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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 22 |
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Nie wieder Politik
Erinnerung an die Trilogie eines Satirikers, der uns schon zu lange fehlt,
dazu erstes Blatt der Parodien mit ironischen Erläuterungen
Dieser Nachruf 22 erscheint am 16. September 2013, und für den 22. September, dem Herbstanfang, sind Bundestagswahlen angesagt. Das Meer der unnützen Parteiwerbung steigt an, reicht bis zum Kinn, ich stehe vor der Bücherwand, diesem Festland, das Rettung vor den Fluten bietet. Auf der Rückseite des Bandes, das sich als zuständig für aussichtslose Situationen anbietet, erhält Julius Bab das Wort: »Dieses Buch ist so schön, dass man es sich gar nicht alleine gönnt. Man möchte schreien vor Begeisterung …« Statt zu schreien erinnern wir uns des guten Freundes Robert Neumann, der seine Parodien-Trilogie nach Dämon Weib und Vorsicht Bücher abschloss mit dem Titel Nie wieder Politik. Soviel als Einstieg in den kommenden Wahlsonntag, wobei wir nicht wissen, ob bis dahin noch ein kleinerer oder größerer Krieg stattfindet. Angesagt wurde er schon. Das ist Politik.
Als der letzte Weltkrieg lange genug zurücklag, holten sie ihren Ernst Jünger hervor. Der wusste wie man schießt. Holten sie ihren Martin Heidegger hervor, der wusste wie man in SA-Stiefeln philosophiert. Holten sie ihren Carl Schmitt hervor, der wusste wie man legitim verlogen rechtswissenschaftet.
Kreislauf nach Nietzsche
Die emsige Journaille benötigt Leichen
zum Drübergehen. Der abendliche Krimi ein
Fick mit Schusswechsel. Der Kommissar als
Idiot. Die Kommissarin fertigt schnöde ihn ab.
Fett und befriedigt lacht das Verbrechen.
Die Politiker, außer sich, gehen in sich.
Am Montag schmieden sie Pläne. Dienstags
wird fürs Fernsehen Theater gespielt. Der Mittwoch
gehört der Partei. Zum Donnerstag Vorbereitung aufs
Duell am Freitag im Parlament. Am Sonnabend Fußball.
Die Sonntage bleiben der Familie. Vor der
Kirche die Sonntagszeitung. Zentnerschwer.
Der Wälder Todesanzeigen. Der Wetterbericht
ist entgleist. Das Blatt mülltonnenverstopfend. Das
Leben als Idylle im Blutrausch: Montags alles von vorn.
Das Trio Ernst Jünger, Martin Heidegger, Carl Schmitt nutzt(e) die FAZ lange Zeit hindurch zu ihrer traditionell-ideellen Verankerung. Im www.poetenladen.de machte ich mich unermüdlich darüber lustig, inzwischen scheint es, dass man am Main die Lobgesänge auf die drei Weisen aus dem braunen Abendland reduziert. Ganz abgewöhnen kann man den rechten Nachfolgedenkern im Blatt die Unsitte nicht. Robert Neumanns Empfehlung Nie wieder Politik darf, obwohl Parodie, der schreibenden Schar dringend ans schräge Herz gelegt werden. Oder gerade deswegen.
Gemeinsam mit Robert Neumann versuchte ich schon in den turbulenten sechziger Jahren dem schwarzen FAZ-Trio das rote Duo Marx- Bloch entgegenzusetzen, was Engagement in Theorie und Praxis verlangte. Am 25.5.1973 erschien in der Zeit ein bemerkenswert irrlichterndes Interview von Rudolf Walter Leonhardt mit Robert Neumann zu dessen 75. Geburtstag:
»Möchten Sie noch einmal dreißig sein – und was würden Sie dann tun?
Ja, ich möchte noch einmal dreißig sein. Ich würde alles, einschließlich aller Idiotien, genauso machen, wie ich es machte. Ich bereue nichts – außer prasserischen und verschwenderischen Umgang mit meiner Lebenszeit. Auch hätte Hitler es mir einfacher machen können. Bei meiner späten Rückkehr aus dem Exil (wenn man denn annehmen will, dass es eine Rückkehr gibt) kam ich mir vor wie Rip van Winkle: jemand hatte mir unversehens meine zwanzig besten Jahre gestohlen.
