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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 18 |
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Vom Linkstrauma zur asymmetrischen Demokratie
Bevor der angesagte Untergang der Presse im Netz stattfindet, spiegelt sich die Weltgeschichte noch in treffsicheren Schlagzeilen: »Der Osten wird im Hochwasser abgehängt … Das Böse ist banal … Ich erobere, also bin ich … Sind Ossis anders drauf … Kissingers unrühmliche Rolle in Vietnam … Sparzwang: Sachsen schließt Institut … De Maizière für Verhandlungen mit Taliban … Der Chor der Leidenden … Auge in Auge mit den Geistern … In Hass und Liebe zum Kommunismus … Hitlers Feldmarshall als Gefangener Stalins … Die Kommunisten fielen überproportional im Kampf … Lies doch, das ist das Glück … Seid Sand im Getriebe … Das Berliner Schloss, dementiert von Kafka, kommentiert von Walter Ulbricht … Anna Netrebko singt auf dem Roten Platz vor der Kremlmauer … Ist Sadomasochismus die Lösung? … Karneval als Kampfzone … Das unwiderstehlich Böse … Der Gedanke ist Mord … Die Hölle ist ein Kreisverkehr… Zu viel Geld ist eine Droge … Rhetorik als politische Kunst: Zum Tode von Walter Jens …
Jeder einzelne Wort-Schatten ist glossentauglich und verträte die kollektive Misere des 21. Jahrhunderts als pars pro toto. Ich ziehe das tragische Moment vor: Walter Jens in Parallele zu Friedrich Hölderlin. Beide haben vergeblich gelebt. Es bleibt nur ein Turm am Neckar als Ansichtssache.
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Walter Jens:
Das Verhalten der Akademie erscheine ihm „befremdlich und provinziell“.
(Börsenblatt 21.03.1989)
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Eine gewisse anzügliche Ironie ist der gegenwärtigen Zeitgeschichte nicht abzusprechen, wenn im Land der als solcher gepriesenen mächtigsten Frau dieser Welt ganze Ländereien so heftig absaufen als wollte ihr Christengott sie samt Glaubens- und Wahlgemeinde vor der drohenden universalen Sintflut warnen. Wer zimmert die Arche Noah, wenn alle Dämme brechen? Wie lange thronen die Banker in ihren Hochhausburgen noch über den Fluten, bis auch ihnen hoch oben das Wasser über den Köpfen zusammenschlägt?
Soviel zur Bibelstunde, und nun zur Sache: Geopolitisch gesehen sitzen wir, vom Drohnengott Obama u. a. zur Führungsmacht aufgefordert, unschlüssig dienstbereit in Europas feuchter Mitte herum, mit der Last des 17. Juni 1953 auf den Schultern und der kommenden Wahl-Qual des 22. September vor der Nase. Wer wird wen wählen im Reich Popo ohne Alternative? Hessens Schorsch Büchner schlägt Zwerg Nase vor. Der bläst sich auf und nennt sich Schmidt-Schnauze, Schröder-Agenda und Steinbrück- Beinfreiheit. Aus der Hölle dringt Noskes Gelächter. Die Herren Genossen haben Schwierigkeiten mit den zwei Grundmustern: a) das biologische Muster sieht den Menschen völkisch eingeteilt in Bulle und Herde, Führung und Gefolgschaft, also Masse, ergo Wählerschaft. b) anders das kulturelle Grundmuster, das anfangs mit Jesus Christus und später mit, Gott behüte, Karl Marx antrat: Freiheit, Gleichheit, Pustekuchen. Vom Globalkrieg zum Bürgerkrieg. Nietzsche auf Porsche im Weltkreisverkehr. Was bleibt sind Marx/Engels und die Differenz zwischen vorwärtstreibenden Produktivkräften und hemmenden Produktionsverhältnissen, woraus fataler Klassenkampf resultiert. Wem das zu akademisch erscheint, dem hilft Büchner weiter: »Das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt …« So 1835 im Brief an Gutzkow. Adressiert an alternativlos heimatlose Spitzköpfe.
