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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 26 |
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Das Ende der Linksintellektuellen (1)
Die Väter Marx und Engels hatten wie einst Gott und Joseph mit Maria mehrere Söhne. Die weltweit bekanntesten heißen Lenin und Stalin. Ihre heilige Mutter Maria ist die Partei, die aus der Revolutions-Idee hervorging wie Aphrodite aus dem Haupte des Zeus. Kopfgeburten eben, wenn nicht wie bei Stalin als Vorname der Stalin-Orgel, mit deren Hilfe die Rote Armee Hitler das Genick brach (Copyright Ernst Thälmann), was den Führer in den Augen seiner Nachkommen zum Opfer des Kommunismus werden ließ usw.
Soweit das historische Präludium und jetzt die Nationalhymne in voller Besetzung von gestern, heute und morgen. Sie heißt große Koalition, setzt sich aus CDU-CSU-SPD und viel Schaum (H.-M. Enzensberger) zusammen und bietet im grauen Monat November 2013 der verschreckten Linkspartei die unverhoffte Chance, zur stärksten schwachen Oppositionspartei zu werden. Denn die FDP ist raus. Die Grünen lernen von der FDP den verdienten Abgang und ziehen sich in die Provinzen zurück, wo schon die Piraten überwintern. Was also tun?
Die beliebte bürgerliche Einteilung der jetzigen Linkspartei in eine niedliche östliche Volkspartei und die bösen Linksdraußen im Westen ist hirnschwache Verlegenheit. Tatsächlich bietet der Marxismus für jede Linkspartei Sollbruchstellen. Wer die Revolution betreibt, wird konterrevolutioniert. Wer sich der SPD anschließt, kann geduldet werden. Revolutioniert sich die SPD etwa, wird sie als kommunistisch kriminalisiert. Das Ergebnis ist die Transformation von Marktwirtschaft in die kapitalen heutigen Spekulations- Monopole. Die Gangs der Wirtschafts- und Finanzzentren höhlen den Staat zur Postdemokratie aus. Was uns wieder auf die feudale große Koalition von 2013 zurückbringt. Gregor Gysi als Berliner Oppositions-Demosthenes im Kontrast zur Weltmacht-Angela gibt gewiss eine kleinwüchsige, im Format jedoch unübertreffbare Figur. Die Konstellation – zwei Ossis, dazu noch Frau und Mann – mag feuilletontauglich, also unterm Strich sympathietauglich sein. Wesentlich wird der Vorgang erst als Endspiel, das wir früheren linken DDR-Opponenten in weiser Voraussicht zu verhindern suchten. Es hieß die DDR zu reformieren ohne der BRD anheimzufallen. Denn wer Deutschland grenzenlos vereinigt, der veruneinigt Europa. Die Kriege werden nicht mehr erklärt. Sie gehen einfach permanent weiter. Weil, ach ja ihr Genossen samt Obergenossen und bürgerlichen Übermenschen – ohne Rüstung läuft die gesamte Kapitalmaschine leer. Der Rest ist Partei genannte moralische Heuchelei.
Eins muss man dem Wirtschaftsteil der FAS lassen – sie greifen hinein ins volle Menschenleben. Am 20. Oktober 2013 wird mitgeteilt: »Finanzmärkte funktionieren sehr gut. Sie sind effizient!« So der eine Nobelpreisträger. Der zweite Nobelpreisträger aber: »Finanzmärkte neigen zu irrationaler Übertreibung.« Das muss dem zuständigen Redakteur aufgefallen sein. Also fragt er im selben Blatt: »Wie verrückt sind die Börsen?« Endlich wird klipp und klar »Das Versagen der Ökonomen« festgestellt, was uns nicht überrascht, in Entenhausen jedoch Mut zur Wahrheit benötigt. Keine Bange, ihr Wirtschafts- und Finanzwaisenkinder, die Astronomie brauchte auch viel Zeit, sich von der Astrologie zu lösen.
Und nun schlägts 13. Die FAZ gibt von Bernd Ziesemer ein Buch mit dem Titel Karl Marx für jedermann heraus, für das die Zeitung am 21. Oktober auch rückhaltlose fette Werbung veranstaltet:
»Für alle, die Marx wirklich verstehen wollen: sein Leben und seine Wirkungsgeschichte – sowohl in der ökonomischen Wissenschaft als auch in den wirtschaftlichen Debatten der Arbeiterbewegung.
