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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung |
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Wir Helden auf der immer richtigen Seite – 6. Nachruf
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Arno Lustiger, Historiker aus Leidenschaft – viel gelobt, weniger gelesen, weil für alle schmerzlich
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Im 68. Nachwort vom 23.10.2011 steht folgendes Zitat aus der FAZ vom 5.10.2011: »Vor einem guten Jahr erreichte mich ein Anruf aus München: was ich von der Möglichkeit einer neuen rechten Sammlungsbewegung hielte, nur mal so als Gedanken- Experiment? Mit Hans-Olaf Henkel, Peter Sloterdijk, Thilo Sarrazin und Friedrich Merz als möglichen Galionsfiguren. Unabhängig davon, ob diese Phantasie zu verwirklichen wäre – langfristig gibt es sicher ein Potential.« So der plötzlich renitente Lorenz Jäger am 5.10.2011 in seinem FAZ-Heimatblatt. Die Auswahl der Namen, die sich da jemand in München hat einfallen lassen, spricht Bände: Industrie, Philosophie, SPD, CDU als Exemplare mit weitreichender Zugkraft. Sieht so die baldige Zukunft der Deutschen aus? Auf der folgenden Seite erlaubten wir uns, Lorenz Jäger mit Foto samt seinen Abschiedsworten vorzustellen: »Adieu, Kameraden, ich bin Gutmensch. Nicht mehr unter Rechten: Der Konservatismus hat sich selbst verraten. Er ist zu einer Ideologie der Großindustrie und der Kriegsverkäufer geworden.«
Potztausend! Das klingt nahezu aufrührerisch. Wie arbeitet es sich nun als nichtmehrkonservativer Gutmensch? Am 8.1.2013 sendete Arte einen neuen Hindenburg-Film und in der FAZ lieferte der verwandelte Lorenz J. ein Feldmarschall-Porträt dazu, geschmückt mit Weiheworten von Stefan George, ach ja, Hindenburg, der schmucklose Greis, ach ja: »Man beginnt zu verstehen …«, obwohl »Hindenburg war es, der Hitler zum Reichskanzler ernannte.« Warum? »Um die Einheit des Reiches zu wahren.« Wir verstehen, wenn der Gutmensch Jäger über den Gutmenschen Hindenburg orakelt, sind zwei gute Christenmenschen im guten Glauben vereint. Zur Sache: Am Tag zuvor würdigte Jäger den rührigen Ernst Nolte, der ja seinerseits FAZ-Geschichte schrieb, indem er am 6.6.1986 den Historikerstreik auslöste, was ihn zu einer Art BRD-Hindenburg erhöhte. Besiegte des Kaisers Generalfeldmarschall die Russen 1914 bei Tannenberg, relativierte Prof. Nolte 1986 den Vernichtungswillen der Nazis, indem er entdeckte, die Sowjets hatten bereits per Oktoberrevolution die Vernichtung begonnen. Der GULAG geschah historisch vor Auschwitz, der Klassenmord liege also vor dem Rassenmord. Schluss-Satz der Laudatio für den umstrittenen Historiker Ernst. N. bei Lorenz Jäger: »Am 11. Januar … feiert Ernst Nolte seinen 90. Geburtstag.“ Was für eine Fete!
Die Affäre ist zwar gelaufen, doch nicht beigelegt. Immerhin erwähnt Jäger den unlängst verstorbenen Arno Lustiger, der zur Sache einiges zu sagen hatte. Ich verwies darauf in einem FAZ- Leserbrief vom 14.11.2000:
Lorenz Jäger, dessen erklärter Abschied von den lieben Rechtskonservativen nicht bestritten werden soll, könnte ja, indem er unseren Freund Arno Lustiger zitiert, sich weiter beglaubigen, indem er dessen Erkenntnisse FAZ-publik machte. Stattdessen gratuliert er am 16. Januar 2013 dem Frankfurter Carl-Schmitt-Fan Günter Maschke zum 70. Geburtstag. Im Abstand respektvoller Kritik selbstverständlich, dazu fürsorglich auf hohem Niveau in der Zirkuskuppel, weil Schmitts Band Frieden oder Pazifismus eben eine »Darstellung der Konsequenzen des Kriegsverbots« ist. Also muss gerüstet sein, wer den Frieden will, der allerdings seit Orwell nichts anderes als der alte Krieg sein kann.