Zum 17. Juni 1953 vom 17. Juni 2013 aus rückwärts betrachtet. Worum ging es? Worum geht es? Arbeiter- oder Volksaufstand? Volk und Arbeiter schweigen. Die Parteien führen stellvertretend wie stellzertretend das große Wort, dahinter ist nichts als heiße Luft, um alte Ideologien zum Wahlkampf aufzublasen. Ohne Arbeiter wäre die Masse nicht aufgestanden. Sie hätte vor 1945 aufstehen müssen. Besser noch 1933. Kein Volksaufstand 1953, ein Arbeiteraufstand auf beiden Seiten? Mir war ein wenig zumute wie neun Jahre zuvor zwischen Wehrmacht und Roter Armee. Ein wenig. Ein ganz klein wenig. Nicht aufgeben. Den 3. Weg suchen. Im Jahr 2003, als der 17.Juni 1953 ein Halbjahrhundert zurücklag, notierte ich für eine Veranstaltung in Leipzig: In Medien und Politköpfen blühen die Mythen. Es ist fast wie damals. Drei Tage lang blieb die Partei auf der Wahrheitsspur. Dann war für sie das Ganze nur noch ein faschistischer Putsch und für den Westen ein gefundenes Fressen im Kalten Krieg. Wir 56er Oppositionellen forderten drei Jahre später Reformen im Sinne Chruschtschows. Harichs Verhaftung am 29.11. 1956 und Blochs zwangsweise Emeritierung Ende des Jahres setzten den Schlusspunkt. 33 Jahre danach gab die DDR den Geist auf, was mich nicht überraschte. Es war aber ein Trauerfall. Land, Menschen und Staat wurden unter Wert geschlagen und hätten ein besseres Schicksal verdient. Meine Hoffnung, die PDS werde ab 1989 unsere 56er Opposition fortführen, blieb unerfüllt. Der unverarbeitete Konflikt vom 17. Juni 1953 reicht bis ins 21. Jahrhundert hinein. Der erste Satz meines Zeit-Romans Die Liebe der toten Männer lautet: »Tage, die um den Erdball gingen wie schlimme Zeitungen …« Als letzter Satz steht da: » … um ihr linkes Handgelenk schnellte der rote Streifen wie eine Kette.« Es ist nicht nur die Spur von Handschellen gemeint, wenn ich mich recht erinnere. Rot ist die Farbe der Sonne.
Inzwischen sind zehn weitere Jahre vergangen. Die Medien feierten den 60. Jahrestag in gewohnter Manier ab. Ich neige dazu, weder vom Arbeiter- noch vom Volksaufstand noch vom faschistischen Putsch zu sprechen. Die verbalen Allgemeinheiten sind nichts als Parteiplakate. Die Dekonstruktion erbringt bisher unbekannte, wo nicht geheime Hintergründe, die im Kapitel »War Berija nur ein schlimmer Finger?« in unserem Buch Sklavensprache und Revolte tangiert wurden. Jetzt gibt's von Siegfried Prokop viel Neues und Brisantes unter dem Titel Der 17. Juni 1953. Internationale Aspekte und Fragen der historischen Wertung . Lauter Gründe, den 17. Juni als nationalen Feiertag endgültig abzuschaffen. Kritische Selbst-Erforschung benötigt keinen Gedenktag. Der Text von Prof. Prokop ist in den Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE enthalten. Akzeptieren die Genossen die Korrekturen? Unsere früheren Konflikte bedenkend ist unsereinem zumute als geriete auch dort ein 3. Weg nach und nach ins Blickfeld.
