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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 23 |
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Abbruch: Erich Loests Fenstersturz
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Durch die Erde ein Riss
Mit-Häftlinge in Bautzen fragten Erich Loest, weshalb er eingelocht wurde. Antwort: ›Weil ich die Regierung stürzen wollte.‹
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Der dritte Teil unserer epischen Sachsen-Autobiographie beginnt mit 1. »Es herrscht jetzt Ruhe in Deutschland« und 2. »Wer löst den Loest-Konflikt?« Die Frage bleibt mit Erichs Suizid unbeantwortet. Es sei denn, wir finden schon frühere Antworten. Loest in Durch die Erde ein Riss: »Eines Tages wünschte ihn ein knochiger, schwarzhaariger Genosse zu sprechen, er hätte Fragen, einen Artikel in der Weltbühne betreffend, für die er schrieb: Gerhard Zwerenz. Rasch war beantwortet, dann redeten die zwei stundenlang quer durch Schriftstellerei und Politik. Sie wussten zu ihrem Glück nicht, dass für jeden gerade der nächste Lebensabschnitt begonnen hatte.«
Soviel zum Beginn einer Freundschaft im Jahr 1954. Drei Jahre später klaffte der Riss durch die Erde schon breiter. Loest dazu im selben Buch: » Am 30. Januar 1957 versammelten sich Leipzigs Genossen ›des kulturellen Sektors‹ in einem Nebensaal der Kongresshalle; es waren einige hundert. Vier Stunden lang ging Wagner zum Angriff auf alle über, die in den letzten Monaten ›geschwankt‹ hätten. Er lobte die wachsame Kirow- Sturmabteilung ihres Faustkampfes gegen Rudorf wegen und erntete zustimmendes Gelächter bei dem höhnischen Satz: ›Das Plattenarchiv des Genossen Rudorf wurde nicht beschädigt.‹ Nicht allzu heftig wurde L. kritisiert, aber Zwerenz bekam volle Breitseiten ab. Wagner klaubte Zeilen des Gedichts Die Mutter der Freiheit heißt Revolution aus dem Zusammenhang und wollte so nachweisen, Zwerenz habe die Konterrevolution gemeint. Zwerenz tat das Klügste, er las das ganze Gedicht vor.«
Es ging nur um ein Gedicht. Und wie ging es weiter? Wie von Loest in Durch die Erde ein Riss berichtet: »Die Parteigruppe der Schriftsteller wurde, um neue Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, dem Literaturinstitut zugeschlagen. Zwerenz wich ein paar Schritte zurück, was sein Gedicht anbetraf, aber auf Bloch ließ er nichts kommen.« Über sich selbst sinniert Erich in der dritten Person: »Noch wäre Zeit gewesen, hinzugehen und zu beteuern: Hab mich geirrt, Genossen, ich danke euch für die Hilfe, sie hat mir die Augen geöffnet. Natürlich hätte er sich demütigen und beispielsweise vor einigen hundert Funktionären Steine auf Harich und Zwerenz werfen müssen, ein Reueartikel in der Leipziger Volkszeitung wäre ihm nicht erspart geblieben. Langsam, langsam hätte er sich wieder hinaufdienen dürfen über viele Phasen, nach außen hin wäre ihm verziehen gewesen, doch der Argwohn der Funktionäre wäre geblieben. Damals, wisst ihr noch?« Das Buch mit dieser Frage liegt seit 1981 vor – die Frage ist allgemeingültig – wer wollte damals noch wissen, wer will oder kann heute, 32 Jahre später noch wissen. Die Erinnerung stirbt in Tanzschritten bis sie ganz tot ist. Ein missachteter Knochen aus der Eiszeit.