›Es wird immer ein Fehler sein, Marx nicht zu lesen, ihn nicht wiederzulesen …›
Jacques Derrida, französischer Philosoph, in seinem Buch Marxgespenster. «
Den Deutschen Marx durch den Franzosen Derrida empfehlen zu lassen ist der Gespensterfurcht zwischen Rhein und Elbe geschuldet. Davon abgesehen gibt es sachliche Gründe. Derridas Philosophie enthält mehr Marx und Bloch als die deutschen Adepten sich zu erträumen trauen. Wir äußerten uns hier oft genug dazu und nutzen gern die Gelegenheit, mit Marx, Bloch, Derrida den Schwertertanz der Differenzen und Aporien aufzuführen. Evident ist, von Marx stammt die erste stringende Global-Analyse des Kapitals. Der Erkenntnis-Schreck führte zur Marxschen Revolutions-Theorie, deren sowjetische Variante versagte, während die Methode in China den abendländischen Kapitalismus endgültig herausfordert. Die Global-Bühne gibt das Stück – Drama und Operette – als Duell. Das längst kopflose Europa darf wählen, mit wem es sich opfern und verschwinden will.
Neues Deutschland 16.11.1973:
Wir kleinen Zeitgenossen zwischen Widerspruch und Widerstand
Der kleine lässige Abstecher von den irren Höhen der Philosophie in die Abgründe der Ökonomie fällt leicht. Gipfel und Tal gehören zusammen. Nicht abgesicherte Bergsteiger kalkulieren den Absturz ein. Als die geschlagenen 1945er auf neue Siege umrüsteten, indem die einen den westlichen und die anderen den östlichen Siegern zuliefen, geriet jene Spezies zum siebten Mal in Verlegenheit, die Linksintellektuelle genannt wird, und immer in Anführungsstrichen, also Distanz. In Leipzig, der späten Heldenstadt, mindestens von der Völkerschlacht 1813 an, wurde daraus ein Ritual. Wir kleinen Zeitgenossen versuchten uns in den Irrgärten zwischen Widerspruch und Widerstand. Wie kam das zustande? Rückblick vom Poetenladen ins Auerbach-Keller-Land, Abteilung Hörsaal 40, am Rednerpult Ernst Bloch. Die folgende Szene aus dem Jahr 1955 entstammt meinem Differenz-Buch Der Widerspruch, 1974 Frankfurt/M. Mensch bedenke: die Realzeit liegt mehr als ein Halbjahrhundert zurück, gedruckt wurde es erst nach 19 Jahren, bis heute verliefen nochmal 39 Jahre. Gefrorene Zeit also.
»Soweit gekommen, hatte Bloch eine Vorlesung in der Vorlesung begonnen, denn eben die Kategorie Totalität enthielt die wohl wichtigste Differenz zwischen ihm und Georg Lukács. Wo es nur möglich war, sprach sich Bloch über diesen Unterschied aus, den Angelpunkt seines Hoffnungsdenkens, wonach das Vorhandene und Gegenwärtige nicht abgeschlossen, sondern ›nach vorn‹ Richtung Zukunft offen und damit entwickelbar sei. Verständlicherweise galt für Bloch das Erkannte als ein Fertiges. Indem man Wirklichkeit auf Begriff brachte, war sie als Begriffenes abgeschlossen, ein fixiertes, fertiges Wissen. Das Prozesshafte, die Möglichkeiten seiner Tendenzen und Weiterentwicklung gingen nicht mit in die Begrifflichkeit ein, und insofern stellt unsere Erkenntnis aufgrund ihrer festen Formeln die sich entwickelnde Wirklichkeit immer als Abgeschlossenes dar. Ingrid malte aus, wie sich Bloch echauffierte, als er darauf zu sprechen kam. Sie standen beide auf dem Flur im Philosophischen Institut, der Professor packte die Studentin am Arm, Lukács, meine Liebe, sagte er, gleitet dauernd ins Deduzieren aus Feststehendem ab. Die Zerstörung der Vernunft ist voll davon. Dagegen komme es darauf an, und die Dialektik verlange das, die Wirklichkeit in ihrer Bewegung und Weiterentwicklung zu erkennen und zu fassen.
