloch gelernt hatte«, stellt er mir kein zutreffendes Zeugnis aus. Vielleicht liegt hier schon die Ursache späterer Zerwürfnisse. Die üblichen Ausdrucksweisen von Papier-Marxisten und Blochs Diktion andererseits differieren wie Fremdsprachen.
Nachrichten aus der Zeit grassierender Fremdsprachen – Waltraud Seidel schickt uns Bernd-Lutz Langes Buch Mauer, Jeans und Prager Frühling, 2003 erschienen im Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig. Auf Seite 146 tritt jener Gottfried Handel auf, der 1957 meine Verhaftung zu früh bejubelt hatte. Jetzt, 1963, also nach unserer Zeit, ging es immer noch um Freiheit, diesmal gegen studentische Kabarettisten vom Rat der Spötter. Handel leistete als »stellvertretender Parteichef der Universität« seine Zuträger- und Zensurdienste und nannte »den sozialistischen Überzeugungstäter Peter Sodann einen Arbeiterverräter.« Sodann bot dem »ungeliebten Parteimann Prügel an.« Wenige Jahre zuvor hätte sich das kein Verdächtigter getraut. Von den Angeklagten erhielt Sodann mit einem Jahr und zehn Monaten die höchste Strafe. Das nimmt sich geradezu human aus. 1957 waren mir noch zehn Jahre angedroht worden. Loest und ich wollten ja auch ganz witzlos den Genossen Ulbricht stürzen.
Handel hatte sich kurz nach Chruschtschows Anti-Stalin-Rede eine kleine oppositionelle Abweichung geleistet und hielt drei Tage lang zu uns. Den schweren Fehler abzubüßen, musste er sich von da an stets aufs neue bewähren.
In den verschiedenen Konflikten mit meinen Ex-Genossen im Osten scheute ich weder Polemik noch Satire. Nach dem DDR-Exitus verkniff ich mir jeden Triumph. Auf diese Differenz zu den üblichen Reaktionen vieler meiner Kollegen lege ich Wert. Ich wollte kein Verschwinden, sondern faire Chancen für Kommunisten und Sozialisten, insofern sie sich nicht schwer schuldhaft verhalten hatten. Dafür gibt es gute Gründe. Die aufmerksame Webseite Medienbeobachter meldete über Gerhard Zwerenz: »Seine 99 historischen Fragmente sind online erschienen, beim Poetenladen Leipzig. Zwerenz sieht sein Internet-Tagebuch jedenfalls als Fortführung der Weltbühne-Kolumne, die er 1954 in der DDR begonnen hatte – freitag.de.«
Inzwischen sind es fast 300 Fragmente in 3 Teilen geworden. Wozu? Als Botschaft an die Marsmännchen, die nach Ende der irdischen Menschheit vorbei kommen und sich fragen: War da mal was oder war da nichts? Sie sollen frohe Botschaft vorfinden.
Die Abschweifung zum Finale der Zeit nutze ich, um den Widerwillen zu überwinden, den der Name Gottfried Handel in mir erzeugt. Der kleine Uni-Stalin hatte als elternloses Kind viele Jahre in Heimen verbracht und in der Partei endlich Mutter, Vater und Heimat gefunden. Vielleicht rührte das Kurt Pätzolds Herz, so dass er sich des Waisenkindes annahm. Dass der getreue Genosse Professor K. P. nach dem Ende der DDR als Aufklärer ihrer Geschichte benötigt würde lag bis dahin unterm parteilichen Horizont. So ergeben sich individuelle Schlangenlinien, die ich keinem verüble. Auch den Freunden nicht, die mir damals in Leipzig beistanden, bis ich westwärts entwich und für die SED zum Verräter wurde. Das war mir ein Jahrzehnt früher schon mal mit der Wehrmacht passiert.
Nach dem Mauerfall 1989 durfte ich Leipzig wieder betreten und fand dort alte Freunde und eine Reihe eingefrorene Feinde vor. Wer hier auf Karrieren zurückblickte, war von Hitlers Feldwebel und Stalin-Gefolgsmann Paul Fröhlich gefördert, zumindest akzeptiert worden. Loest konnte damit nicht fertig werden. Wer aber Feindschaft überwinden will, muss Brücken bauen. Dazu fehlte es an Architekten.