Maschke lag mal vor Zeiten, wir erinnern uns, friedlich in unserer Münchner Badewanne. Das war ne linkere Ära. Lorenz Jäger entdeckt sie rückwirkend, bzw. nachwirkend. So ein Adieu an den ideologischen Konservatismus fällt eben alles andere als leicht, wenn Carlchen Schmitt und Günterchen Maschke den Marsch blasen.
Inzwischen operiert Jäger immer weltoffener – zitiert kirchenfromm aus dem Katholischen Messbuch von 1570, doch ohne antisemitischen Beisatz, den das Zweite Vatikanische Konzil verstieß, und am 18.1.2013 notiert der plurale FAZ-Christ gar den agilen Diether Dehm samt seinem kürzlich publizierten Album, obwohl der frühere SPD- und jetzige Linksparteipolitiker bravourös für unbürgerliche Unruhe sorgt. Herr Jäger diagnostiziert beim Genossen Dehm linke Ohrwürmer, das ist freundlich angemerkt, klingt nur ein wenig nach Tierarzt.
Am 23.1.2013 befasst sich Jäger in den FAZ-Geisteswissenschaften zum L. J. verknappt mit einem seiner Haupt-Themen, und das ist Gott, den er mit dem »erklärten Atheismus Freuds« kontrastiert. Da stößt der Erzkonservative auf einige Unklarheiten, denn es gibt Gottgläubige, Kirchengläubige und Kapitalgläubige. Dazu noch Agnostiker, die sich enthalten und Atheisten, die sich von den Religionen, den Kirchen und Kriegen emanzipieren. Man könnte sich Gott auch als Verlegenheitsvokabel vorstellen. Genaues weiß man nicht, bedarf aber des Glaubens und erfindet sich Gott als Über-Papa. So fängt das immer an. Nicht allein Lorenz Jäger hat damit seine Schwierigkeiten. Denn erstens ging der Christengott fremd, zweitens opferte er seinen Sohn und drittens dauert die in seinem Namen sanktionierte Barbarei schon zu lange. Die Himmelfahrt wird inzwischen von mörderischen Drohnen besorgt. Jäger wagte sich immerhin im eigenen Blatt von seinen rechten Kameraden zu verabschieden. Den legendären Hindenburg aber mag er nach wie vor. Das sind so Klassenfragen. Als ich 1933 von der Schule heimkam und den Schulsermon über Hindenburg, den Helden von 1914 nachquasselte, verpasste mir der Großvater eine Backpfeife, was er sofort bedauerte - er schlug mich sonst nie. Ihm ging es ums Prinzipielle – was dem einen Heldentum ist, ist dem anderen Blutsäuferei.
Nach dem Rechtsblick auf die FAZ ein Linksblick auf die junge Welt vom 11.12. 2012, wo Chefredakteur Arnold Schölzel das hinterfotzig hinterlassene Lebenswerk des Hans Heinz Holz heiligt, dem stichwortgebenden Philosophieprofessor jener 1921 angehaltenen Theorie, die von Marx-Lenin aus bis in den murxistischen Untergang führte, inklusive zwischenzeitlicher Siege. Schölzels emphatischer Artikel ist eine ungewollte Grabrede. Gut geschrieben mit Hirnschmalz und Herzblut, ganz wie die 5 Holz-Weg-Bände mit ihren 2.920 Seiten zu 349 € bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 2011. Wer' s zahlen kann/will. Wir empfahlen den Linkshändler HHH bis 1957 – dann nochmal halbwegs bis zum DDR-Ende. In seiner großen Zeit als Professor im damals linken Marburg hatte er einen tollen Lauf. Heute noch schwärmen diverse Links- wie Rechtsintellektuelle von seinen Vorlesungen. Ein klassensprengender Ruf wie auf der Conträrposition Carl Schmitt. Wer zählt die Schnittmengen. Der Holzianer Schölzel sitzt in der Falle von 3.000 Papierseiten. Seiner Zeitung aber, der es an guten Autoren nicht mangelt, wo dürfen sie denn sonst noch gedruckt werden, schwinden die Leser dahin wie anderen Blättern, nur biologisch stärker konditioniert. Die Jugend will auf Teufelkommraus nicht zum Marathonleserlauf antreten. Pop ist Kurzweil. Die Alten sterben ruhmbekleckert aus, die Jungen gehen ins Netz und sonstwie fremd. Tja, liebe Genossen bourgeoiser Endzeiten, ihr seid zu gut für morgen wie gestern. Das hegelte und leninisierte sich ewig bis hintern Mond. Was tun? Die Müllhalde ruft. Dort ruhen bereits dreieinhalbtausend marxistische Generäle, Professoren, Doktoren samt Leibwächtern, diesen ölig schwätzenden Grabrednern. Und jeder kämpft gegen jeden, so unsterblich sind sie einander.