In der Vorlesungsnachschrift fanden sich eine Menge Beispiele, die Bloch für seine Auffassung heranzog. Die Gestaltlehre in der Musik, wo das Ganze, die Melodie, früher da sei als die Teile und wo die noch so strenge Analyse der Teile eben nicht die Qualität Musik ergebe.«
Das Stichwort heißt Deduktion, also Ableitung des Einzelnen aus dem Allgemeinen. Kaum zu glauben, dass es zur Differenz zwischen den langjährigen Freunden Lukács und Bloch taugte. Wer allerdings heutzutage die Sprachphilosophie von Aristoteles bis zu Derrida verfolgt, dem eröffnen sich Abgründe, weshalb der Komplex meist gemieden oder verleugnet wird. Das Allgemeine, die Abstraktion verlangt per Analyse die Definition seiner konkreten Einzelheiten. Wer nicht fündig wird oder werden will oder darf, behilft sich mit dem Glauben. Glaube, Gegenglaube, Anderglaube, Glaubenskriege – die Glaubenden stecken wie Tiere ihr Revier ab. Der lokal begrenzte Hunger und Fortpflanzungstrieb führt, verbal vermenschlicht, zur Ausweitung der Kampfzone. Wie die fallende Profitrate in der Ökonomie zum Krieg hinlenkt, so der Glaube – Unglaube – zur Kriegskultur als Überbau. Wo Marx noch auf die proletarische Revolution hoffte, spricht Derrida von der Politik im geistigen Tierreich.
Blochs Differenz zu Lukács wegen dessen Hang zur Deduktion änderte nicht die gegenseitige Wertschätzung. Als der Freund 1956 beim Ungarischen Aufstand in schwere Bedrängnis geriet, suchte Bloch ihn mit Hilfe von Janka/Becher per Flugzeug aus Budapest in die DDR holen zu lassen, was ihn selbst bei Ulbricht noch stärker unter Verdacht geraten ließ. Der Komplex Deduktion – Dekonstruktion bleibt jedoch jenseits aller Politik eine philosophische Kardinalfrage. Ob Gott, Sozialismus oder westliche Wertegemeinschaft – wer das Allgemeine nicht zu dekonstruieren wagt, weil er die Unterschiede zu artikulieren scheut, der flieht vor der Logik in den ungeprüften Glauben und endet jenseits von Aufklärung. Die Staaten, Parteien, Religionen sind Burgen zur Feind-Abwehr. Im Inneren soll so gedacht werden wie der Burgherr es will. Solange der Herr herrscht.
War Marx der erste Linksintellektuelle, fragt sich wer der letzte sein wird oder war, also längst gewesen ist. Bernd Ziesemer, von dem das FAZ-Buch Karl Marx für jedermann stammt, kämpfte einst in der maoistischen KPD/AO und wurde später Chefredakteur vom Handelsblatt. War er also erst links und ist nun rechts, was besagt dann seine auf Derrida gestützte Empfehlung zur Marx-Lektüre mitten im Frankfurter Kapitalblatt? Mag sein, jeder zweite Kommunist wird im Laufe seines Lebens zum Ex- oder Antikommunisten. Was aber ist mit den intellektuellen Plebejern der 3. Aufklärung? Sollten unsere pluralen Postmarxisten die abdriftende Postdemokratie vor dem Abgrund retten können? Ziesemer empfiehlt die Marx-Lektüre aus guten Gründen. Und wer wagt die Lektüre?