Der verbale Kampf um die Deutung als Be-deutung bleibt als Differenz zwischen Wort und Begriff erhalten. Den einen ist Kommunismus die Hegel-Feuerbach-Marx-Philosophie, den anderen Gulag. Was aber, wenn die Philosophie nur der schöne Schein ist, Gulag jedoch das böse Sein? Oder etwa umgekehrt? Die deutsche Linkswut ist als Wut auf die Linke seit 1848 so aktuell, dass sie als linke Wut zurückkehrt. Sogar die DDR servierte ihre Linken ab. War das sozialistischer Schein oder reales Sein? Im Augenblick geht Grass halblinks als guter Geist Willy Brandts um. Wahlkampf ist. Die brave SPD weiß nicht, wie ihr geschieht. Steinbrück erprobt seine Kopfbreite. Willy, der ehemalige Sapper-SAP = Sozialistische Arbeiterpartei – ist immer gut, Günter als früherer Waffen-SS-Soldat aber? Was hätte der wortgewaltige Verschweige-Epiker als autobiographischer Existenz-Fanatiker aus sich heraustrommeln können statt des Zwerges, der die Charakterlosigkeiten des Zeitgeistes durch barocke Satzmonumente abtarnt. Die werten Kriegskameraden fühlten sich ermutigt, den eigenen schönen Schein zu wahren. Die Helden von vor 1945 traten wie Grass bald als Helden nach 1945 ins Scheinwerferlicht. Führer befiehlt nicht mehr, ab jetzt sind sie führend zur Stelle.
»Verrat an der Substanz – Bibel als Reisebegleitung: Hegels Phänomenologie«, so edel erhoben betitelt Lorenz Jäger seinen Artikel am 26.6.2013 in der FAZ, deren Ressort Geisteswissenschaften ihre Geister liebt wie die Politik ihre Ungeister: »Infame Abrechnung mit Elisabeth Noelle-Neumann – Jörg Becker setzt Worte des NS-Kauderwelsch einfach mit nationalsozialistischen Verbrechen gleich« – so großmütig Michael Wolffsohn gegenüber der Meinungsforscherin am 24.6.2013 im selben Blatt. Die geherzte Pythia vom Bodensee würde ihn gleichwohl streng zurückweisen, wie sie einst in Berlin Goebbels und später in Frankfurt/Main den sie bedrängenden Adorno zurückwies, stets von ihrem Schutzengel begleitet, was sie selbst gern himmelsgläubig berichtete. Der von Wolffsohn gerüffelte Professor Jörg Becker ist Verfasser des Buches Elisabeth Noelle-Neumann. Demoskopin zwischen NS-Ideologie und Konservatismus Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2013. Prof. Wolffsohn erklärte vor Jahren schon mal alle Linksintellektuellen zu Antisemiten.
Soviel viel zu den Schutzengeln. Nun zu den Erzengeln und weiter mit Lorenz Jägers couragierter Angleichung der Phänomenologie von Bibel und Hegel bzw. Glaube und Werk. Der Glaube allein macht eben nicht selig, es muss das Werk als gute Tat hinzukommen. Jäger ist bei aller Ironie superreligiös gebildet und oben ein wenig zügellos abschweifend, Typ intellektueller Abenteurer, wo nicht gar einsam reflektierender Partisan, am Ende mit stringenter Schlussfolgerung. Wort und Werk der Christenheit sind seit zweitausend Jahren so heilig wie strittig. Wort und Werk der Marxisten hingegen noch keine zweihundert Jahre. Und materialistisch unheilig dazu. Es geht Jäger wie uns um die 11. Feuerbach-These von Marx, die postuliert, unsere Welt zu verändern. Nun denn. Das jüngste christliche Werk nach der Atombombe ist die massive Mord-Drohnen-Praxis durch Obama, den Friedensnobelpreisträger Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Am Ende schaffen seine Gläubigen alles wieder ab. Der Himmel als Feuerhölle. Was bleibt ist das sadomasochistische Stöhnen der Zombies, die in einer neuen Welt als Kinderspielzeug dienen. Lorenz Jäger hingegen begann seinen Bibel-Hegel-Exkurs in der FAZ vom 26.6.2013 mit den Worten: »Von Ernst Bloch stammt das hübsche Bonmot: ›Ich kenne nur Karl May und Hegel; alles was es sonst gibt, ist aus beiden eine unreinliche Mischung.‹« Was Jäger daraus filtert, ist der Aufmerksamkeit wert. Was wir dazu bemerkten, ist u.a. im Nachwort 19 des poetenladens »Affentanz um die 11. Feuerbach-These« sowie in Sklavensprache und Revolte, Seite 155 nachzulesen.
