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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung

Die Sächsische Autobiographie, in­zwischen ungetarnt offen als authen­tisches Auto­bio­gra­phie-Roman-Fragment – weil unab­geschlos­sen – defi­niert, besteht bis­her aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nach­rufe & Ab­rechnung.
  Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philo­sophen nennen das coinci­dentia opposi­torum, d.h. Einheit der Wider­sprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  Nachrufe & Abrechnung 25

Philosophie als Revolte mit Kopf und Bauch

   

Predigte Nietzsche für Büffel oder für Kriegshelden?
Zaratustra: „So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges.“



Nicht das Denken des Denkers bestimmt seine Wirkung, sondern der Aggre­gat­zu­stand, in dem die Gedanken beim Leser als Konsu­menten ankommen, nachdem sie ein Netz­werk von Zer­störungen durch­liefen. Die erste Ver­formung resultiert aus dem univer­sitären Zu­stand des Massen­betriebs, das Ver­hält­nis von Lehrer und Schü­ler, im Ideal­zustand eins zu eins, als Maxi­mum höchs­tens eins zu zehn, ist durch unbe­grenzte Aus­weitung völlig ent­stellt. Die Ver­mitt­lung per Buch krankt, dies als zweites, am Waren­charakter, und drittens endlich: die Weiter­gabe, so sie statt­findet, bedient einen Medien­markt, der das zu Ver­mitteln­de zurichtet, indem er seinen Ver­dau­ungs­prozess da­zwischen­schaltet. Das Resul­tat stinkt ent­sprechend. Endlich fallen, soviel viertens, die Re­fle­xions­resul­tate der scharf­sinnigsten Denker den Ver­unstal­tungen der jeweils herr­schenden Mächte anheim, wie die Vor­gänge Marx, Nietzsche, Bloch exem­pla­risch beweisen.
  Von den Feinden abgesehen lügen auch die Freunde, so wurde der ewig malade Nietzsche als Soldat in beiden Welt­kriegen auf­geboten, Marx von der prole­tari­schen Diktatur zum Spruch­band redu­ziert und Bloch endlich von Stalins wie Hitlers Genos­sen & Kame­raden je nach Si­tuation belohnt oder bestraft.
  Fünftens geistert Philosophie als erneuerter Mythos durch die Köpfe, so dass von einer mythogenen Philo­sophie gesprochen werden muss, die nicht im ur­sprüng­lichen Sinne von Kul­tur und Religion mythen­stif­tend und -bildend wie de­kons­truie­rend wirkt, sondern per Defor­mation. Wenn Lukács die aphoris­tische Schreib­weise Nietzsches als anti­auf­kläre­risch, doch durch­aus unter­haltsam ver­übelt, trifft er nur einen Teil, denn das subjektive Poten­tial des modernen Den­kers ent­scheidet ledig­lich über dessen Ver­wer­tungs­mög­lich­keiten. Hegel zu zi­tieren schei­tert leicht an dessen epischer Schwer­fällig­keit, ist also höchs­tens Nachweis von Gelehr­sam­keit, Nietzsche zu zi­tieren weist den Zitie­renden eben­falls als klugen Kopf aus, und zu­gleich als artis­tischen Jongleur, der es so oder so dre­hen kann, wie Nietzsche es per­fekt hand­habte, denn im Zara­thustra steht: »Zu­schauer will der Geist des Dichters: sollten's auch Büffel sein!«
  Kein Zweifel, hier sagte der Dichter Nietzsche seine eigene Zukunft als Büffel voraus und zugleich unsere heutige tv-Kultur, in der selbst Meister­denker noch ins Denk­muster zufäl­lig dienst­haben­der Mode­rato­ren über­setzt und der fernste Zu­sammen­hang per Digi­tali­sierung hergestellt werden kann. Die Elite des Volks der Dich­ter und Denker wähnt sich end­lich bei seinen Kultur­größen ange­kommen. Die ma­schinell potente Medien­macht wird als kultu­reller Fort­schritt akzep­tiert, der brav dem eigenen Finger­druck gehorcht. Dabei zappt und zappelt der Medien­kon­sument in einer Gemen­gelage wie der Mensch des frühen Mittel­alters in seinen reli­giösen Himmels- und Höllenmythen.