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Der Zorn des Schafes
Protest der Ohnmächtigen |
Im Jahr 1958 brachte ich mit viel Mühe in der FAZ die Verhaftung von Loest zur Sprache und gab keine Ruhe. Doch wie und wo ich auch Alarm schlug, Loest blieb im Zuchthaus und die Bereitschaft westdeutscher Schriftsteller, sich für seine Freilassung zu verwenden blieb zaghaft. Immerhin gelang mir einige Male, zumindest die Unterschrift von Kollegen zu bekommen, so etwa Ende 1963, als der DDR-Autor Günter Hofé auf der Fahrt zur Frankfurter Buchmesse in Untersuchungshaft genommen wurde. Eine Petition, die ich »Kölner Initiative« nannte, erschien in der westdeutschen Presse, Hofé wurde kurz darauf aus der westlichen U-Haft entlassen. Loest erfuhr in Bautzen von unserer Aktion. In seinem Buch Der Zorn des Schafes berichtet er 1990 davon: »Zu den vielen mangelhaften Einrichtungen dieser Welt gehört der Protest der Ohnmächtigen. Aber ich weiß es noch: Als ich auf krausen Umwegen im Zuchthaus Bautzen erfuhr, dass Carola Stern, Ilse Spittmann, Heinrich Böll und Gerhard Zwerenz gegen meine Haft protestiert hatten, wurde mir das Atmen für ein paar Tage leichter.« In unserem Exemplar steht die handschriftliche Widmung: »Ingrid und Gerhard Zwerenz umarmten den steinalten Freund. (S. 73) Euch beiden herzlichsten Gruß – Erich Loest September 90« Auf der Seite 73 schildert er seine 1975 von der DDR endlich gestattete Westreise und den Besuch in unserer damaligen Offenbacher Wohnung. Schluss-Satz dazu: »Und in dem Bett bei Zwerenz hatte eine Woche zuvor Rudi Dutschke geschlafen.« Wenn das keine Liebe ist, so ist es ein Gedicht.
Nach Loests Entlassung aus Bautzen im Jahr 1964 hatte Funkstille zwischen uns geherrscht. Würden Kontakte schaden oder nutzen? Vorsichtig zog ich über den in Leipzig wohnenden alten Freund Erkundigungen ein. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre schrieben wir einander wieder und telefonierten sogar. Die Anzahl der gewechselten Briefe ging in die Hunderte. Um 1970 herum wurde klar, Erich wollte in der DDR voll rehabilitiert werden, wozu noch gehörte, dass man ihm wie anderen Autoren auch Westreisen erlaubte. Die Initiative überließ ich stets Erich und zog dann vorsichtig mit. Im autobiographischen Bericht Der Widerspruch, 1974 bei S. Fischer erschienen, schilderte ich Loests Leben und Fall, baute jedoch einen auffallenden Fehler ein, der Eingeweihten wie Agenten signalisieren sollte, ich sei nicht gänzlich informiert. Nicht weniger vorsichtig ging ich im Hörspiel Briefwechsel mit einem Kollegen zuwege, das im August 1974 vom HR urgesendet und dann, als ich dafür den Ernst-Reuter-Preis erhielt, von anderen Sendern übernommen wurde. Ernst Reuter war Kalter Krieger, zuvor aber auch mal Kommunist gewesen. Die Bezeichnung Autobiographisch-biographisches Hörspiel traf genau zu. Ich hatte in der Tat große Teile unserer Korrespondenz dafür benutzt, sie aber durch zwei weitere Stimmen kommentieren lassen, wobei mir vor allem daran lag, Loests Fall bekannt zu machen, ohne ihm in der DDR zu schaden. Das Hörspiel ist partiell Sklavensprache mit Unterton-Signalen. So sehr ich bei der Arbeit daran stöhnte und verzweifelte, so gelungen erscheint mir die Akrobatik am hohen Turmseil auch heute noch – so viele Jahresringe danach.
