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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 41 |
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Grenzfälle zwischen Kopf und Krieg
Im Spiegel 42/2008 lese ich über den im selben Jahr verstorbenen NVA-Generaloberst Joachim Goldbach, einen Sachsen und stellvertretenden DDR-Verteidigungsminister: »1988 beriet er mit einigen vertrauenswürdigen Kameraden, ob es nicht an der Zeit wäre, Honecker, Mielke und Co. wegzuputschen. ›Aber mit wem? Ich kommandiere ja nur Schlosser und Bäcker‹, gestand er später. Dafür griff er am zweiten Morgen nach dem Mauerfall machtvoll in das Rad der Geschichte. Er brüllte seinen Minister und dessen Generalsgehilfen 20 Minuten so lautstark und energisch zusammen, dass die ihre Idee, mit NVA-Panzern die offene Grenze zu schließen, fallen ließen.«
Diesen General hätte ich gern kennengelernt. Warum erfahren wir erst nach seinem Tod von ihm? Dem Internet ist zu entnehmen, Goldbach wurde am 30. Mai 1997 in den Mauerschützen- Prozessen zu 3 Jahren und 3 Monaten Haft wegen Beihilfe zum Totschlag sowie zweifacher Beihilfe zum versuchten Totschlag verurteilt. Soweit ich sehe, wurde kein einziger General Hitlers von bundesdeutschen Gerichten verknackt. Sie wurden ja von Adenauer gebraucht und hatten auch nur im Nazi-Heer mitgemacht. Generaloberst Goldbach führte dummerweise nicht Hitlers Krieg. Sein Pech. Dass die Sowjets bei ihrer Rückverwandlung in Russen die vormaligen Verbündeten, auch Untergebenen, nicht gegen Adolfs und Konrads Schwertträger zu schützen wussten oder wagten, ist schandbar. Das sagte ich schon mehrmals. Die Verantwortlichen schweigen. Stell dir vor, Mielke hätte 1989 die eben geöffnete Mauer mit Hilfe von Panzern tatsächlich wieder schließen lassen. Was wäre aus der vielbeschworenen friedlichen Revolution geworden? Mindestens eine Schießerei. Vielleicht eine ganz unfriedliche neue Ostfront mitten in Berlin statt der in diesen Wochen weiter im Osten. Ob Bolschewiki oder Russen, die NATO weiß, was von Noske über Hitler bis Adenauer alle guten Führer der Deutschen wussten: Der Feind sitzt im Kreml.
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Die Büchergilde Gutenberg soll leben.
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Die Zeitung, morgens im Briefkasten vorgefunden, meldet heute, am 20. Juni 2014: 1. »Mehr Licht ins Nazi-Dunkel des Landtags.« Die Lichtsuche dauert schon an, seit die Linkspartei vor drei Jahren im Hessischen Landtag diese lang verzögerte Aktion beantragte. Kurzum, nach dem Krieg waren von 433 Landtagsabgeordneten 92 Mitglieder der NSDAP gewesen. Namentlich genannt wird u.a. Rudi Arndt (SPD), der jedoch von seiner Mitgliedschaft nichts gewusst haben will, auch Alfred Dregger, der nicht weiter nachgeprüft werden soll, weil er selbst seine Naziparteizugehörigkeit lebenslang erfolgreich verschwiegen hatte. Das ist Politik. 2. In Rödermark, nahe bei Frankfurt/Main, soll ein bisher namenloser Weg nach Ernst Thälmann benannt werden. Nach jahrelangen Bedenken wird wohl daraus nun doch nichts. Denn er war als Stalinist kein Vorbild für die Demokratie, wurde 1933 verhaftet und nach elfjähriger Haft in Bautzen auf Befehl Hitlers 1944 im KZ Buchenwald vor dem Krematorium erschossen. Da erging es Herbert Wehner etwas besser. Er überlebte als Stalin-Anhänger in Moskau sowie Schweden und als SPD-Genosse im Bonner Bundestag, zwar viel geschmäht, doch nicht erschossen. 3. Meldung zum deutschen Kulturland: Bertelsmann will seinen Buchclub aufgeben, die gewerkschaftliche Büchergilde Gutenberg versucht weiter zu existieren und bittet ihre verbliebene Kundschaft um Hilfe. 4. Meldung: Weil immer mehr Frauen das Kinderkriegen vermeiden und sich statt Tochter oder Sohn einen Hund anschaffen, hat die Bio-Branche für Bello Zukunft, im Gegensatz zur Berliner Republik, die immer mehr auf den Hund kommt. 5. Meldung: »Die Reichen werden immer reicher«, das ist zwar nicht neu, findet sich aber sehr treffend als Schlagzeile in der FAZ-Finanzbeilage. In Deutschland gibt es bereits »mehr als eine Million Millionäre und ihre Zahl nimmt zu«, meldet das Blatt ebenfalls. Das ist wie bei den Hunden.
