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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung

Die Sächsische Autobiographie, in­zwischen ungetarnt offen als authen­tisches Auto­bio­gra­phie-Roman-Fragment – weil unab­geschlos­sen – defi­niert, besteht bis­her aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nach­rufe & Ab­rechnung.
  Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coinci­dentia opposi­torum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  Nachrufe & Abrechnung (4)

Wer löst den Loest-Konflikt – 2. Nachruf





 

Bebel durch Noske ersetzen?

Statt Wehners herbem Charme das schöne Por­zellan­gesicht von Katja Kipping?



Das Verrückteste in der Berliner Republik ist die Existenz einer linken Partei. Die sich auch noch ohne Umschweife Links­partei nennt. Da schaudert's noch den letzten Werbe­fuzzi. Links ist in Deutsch­land chro­nisch verboten, auch wenn es mal erlaubt sein sollte. Seit 1848 gilt: Gegen Demo­kra­ten helfen nur Soldaten. Bismarck sekkierte die Linke, bis sie ihr Unrecht einsah und Bebel durch Noske er­setzte. Hitler und Adenauer ver­folgten die Linke legal, der eine per Ermächti­gungs­gesetz, der andere vom ach so demo­kratischen Bonner Bundes­tag ermächtigt. Selbst Ulbricht ent­ledigte sich seiner linken Wider­sacher, bis sein ehemaliger Protegé Honecker den Schluss­punkt setzte. Nun haben wir den Salat. Rechts die Erben des FJS, der Erichs DDR per Milliar­den-Hilfs­kredit so ver­schuldete, dass sie verging. Nicht weniger recht­schaffend die christ­liche Schwester­partei, deren Spitze sich soweit merkeli­siert, dass die National­liberalen zu implo­dieren drohen und die Sozis sich in wilder Panik weiter verhartzen und ver­schrödern, obwohl der Initiator Gerhard längst für Russ­land gaswerkelt. Lauter soziale Fort­schritte also. Endlich die Grünen, vormals linker­hand, seit­dem ver­fischert, doch darauf versessen, den linken Rand zu spielen, also stink­sauer, wenn diese Links­partei sich dort brei­tmacht. Breitmacht? 10 – 12% waren erreich­bar. 10% sind inzwischen Ober­grenze. Zwischen 6 und 8% für eine Linke gehen noch als deut­sches Wunder durch. Wer hätte das zu hoffen ge­wagt. Gratula­tion, Genossen. Und wie weiter? Lafontaine und Gysi können ihr Publi­kum immer noch aufmöbeln. Wagen­knecht macht Furore und mag seit kurzem so­gar bei­nahe lächeln. Aus Dresden kommend führt Kipping den leisen Ton des schar­fen Argu­ments vor, ganz sächsi­sches Under­state­ment mit Porzel­lan­gesicht, ein glat­tes Gegenteil des eins­tigen herben Wehner-Charmes von den Ufern der Elbe. Aus dem ergrü­nenden Deutsch­süd­west stammt Kip­pings Spit­zen­ge­nos­se Riexinger, der Lafon­taines SPD- und Ge­werk­schafts­gewicht gewähr­leisten kann. So geht diese von allen Seiten von jeher usw. ange­fein­dete Par­tei der bewussten Allein­stel­lung in die kom­menden Unwahl­kämpfe, ein 6-8-Prozent-Ver­suchs­projekt der Gesell­schaft, die von der Klas­sen­ge­sell­schaft zur Kasten­gesell­schaft trans­for­miert, weil ihr Indien näher liegt als China. Lieber Witwen und Töchter ver­bren­nen als das liebe Ich zu re­volu­tio­nieren. Und wohin geht die Fahrt? Kann sein, der aller­letzte Abgang der Herrschaft samt Dienst­per­sonal glückt der herr­schen­den Klasse endlich beim dritten Ver­such, sich ihres Un­ver­standes zu bedienen, auch wenn der alte Kant im Grab im sowieso verlo­renen Königs­berg noch Frei­tod begeht.