Der Bundeswehr-Deserteur Arnold Schölzel, mir deshalb sympathisch und später zum junge- Welt-Chefredakteur aufgestiegen, berichtet am 26.3.2013 von einer Tagung Marxismus und Utopie in Münster. Über das Utopie-Buch von Friedrich Engels nichts Neues. Über Bloch auch nicht. Immerhin wird er genannt. Den versammelten Parteimarxisten hat der inzwischen (2011) verstorbene unverbrüchliche Parteimarxist H.H. Holz die Sprache verriegelt. Nun beherrscht, wird vermeldet, der pfiffige Dietmar Dath die linke Szenerie. Unser Vorschlag zur Güte: Schölzel wird Feuilleton-Chef bei der FAZ und Dath Chefredakteur bei der j W. Frank Schirrmacher darf hier wie allüberall ausgiebig essayieren. Der bürgerliche Mittelstand erhält stilistisches Klassenbewusstsein.
Im Jahr 1991 angelangt im Leipziger Pleißental , von wo die Feindschaft der Fröhlich-Handel-Ulbricht ausging, fällt mir am Hauptbahnhof plötzlich ein, ich bin einer der letzten Übriggebliebenen. Als es im Reich nationale Pflicht war, mit Hitler gegen Stalins jüdische Bolschewiken zu sein, war ich mit Stalin gegen Hitler. Als Stalin Hitler besiegt hatte und die eigene Revolution erledigte, war ich mit Trotzki gegen Stalin. Bevor Hitlers Kinder und Enkel nun Russland wiedermal bis auf die Kremlmauern verkleinern, bin ich für die Russen. Zögen sie sich weiter zurück, drohte ihnen das Missgeschick der Wiedertäufer von Münster. Wer Russland angreift, macht sich zum Wiedergänger Napoleons, Kaiser Wilhelms und Hitlers, womit erneut Georg Büchner und Albert Camus ins Spiel kommen – Der Mensch in der Revolte.
November 2013 – die Medien quellen über von Erinnerungen ans DDR-Ende vor einem Vierteljahrhundert. Meinen Genossen sagte ich den Untergang lange vordem voraus. Die Auflösungserscheinungen von Staaten beginnen in den Köpfen ihrer Lenker. Das ist keine Frage von Ost oder West. Heute ist laut Hans-Werner Sinn »Deutschland per Saldo ein Nettogläubiger des Restes der Welt. Daher ist unser Land der große Verlierer der Zinssenkung, die Krisenländer sind klare Gewinner.« (FAZ 8.11.2013) Preisfrage: Warum geht's diesem Deutschland trotzdem besser als den angeblich gewinnenden Krisenländern? »Sinns Ruf reicht weit über Deutschland hinaus. Gerade war er zum ersten Mal in der Mongolei …« Das ist der FAZ eine ganze Seite wert. Tut nix, dafür dürfen hundert andere Ökonomen widersprechen ohne erst in die Mongolei zu reisen. Was auch ne unsichere Sache sein kann, denn der »Verfall der Verkehrswege« beginnt bereits daheim im deutschen Vaterland. (FAZ 8.11.2013) Als dritte Weisheit erfahren wir in derselben Ausgabe: »Gut 4000 Studenten fechten jedes Jahr eine Mensur …« Artikel- Überschrift: Die den Kopf hinhalten … Blut an der Wange hält eben den Kopf bei der Stange oder: Wie die Alten sungen, zwitschern auch die Jungen.
Ian Kershaws Buch Das Ende. Kampf bis in den Untergang wurde bei Erscheinen rundum gelobt. Warum kämpften »die Deutschen« bis zum Ende im Mai 1945 wie besessen? Kershaw trat im vollbesetzten Frankfurter Literaturhaus auf – soviel Zustimmung gab es bei der Wehrmachtausstellung nicht. Wie oft trat ich in Lesungen, tv-Runden und anderswo gegen den Krieg und die bürgerlichen Deserteurs-Beschimpfer an. Inzwischen gibt es neue Hitler-Bücher. Die Leitmedien sind voll davon. Noch im nächsten Jahrtausend werden sie damit zu schaffen haben, bis sie in NSU-Manier aus ihrem Führer endlich Adolf den Großen filtern dürfen. Das ist die deutsche Variante von Mensch in der Revolte.