Tagesspiegel – 3.5.2012
Straßen, Kitas und Schulen ehren den KPD-Führer. Warum? Ernst Thälmann war ein Gegner der Demokratie, der den bürgerlichen Staat zerschlagen wollte. Sein Name sollte aus dem Straßenbild deutscher Städte und Gemeinden getilgt werden. Der Kommunist Ernst „Teddy“ Thälmann ist im Stadtbild der neuen Länder und auch in Ostberlin nach wie vor nahezu allgegenwärtig. Es wimmelt nur so von Thälmann-Straßen und -Plätzen und im Bezirk Prenzlauer Berg steht ein gewaltiges Thälmann-Denkmal.
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Würde die Bundeskanzlerin, laut Obama stärkste Frau der Welt, endlich alle Deutschen zu Millionären machen, wäre die Besitzfrage endgültig gelöst. Man müsste nur noch das ganze Deutschland einmauern, um die Flüchtlingsströme abzuhalten. Wird dann jede deutsche Frau sterilisiert und erhält zum Ausgleich einen prächtigen Hund, emigrieren die Männer und Deutschland diente sich selbst als bisher vergeblich gesuchtes Denkmal der Einheit.
In der FAS vom 22. Juni 2014 berichtet der weltoffene und durchaus zuverlässige Peter Carstens von einer Reise Auf dem Nebengleis: »Eine Bahnfahrt von Berlin nach Dresden: Der traurige deutsche Osten zieht vorüber. Und das fast ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung …« Mitfühlend lesen wir wie der Zug »über krumme Schienen schleicht …« und sind sauer, weil Carstens scharfäugig aus dem Fenster schaut und weil wir, mit Verlaub, von Sachsen etwas anderes erwarteten, wir fehlprophezeienden Schlaumeier. Als ewiger Exil-Sachse und »eine Art ständiger Vertretung Sachsens mit Sitz im Taunus«, wie Jürgen Reents das in Weder Kain noch Abel (2008) nennt, empfinde ich die so exakt beschriebene Bahnfahrt von Berlin nach Dresden unter aller sächsischen Würde. Zu allem Unglück erreicht uns aus Leipzig noch eine desaströse Nachricht.
Die Botschaft aus Sachsen enthält Anspielungen und spielerische Montagen. Als Kind spuckte ich in Crimmitschau an der Pleiße von der Brücke in den Fluss – ein Gruß nach Leipzig. Danke Hartwig alias Ingografrunge. Der fein getimte Zufall will's – zugleich langt eine Mail aus meinem Geburtsort Gablenz hier an, der Ort wurde eingemeindet nach Crimmitschau.
Lieber Herr Molder,
Ihre Zeilen und die Fotos von "Bad Gablenz" sind mir ein Herzensgruß aus einer verlorenen Heimat und Kindheit. gern wäre ich mal wieder an den beiden Teichen, doch fahre ich zwar Auto hier in der näheren Umgebung, aber nachts hänge ich am im Zimmer festmontierten Sauerstoffgerät, was größere Reisen ausschließt. Arbeiten Sie noch in Bayern? Zu Crimmitschau – auch zum Textilarbeiterstreik möchte ich noch einiges sagen. Mit 89 Jahren jedoch ist alle Zeit ungewiss.