Beim Blick auf das Mirakel einer unver­botenen Linkspartei in Deutsch­land fällt der Rück­zug älterer bewährter Genossen auf. Von Bisky über Modrow bis zu Schrift­stel­lern und Wis­sen­schaft­lern, die in der DDR bekannt waren und den Wandel der SED zur PDS als Aktivisten oder Bremser beglei­teten – wo sind sie hin? Und wenn die Trans­formation von der PDS zur Linkspartei so hoff­nungs­voll begann, warum wird nicht mehr daraus? Die Allein­stellungs­merk­male der Linkspartei im sich schubweise immer irra­tio­naler gerie­ren­den Par­lament sind ver­nünftig und ehren­wert. Die SPD jedoch wird die auf­kläreri­schen Seiten der Links­partei in der Not plündern, über­nehmen und beim nächsten Notfall ableugnen, während die früher als Zonen­wachtel gehan­delte Angela Merkel der heutigen Christ­partei einen protes­tan­tischen Schub verpasste, der die früheren Ade­nauer- und Kohl-Gardisten in die Flucht schlug. Was kann eine Links­partei in­mit­ten reichs­täglicher Chaotik aus­richten? Der Marxis­mus als bestim­mende Leit­schnur der Ar­bei­ter­bewe­gung beruhte seit Marx-Engels-Lenin auf dem Verbund von Phi­lo­sophie und Politik. Der Links­partei ist die Philo­sophie ab­handen gekommen. Es ist ihr größter Verlust. Der Prag­matis­mus ist kein Allein­stel­lungs­merk­mal, doch notwendig wie Brot. Die ande­ren Parteien sind der Linken dabei haus­hoch überlegen. Ihr per­manenter Oppor­tunis­mus zählt zu den bour­geoisen Allein­stel­lungs­merk­malen der Macht, bis alles in Scherben fällt.

 

Ernest Mandel: „Nie Paradies auf Erden versprochen“




Der Grundwiderspruch bei Sozialisten besteht in ihrem sozialis­tischen Ziel und den Not­wendig­kei­ten pragmatischer Politik. Um mir längere Erör­te­rungen über Utopie und Prag­matismus zu ersparen, sei auf Frank Deppe verwiesen, der in seinem Essay Die Linke in der Geschichte der Bundes­republik Deutschland Ernest Mandel zitiert:
  »Sozia­lismus bedeutet weder ein Paradies auf Erden … noch die Her­stellung einer perfekten Harmo­nie zwischen dem Indi­viduum und der Gesellschaft oder zwi­schen dem Menschen und der Natur. Er bedeutet auch weder das ›Ende der Ges­chichte‹ noch das Ende von Widersprüchen, die die mensch­liche Existenz charak­teri­sieren. Die Ziele, die von den Anhängern des Sozia­lismus verfolgt werden, sind ziemlich beschei­den: nämlich sechs oder sieben Wider­sprüche auf­zuheben, die seit Jahr­hun­derten mensch­liches Leiden im Massen­maß­stab hervor­gerufen haben. Die Aus­beutung und Unter­drückung des Men­schen durch den Menschen sollen ein Ende haben. Hunger und Ungleich­heit müssen für immer beseitigt werden. Die institu­tionali­sier­te und sys­tema­tische Dis­krimi­nierung von Frauen und von Rassen, von ethni­schen Gruppen und natio­nalen und religiösen Minderheiten, die als ›inferior› betrachtet werden, muss be­endet werden. Es darf keine wirt­schaft­lichen und ökolo­gischen Krisen mehr geben.« (Nach­zulesen in Per­spektiven der Linken, Hamburg 2000)