Unser Buch Sklavensprache und Revolte schrieben Ingrid und ich, weil wir turbulente Bloch-Zeiten in Ost und West erlebten, ohne in Traditionsvereinen unterzuschlüpfen. Wir verstehen uns als Bloch-Praktiker. Während sich in der Philosophie ein Meisterdenker auf den andern hocken mag, um Format zu gewinnen, gehen wir weder als Meister noch als Schüler – eher als Gesellen wie die Freimaurer, doch ohne deren Hierarchien. Anfangs verblüfft, bald animiert, entdeckte ich in Blochs Geisteswelten den Schlüssel zu meinen eigenen Lebens- und Todeserfahrungen. Blochs Werk steckt schon von der Sprache her voller Signale. Wir nennen es Nano-Kunst. Im Nachwort 99 steht dazu das Nötige. Übern Daumen gepeilt zielt es gegen die Götter als Konstruktion des Menschen. Die Philosophie verzichtet auf Gott und setzt ihre autarken Denkfunktionen dagegen. Doch misslingen alle Versuche, das freie Denken praktisch werden zu lassen. Auch die Revolutions-Theorie von Marx scheitert an der Vielzahl ihrer Feinde. Bleibt die Suche nach einem 3. Weg.
Im Vorschulalter, als ich bei Anna, der Großmutter in Gablenz aufwuchs, kamen manchmal Gäste zum Kaffee, meist Bekannte aus dem Dorf. Wurde es mir langweilig, ergriff ich meinen hölzernen Spielzeugsäbel und focht wild in der Luft herum. Anna bemühte sich zu beschwichtigen. Ist doch gar kein Krieg! Ich flüchtete in die Dachkammer und schimpfte zum Dachfenster hinaus Langeweile empfinde ich als unzumutbar. Die fleißigen Unglücksraben der Kultur, die heute herumgeistern, zitieren gern Nietzsches Lehre vom ewigen Kreisverkehr als wären sie Zarathustras Brüder: »Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.« So stehen sie zwischen Über- und Untermenschen herum und wissen vor lauter Langeweile wie 1918 noch nicht, wohin sie sich entpuppen sollen. In Buch und Film steht ihr Führer längst wieder auf, obwohl er gar nicht mehr dazu gebraucht wird.
|
|
Klassisches Exempel einer erzstalinistischen Leipziger Edition |
In der Reihe Pankower Vorträge erschien jetzt als Heft 182 Erbschaft dieser Zeit, titelgleich mit Ernst Blochs Buch, referiert von Dieter Schiller. Wir stellten ihn via www.poetenladen.de im Nachruf 24 vor. Kurz gesagt – diese Festvorlesung von Prof. Dr. Dieter Schiller anlässlich seines 80. Geburtstages ist eine philologische Meisterleistung par excellence, die uns besonders entzückt, weil sie Blochs Revolten-Philosophie empirisch nachvollziehbar werden lässt, wo wir uns nur auf private Erfahrungen und Blochs Erzählungen stützen konnten. Zum Rückbezug Blochs auf Heideggers Sein und Zeit empfehlen wir Nachruf 10: »Von Leibniz zum tendenziellen Fall der Profitrate«. Neidlos, aber fröhlich fügen wir hinzu: mit Dieter Schiller über Bloch wird der Wärmestrom des Marxismus fortgesetzt.