Das Weltbild ihres Freundes Gerhard Zwerenz gerät immer von neuem durcheinander, wenn er Artikel von Ihnen in der („bürgerlich-liberalen“} ZEIT liest – warum beschränken Sie sich nicht auf „konkret“?
Dass ich das Weltbild meines Freundes Gerhard Zwerenz (einer meiner wenigen wirklichen Freunde) je durch meine Artikel in der ZEIT verwirrt haben sollte, erfahre ich heute und hier zum erstenmal. Er weiß so gut wie ich (und wie Sie), dass „preaching to the converted“ ein Akt der.Onanie ist. Lüde mich „Bild“ oder das „Neue Deutschland“ zur Mitarbeit ein (mit der Verpflichtung, alles so zu drucken, wie ich es schreibe), so ginge ich sofort darauf ein. Sie wissen schon, warum sie mich nicht einladen. Die ZEIT hat mir nie ein Wort gestrichen – es richtete sich denn gegen einen anderen Mitarbeiter, KONKRET hat mir überhaupt noch nie ein Wort gestrichen. Ich schreibe dort für eine Generation, die für mich sonst schwer ansprechbar wäre und die ansprechen zu können von großer Wichtigkeit ist. Dass es dort redaktionell eben drunter und drüber geht, regt mich nicht auf: Es ging dort schon früher dann und wann drunter und drüber. Und was die „Obszönität“ betrifft: Ich halte es für „obszöner“ seinen politischen Mantel: auch nur einen Zentimeter weit nach dem Wind der Inserenten zu hängen, als ein paar nackte Mädchenpopos zu drucken und dafür von den Inserenten frei zu sein.«
Soviel im typischen Robert-Neumann-Sound zur Erinnerung an den Autor und zur Erheiterung heutiger Leser. Übrigens schrieb Neumann ebenso oft wie ich in Zeit und konkret. Das änderte sich erst, als der spätere Zeit-Feuilleton-Chef Fritz J. Raddatz wegen falscher Behauptungen über mich in zwei Instanzen vor Gericht verlor. Von da an war mir das Blatt verschlossen. Freiheit, die sie meinen.
Die Gerhard Zwerenz: Quadriga des Mischa Wolf
Deutsch-deutsches Literaturexil
Im Vorfeld zur Bundestagswahl 2013 befasste die FAZ sich am 2. September mit der Guillaume-Affäre von 1974. Im Jahr danach erschien damals bei S. Fischer, Frankfurt/M mein Roman Die Quadriga des Mischa Wolf, eine Mischung von Fakten und Fiktion. Die Cover-Rückseite skizziert den Umfang der Methode. Der Germanist Jochen Strobel bemerkt dazu in Flucht und Exil in den Texten von Gerhard Zwerenz: »Hinter der Ironisierungsleistung des Romans … steht gerade der Abschied von der Pflichtübung, das deutsch-deutsche Geschehen ernst zu nehmen. In dem Roman, der Spionagethriller und Politsatire in einem ist …« (Deutsch-deutsches Literaturexil 2009) Das ist politisch und literaturkritisch exakt analysiert. Markus – Mischa – Wolf hatte es ebenfalls sofort begriffen, wie ich während einer Podiumsdiskussion in Berlin von ihm selbst erfuhr. Fazit: Zu konstatieren ist eine Politik hinter der Politik, eine kulturelle Zeichengebung als getarnte Verständigung. Diese indirekte Kommunikation ist wahrhaftiger als eine direkte offizielle Politik, die immer stärker zur Neumannschen Parodie tendiert.
Das sah ich anfangs nicht so deutlich. Eben von Ost nach West gelangt, nahm ich die Politik zunächst recht ernst. Dazu ein Exempel:
Aus dem Kölner Express vom 29.5.1969
Der SPD-Ministerpräsident war mir noch nicht genug, also sagte ich auch seinem Nachfolger Johannes Rau zu, als angeboten wurde mit ihm über »Engagement in Politik und Literatur« zu streiten. Kurzum, in der Bundesrepublik war allerhand los, als die Einheit noch nicht ausgebrochen war.