Erstaunlicherweise beginnt die jW neuerdings, den bislang so hochgelobten Holzweg zu verlassen. In der heiligen FAZ distanziert sich der erzkonservative Christ Lorenz Jäger von rechten Kameraden und Wegelagerern, und in der linksfraktionellen jW tauchen sogar bisher ignorierte oder ganz und gar neue Ideen auf. Ist das alles nun revolutionärer Vorschein oder dient Leserschwund als letzter Weckruf? Jedenfalls ist es Überraschung.
junge Welt: 22. – 26.12.2012 | Beitrag von Thomas Wagner. Fresco von Cosimo Rosselli
Das Jahr 2012 klang aus mit Thomas Wagners vier Doppelseiten über Das Reich Gottes und der Frage:»Was hat das Himmelreich, was hat das von Christen im Mund geführte Königreich Gottes mit dem zu tun, was Sozialisten wollen?« Ausgezeichnete Frage. Die erste Antwort folgt sogleich: »Das Streben nach einer herrschaftsfreien Gesellschaft ist, wie der marxistische Philosoph Ernst Bloch schrieb, bereits der ›Grundklang‹ der frühesten biblischen Schriften.« Da reibt mein atheistischer Widerspruchsgeist sich erstaunt die Augen – so etwas bietet die junge Welt an? Wie das alte Jahr endet beginnt das neue am 9. Januar schon wieder mit dem Philosophen: »S ist noch nicht P – das eben erschienene Bloch-Wörterbuch wird besprochen, 744 Seiten für 149,95 € bei De Gruyter, Berlin. Wir werden Ernst B. im Himmel der Ungläubigen mal wissbegierig befragen, was er von dem nach ihm benannten Nachschlagewerk hält. Nicht schlecht, wird er wohl sagen, abgesehen vom unzumutbaren Preis, wer kann den so einfach aus der Hosentasche zahlen. Ich bin euch wohl zu teuer, Freunde, Feinde und Genossen. Die FAZ wusste bereits am 4.9. des Vorjahres, dass Bloch den Kältestrom des Marxismus mit dem Wärmestrom des jüdischen Messianismus vereinigen wollte, was eine mystisch-materialistische Mesalliance ergebe. Na, wenn's der guten Sache aufzuhelfen vermöchte … Am 21.1.2013 verteilt die junge Welt abermals eine Prise Bloch in Spur der Schande – Peter Michel leuchtet der Kulturnation Deutschland ins geschminkte Vandalenantlitz. Die Lektüre lohnt sich. Nicht nachvollziehbar bleibt, dass so eine Zeitung mit guten radikalen Autoren kaum über die Runden kommt, während bourgeoise Großkopfete vom Main jubilierend ums Goldene Kalb tanzen als drohte ihr Gott nicht mit der Todesstrafe. Diese schlaumeiernde FAZ lebt von Kapitals Gnaden, die junge Welt mehr schlecht als recht von seinen Ungnaden. Als Atheisten sagen wir, das geht beides so nicht gut. Bloch missfiel an Freund Lukács dessen Deduktionismus, eine öde Kopfwichserei, die alles Denken aus Allgemeinheiten ableitet, um auf Linie zu bleiben, auch wenn man es eigentlich anders möchte. Die Linie wird stets als die richtige Seite gedacht. Das diszipliniert. Da fehlt ein Mephisto, der die richtigen Seiten ein wenig verteufelt. Faust und Marxens Kopf gehören zu Auerbachs Kellertheater.
