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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 45 |
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Ernst Bloch und die Sklavensprache (1)
Kujat und Precht
General und Denker – zwei aufklärende Querköpfe: Zwar ist die Philosophie mit dem 1. Weltkrieg verendet, partielles Reflektieren jedoch gelingt noch, wird der Charakter nicht auf den postmedialen Flohmärkten verscheuert.
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Ist Philosophie dem Genie ein Kinderspiel oder wie Schach kein Kinderspiel? Zwischen den zwei polaren Behauptungen bleibt genug Platz für beide. Philosophie lässt sich auch Filosofie schreiben, was jedoch die Herkunft aus der griechischen Antike verleugnet. Philosophie ist akademisch. Filosofie eine verbale Frechheit, die sich auch Bertolt Brecht gern gestattete. Sie ist dann unverzichtbar, wenn die Koryphäen statt zu philosophieren anfangen zu philosophastern – oder als sächsische Variante philosoquatschen. Philosophie ist keine Wissenschaft. So wenig wie Medizin oder Ökonomie, die mehr der Astrologie als der Astronomie ähneln, wo nicht gleichen. Es kommt auf die Person an. Und aufs Zeitalter. Mit dem Weltkrieg 1914 – 1918 endete die Philosophie. Marx starb 1883, Nietzsche 1900. Es hob an die Ära ihrer Schüler, Nachahmer- Professoren, Fehl-Interpreten und Simulanten.
Im Kopf noch bei den gestrigen Totengesprächen. Auf der Suche nach Überlebenden die bereits leicht derangierte tv-Taste gedrückt – schon sitzt Frau Illner im Bild. Es ist der 4. September 2014. Öffentliche Meinungsschildträger in der Tischrunde blasen die üblichen Wortballons in die Luft – Thema Europa am Rande des Krieges – ich nippe am Rotweinbecher, will abschalten und stocke. Harald Kujat, General a. D. und einst auf höchsten BW-NATO-Posten, analysiert ungescheut ganz objektiv, also kritisch die Lage. Die Hohlköpfe von der versammelten Antiputinfront erstarren im Zuhören. Da ist einer unter sie geraten, der weiß, was er sagt. Folgt statt Widerspruch mit Argumenten erregtes Gemecker. Ausgenommen Richard David Precht, seiner Worte als gelernter Philosoph mächtig, im Fernsehen meist auf Mitternachtstermin verbannt, darf jetzt schon kurz nach 22 Uhr zweimal ohne Bremsspuren reflektieren. Keine Taktik, keine Frömmelei, stattdessen Fakten und differenzierende Logik. Zwar ist die Philosophie mit dem 1. Weltkrieg verendet, partielles Reflektieren jedoch gelingt noch, wird der Charakter nicht auf den politmedialen Flohmärkten verscheuert.
Lieber Hatto Fischer,
vor einigen Tagen fand Ingrid Zwerenz im www. Ihre 16 Seiten „GZ zu Blochs Sklavensprache“. – Ich bin überrascht und angetan. Ist der Text irgendwo gedruckt oder bisher nur online zu lesen? In welchem Ihrer zwei sehr vertrauten Länder halten Sie sich gerade auf? Auf diesem Weg hier sind Sie aber sicher erreichbar, falls die E-mail-Adresse gilt. Wir leben zwar wegen verschiedener Krankheiten und zunehmender Vergreisung zurückgezogen im Hochtaunus, ich beschicke aber seit Jahren eine online-Serie im www.poetenladen.de – der Betreiber Andreas Heidtmann – ein Wessi lebt in Leipzig. Nach fast zwei Jahrzehnten, könnte ich mich, angeregt von Ihrer Arbeit ganz aktuell zum Thema Bloch äußern.
Gute Grüße
Gerhard Zwerenz
Athen, den 17.8.2014
Liebe Ingrid, lieber Gerhard,
Eurer Brief ist eine freudige Überraschung da das Thema, die Sklavensprache bei Ernst Bloch, mehr als nur aktuell ist. So erhielt ich vor kurzem auch einen Brief von Martin Jay in Berkeley, um mitzuteilen, dass er seine Studenten im kommenden Semester mit Bloch beschäftigen will.
Mein Aufsatz zu Bloch ist nur online auf der Webseite von Poiein kai Prattein erhältlich, denn bislang bewegte ich mich abseits von einem Verlag, obwohl es an der Zeit wäre, meine Schriften noch auf traditionelle Weise zu veröffentlichen.