Ihnen und Ihrer Familie alles Gute
Ihr Gerhard Zwerenz
Sehr geehrter Herr Zwerenz und Frau,
vielen Dank für Ihre mail. Freut mich Ihnen eine kleine Freude bereitet zu haben. Letzte Woche, am Mittwoch, fand im Theater Crimmitschau, anläßlich der Feierlichkeiten zur 600 jährigen Stadtrechtsfeier, eine Festveranstaltung statt. Dort wurden auch Sie, neben Hans Eickworth (Bildhauer), Pof. Dr. Andrà u.a. als Crimitschauer Persönlichkeit (in eingeblendeten Foto) positiv erwähnt. Eigentlich sind Sie ja ein "Kind" von Gablenz und nicht von Crimitschau!
Die beiden Fotos habe ich während eines Hubschrauberrundfluges am 31.05.2014 gemacht. Auf Bild 2 müßte das Gelände der Ziegelei Ihres Großvaters zu sehen sein (bebaut mit Garagen). Rechts daneben noch die andere Ziegelei und ehemalige Gärtnerei Kämpfe.
Wie immer, bin ich noch "Aufbauhelfer" West in Bayern. Zur Zeit in Leutershausen in der Nähe des Altmühltales. So lange die Arbeit und Löhne im Osten "hinterherhinken" geh man eben auf Reisen. Meine Tochter (30) hat es schon 8 Jahre nach Hamburg verschlagen. Der Sohn studiert in Jena, in der Hoffnung, daß er einmal in der Heimat bleibt. So viel für heute.
Viele Grüße aus "Bad" Gablenz
Ihre Fam. A. Molder
Im Heimatort zur 600jährigen Stadtrechtsfeier erwähnt zu werden, ist akzeptabel. Bleibt der ebenfalls erwähnte Bildhauer Hans Eickworth, dessen Vater Alfred Eickworth ungenannt bleibt. Die Geschichte dieses Gablenzer antinazistischen Widerständlers und zu Tode gejagten Deserteurs beschrieb ich in Sklavensprache und Revolte. Sie wurde vielfach nachgedruckt, nur nicht in Sachsen. Seine Gedenk-Büste, nach dem DDR-Ende abgerissen, soll in einem Museumskeller verborgen liegen. Als ich Anfang 1944 auf Fronturlaub daheim von Eickworths Ermordung hörte, war es mir wie ein Schuss in den eigenen Kopf. Letzte Ausfahrt Desertion. Im August hatte ich es geschafft. Es gibt Zwangslagen. Hitler: »Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben.« Denkste, du Schrumpfkopf mit deinen gehorsamsblöden Überuntermenschen und diversen Nachkommen. Hitlers radikale Kriegserklärung an die Deserteure verlangt radikale Umkehrlogik: Alle Krieger werden sterben, den Deserteuren gehört Leben und Zukunft. Das Eickworth-Kapitel in Sklavensprache und Revolte findet sich unter der Überschrift: Das verschwundene Denkmal. So ist die Lage. Mehr zu Bad Gablenz und dem verleugneten Deserteursdenkmal in Folge 84 vom 22. Juni 2009.
Der Himmelspförtner Petrus aber, ein urchristlicher Pazifist, beorderte den Ankömmling auf die Erde zurück, wo er seine Autobiographie schreibt, und zwar in »Bad Gablenz«. Der Titel seines Buches: Als ich tot war. Wer sich der Deserteure schämt und sie verschweigt bereitet nächste Kriege vor. Mein alter Freund Eickworth schickt alle Kugeln, die ihn trafen, in Antikriegsworte verwandelt auf die Schlachtfelder zurück. Die Auferstehung des Archetyps Deserteur hat als Abkehr von der laufenden Kriegsgeschichte begonnen. Alle Menschen werden Deserteure. Den Historikern eröffnen sich neue Arbeitsräume.
Kurzbiographie
Dem Deutschen Reich entlief ich.
Dem Ostland bin ich entkommen.
Im Westland war ich nie daheim.
Des Nachts, wenn der Sender die
Hymne der Nation abnudelt, trinke
ich einen Schluck vom besten Roten.