Ingrid in der Zeitschrift Ossietzky am 30. Juni 2007 am Ende einer Rezension über Robert Neumann: »1960 bat der Autor eine Reihe von Lehrern, das Aufsatzthema ›Was weißt du von Hitler – vom Dritten Reich – von den Juden?‹ zu stellen.« Über das Resultat berichtete Neumann: »Die beste Antwort, von einem sechzehneinhalb Jahre alten Gewerbeschüler: ›Hitler war einer aus der Ostzone, der die westdeutschen Juden umbringen wollte.‹« RN dazu: »Also der bekannte Hitler mit'm Spitzbart, die Brüder dort drüben sind an allem schuld – er ›wollte‹ die Juden umbringen, wirklich umgebracht sind sie nicht worden … wir haben uns schützend vor sie gestellt, da war dieser Ulbricht, beziehungsweise Hitler abgemeldt.« Wer mehr wissen möchte zu diesem Exempel, sollte Seite 567 in Vielleicht das Heitere nachlesen. Klar wird jedenfalls: Der Zustand PISA existiert viel länger, als selbst Pessimisten bisher annahmen.« Am 8./9. September 2007 erschien von Ingrid in der Zeitung Neues Deutschland eine weitere Besprechung, dazu ein Leserbrief:
Zum Thema erreicht uns vom selben Verfasser diese Reaktion auf den www.poetenladen.de:
Danke für die Herzenswärme aus Sanary sur mer und Marburg und express mit Neumann gleich weiter nach Berlin. Auf Bitten von Harichs Mutter für den inhaftierten Wolfgang intervenierte Neumann von der Schweiz aus in der DDR und nutzte seine noch aus Exilzeiten stammenden Kontakte mit avancierten Genossen. Zuschanden ging dabei sein gutes Verhältnis zu Klaus Gysi, dem Vater von Gregor, überdies zerschlugen sich alle Pläne zum Abdruck von Neumann-Büchern im Osten. Gysi senior hatte parteitreu die Nachfolge der Verhafteten beim Aufbau Verlag und in der Zeitschrift Sonntag angetreten. Soviel zur Solidarität unter Linksintellektuellen. Nach der Vereinigung traf ich in Berlin, als Gregor seinen 50. Geburstag feierte, mit seinem Vater zusammen und bat ihn um seine Version der damaligen Ereignisse. Er vermochte sich nicht mehr zu artikulieren, ein kürzlich erlittener Schlaganfall verhinderte es. Wir stießen mit den Biergläsern an. Mir fiel das Schlucken schwer.
Mit der Aktion des Sachsen Paul Fröhlich auf Anweisung des Sachsen Ulbricht gegen Bloch und Lukács gingen der DDR-Philosophie ihre zwei internationalen Koryphäen verloren, die schon vor dem 1.Weltkrieg zum Marxismus gefunden hatten. Eine Zeitlang schien es, als wirke Bloch nach Leipzig in Tübingen fort. Auch das im Luchterhand Verlag erscheinende Lukács-Werk belebte die linksintellektuelle Szene. Doch die westliche Linke rückte mit dem Ende von DDR und SU immer mehr ins Abseits. Marx schien endgültig erledigt zu sein, ganz als wäre Moskau je so marxistisch gewesen wie es sich ausgab. In Paris vereinsamte Sartre, selbst seine engeren Schüler rückten von ihm ab, erhoben sich auf die Schuhspitzen, fuhren die Zungenspitzen steif aus und predigten als Ersatzmeisterdenker das Kriegführen, auf dass alle Revolutionen zu Konterrevolutionen emanierten. Im vereinigten Berliner Republikreich aber benötigten die siegestaumelnden Gewinner weder Marx noch Bloch noch die anderen verbliebenen Linksintellektuellen. Wenn Deutschland siegt, singen die Rechten ihre Nationalhymne, das geschah sogar in der DDR auf die traditionelle Weise, links raus, rechts rein. Der Hammer wumm, der schlägt den stolzen Zirkel krumm.
Gegen Ende der fünfziger Jahre trafen wir im feindlichen Westen, wohin zu türmen wir uns gezwungen sahen, auf lauter gute Geister – mit Heinz Kühn, Johannes Rau und anderen Genossen ergaben sich öffentliche Streitgespräche, Sebastian Haffner grüßte, Ludwig Marcuse lud ein, Erich Fried sandte aus London ein Willkommens-Gedicht mit Zueignung, Manès Sperber reiste aus Paris an und brachte seinen neuen Roman mit, dessen Titel Wie eine Träne im Ozean unsere Verlorenheit signalisierte, das Buch wirkte ozeanisch. Auftritte mit Wolfgang Neuss und Martin Niemöller bei Ostermarsch-Veranstaltungen. Zuspruch von Robert Neumann, Trostworte von Jean Amery aus Brüssel, Freundschaft mit Wolfgang Leonhard, Wanda Bronska-Pampuch, Jo Scholmer, Jakob Moneta, Heinz Brandt, Heiner Halberstadt, Hans Nikel, Horst Bingel, Heinar Kipphardt, Alphons Silbermann, Robert Jungk, Tomas Kosta, Heinrich Böll, Lew Kopelew. Solidarität von und mit Walter Jens, Karlheinz Deschner, Stefan Heym, Herzensnähe zu Heinrich Graf Einsiedel, Rudi Dutschke, Eckart und Lydia Spoo, Otto und Monika Köhler, Jürgen Reents, Wolfram und Rosemarie Schütte, Helmut Schmitz, Jörg Schröder und Babara Kalender, Kathrin Hampf, Leo Bauer. In Frankfurt die tröstlichen Treffen mit Fritz Bauer, dem so völlig untypischen Generalstaatsanwalt – die Namen werden aus dem Gedächtnis abgerufen, die Liste endet nicht – unser Himmel hing voller Geigen.