Faktisch lebe ich seit 1988 in Athen, bin aber noch mit einem Fuß in Berlin zuhause. Diese Schriften entstanden also kurz vor meinem Wechsel. Es würde mich sehr freuen weitere Erörterungen zu Bloch von Seiten Gerhards zu lesen zu bekommen. Mir ist bekannt Ihr Beiden habt zu dem Thema ein Buch herausgeben, wobei vermutlich eher die DDR als andere Wirklichkeit in Betracht kam.
Das Archiv von Poiein kai Prattein verstehe ich als ein Arbeiten mit dem Gedächtnis und so war es mir wichtig, unseren damaligen kurzen Briefwechsel zu erwähnen, als es um eine Einladung ans Bildungswerk ging und ich von Gerhard die Frage bekam, um welche „Firma“ es sich handeln würde. Zwar ist viel Zeit inzwischen vergangen, aber manche Dinge bleiben darum um so klarer im Gedächtnis zurück, weil sie Spuren hinterlassen haben. So ist dieser Brief von Euch eine wirklich tolle Überraschung.
Mit liebem Gruß
hatto
Soviel von Hatto Fischer, der seinen ingeniösen 16 Seiten-Essay mit meiner Absage auf seine Einladung 1985 nach Berlin beginnt. Wir werden darauf zurückkommen, wenn sich Platz dafür findet.
Aus der Online-Bekanntschaft mit Hatto Fischer entwickelte sich eine umfängliche Korrespondenz zu Blochs Philosophie. Fischers Methode, über Zeit und Raum hinweg den Philosophen anhand eines meiner Referate im inzwischen abgeschafften Jugoslawien zu reflektieren, bildet ein Novum. Es gibt ungezählte unbekannte Texte, die sich mit Bloch befassen. Sie sind rings in der Welt verstreut. Unsere Versuche, sie aufzuspüren, zu sammeln und zu publizieren, scheiterten. Der Suhrkamp-Verlag als Gesamtwerk-Herausgeber bleibt uninteressiert und untätig. Brecht bringt mehr Erfolg, obwohl auch die Theater abschlaffen, von Lektüre-Fans ganz zu schweigen. Die europäische Linke schwächelt mehr und mehr und stirbt dahin. Was soll da noch ihre Kultur. Nach 1918 gab es Revolutionen, nach 1945 Dekorationen zur Tarnung der kommenden Kriege, weshalb linke revolutionäre Gruppierungen unterminiert und beiseite gedrängt wurden. Deutschland ist der Musterfall. Inzwischen sitzt Adorno in seinem Glaskäfig, nahe der Goethe-Universität in Frankfurt-Süd. Ein Rentner und früherer 68er geht langsam vorbei und grüßt verlegen. Der Meisterdenker Theodor Wiesengrund Adorno sagte den fatalen Sieg der Kulturindustrie voraus. Der kontroverse Revolutionär Bloch wurde in Leipzig privatisiert und liegt wie Blei bei Suhrkamp herum. Wir kramen unsere Wortfetzen hervor, ein paar Verbalgranaten, differente philosophische Konflikt-Thesen gegen die palavernden Postmodernisten der Endrunde. War da mal was? Solange Bloch in der DDR wohlgelitten war, galt seine Aufforderung Schach statt Mühle zu spielen als freundlicher Rat. Kaum setzte das nach Ilja Ehrenburgs Roman benannte Tauwetter ein, galt Bloch mit seinem Verweis aufs Schachspiel als Konterrevolutionär. Ebenso verfuhr man mit dem aufrechten Gang. Schwang da nicht mit, dass die Menschen in den sozialistischen Ländern gebückt durchs Leben schlichen? Na wenn schon. 1953 richteten sich viele auf und wurden gestraft. 1956 richteten sich einige linke Intellektuelle auf und wurden gestraft. 1989 richteten sich zuerst in Leipzig die Massen auf und aus war's mit den Politbüro-Nieten. Ein Vierteljahrhundert später votieren vormals friedlich-siegende DDR-Bürgerbewegte für neue Ostfronten gegen Russland. Im Flohzirkus zählt Blutsaugen zur Artistik. Was mit der Weltlage harmoniert. Flöhe verwandeln sich in sprunghaften Karrieren zu Raubtieren. Putin bot im Deutschen Bundestag Frieden an und bekam die NATO an die Grenzen. Obama begann als Lamm und spielt Krokodil. Wie reagiert darauf der Bär? Europa in der Mitten personifiziert sich in Frau Merkel, die telefoniert, bis allen die lange Leitung um die Ohren fliegt.