Veranstaltung mit Johannes Rau und Gerhard Zwerenz
Notiz 1968: Im Dichterland ohne Punkt und Komma
Sie gehen mit dem Staat zu Bette
mit dem Kultusminister frühstücken
sie um den Hals am güldenen Kettchen
ein Stücklein Kultur-Etat
Ihre Seele besteht aus Stipendien
Ihr Leben zählt nach Literaturpreisen
In ihren Hirnen laufen Schlagzeilen
ab gewidmet vom Feuilleton
Wenn sie schlafen träumen sie
in Verszeilen wenn sie trinken
saufen sie in Fingerhutmaßen soviel
wie ihre Vorgänger in Litern
Leben möchten sie wie Romanfiguren
Schwelgen wollen sie wie die Könige
Gelder abkassieren wie die Banker
Ihre Weiber schwängern sie mit dem Doktorhut
Herr Doktor Brühwarm Frau Professorin Allwissend
Immer zu Diensten allweil bereit
Aber gewiss doch Hochwürden
Und überdies gewerkschaftlich organisiert
Im PEN-Club in dreierlei Akademien
und nichtssagend neutral
bis zu den Grundfesten erschüttert
unerschütterlich das Nummernkonto
Im Schwyzerland das Ferien-Chalet
eine Hand am Kritikerherzen
zu erfühlen den Schlag der da kommt
in Freundschaft das zahlt sich aus
Als Günter Grass seine SPD-Werbetouren für Willy Brandt startete, war ich seit längerem auf Trennung von Politik und Literatur aus. Mit Rückfällen – das DDR-Ende 1989/90 führte zu neuen Versuchen und Diskussionen. Neumanns Band Nie wieder Politik war Parodie. Die Gespräche mit Gregor Gysi, Heinrich Graf von Einsiedel, Markus Wolf und vielen anderen betrachtete ich als Methode und Experiment, die deutsche Vereinigung auf einen praktikablen dritten Weg zu bringen. Also doch wieder Politik?
Ein Vierteljahrhundert Einheitsdeutschland rundet sich. Die Präsidenten Hollande und Gauck sind zu sehen, den Überlebenden Hébras zwischen sich im Gedenken an Oradour, den »Massenmord, der bisher nicht aufgearbeitet wurde.« (FAZ 5.9.2013) Wird endlich aufgearbeitet? Im Schwarzbuch des Kommunismus von 1998 warf Gauck den Kommunisten noch ihre Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze vor. Als Präsident erkannte er die Grenze unverzüglich an und reiste vor Ort. Und über die Kommunisten wusste er im Schwarzbuch sogar anzumerken: »Ihr Widerstand und ihre Leidensbereitschaft erwuchsen aus kommunistischen Idealen. Es muss deutlich bleiben, dass wir einen Raum der Achtung offenhalten. .. « Das gestattet die Anfrage: Ist der Raum auch groß genug, dreißigtausend zum Tode verurteilte Deserteure und eine noch viel größere Anzahl ausgegrenzter kommunistischer Widerständler aufzunehmen? Solange dieses Walhalla leer bleibt gilt: Nie wieder Politik.