Wer Glück hat, steht immer fest auf der richtigen Seite. In der Schule erfahre ich ab 1933, wir sind die Guten, Kommunisten und Juden aber die Schlechten. Ab 1945 änderte sich das. Im Osten werden die Kommunisten die Guten, im Westen die Schlechten. Mit den Juden ist es mal so und mal so. Als ich in der DDR lebte, waren die Russen gut und die Amis schlecht. Dann lebte ich im Westen, jetzt waren die Russen Schurken und die Amis Engel. Seither sitze ich als Glückskind stets unter den Guten, nur die Schlechten wandeln sich fortwährend und sind bald Nordkoreaner und bald Nordvietnamesen, Araber, Iraker, Iraner, Afghanen, Russen sowieso immer, endlich diese Islamisten und Terroristen. Dem Himmel sei Dank, wir stehen nicht und nie auf der Seite der Schlechten. Wenn du Glück hast, bist du stets bei den Guten. Das hebt die Stimmung und du fühlst dich rundum besser. Und so produzieren wir heute Panzer und U-Boote und morgen stattdessen Kochtöpfe und Pflugscharen und übermorgen wieder Panzer und U-Boote und so weiter – das sind durchaus keine Gewissensfragen, solange man auf der richtigen Seite steht.
Was aber, wenn daraus trotzdem so eine altmodische Gewissensfrage wird? Erstens muss einer eins haben. Ein Gewissen. Dazu gehört Wissen, woher aber nehmen? Aus den Schulen? Falls die dort weder Unwissen noch gefälschtes Wissen vermitteln. Von den Eltern? Das führt zu Generationskonflikten. Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen? Manchmal. Die berüchtigten 68er z.B. wollten es anders und scheiterten bald. Die Eltern als 33er scheiterten auch, doch erst nach 1945, und dann auch nur zum Teil. Wann schlägt da wem ein Gewissen? Wann macht es sich bemerkbar? Wann versammelt das Wissen sich im ICH zum wissenden Ge - wissen? Und wenn es nur bis zum Un-Gewissen reicht? Sind die 33er nicht die wahren Sieger? Ihre Niederlage von 1945 ist eine Scheinniederlage wie der Tod Hitlers ein Scheintod.
Heute, am Mittwoch, dem 30. Januar 2013 prangt der Adolf gerade mal wieder ganzseitig in der FAZ mit einem süßen Foto, im Gartenstuhl liegend und seitlich hereinlugendem Schäferhund. Alles in Szene gesetzt für die Stammkunden zum Artikel eines hellen Hans-Dampf-Akademikers, Professor around the world, der uns verklickert, dass wir alle nichts wissen, wenn es »um das Wechselspiel zwischen Hitler und den Deutschen« geht. Hitler wollte ein Tausendjähriges Reich. Es begann 1933 und war 1945 nicht am Ende.