  Marx schrieb 11 Feuerbach-Thesen,
Bloch die 12. „Es kommt darauf an,
sich zu verändern.“
(inklusive der Büffel)


Soviel zur palavernden Postmoderne. Und soviel zur letzten Revolutions-Philo­so­phie: In den zweiund­vierzig Seiten »Welt­veränderung oder die elf Thesen von Marx über Feuer­bach« im ersten Band Das Prinzip Hoffnung sagt Bloch alles, was sagbar war, inklu­sive dessen, was die Partei nicht hören wollte. Wer den Text ernst nimmt, stößt auf Konter­bande. Blochs Partei­feind­lich­keit, Ende 1956 mit gewal­tigem Ge­töse entdeckt und zum Lehrverbot füh­rend, war 1954 in Band eins des Haupt­werkes längst als Leip­ziger Zusatz einge­schmug­gelt worden. Aller­dings ver­schlüs­selt. Der Distan­zierung, die Marx gegen­über der Philo­sophie an den Tag legte, wird per ziel­bewuss­ter Rela­tivie­rung zuge­stimmt. Zog die Ortho­doxie aus der 11. These den Schluss, die Philo­sophie sei beendet, ver­schiebt Bloch die Be­deutung, indem er nur die bis­herige Philosophie als an einem Schluss­punkt ange­langt erklärt und damit Platz für seine eigene schafft. Die Gegner, die es ihm als Revi­sionis­mus ver­übel­ten, hatten vom ortho­doxen Standpunkt aus ge­sehen recht und pole­misierten guten Glau­bens im heiligen Zorn gegen Ketzer. Wobei sie ver­bissen ein untaug­liches System verteidigten, das zum Nieder­gang führen musste.
  Genau betrachtet zeigt sich, Bloch akzeptiert die 11. Feuer­bach-These im Sinne von Marx, der sie für sich als tak­tische Leit­schnur for­mulierte. Marx kannte sich als Hegelia­ner aller­dings in der Philo­sophie, wie bereits seine Disser­tation erweist, zu gut aus, als dass er sie hätte etwa in toto verwerfen kön­nen. Eine über die revolu­tionäre Situa­tion hinaus­ge­hende Ver­nach­lässigung der Phi­lo­sophie oder gar ihre völlige Miss­achtung hätte, wie er genau wusste, end­zeit­liche Konse­quenzen. Nach der Nieder­lage des Leninismus von Stalin bis Jelzin und Gor­batschow ist es soweit. West folgt nun Ost nach.

»Befinden wir uns etwa am Vorabend eines neuen globalen Krieges? Ähnelt die Situa­tion heute der vor hundert Jahren, als die Staatsmänner der Welt schlaf­wandelnd der Urkatastrophe von 1914 bis 1918 ent­gegen­taumelten?« So schick­sals­ergeben beginnt Stephan Löwenstein in der FAZ vom 9. Oktober d.J. seinen Artikel »Der Weg in die Ur­katas­trophe«, womit er sich auf den hervor­ragend strit­tigen Titel Die Schlaf­wandler des Histo­rikers Christopher Clark bezieht. Wie war das also, ist allein das Kaiser­reich oder sind auch die anderen betei­ligten Staaten in den 1. Weltkrieg geschlaf­wan­delt? Deutsche Allein­schuld ja oder nein? Fragen wir nicht national be­schränkt, son­dern offen revo­lutionär: Was hätte sich ereignet, wäre die deu­tsche So­zial­demokratie als stärkste Partei der Zweiten Inter­nationale 1914 ihren Friedens­schwüren treu ge­blieben statt per Burgfrieden den Krieg mitzu­führen? Statt Schlafwandel kalkulierter Verrat an allen pazifistischen Ideen. Die Urkatastrophe dauert in den Köpfen bis heute an. Die FAZ hält in der gleichen Ausgabe sogar ein Trostwort bereit:»Priester­rat in Limburg will Bischofs­rücktritt.« Das erinnert verbal ein wenig an die Arbeiter- und Soldaten­räte der Jahre 1917/18.

Postkulturell eindimensional

Wenn jeder nur noch seinen Job tut
steht das Ende bevor.
Auch wer keinen Job hat
tut ihn und sonst nichts.

Die einen blicken ins Buch und
blicken auf und sagen Marx.
Die andern blicken in den
Himmel und sagen Jesus Christus.

Wissenschaftler sind mit der
Natur beschäftigt bis sie aufhört
Juristen sorgen für das
Recht der Stärkeren.

An den Börsen werden Gewinne
maximiert. Die Kosten tragen
die Schwächeren. Regierungen
verwalten die Schulden.

Wer einen Job hat ist gut
gelagert. Es läuft wie geschmiert
Wer keinen Job hat hofft auf
das Ableben der anderen.

Sobald eine Stelle frei ist
Wird sie nicht neu besetzt
Irgendwo stehen ein paar einsame
Idealisten: Da war doch mal was?