Diese Kern-Lehre des auf­geklärten Trotzkisten Mandel holt den blühenden Uto­pis­mus vom Himmel auf die Erde, doch der genaue Blick muss erkennen, auch dieser Prag­matismus über­fordert unsere bisherige Kultur­geschic­hte der Un­mensch­lich­keit derart, dass die Reali­sierung über­all, wo sie probiert wurde, misslang. Des Welt-Rät­sels Lösung sollte nicht in Theorien, sondern von jedem bei sich selbst gesucht werden. Sozia­listen werden gebraucht, nicht So­zia­lismus, vor dem die Leute Angst haben und davon­laufen. Es gab Gründe dafür. Zum Beispiel Erich Loest.



Soweit die neuste Botschaft aus Leipzig. Am 5. Dezember 2012 vermerkt Loest in einer Tagebuchnotiz vom 12. Oktober 2012:



Das ist gewiss freundlich gemeint von Erich, benötigt aber zwei kleine Korrekturen. Mit Wolfgang Leonhard gab es zwar zahl­reiche Gespräche, doch den von Loest zi­tierten Satz sagte Arthur Koestler zu Alfred Kantorowicz, wie mir sowohl Koestler wie Kanto berich­teten. Die zweite Korrektur braucht etwas mehr Platz, denn es ist plötz­lich wieder von Freund­schaft die Rede. Kurzum, es geht um die Wurst, und die heißt Verrat. Der dumme Verrats­vorwurf muss vom Tisch oder der Tisch bleibt umge­worfen. In Loest's Buch Prozess­kosten, Steidl-Verlag 2007, schildert er seinen Besuch bei Günter Zehm in der Hamburger Welt-Redaktion. Zehm zu Loest: »Eines Tages, unkte er, wird Zwerenz Sie verraten, wie er alle verrät; ich schüttelte den Kopf.« So auf Seite 265. Genau derselbe Loest auf Seite 279: »Zehm sollte recht behalten …« Nun verspüre ich wenig Lust, mich auf die letzten ideolo­gischen Kotz­brocken von Welt und Junge Freiheit ein­zulassen. Wer Details wissen will, findet sie in der 34. Folge unserer Serie: »Brief mit Vorspann an Erich Loest«. Zehm aller­dings, den Loest unkundig nach­plap­pert, hielt vor einigen Jahren die Laudatio auf Thorsten Hinz, alias Doris Neujahr, Träger des Gerhard-Löwenthal-Preises für Journa­listen und als Rechts­intel­lek­tueller eine Art Regiments-Flagge der im natio­nalen Sumpf dahin­dümpelnden Jungen Freiheit, wo er durchaus fleißig u.a. gegen Ernst Bloch vom Leder zieht, weil der, ach du Schreck, schon im 1. Welt­krieg vom Schweizer Exil aus Deutschland der Kriegs­schuld be­zich­tigte wie Karl Jaspers später in seinem Buch Die Schuld­frage, Piper Verlag 1945/46. Der ehemals heftig eifern­de Bloch-Schüler Zehm langte über Springers Welt bei der Jungen Freiheit an, zu deren Jubiläum wird der Pro­fessor Günter Z. mit Lob überhäuft: Glück­wunsch be­sonders für Pankraz. Zur zehn­jähri­gen Wiederkehr der Gründung der Wochen­zeitung JUNGE FREIHEIT spreche ich Ihnen meine Glück­wünsche aus. Sie gelten vor allem Pankraz, der stets brill­anten Kolum­ne meines Freun­des und unver­ges­senen Welt-Kollegen Prof. Dr. Günter Zehm. Herbert Kremp, Ex-Chef-Redakteur der Welt.
  So herzlich der eine Ex-Chef zum vormaligen Ex-Stell­ver­treter, der als Feuil­leton-Leiter, von 1977 – 1989 auch als stell­ver­treten­der Chef­redak­teur die Welt ver­zierte, 1981 die Holocaust-Reihe noch vor deren tv-Aus­strahlung eine Un­ver­schämt­heit nannte und forderte, dass der zu­ständige WDR-Redakteur die Sende-Gebühren aus eigener Tasche bezahlen solle.
  Noch ein Mal von Zehm zurück zu seinem Gut­glaubens­bruder Loest, der mich 2012 in der LVZ wieder als Freund defi­nierte – ja, was denn nun, bin ich Freund oder Ver­räter? Hier eine Erin­nerung an die Freund­schafts­zeiten:

Brief an Erich Loest (1982)

Es Ist nun ein Vierteljahrhundert her,
dass die Partei uns entfernte.
Der Sozialismus schloss die Tore.
Wir saßen davor und streikten.

Ich ging von Berlin zu Fuß nach
Leipzig und klingelte; Du öffnetest
die Tür. Ich war gekommen, mich in
den Westen zu verabschieden.

Geh mit, Freund, Genosse kalter Tage.
Du bliebest. Ich schlich zu Fuß
nach Berlin. Dich brachten sie
für runde sieben Jahre in Bautzen unter.

Das ist nun ein Vierteljahrhundert
her. Von Bautzen über Leipzig gingst
du nach Osnabrück. Hinter uns hält
der Sozialismus seine Tore geschlossen.

Wir schreiben Briefe, telefonieren
und treffen einander hier und dort.
Reden über Kar! May und das Romaneschreiben,
Daraus kann uns niemand vertreiben.

Was sind schon 25 getrennte Jahre.

(Die Venusharfe, Knaur, München 1985)





SED-Beitrag zur Soziologie der Spinnen (Zoom per Klick)

Nach dem Brief in Versen von 1982 erschien 2008 im poetenladen die 34. Folge »Brief mit Vorspann an Erich Loest«, der ohne Antwort blieb. Ein Satz aus dem Text: »Es führt kein Weg zurück.« Aus der Geschichte kennt man Rechts- und Links-Hegelianer – gibt es Analogien zu Bloch-Schülern? Oder bei Leipziger Schrif­tstellern. Zum Wechsel­wähler der Wechseldenker. Ich spreche nicht von Verrat – es sei denn, der Einzel­fall macht über Loests stupende Unge­nauig­keit Schule. Da könnte nur Nach­sitzen helfen. Bleibt der Fall Paul Fröhlich – er starb einen schwe­ren Tod. Dabei kannte die Partei gar keine rache­durstigen Erinnyen. Der SED-Chef Fröh­lich, erst junger Kom­munist, dann Feld­webel der Wehr­macht, wird für seine krimi­nelle Stalin­treue von Walter Ulbricht nach Ber­lin ins Polit­büro berufen, wo er Ulbricht treu dient und später all­zeit dienst­be­reit an Honecker verrät. Hier ein fakten­reiches Zitat des Leipziger Hist­orikers Prof. Werner Berthold:



Dies und mehr über Wieland Herzfelde, seinen Bruder John Heartfield und ihre Verfolgung durch Paul Fröhlich sowie Siegfried Wagner ist nach­zulesen in Uni­versität im Auf­bruch, Leipzig 2001. Die ganze Geschichte war mir, als ich 1974 in Der Wider­spruch darüber berichtete, nicht mit all ihren Hinter­gründen und Facetten b­ekannt. Ich sah nur die Tragik, soweit ich sie mit­erlebte und so er­schüt­tert wie ohn­mächtig zusehen musste, wie Wieland Herzfelde erbleichte, nachdem er mich in der Leipziger Kongress­halle verteidigt hatte und dafür gescholten und bedroht wurde. (Der Wider­spruch, Kapitel 18: »Die Antwort der Städte«)
  Kaum hatte ich am 30. Januar 1957 in der Leipziger Kongress­halle die fäl­lige Selbst­kritik abge­lehnt und statt­dessen so stolz wie verängstigt mein Gedicht Die Mutter der Freiheit heißt Revo­lution vor­getragen, erhielt ich eine Vor­ladung zum Gerichts­prozess gegen den inhaf­tierten Günter Zehm. Das war der aller­letzte Warn­schuss. Um nicht aussagen zu müssen blieb nur die Flucht westwärts. Der­jenige, den ich schützte, präsentierte Loest Jahr­zehnte später gegen mich ge­zielte Ver­rats­vor­würfe. Der tiefere Grund für all das intri­gante Geschwätz des kar­riere­be­ses­senen Welt-Journalisten Zehm ist meine Weige­rung, mit seines­gleichen gemein­sam von links nach rechts zu mar­schieren. Schon bei dem Gedanken wird mir speiübel. Es gibt existentielle Distanzen.
  Das soll so nicht stehenbleiben und ver­wittern. Benötigt wird die De­kon­struk­tion der falschen Fabel und eine neue Geschichte. Zuvor noch eine Prise Wehmut, in aller Mutter­lands­liebe wieder­holend aus Die Venusharfe von 1985 zitiert:

Nie mehr ganz zurückgekommen

Zu Leipzig, wo ich saß
Auf universitärem Feuerstuhl.
Neban in Auerbachs Keller
kochte Faust im Pfuhl.

Und in der Mensa zu Mittag
saß Goethe selbstvergessen.
Mit warzigem Gesicht hat er
Leipziger Allerlei gefressen.
Der Frankfurter Böselwicht.

Nachmittags zu Hansel Mayern
in den Hörsaal 40.
Neue Deutsche Literatur aus
dem westlichen Bayern.
Ja, was sich liebt, das irrt sich.

Am Abend draußen bei Bloch.
Harich noch unverdorben.
Kantorowicz mit einem Wutanfall.
Am Himmel droben roter Düsenknall.

Ganz sachte dampfte die
Rote Kriegsflotte der
jungen Republik über die Pleiße.
Schiffe auf Scheiße.

Am staatlichen Literaturinstitut
hockte Kurella, Brecht verdächtigend.
Ein kluger Kopf. Mit der Seele
in Stalins Schließmuskel nächtigend.

Erich Loest schrieb Romane
zwischen Völkerschlachtdenkmal
und Deutscher Bücherei. Poesien?
Für 7 Jahre nach Bautzen ziehen.

Sozialismus? Sozialkismet. Somißmuß
Kommunismuß. Conrad Reinhold,
immerhin, überlebte den Refrain.
Starb erst in Krankfurt am Main.

Mann, ich kann kaum zählen, wie
viele in den Bau gingen, wie
viele über Nacht vergingen
Oder sich sozialistisch aufhingen.

Irgendwann sah Old Bloch mich an,
hustete, räusperte sich, knurrte:
Sie kommen mir vor wie ein Mann,
der schon dreimal verbrannt wurde.

Da, dacht' ich, s' ist an der Zeit,
bevor du das vierte Mal brennst,
sagst artig du Tschüs. Stehst
auf und rennst.

Wir waren inzwischen ihrer drei.
Ingrid und ein Frischling dabei.
Vom Sozismuß gab's Hiebe.
Dagegen setzten wir Liebe.

Ab ging die Post ins Ungewisse.
Auf dass keiner mir mehr eine
Fahne hisse übers Himmelbett.
Die Seele? Steif wie'n Brett.

Mann, o Mann, das wär' kein Leben.
Sich von einer Partei der andern
Ergeben. Und immer Fahnen! Und
Helden hinab zu den Ahnen.

Im Westen gleich wieder gegen die
Bombe gehetzt. Im Osten Antikommunist.
Im Westen Moskaubube. Und immer verletzt.
Und nette Menschen in der guten Stube.

Irgendwann später schrieb ich Böll:
Nach der Entfernung von der Truppe,
Warschau, August 44, von Roten gefangengenommen,
bin ich nie mehr ganz zurück­gekommen.