Erstdruck neue deutsche Literatur 10/90
In seinem wohl letzten tv-Interview, das Ingrid und ich erst kurz nach seinem Tod sahen, sprach Erich sich apokryphisch gegen Feindschaft und Hass aus. Gut möglich, dass darin eine hinterlassene Anspielung auf das Kapitel »Hassproduktionen« in unserem Buch Sklavensprache und Revolte – Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West steckt. Dort ist zu lesen:
Der letzte Satz ist dementierbar. Im Buch folgt die Begründung, weshalb nach vier Jahrzehnten bewährter Freundschaft, nein Kampfgenossenschaft zwei Jahrzehnte lang Eiszeit herrschte. Dann eine Überraschung, die Leipziger Volkszeitung meldet:
»Am 5. Dezember 2012 vermerkt Loest in einer Tagebuchnotiz vom 12. Oktober 2012:
«
So wurde ich plötzlich wieder zum Freund ernannt. Stehen also mit Paul Fröhlich die Toten als Untote wieder auf? Im www.poetenladen.de vom 20. Januar 2013 suchte ich nach Antworten. »Wer löst den Loest-Konflikt?« war meine Frage an Erich Loest selbst. Ist sein Freitod nun keine Antwort oder doch …
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Als wir beide
im Spinnennetz zappelten |
Als Erich, in Bautzen eingeliefert, nach dem Grund dafür gefragt wurde, antwortete er: Weil ich die Regierung stürzen wollte. So steht's in seinem Urteil. Wer davon hörte, nahm es als bitteren Witz. Das war es auch. Und war es nicht. Wir lachten und heulten doch innerlich vor Wut. Ulbricht beschuldigte Bloch, einen Plan zur Konterrevolution parat zu haben. Laut geheimdienstlichen Informationen äußerte Bloch, bei Bürgerlichen sei der Rücktritt eines Regierenden doch auch kein Problem. Das war auf die DDR nach Chruschtschows Anti-Stalinrede gemünzt, also auf Ulbricht. Mit Blochs Rat, endlich Schach statt Mühle zu spielen, war das Ziel dieser sogenannten Konterrevolution perfekt geworden als Revolte, Umsturz, Neubeginn. In Polen und Ungarn wurde es auch versucht und misslang bald.
Von heute aus bewertet gab es 1956 das Leipziger Modell einer sozialistischen Mini-, besser Nano-Reformation. Die Repression der Partei erfolgte so früh und heftig, dass die wahren Ursachen der stalinistischen Reaktion darunter verschwanden. Wir halfen dabei mit, die Spuren zu verwischen. Es galt eben, schuldlos zu sein, zumindest danach zu erscheinen. So unsere Taktik, nachdem uns die Strategie der anderen bezwungen hatte. »Meine alten Gegner haben gesiegt«, so einer der letzten Sätze von Erich Loest in der Leipziger Volkszeitung vom 25. August 2013. Die Frage nach der Identität dieser Gegner ist nicht eindeutig entschieden und eröffnet einen anderen Blick auf die DDR-Geschichte, obwohl die Interessen aller Parteien dagegen stehen. Ich nenne und nannte es den dritten Weg. In den Köpfen der meisten Genossen war das damals denkbar. Das reichte bis ins Politbüro.
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Raus aus dem Spinnennetz –
Exil-Fest 1986 in Osnabrück zu Erichs 60. Geburtstag
(privat) |
Es gibt den Erich vor Bautzen und den danach. Als ich es bei seinem ersten Besuch in Offenbach bemerkte, suchte ich ihn mit dem Hinweis auf meine vier Jahre Kriegs-Gefangenschaft in der SU zu trösten, dazu zählte ich meine Wehrmachts-Zeit sowie die Monate in Kliniken und Tbc-Sanatorien, alles zusammen ergab ebenfalls sieben Jahre wie seine Haft in Bautzen. Meine Rechnung überzeugte ihn weder noch rang sie ihm auch nur einen Schimmer von Empathie ab. Also blieb ich dabei – es gab jetzt zwei Erich Loest. Der eine ist der schwermütige, lachfaltentreibende Humorist, den ich unseren in Geldnöten steckenden Krankenhäusern als Therapeuten empfehle. Lachen heilt ohne Pillen und Skalpell. Der andere Loest will es seinen Feinden heimzahlen. Das ist der Rückfall-Erich, zu Unrecht eingesperrt und preisgegeben. Beide kenne ich gut. Ich versuche auch gegen den zweiten EL fair zu sein. Es fällt mir nicht leicht und hat Ursachen. Über die Differenzen zwischen dem Loest der letzten zwanzig Jahre und mir braucht es nach Erichs Tod keine neuen Worte. Konkrete Auskunft geben u.a. im poetenladen de die Nachrufe 4 und 5 sowie vorher schon unser Buch Sklavensprache und Revolte vom Jahre 2004, da wird mit Herzschmerz Klartext gesprochen. Wo der späte Loest als ewiger Bautzenbub mit Marx, Bloch und Zwerenz hadert, nein wütend wüstet, gilt, was unser Erich einst über Zwerenz in Leipzig äußerte: »Zwerenz wich ein paar Schritte zurück … aber auf Bloch ließ er nichts kommen.«
Bedenke ich meine Empfehlung an die Krankenhäuser, die humorvollen Loest-Bücher therapeutisch einzubeziehen, wird mir ganz makaber zumute – für den Autor selbst versagte der gute Rat. Er starb durch einen Sturz aus dem Klinik-Fenster.