Kein Ding hat ewige Dauer, denke
ich. Und schlafe gut in den Morgen.
Ein Grund für die Verteidigung Sachsens heißt Alfred Eickworth. Er ist im Unterschied zu seinen Verfolgern absolut verteidigungswürdig. So verstehe ich Patriotismus und Heimatliebe. Der Glücksfall eines längeren Lebens verpflichtet zum Kampf gegen das Vergessen. Geboren wurde ich im roten Sachsen von Weimar. Das braune Sachsen überlebend, dem sowjetischen Sachsen zugetan, doch kritisch und dann opponierend entging ich ins westliche Inland-Ausland. Hoffend, auch das heutige braunschwarze Sachsen noch zu überstehen. Es bleiben die konturierten Erinnerungen als Kino hinter der Stirn. Schmerzhaft einbrennende Bildläufe, als es galt, dem Reich zu entkommen. Über Belgien, Holland, Frankreich, Sizilien, Italien, Polen, Russland und die DDR ging es bis ins Heute. Die Toten auf Reisen mitnehmend als Handgepäck der Seele für autobiografische Totengespräche. Es ist der Verstorbenen Vorrecht, gegen alle Widerstände im Wort fortzuexistieren.
Gablenz war ein Widerstandsdorf. Noch 1933 zwei Drittel SPD und KPD gegen ein Drittel NSDAP und sofortiger Beginn des Widerstands. Dem kleinen Ort verdanke ich drei Erfahrungen: Eine glückliche Kindheit. Die Kunst, gefährdete Bücher zu retten. Die Ehre, dem Deserteur Eickworth gerecht zu werden, auch wenn die Hofprediger der Völkerschlachten wieder antreten, den Köpfen den Krieg zu erklären. Im
Für uns gehört er in die Geschichte widerständiger Philosophie und ihrer Praxis, mit der schon der junge Ernst Bloch 1914 begann, als er vom Schweizer Exil aus gegen die allgemeine Kriegspropaganda auftrat. Was ist heute anders? Nachdem wir Leipzig verlassen mussten, fanden wir in Köln, München, Frankfurt / Main viele Kollegen, Genossen und Streiter gegen die nicht endenden Kriege. Warum unterliegen stets die Pazifisten? Erst kommt den praktizierenden Intellektuellen des Landes die auf radikalen Erkenntnisgewinn gerichtete Reflexionsfähigkeit abhanden, dann verliert die politische Klasse jede Tauglichkeit zur Analyse, die an geschichtlichen Kehren notwendig ist, das Volk vor dem nächsten Inferno zu bewahren. So dreht das hiesige Karussell sich seit 1914 immer rechtsherum.
Heute schließt ein Herr Gauck militärische Grenzüberschreitungen nicht aus, Frau von der Leyen will unbedingt bewaffnete Drohnen anschaffen. Wir wollen das nicht. Wenn die Linkspartei beantragt, am Reichstagsgebäude eine Gedenktafel für den damaligen SPD-Abgeordneten Karl Liebknecht anzubringen, ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Er war 1914 der erste und anfangs der einzige Parlamentarier, der die Finanzierung des Weltkrieges ablehnte. Man stelle sich vor, alle Abgeordneten hätten vor hundert Jahren jeden Pfennig dafür verweigert und unsere heutigen Parlamentarier würden ihnen darin in selbstbestimmter Freiheit nachfolgen. Welch ein verteidigenswertes deutsches Land wäre das geworden und könnte heute noch entstehen.
Als Kind wusste ich von alldem noch nichts, lebte in einem kleinen sachsischen Arbeiterdorf und spreche davon zum Dank als »Bad Gablenz«:
Teiche
Nie wieder sah ich Teiche
wie jene zwei zwischen denen
ich geboren wurde.
Teiche sind spiegel
du blickst hinein
und blickst in dich hinein.
Teiche sind himmel
du stehst in ihnen
du stehst in den himmeln.
Teiche sind augen.
Du trägst sie in deinem gesicht.
Aus ihnen schaust du die welt.
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