Schach statt Mühle und aufrechter Gang sind Blochismen zur Handhabung der Theorie. Wir fügen die 11. Feuerbach-These von Marx hinzu und zitieren kurz und knapp aus unserm Buch Sklavensprache und Revolte, Seite 155: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.« Darauf folgt die eigenwillige Variante: » … es kommt darauf an, sich zu verändern.« Gemeint ist damit die Welt und ein sich wandelndes Subjekt, also du und ich. Bloch riskierte zwar in der DDR die Bedingungen aufzuzählen, doch scheute er mit guten Gründen die unumstößliche Klarsprache. Das sich stammt von mir – GZ – die Erklärung verweist auf Blochs Hauptwerk, Das Prinzip Hoffnung, 1. Band, 11. Kapitel, das erst in Leipzig geschrieben und dem im US-Exil verfassten Werk eingefügt wurde, in gezielter Sklavensprache, angewandt als Strategie und Taktik, ergo Konterbande. Das Prinzip Hoffnung wurde zunächst akzeptiert, später scharf angegriffen. Ein sich veränderndes Subjekt ist parteifeindlich, wenn es wagt, die Marxsche Revolution ab Stalin als zur Parodie verkommen zu definieren.
Am 10.9.2014 wird selbst in der FAZ kritische Ökonomie betrieben. »Es gibt eine junge Generation, die die Prinzipien der Marktwirtschaft hinterfragt«, wie der Ökonom Carl Christian von Weizsäcker konstatiert. Es kommt noch provokanter: »Darum nennt Weizsäcker, ein Mann breiter Bildung, der versammelten deutschen Ökonomenelite eine Liste von Büchern, die unerlässlich seien: darunter Standardwerke wie Wealth of Nations von Adam Smith und den ersten Teil des Kommunistischen Manifestes von Karl Marx – aber auch Goethes Faust (2. Teil , 1. Akt). Seine jüngeren Fachkollegen hören Weizsäcker aufmerksam zu.«
Das klingt fast wie von Sahra Wagenknecht gelernt. Immerhin. So langsam dämmert der Herrschaft, dass kein Deutschland eine Demokratie ist, solange es die Linkskulturen verfolgt und sei es nur durch verordnete Ignoranz.
Inzwischen ist nach Sachsens Landtagswahlen auch Thüringen und Brandenburg drangewesen. In allen drei Provinzen überrascht die AfD als Alternative für Deutschland. In den Medien predigen brave Zeitgeisterklärer als hätten sie etwas zu sagen. Hat diese neue Partei Zukunft oder nicht? Was auch immer vorgebracht wird, es leidet an provinzieller Kurzsichtigkeit. Ein Krieg, der 1945 keineswegs endete, wird in seinen neuen Formen von Außenpolitik als globaler Crash jede Innenpolitik bestimmen. Zeitungen verraten in Schlagzeilen ahnungsvoll mehr: neues deutschland 12.9.14: Chinesen sehen Krieg mit Japan kommen… FAS 7.9.: Der EURO sät Zwietracht… junge Welt 10.9.: Antifa packt ein… junge Welt 13/14.9.: Es gibt ein NATO-Netzwerk in den deutschen Medien … usw.
Wenn es so geschieht, wie es sich andeutet, soweit es nicht schon real ist, dürfte ein wenig Lektüre von heiligen Bibeln und auch von etwas Marx und Goethe nicht ausreichen. Es kommt drauf an, sich aus Kriegern in Deserteure zu verändern. Das Gegenteil propagiert am 18.9.2014 der Leserbrief eines permanenten Bellizisten in der zeitgeistigen Zeitung, die wir am liebsten zitieren:
Ist das nicht eine feine Erinnerung an die Vergangenheit und ein guter Rat für heute?
Hatto Fischer, dessen Essay Ernst Bloch und die Sklavensprache wir gern beantworten werden wie andere Zusendungen auch, leider sind wir im Rückstand, reiste inzwischen aus Athen nach Malta zu einer internationalen Konferenz autonomer Autoren. Diese Welt besteht nicht nur aus kriegstreiberischen Kollaborateuren.
„THE WAR REQUIEM“ by Séamas Cain was presented on Sunday, 7 September 2014 as part of the series IN SEARCH OF PEACE at Southport Villa in the Gardens of Marsaxlokk on the Isle of Malta in the Mediterranean Sea. This series of presentations, co-organized by Paul Dalli and Gertrude Spiteri on Malta, and Hatto Fischer of POIEIN KAI PRATTEIN in Athens, Greece, included the works of 26 poets from around the world.
Dieses kurze GZ-Gedicht wurde in Malta vorgetragen:
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