Pause. Atempause. Verschnaufpause notgedrungen. Jetzt gerät die Chronik der Karl-Marx-Universität Leipzig 1945 – 1959 ins Spiel, erschienen 1959 im Verlag Enzyklopädie Leipzig aus Anlass der 550-Jahrfeier der Karl-Marx-Universität Leipzig, herausgegeben von Gottfried Handel und Gerhild Schwendler. Die Chronistin kennen wir nicht, der erstgenannte Autor ist sattsam bekannt, beide sorgten gemeinsam dafür, dass in den 118 Druck-Seiten die Majestäten Paul Fröhlich und Walter Ulbricht häufiger vorkommen als die namhaften Professoren, die der Universität Glanz verliehen. Nicht ohne Grund wird in dieser broschierten Müllhalde papierner Verlautbarungen Ernst Bloch ganze zweimal erwähnt. Laut Seite 77 kriegt er 1955 einen Nationalpreis, auf Seite 85 aber wird über den 4./5. April 1957 kurzum mitgeteilt: Wissenschaftliche Konferenz der SED-Parteileitung des Instituts für Philosophie zur Kritik der revisionistischen Philosophie Ernst Blochs…
Da haben wir den Salat. Revisionismus des Nationalpreisträgers. Unruhe unter den Studenten. Immerhin wird auf den Sammelband Ernst Blochs Revision des Marxismus hingewiesen. Als Therapie-Versuch empfehlen wir dagegen unsere chronischen Dekonstruktionen im poetenladen. – Bitte zum Vergnügen nachklicken.
Soviel zur Vorgeschichte des Untergangs der DDR, deren fatales Ende sich auch als Rache kontinuierlich verfolgter Linksintellektueller deuten lässt. Meine eigenen Unlustgefühle aus dem Osten setzten sich im Westen bruchlos fort, wo des Führers Leutnante und Hauptmänner Helmut Schmidt, Alfred Dregger, F.J. Strauß ihre Karrieren ungerührt vollendeten. Ein Sieg Hitlers wäre ihnen zupass gekommen, die Niederlage ließ sich unter Adenauer ebenso nutzen. Widerstand sieht anders aus. Die Hamburger Hochschule der Bundeswehr trägt den Namen Helmut Schmidt. Fehlt da nicht der direkte individuelle Bruch mit der Wehrmacht? Die Herren holen ihre Widerstände erst nach, wenn es kein Risiko mehr birgt. Vorher wussten sie nichts von Dachau und Auschwitz. Sie führten einfach Krieg, ob heiß oder kalt und dann wieder heiß. Als die bösen Sowjetbürger sich in Russen zurückverwandelten blieben sie gleichwohl Feinde. Was aber, ihr tapfren Ritter, was ist, wenn die siegreiche westliche Wertegemeinschaft ihre Schlachten von Vietnam bis Afghanistan nur noch verliert? In den ersten Jahren der Bundeswehr vernahm man die Frage: Was ist, wenn die Sowjetunion angreift? Antwort: Die Bundeswehr hält die Front drei Tage, dann geht die Wehrmacht in Stellung.
Heraklits Wort vom Krieg als Vater aller Dinge - »aller Dinge König« – bezieht die Philosophie selbst mit ein. Wer frei denkt, braucht einen freien Raum. Entweder nimmt er dazu an der Macht teil oder richtet sich auf Verfolgung ein. So beginnt der Krieg im Kopf. Die geballte Faust wird getarnt und stattdessen ballt sich die Seele.
Walter Ulbricht, der Reihe nach Sozialdemokrat, Spartakist, Kommunist, Antifaschist, Stalinist, wirksamster Gegner Adenauers, stand 1956 vor der letzten Entscheidung seines Lebens. Sein Kardinalfehler wurde der Entschluss, Ernst Bloch kaltzustellen. Die spätere schwache Kurskorrektur führte zur eigenen Entmachtung durch die Sowjetunion und Honecker. Chruschtschows Entstalinisierungsversuch jedoch war keineswegs chancenlos. Er scheiterte an der Halbherzigkeit in Moskau und Berlin, wo der Sachse Ulbricht erst unentschlossen schwankte und dann mit seinem Brief gegen Bloch die neostalinistische Repression anordnete. Mit dem Ende des Tauwetters wurde Ulbricht zum Noske der SED. Das ist es wohl, was Erich Loest meinte, wenn er sagte: »Meine alten Gegner haben gesiegt.« Wir sehen es nicht so. Zumindest sollten die Gegner genauer definiert werden. Ebenso die Freunde.