Heute aber, heute dagegen signalisiert das verrückte Jahr 2013 den letzten Ausgang ins Inferno. China steht Schlange, es fährt gern deutsche Autos. Das verleiht den rotgelben Teufeln ein menschliches Gesicht. Was tun in all diesen Weltkrisen? Obama zapft Merkels Handy an. In der FAZ wird Marx-Lektüre empfohlen. Die Herren vom Kapital sollen ihre Holzköpfe öffnen, bevor sie damit gegen die Wand laufen. Ostdeutschland lässt grüßen. Wo liegt es? Wer weiß das schon im Westen. Es findet sich hinter Elbe, Oder, Weichsel, Bug, Wolga …? Die Großväter kennen sich dort aus. Der Osten als Land der Revolutionen und Religionen. Und Obama belauscht noch immer Merkel. Die stammt aus dem Osten und stemmt Deutschland zwischen USA und China zur dritten Weltmacht hoch. Hatte sie an der Leipziger Karl-Marx-Universität tatsächlich diesen verdammten Karl Marx gelesen? Im Vertrauen, Mister Präsident, die Leipziger KMU zauberte noch ganz andere Subversive aus dem Hut, was sich nach Erich Loests Freitod sogar in der Messestadt herumspricht. Am 22. Oktober 2013 titelt die Leipziger Volkszeitung: »Feist regt Erich-Loest-Stiftung an«. Der Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Feist erklärt dazu: »Es ist an der Stadt, das Vermächtnis ihres Ehrenbürgers zu erfüllen …« Warum eigentlich nicht? Überraschungen inklusive. Das garantiert allein schon die über sechs Jahrzehnte reichende Loest-Abteilung unseres Hausarchivs im Taunus. Spontan greife ich mal rein und ziehe meinen Abschiedsbrief von 1957 ans Licht, der Erich der Partei gegenüber entlasten sollte – Sklavensprache sui generis. Vom Brief ist der Durchschlag vorhanden, als Kopie jedoch unleserlich, deshalb hier die Abschrift:
Gerhard Zwerenz Westberlin, d. 3.9.57
Lieber Erich!
Du hast einmal gesagt. Du seist zwar mit einigen Dingen in der DDR nicht einverstanden, deshalb würdest Du aber nie nach dem Westen gehen, denn dies sei Klassenverrat. Nun gut, dann bin ich eben Deiner Meinung nach ein Klassenverräter. Ich meine aber, ich bin es nicht. Übrigens, Du bleibst dabei durchaus bei Deiner Einstellung, und ich sage Dir, daß Du im Grunde eben auch nichts anderes bist als ein Stalinist. Du magst manchmal auffahren, zornig schimpfen, doch das liegt in Deinem Wesen, ansonst mein Lieber, und das habe ich längst erkannt, bist Du ein treuergebener und orthodoxer Parteigenossen. Nun meinetwegen. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ich wäre dabei draufgegangen. Es gibt eine Grenze, da hört alles auf - Ich war dran.
Leb trotzdem wohl!
Nach einiger Zeit in der BRD gab es aus London bald präzise Diagnose-Lyrik von Erich Fried. Sie ist bis heute nicht von gestern:
Fazit zum Volkstrauertag im grauen November 2013: Die Linksintellektuellen gingen erst im Osten unter, bevor sie im Westen verschwanden wie es Tradition ist.
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