Deutsche Ostfront. Zusammenbruch Mittelabschnitt Sommer 1944. Von der Zitadelle in Brest (Litowsk) karren sowjetische Soldaten uns in zwei Lastwagen zur Massenmordgrube im Wald. Frisch ans Werk, Leichenaushub, Spuren deutscher Wertarbeit. Auf der Rückfahrt am Nachmittag biegt der Wagen in eine Ortschaft ab. Der Fahrer verschwindet im Magazin, wie unser Bewacher den Laden nennt. Eine junge Frau kommt mit zwei kleinen Kindern heraus und einem Netz voller grünrot glänzender Äpfel in der Hand, auf die ich vom LKW herunter so gierig blicke, dass die Frau blitzschnell ins Netz greift und mir etwas zuwirft. Ich beiße und schlucke. Der Posten brüllt. Die Polin lächelt. Gib mir den Griebsch, fordert der Mann neben mir. Ich kaue und schlucke als hinge mein Leben davon ab. Die junge Frau sah nur einen hungrigen Gefangenen und folgte ihrem Herzen. Zur Hölle mit dem Krieg. Tage später. Unser Trupp, Rotarmisten und Deutsche, fordert eine abgeschnittene Restgruppe der Wehrmacht zur Übergabe auf. Zum Dank werden wir unter Feuer genommen. Im Kugelhagel zurückgekrochen. Auf beiden Seiten Verluste. Panzer rollen an, die letzten Wehrmachtshelden zu erledigen. Wer nicht hören will, muss bluten? Es ist nicht mein Krieg. In Leipzig, wenn von Blochs philosophischer Kategorie Front die Rede war, hörte ich Schüsse. Da lag der Krieg, der nicht meiner war, ein kleines Jahrzehnt zurück. Heute ist es mehr als ein halbes Jahrhundert. In der Zeitung werde ich belehrt, dass wir nichts wissen vom Wechselspiel zwischen Hitler und den Deutschen. Soweit es den Deutschen als Kollektiv gab, war Hitler sein Bauchredner.
Frank Schirrmachers drei Exzellenz-Buchstaben Ego, als Buchtitel in den Werbe- Himmel geschossen, erreichten noch vor Erscheinen optimale Durchschlagskraft. Wer zählt die Abdrucke, Auftritte, Schimpf- und Lobgesänge, Talkrunden …? Warum diese Hypes in Serie? Alles längst dagewesen. Luther-Bibel, 32. Kapitel: »Abgötterei mit dem gegossenen Kalbe.« Zum Tanz ums Goldene Kalb und den dreitausend Toten als Resümee wird gemeldet: »Also strafte der Herr das Volk, dass sie das Kalb hatten gemacht …« Auf so ein Ego gibt's heutzutage keine Todesstrafe mehr. Ob der Unwille eines FAZ-Feuilletonisten ausreicht, steht in den Sternen, falls sich die irdischen Übermenschen nicht schon seit langem mit ihren höllenhündischen Vorgängern arrangiert haben. So weit ist es gekommen, dass man als Atheist diesen FAZ-Christen die Quellen westlicher Wertegemeinschaften verklickern muss. Aber ja, das Kapital frisst die gesamte Journaille. Der Gag, den alerten Ego-Illustrator als Moralisten zweiter Klasse mit der biblischen Erstklassigkeit zu konfrontieren, ist nicht ganz reizlos. Warum aber bleibt Das Kapital von Karl Marx als Wort-Werk so beiseite, soll dem Kapital als Übermenschenwerk tatsächlich der Giftzahn gezogen werden? Dabei hat die Super-Zeitung vom Main neuerdings durchaus lichte Momente. In der FAS verkündete sie am 24.2.2013 quasi als Wort zum heiligen Sonntag: »Der Kapitalismus vernichtet soziale Fähigkeiten.« Die veritable Einsicht und fatale Aussicht entlieh man dem linksamerikanischen Soziologen Richard Sennett. Irgendwann wird der kluge Mann aus Übersee den Herrschaften in Frankfurt noch mitteilen, dass ihr Kapitalismus außer den sozialen auch die intellektuellen Fähigkeiten vernichtet.
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Alfred Kantorowicz:
Foto aus dem Spanischen Bürgerkrieg – Kampf gegen Franco
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Über Erich Loest melden die Medien, er bekam mal wieder eine Auszeichnung, diesmal ist es der Hohenschönhausen-Preis, dotiert mit 5.000 €, dafür sitzt er brav neben Hubertus Knabe, zwei vormals Linke, endlich ernsthaft ergriffen auf der richtigen Seite. Allerdings beginnt Erichs Dankesrede mit einem fehlerhaften Einstieg. Unter dem programmatischen Titel Spät kommt ihr, doch ihr kommt ist zu lesen: »Als der Schriftsteller Gerhard Zwerenz 1957, gejagt vom Leipziger SED-Chef Paul Fröhlich, um dem Zuchthaus zu entgehen in die Bundesrepublik flüchtete, empfingen ihn Weggefährten, die sich vom Marxismus gelöst hatten – die Altgläubigen nannten sie Renegaten – unter ihnen Wolfgang Leonhard, von dem Die Revolution entlässt ihre Kinder stammte, mit dem Worten: ›Du kommst spät, aber du kommst.‹« Das Zitat wird von Loest falsch zugeordnet. Nicht Leonhard äußerte sich so zu mir, sondern Arthur Koestler sagte diesen Satz zu Alfred Kantorowicz, als der ihn in London besuchte. Näheres findet man in der 56. Folge meiner Serie im poetenladen. Darin ist ein Gespräch zwischen Arthur Koestler und mir abgedruckt. Ich frage:
Mir scheint, dass es bei den ehemaligen Kommunisten eine heimliche oder auch unheimliche Hierarchie der gegenseitigen Verachtung gibt. Die jeweils früher
Abgefallenen verachten die jeweils später Abgefallenen?