Die Anzeige, 2013 in einigen Medien erschienen, ist als Frage zu bescheiden. Die politische Linke begann in der Tat als Arbeiterbewegung europäisch und Sachsen wurde zum roten Kernland mit Leipzig als Schwerpunkt. Ob SPD, KPD, SED, PDS, Linkspartei, Leipzig ist extensiv dabei und taugt zur Gründung einer zweiten Reformation mit dem philosophischen Erbe Ernst Blochs und dem ökonomischen Nachlass von Fritz Behrens. Soviel zur Stadt an der Pleiße. Und nun zu Frankfurt am Main:
Rudi Homann bloggt.
von RudolfHomann @ 2013-03-16 – 10:11:43
Zur Erinnerung an Fritz Bauer
* 16. Juli 1903 in Stuttgart; † 1. Juli 1968 in Frankfurt am Main. Der Filmemacherin Ilona Ziok gebührt das Verdienst, den wohl profiliertesten Staatsanwalt, den Deutschland je hatte, mit ihrem Film TOD AUF RATEN wieder in Erinnerung gerufen zu haben.
Zitate von Fritz Bauer:
»Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Daß Deutschland in Trümmern liegt, hat auch sein Gutes, dachten wir. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschenfreundlich. [...] Dann kamen die anderen, die sagten: „Aber die Kanalisationsanlagen unter den Trümmern sind doch noch heil!“ Na, und so wurden die deutschen Städte wieder aufgebaut, wie die Kanalisation es verlangte. [...] Was glauben Sie, kann aus diesem Land werden? Meinen Sie, es ist noch zu retten? [...] Nehmen Sie die ersten Bonner Jahre! Keine Wehrmacht! Keine Politik der Stärke! Nun betrachten Sie mal die jetzige Politik und die Notstandsgesetze dazu! Legen Sie meinethalben ein Lineal an. Wohin zeigt es? Nach rechts! Was kann da in der Verlängerung herauskommen?«
Aus: Gerhard Zwerenz: Gespräche mit Fritz Bauer. In: Streit-Zeit-Schrift VI,2, Frankfurt a.M., September 1968, S. 89-93, hier S. 92f.
Über Fritz Bauer und den Ilona-Ziok-Film Tot auf Raten gibt es Bescheid im poetenladen-Nachwort 15. Bauer starb pünktlich 1968, Adorno nur ein Jahr später. Der Tod auf Raten räumte unter den wenigen remigrierten Linksintellektuellen vorzeitig auf. Im Osten fegte die Partei ihre letzten Oppositionellen weg, auf dass sie in die äußere oder innere Emigration entflohen, den Rest besorgten Parteiausschluss und Totschweigen inklusive Überwachung und Giftpfeilen, was uns nötigt, Loests fatales Abschiedswort im Richard-Wagner-Sound zu ritualisieren: »Meine alten Gegner haben gesiegt.« So der Refrain und soviel zum abgelegten Sozialismus. Im Westen aber ernten dahingegangene Linkspromis die üblichen falschen Nachrufe wo nicht Staatsbegräbnisse. Gottseidank wieder ein Störer verschwunden. Im akademischen Überbau überleben noch ein paar Adorno-Schüler von Habermas bis Oskar Negt, der den Bloch nicht mehr zum Philosophen des Roten Oktober kürt, obwohl seine SPD sich gerade linksseitig zu öffnen anschickt. Im allerwestlichsten Westen aber, an der Bockenheimer Warte in Frankfurt am Main inmitten babylonischer Turmbauten sitzt vereinsamt der kunstvoll denkmalisierte Theodor W. Adorno in seinem Glaskäfig und liest gerade das FAZ-Feuilleton vom 25. November 2013, wo der standesgemäß verdrossene Historiker und Alt-Sozi Prof. Hans-Ulrich Wehler seiner mürben Partei den dumpfen Titel einer »rot-roten Chimäre« verleiht, die liebe NATO hochleben lässt und die Ostgenossen als Irrlichter abtut, und alles wegen der eventuellen Linksöffnung zu Gysi und Wagenknecht. Das Pärchen ist gar nicht so übel, denkt der Überlebens-Adorno im Glas, mit so einer Sahra ist gut zu leben. Zungenschnalzend erhebt er sich beinahe erregt vom akademischen Stuhl, trommelt von innen gegen die gläserne Wand und doziert: »Nach Auschwitz sind Gedichte doch möglich und ein richtiges Leben gegen das falsche lässt sich auch führen …«
|
|
|
|
|