Der Horizont ist insofern subjektiv, als er von der Höhe und vom Alter des Betrachters bestimmt wird. Als ich acht Jahre zählte, saß eine der frühen Arbeitskolleginnen meiner Mutter bei uns daheim. Ihr Mann war verhaftet worden. »Gerhard, die machen uns unsere Männe kaputt«, höre ich sie klagen. Das liegt achtzig Jahre zurück. Siebzig Jahre ist es her, dass ich als Soldat den ersten Kriegskameraden neben mir fallen sah. Vor neunundsechzig Jahren karrten wir frühmorgens die über Nacht verstorbenen Kriegsgefangenen aus dem Lager. Die Massengräber der von den Nazis ermordeten Juden zwischen Bobruisk und Minsk erhielten deutschen Landser-Nachschub.
Das dritte Auge als Gedächtnis. Der 1933 inhaftierte Ernst Thälmann sagte: Stalin wird Hitler das Genick brechen. Der Führer ließ Thälmann in Buchenwald ermorden. Stalin besiegte Hitler. Die Kriegsverlierer rächten sich dafür mit der Extremismus-Theorie, wonach rot gleich braun sei. Dafür wurden sie als unbelastet eingestuft und starteten frohgemut ihre zweite Kriegskarriere. Von Stalin bleibt allerdings die Stalin-Orgel, auf die Putin sich immer mal wieder beruft, was ihm die deutsche Elite nie verzeihen kann. Das sind so Fragen des Horizonts. Alte Augen sehen weiter, indem sie nach innen blicken. Ich blättere im Hausarchiv in verschiedenen Zeitungen. Nichts ist vergangen. Zeit steht als ewige Wiederholung von Kriegen und Bürgerkriegen still. Auf Abrüstung folgt Aufrüstung. Sermon-Marathon westlicher Wertegesellschaften im stupiden Abwehrkampf.
Die strategische rote Frontlinie führt, soweit überschaubar, vom Urchristen zu Rousseau und Marx. Im 20. Jahrhundert folgt der Absturz zu Hitler und Stalin. Dazwischen die »unreinlichen Mischungen«, wie Lorenz Jäger den listenreichen Karl-Marx- und Karl-May-Phänomenologen Erst Bloch zitiert. Hitlers Reich zu besiegen bedurfte es der Roten Armee, die bald keine mehr sein konnte. Der Rest sind unheimliche unreinliche Mischungen in Ost und West. »Als Ball vortrat, fuhr ihm ein rasender Schmerz ums linke Handgelenk, als schnitte ihm ein Messer ins Fleisch und sein Schrei glich jenem Schrie von vorhin, als sie ihn geholt hatten; ein wilder unmenschlicher Schrei, wie man ihn nur an manchen Abenden in der Nähe von Schlachthöfen hört. Ball streckte seine gefesselten Hände vor, dass sie weit aus den Ärmeln herausragten und starrte auf sein linkes Handgelenk. Dort wand sich ein roter schwellender Streifen wie eine Schlange durch die Haut. Neben Ball aber standen Erkel und einer der fremden Offiziere. Ihre Lippen waren weiß geworden und um ihr linkes Handgelenk schnellte der rote Streifen wie eine Kette.« Mit diesen Sätzen endet der Roman Die Liebe der toten Männer. Das Buch ist eine unreinliche Mischung von Fakten und Mythen im Zeitalter der Täter und Opfer, die es einander wechselseitig sind.