Solange Erich in der Bundesrepublik wohnte, besuchte er uns oft im Taunus. Er kennt das Haus, wie er unsern Chow kannte, den er Lord Billy nannte. Hochachtungsvoll. Ein Kapitel im Roman, den Ingrid und ich über unseren Hund schrieben, erzählt von einer munteren Geburtstagfeier für Loest in Osnabrück. Das Buch erschien 1988, ein Jahr später bricht die Einheit und unser Konflikt aus. Erich retiriert sehnsuchtsvoll heim nach Leipzig, 1990 stirbt unser Chow Lord Billy.
Im Rückblick auf den Freund vergangener Jahrzehnte nutzte ich das Wort Gedicht. Mit dem Todessprung zu Leipzig dichtet es sich autonom irrlichternd weiter ins unsterbliche Traumreich. Hier steht Loest an der Himmelstür ins Gespräch vertieft mit Petrus, über den er einen Roman schreiben will, da tritt Reich-Ranicki durch die Pforte. Die beiden kennen sich. Bei einem der frühen Besuche am Main saßen Loest, Ingrid und ich mit M R-R und seiner liebenswerten Frau Tosia in einem von Marcel favorisierten italienischen Restaurant in Frankfurt beim Abendessen. Es ging um Literatur und Geheimdienste. M R-R, in Rage geraten: »Schriftsteller sind vor Geheimdiensten sicher, denn was kann ein Schriftsteller schon Wichtiges wissen.« Ich hatte ihn schon 1971 so falsch postulieren gehört. Zurück ins Traumland. Jetzt erscheint Sahra. Erich erbleicht, soweit das ein Engel vermag. Ich weiß Bescheid. Loest wollte mich in der Zeit unserer Entfremdung ausnahmsweise mal wieder begrüßen, entdeckte Sahra neben mir beim Signieren und eilte entsetzt davon. Rosa Luxemburg vor der Himmelstür? ruft Marcel R-R. Sahra erläutert: Ich komm' hier nur getarnt als Rosa durch, als Sahra gründe ich endlich die himmlische Linkspartei, unsere Männer trauen sich das aus lauter Atheismus nicht. Loest dazu: Erst Lothar Bisky, dann ich, nun Reich-Ranicki, dazu diese Wagenknecht, statt in den guten Tod sprang ich wohl in die ewige Revolution? Wütend beginnt er zu schimpfen auf Wolfgang Harich, Kurt Hager, Jürgen Kuczynski, Friedrich Schorlemmer, Gregor Gysi, Walter Janka und hätte wohl nie eingehalten, wie ich andernorts belege, doch da gondeln Ulbricht und Honecker freundlich winkend auf Wolke 56 vorbei und Erich sucht sie ganz rational zur Hölle umzuleiten, was nicht ohne Knall und Fall geschieht und mich im hohen Taunus aus dem Schlaf schrecken lässt.