Sonnabend 7. September 2013. Noch eine Reihe hirnloser Tage bis zur Bundestagswahl. Die Werbetrommeln dröhnen. Vier Altparteien erproben schlicht ihre ruchlosen Koalitionsmuster, die fünfte Partei, da sind sich alle Philister und Banker einig, darf nicht mitspielen, es sei denn sie verkauft ihre Seele. Hand aufs links lokalisierte Herz, wir wollten stets die vereinte plurale Linke statt der weiträumig unierten deutschen Rechten. Da aber müsste die Sozialdemokratie ihrem August Bebel statt Noske folgen wie eine geläuterte Linkspartei es wagte, einem Stalin nicht mehr zu folgen. Nie wieder Politik, es sei denn im aufrechten Gang. Es wird zuviel gekrochen und vorgetäuscht. Das hat Folgen. Die NSU ist für Deutschland, was die NSA für die USA ist: Ein Warnzeichen vor der drohenden Eskalation des tiefen Staates in die Höhen der Legalität. Im mordlustigen nationalsozialistischen Untergrund erhebt sich das Dritte Reich aus der Asche. In Neo-Berlin fand gerade eine Literaturfete statt. Mit Ernst Jünger, dem ewigen Krieger. Er soll als poetisches Skelett dort aufgetreten sein, von Frankfurt ausgeliehen als wärs ein millionenschwerer Fußballprofi. Letzte Meldung von heute: »Berlin verweigert Washington als einziges europäisches Land der G 20 Unterstützung«. Sensation. Merkel auf Antikriegskurs? Wahlkampf grassiert. Das Volk will Frieden. Ein Foto zeigt, wie Putin unsrer Kanzlerin sorgsam eine Decke über die Ost-Schultern breitet, damit Väterchen Frost nicht ran kann. Erinnerung an Putins Vorschlag zollfreier Einheit von Lissabon bis Wladiwostok? Wir Blochianer sahen für »Europa die Chance eines neuen dritten Weges eröffnet«. FAZ-Leitartikel gleich neben dem Merkel-Putin-Schnappschuss: »Krieg der Parlamente«. Nein: Friede der Parlamente.Traut euch endlich.
Letzte Meldung: Merkel verweigert sich nun doch nicht mehr. Schlag zu, US-Militär. Wir kommentierten es schon: Karriere ist Negativauslese. FAZ-Ranking vom 5.9.2013: »Welcher Ökonom hat den größten Einfluss auf Wissenschaft, Politik und Medien?« Da werden Dutzende weichgekochter Eierköpfe aufgezählt. Wer regiert wen? Aber auch, in derselben Ausgabe: »Die Demontage der Ordnungsmacht Amerika.« Tags darauf warnt Horst Teltschik vor »Mord mit Ansage.« Der ehemalige Kohlsche »Sicherheitspolitiker« findet so klare Worte gegen den Militärschlag wie Friedrich Schorlemmer im nd vom 7./8. September. Dagegen Bild-Wagner heldenhaft contra Putin: »Hey, du Russe. Wir haben keine Angst vor dir, keine Angst vor deinen Hunden. Keine Angst vor deinen Spielchen.«
Da hilft wohl nur ein neues Stalingrad. Massengräber locken Masochisten an. Indessen schließt Schäfer-Gümbel für die bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen eine Koalition der SPD mit der Linkspartei kategorisch aus. Kein Wunder. Die Linke ließ verschwiegene Nazipartei-Vergangenheiten hessischer Prominenter von Alfred Dregger bis Rudi Arndt aufdecken. Das trägt für Wiesbaden nicht zur Regierungsfähigkeit bei. Jürgen Habermas empfiehlt, in trauter Gemeinsamkeit mit Helmut Schmidt und Günter Grass, Steinbrücks SPD zu wählen. Die Presse meldet aufgeregt: »Im Westen sterben Neugeborene häufiger als im Osten.« Welch ein schauriges Omen. Wahrscheinlich gingen und gehen in Adenauers Westland mit den lebensunwilligen Frühchen die letzten Talente und Genies übern Jordan. Was ist nun mit Neumanns Empfehlung Nie wieder Politik ? Wir plädieren für die einsam sich aufrichtende Linkspartei. Vielleicht findet sie statt der verkündeten Alternativlosigkeit den 3. Weg. Unser mainisches Kapitalfrontblatt gibt sich indessen immer pessimistischer. Am 10. September tönt es: »Akademiker, hört endlich auf zu hoffen« – und dann wird über eine ganze Seite hin verkündet:»Top-Ökonomen: Die Euro-Krise ist nicht vorbei …« Auf also in den Nachwahlkampf. Es nahen herrliche Zeiten.
PS: Nach dem tödlichen Treppensturz von Lothar Bisky kommt aus Leipzig soeben die Information über den tödlichen Fenstersturz von Erich Loest. Schlimmer als nach dem Fenstersturz zu Prag kann es auch nicht mehr werden.
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