Platon sitzt in seiner Höhle und betrachtet versonnen die tanzenden Schatten, die sein loderndes Feuer an die Wand wirft. Der Philosoph hat soeben Die Liebe der toten Männer gelesen. Dieser Zwerenz behauptet, unsere Nachkommen stigmatisiere ein roter Streifen ums linke Handgelenk, sagt Platon und ergänzt: Ich sehe nur schwarz und weiß. Per Telefon ruft er Aristoteles an. Der grübelt gerade über seiner Poetik und raunzt: Gib Farbe dazu! – da fällt es Platon wie Schuppen von den Augen. Das sind so Notizen vom Ende der fünfziger Jahre, als ich, von der Pleiße an den Rhein gekommen, Die Liebe der toten Männer als Mixtur von Fakten und Mythen schrieb. Die Aggressionen der Politik bleiben seither bei allen Veränderungen gleich. Der rote Streifen stigmatisiert. Das Linkstrauma führt zu asymmetrischen Demokratien. »Von Leibniz zum tendenziellen Fall der Profitrate« ist der Titel vom Nachruf 10 im poetenladen mit der Warnung: »Das Zeitalter der schönen Selbstmorde hat begonnen. Dem Marxismus ohne Revolution folgt die Erde ohne Menschen.« Offenbar vernahm das jemand in der FAZ, Redaktion Forschung und Lehre – am 3.7.2013 ist im Blatt der Artikel eines integren Mannes mit dem Namen Heinz D. Kurz zu finden, der international erfahren, informiert und objektiv, also ohne Wahlkampfkrampf, stattdessen Bescheid wissend und gebend seinen Marx-Befund darlegt: »Das KAPITAL ist historisch-kritisch ediert: Zeit für einen Grundkurs zum Fall der Profitrate«. Darin dieses hervorgehobene Zitat des an der Grazer Universität tätigen, 1946 in Pfaffenhofen/Ilm geborenen deutsch-österreichischen Wirtschaftswissenschaftlers Kurz: «Das Gesetz vom Fall der Profitrate beschreibt, weshalb der Kapitalismus scheitern muss, irgendwann.« Laut Marx also, nach dem letzten MEGA-Stand beim authentischen Wort genommen, ist das Scheitern nur noch eine temporäre Frage.
Die Liebe der toten Männer zur asymmetrischen Demokratie
Meine ersten Bücher in der BRD wies ich noch der DDR-Literatur zu – als Akt von Abrechnung und mehr noch von Befreiung. Was die Szene inklusive geheimer Dienste aufrührte. Schönen Dank für das Gift von beiden Seiten. Die Liebe der toten Männer ist der Reflex des 17. Juni 1953 als radikaler Aufstand der Worte, also Kriegs- und Friedenserklärung zugleich. Ärgernisse, ebenfalls noch bei Kiepenheuer und Witsch in Köln erschienen, erlaubte den Blick zurück und auf die Formationen möglicher Zukunft. Beide Bücher von 1959 und 1961 wurden 1971 im Fischer Verlag Frankfurt/Main mit Kopf und Bauch fortgesetzt und 1974 mit Der Widerspruch abgeschlossen. Über die Spanne von 1961 bis 1971 wird noch zu reden sein.
Das Ende der klassischen Tragödie der Kommunisten fand und findet als Paranoia in Marxens Geburtsland Deutschland statt. Politisches Finale 1989/90 – danach ein vereintes Zurück auf gestern und vorgestern und die daraus folgende Trennung von Philosophie und Politik. Die wenigen verbliebenen Kommunisten und majoritären Antikommunisten spielen jede Seite für sich Wallensteins Lager. Wer verrät wen. Wer schafft wen ab. Inzwischen wechselt der Glaubenskrieg die Farbe und beginnt die gesamte Welt zu trennen wie vordem Deutschland, das sich seit 1848 seinen roten Marx nicht verzeihen will und den imperialen Antigeist mobilisiert. Der Sieg der Bonner Republik destabilisiert die vereinigte Berliner Republik zur asymmetrischen Demokratie – woran bereits die DDR verendete. Sollten ihr andere Länder nachfolgen wollen, wäre die Postdemokratie perfekt.
Walter Jens, mit dem dieser 18. Nachruf beginnt, soll dazu das letzte Wort haben, das ich mit Dank und nicht ohne Rührung zitiere, nimmt es mich doch in die Pflicht: »Jetzt kommt Zwerenz, stellt Fragen, stellt in Frage, der Unbequeme, und beweist, dass alles auch ganz anders sein könnte. Ärgerniserregend, immer zwischen den Fronten. Schläge austeilend: Schriftsteller wie er sind in einem Augenblick wie dem jetzigen wichtiger denn je.« Die letzten Jahre verbrachte Walter Jens in geistiger Umnachtung, die als Folge eines vergessenen Details seiner Vergangenheit gedeutet wird. Da müssten aber viele die intellektuelle Insolvenz fürchten.
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