Möglich.
Sie selbst äußerten sich so.
Gewiss.
Als Alfred Kantorowicz der DDR den Rücken kehrte und Sie in London aufsuchte ...
Das war schlimm. Also wirklich, das war ganz schlimm.
Ich hab' mir die Sache von Kantorowicz erzählen lassen und vorhin auch Ihre Frau danach gefragt. Jetzt hätte ich's gern noch von Ihnen gewusst.
Das war schlimm. Nein, also wirklich schlimm.
Es gab einen Heidenkrach?
Also darüber kann ich jetzt nicht sprechen.
Mit Ernst Bloch sind Sie, nach seinem Weggang aus der DDR, auch in London zusammengetroffen?
Das war auch schlimm, wirklich ganz schlimm.
Wenn ich resümieren darf: wenn ein früher abgefallener Kommunist einem später abgefallenen begegnet, ist es immer schlimm, besonders wenn der früher abgefallene Arthur Koestler heißt.
Ich werde auch beschimpft. Sartre nennt mich einen Kalten Krieger und amerikanischen Agenten. Simone de Beauvoir nennt mich ähnlich, obwohl –...
Obwohl Simone de Beauvoir ihren Arthur Koestler besser kennen müsste?
Ach, diese alten Geschichten!
Rowohlt bringt die Beauvoir bei uns heraus. Stimmen die Bettszenen wenigstens?
Das sind doch alles ganz alte Geschichten …
Aber Sie waren doch zusammen, Sie und die Beauvoir?
So eine Frau muss eben alles in Romanform schreiben. Bald ist's Sartre, bald Algren, bald Koestler. Da geht jede Liebe durch die Schreibmaschine…
Am Ende des Gesprächs, aus dem ich eine Passage zitiere und das am 21.6.1966 im Münchner Hotel Bayerischer Hof stattfand, monierte Koestler die ewige deutsche Kleinkrämerei und warnte vor dem drohenden Ende der Menschheit durch Selbstvernichtung. Loests neu aufgekochter Antimarxismus zählt zu den kulturellen Verspätungen. Auf den Klassiker der antistalinschen Literatur kann er sich nicht berufen. Bei aller Kampfeslust und mit seiner Freude an der Polemik auch gegen Kollegen war Koestler kein Hinterherhinkefuß, sondern stets der exemplarische, bahnbrechende Differenzdenker einer Moderne, die das Engagement noch zu personifizieren wagte, wenn es der Erkenntnis entsprach.
PS: Letzten Montag stand Frank Schirrmachers Ego schon als Nr. 1 auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Wir sagten es voraus: Der Kapitalismus vernichtet außer den sozialen auch die intellektuellen Fähigkeiten. Seit gestern ist klar, die FAZ schluckt den Rest der schon lange fallierenden Frankfurter Rundschau. Karl Gerold, alter Streit- und Kampfgenosse, wie rotiert sich's im Grabe? Von 1961 bis zur deutschen Einheit 1990 war uns die FR ein Stücklein Ersatzheimat. Danach wurde sie kriegs- und kaltkriegsdienstlich. Der kleine Linksschwenk im FAZ-Feuilleton – ist er vor allem Übernahmetaktik? Die Zeitung ist der Zeitung Wolf. Die sogenannten demokratischen Pluralisten haben einander zum Fressen gern.
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