Was sollen die alten Geschichten, wird gefragt. Nun ja, 100 Jahre Völker­schlacht-Denk­mal, 200 Jahre Völker­schlacht, 500 Jahre Luthers Thesen sind auch nicht ganz von heute. Damit ver­glichen sind wir absolut up to date. Rot oder schwarz ist das die Frage? Dem­nächst mehr zum Loest-Konflikt.
Gerhard Zwerenz    21.01.2013   

 

 
Gerhard Zwerenz
Serie
Zwischenberichte
  1. Zum Jahreswechsel 2012/13
  2. Ins Gelingen oder Misslingen verliebt?
Nachrufe
  1. Es herrscht jetzt Ruhe in Deutschland
  2. Wer löst den Loest-Konflikt?
  3. Wo bleibt die versprochene Reformdebatte?
  4. Wortgefechte zur Linken und zur Rechten
  5. Küsst die Päpste, wo immer ihr sie trefft
  6. Wir Helden auf der immer richtigen Seite
  7. Ein Versuch, Stalingrad zu enträtseln
  8. Der Übermenschen letzter Wille
  9. Hitlers Rückkehr als mediales Opiat
  10. Von Leibniz zum tendenziellen Fall der Profitrate
  11. Vom langen Marsch den 3. Weg entlang
  12. Das Kreuz mit den Kreuzwegen
  13. Gibt es Marxismus ohne Revolution oder ist Marx die Revolution?
  14. Unser Frankfurter Rundschau-Gedenken
  15. Meine Rache ist ein dankbares Lachen
  16. Drei jüdische Linksintellektuelle aus dem Chemnitzer Marx-Kopf
  17. Aufmarsch unserer Kriegs­verteidigungs­minister
  18. Vom Linkstrauma zur asymmetrischen Demokratie
  19. Gauck wurde Präsident. Bloch nicht. Warum?
  20. Vorwärts in den Club der toten Dichter 1
  21. Der Mord an der Philosophie geht weiter
  22. Nie wieder Politik
  23. Abbruch: Erich Loests Fenstersturz
  24. Statt Totenklage Überlebensrede
  25. Philosophie als Revolte mit Kopf und Bauch
  26. Das Ende der Linksintellektuellen (1)
  27. Das Ende der Linksintellektuellen (2)
  28. Leipzig leuchtet, lästert und lacht
  29. Briefwechsel zum Krieg der Poeten
  30. Die Urkatastrophenmacher
  31. Abschied von der letzten Kriegsgeneration?
  32. Konkrete Utopien von Hans Mayer bis Joachim Gaucks Dystopien
  33. Vom Leben in Fremd- und Feindheimaten
  34. Was wäre, wenn alles besser wäre
  35. Von Schwarzen Heften und Löchern
  36. Die unvollendete DDR als Vorläufer
  37. Auf zur allerletzten Schlacht an der Ostfront
  38. »Der Mund des Warners ist mit Erde zugestopft«
  39. Die Internationale der Traumatisierten
  40. Fest-Reich-Ranicki-Schirrmacher – Stirbt das FAZ-Feuilleton aus?
  41. Grenzfälle zwischen Kopf und Krieg
  42. Linke zwischen Hasspredigern und Pazifisten
  43. Wahltag zwischen Orwell und Bloch
  44. Botschaft aus dem Käfig der Papiertiger
  45. Ernst Bloch und die Sklavensprache (1)
  46. »Weltordnung – ein aufs Geratewohl hingeschütteter Kehrichthaufen«
  47. Frankfurter Buchmesse als letztes Echo des Urknalls
  48. Autobiographie als subjektive Geschichtsgeschichten
  49. Die Sprache im Käfig und außerhalb
  50. Tage der Konsequenzen
  51. Oh, du fröhliche Kriegsweihnacht
  52. Merkel, Troika, Akropolis und Platon