Nach dem Ende der DDR schnell nach Leipzig heimzukehren hätte ich Erich eindringlich abgeraten. Denn es führt kein Weg zurück. Heute ist der 22. September 2013, ein trauriger Wahltag voll Wortbildermüll. Loests Todessprung (?) – jedenfalls Todesfall, liegt erst zehn Tage zurück. Vor mir häufen sich Presse-Stapel von Bild und Leipziger Volkszeitung, zugesandt von unserem aufmerksamen Mann in der Messestadt – Hartwig Runge – die Blätter triefen von geschwollenen Schmerzbekundungen. Elementare Fakten fehlen oder werden verrätselt. »Leipzig trauert um Erich Loest.« Die Superheldenstadt weint, dass die Pleiße hochwassert. Erich warf mit Büchern und lokalen Liebeserklärungen um sich, bis ihm seine Elogen selbst zu billig erschienen. Leipzig als Kulturstadt? Loest: »Bis auf Thomaner und Gewandhaus lange vorbei.« Was war vorher – was war vor dem vorbei? Ist es Über-oder Untertreibung? Ernst Bloch und Hans Mayer lässt er generös, wenn auch wortkarg hochleben, Karl Marx samt Relief austreiben, Werner Tübke gleich hinterdrein, nicht zu reden von unseren alten Freunden von Harich bis Janka, die er je nach Laune mal ehrt oder als sächsisches Lama bespuckt, so wie ich bald als Feind, bald als Freund dekoriert werde. Der Riss geht durch die Welt und ihre Interpreten. Kurz vorm Torschluss spricht Erich sich via Fernseh-Interview gegen Feindschaft und Hass aus und kürt sich als Bestattungs-Redner den eifernd schimpfenden Zwickauer Werner Schulz, den die Grünen als Europa-Abgeordneten nach Brüssel abschoben, um ihn ertragen zu können. Loest im Tagebuch am 25.8.2013: »Meine alten Gegner haben gesiegt.« Das erschien in der LVZ druckfrisch erst vor einem Monat und muss an Ort und Stelle dementiert werden. Wann, wenn nicht jetzt. Wer ist hier Sieger, wer Besiegter. Soweit sich das teilen lässt. Brecht alias Galilei: »Glücklich das Land, das keine Helden nötig hat.« Unglücklich die Stadt, die Helden nötig hat? Loest bestellt sich, obwohl früher Biertrinker und später ausgepichter Rotweinconnaisseur, eine fröhliche Leichenfeier mit Champagner. Kunststück der Sparsamkeit. Er muss das edle Gesöff nicht mehr bezahlen. Als sie ihn vor Jahrzehnten beschuldigten, die Regierung stürzen zu wollen, reagierte er mit Gelächter. Ein Witz der DDR-Geschichte – gelle? Da Erich im literarischen Himmel, dieser Luxushölle überlebt, kann ich jetzt postum offenlegen, wie es wirklich war. Zur Erinnerung: Walter Ulbricht über Ernst Bloch: Er hatte doch seinen Plan der Konterrevolution! Wahr ist: Die Blochianer wollten nicht nur die eine Regierung stürzen, sondern auch die andere. Daraus erst sollte eine vernünftige Politiker-Riege werden. Was leider misslang. Es fehlen die Helden. Der Riss durch die Erde ist viel zu breit geworden. Wer da noch drüber springen will stürzt in die Tiefe.
Wolfgang Harich wurde bereits 1956 schwer angelastet, dass er die Regierung stürzen wollte und die Namen der neuen Regierungsmitglieder auf einem Blatt notiert hatte. Außer dieser Berliner Liste gab es unsere Leipziger Variante mit Bloch als Präsidenten, Rudolf Herrnstadt als Kanzler, dazu Stefan Heym für Kultur, Fritz Behrens für Ökonomie, Wolfgang Harich Bildung, Markus Wolf Justiz und Außenpolitik. Am späten Abend von Erichs 60. Geburtstag, den wir im Osnabrücker Exil begingen, entwarfen wir eine West-Liste: statt Adenauer Martin Niemöller, dazu Gustav Heinemann, Johannes Rau, Heinrich Böll, Rudolf Augstein. Wolfgang Abendroth, Rudi Dutschke, Egon Bahr, Willy Brandt …
Wir feierten die Vereinigung beider Regierungen erst mit Bier, dann mit Champagner und kamen überein, die zugehörige Bundeshauptstadt werde, was denn sonst, Leipzig sein. Über die guten und schlechten Gründe dafür demnächst in diesem deutschen Theater.
Nachbrenner: Wer möchte, entschlüssle unsere Schluss-Sätze im Himmel und auf Erden als ironische Sklavensprache. Wollten wir unsere geplanten diversen Revolutionen in allem Ernst bestätigen, legitimierten wir damit im Nachhinein unsere Verfolger von sogenannt links bis sogenannt rechts. Sie haben, hier widerspreche ich Loest, keineswegs gesiegt.
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Gerhard Zwerenz
und Erich Loest
(privat)
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