Wenn sie erst einen Job ergattert
haben fragen sie nicht mehr.

Stellen wir uns die Zeit nicht als linearen Verlauf vor, vielmehr als Punkt, in dem alles versammelt ist – gefrorene Zeit. Abraham und Obama, Jesus und Napoleon, Karl der Große und Eva Braun auf Tuch­fühlung. Allein die Historiker bestimmen den Unterschied, und immer anders, wie der Zeit­geist, also die Macht­haber, es wollen. Kurzum, wird die Zeit dekons­truiert, erscheint sie nackt wie der Kaiser von China oder sonstwo. Stephan Löwenstein in der FAZ vom 9. Okto­ber: » …Europa soll intel­lektuell nicht in die Front­stel­lungen von 1914 zu­rück­fallen.« Als hätte es die jemals verlassen. In seinen alten Schützen­gräben hockt Europa eis­zeit­lich einge­froren.

Wir sprechen immer noch von Erich Loest, der die Überlebenden nicht per Freitod von sich befreit. Trotz aller Zuwen­dungen blieb er bis zuletzt unver­söhn­lich. Da fehlt eine Stimme. Sie war für mich seit 1953/54 hörbar, auch wenn sie schweigen musste. Seine Leip­ziger Bücher galten der Stadt. als hätte er ihr mehr zu ver­danken. Sein rabia­ter Fens­ter­sturz setzt als Ende der Rückkehr eine Zäsur, mit der die Stadt an der Pleiße vom Mo­dell zum Ort eines Duells wurde. Ein Poli­tiker, der gegen Erich antrat, wusste nicht, wen er heraus­forderte. »Es gibt eine Dif­ferenz zwischen Schrift­stel­lern, die aus Schmerz und Schock und Zwang heraus ar­beiten, und den vielen anderen, die lieb­lich, heiter und unbe­schwert sich äu­ßern als feuil­letonis­tische Traum­tänzer oder post­moderne Äqui­libris­ten und Akro­baten.« (Skla­ven­sprache und Revol­te Seite 239) Loests Verfolger, ein polit­krimi­neller Kar­rierist, schaff­te es mit seiner Jagd bis ins SED-Politbüro. Erich Loest, hor­ribile dictu, machte Karl Marx dafür mit­verant­wort­lich. Daraus eskal­ierte Uni­ver­si­täts- und Stadt­historie.
  Inzwischen fließt der Strom der Welt­geschichte weiter. Letzte Neuigkeit unserer Zeitung von den Ufern des Main: »Im Osten rechnen Schüler besser als im Westen.« Stammt also der Re­chen­stift aus dem Osten oder sind die Lehrer dort drüben von der umtrie­bigen Stasi gedrillt worden? Die FAZ am 12. Okto­ber im Leitartikel: »Der Osten leuchtet«. Das ist uns Ostlern nicht so neu wie den reichen Onkels im schrä­gen Westen, der laut unserer Gewerk­schafts-Verdi-Zei­tung Publik »Vor dem Kollaps« steht. Die enorme Schlag­zeile, nur auf Kran­ken­häuser gezielt, signa­lisiert je­doch das ganze Leiden im Detail: »162.000 Voll­zeit­kräfte fehlen in Deutsch­lands Kliniken, das Pflege­personal ächzt unter ständiger Über­lastung …« Da hilft weder Politik noch Philo­so­phie weiter. Es mangelt an Geld in den Kassen, die Herr­schaf­ten können nicht rechnen, obwohl Merkel plus Gauck aus dem Osten stammen. Keine Angst. Bange­machen gilt nicht. Die FAZ baute schon am 10.10.2013 vor: »Immer mehr Mil­lionäre in Deutsch­land« – die können im Westen offenbar rechnen.


Das Quartett der Auf­klärer und keiner ohne Gegner, die äußern sich so: Gegen Koper­nikus: Und die Bibel hat doch recht. Gegen Darwin: Wir Affen stammen nicht vom Men­schen ab. Gegen Freud: Freud­los sei der Mensch und nicht geil. Gegen Marx: Als Stalin wieder­geboren brach­te er unseren ge­liebten Adolf Hitler um die Ecke.



Kopernikus entmystifizierte das astro­nomische, Darwin das biologische Weltbild, Freud das psycho­logische Menschen­bild, Marx unser Wissen von der Gesellschaft. So etwa heißt es in aufgeklärten Kreisen. Alle vier Pionierleistungen stießen – stoßen auf Feindschaft. Die Marxsche Kapital-Dekon­struktion aber teilt die Kultur des Abend­landes wie einst der Dreißigjährige Krieg Europa zwischen Katho­liken und Protes­tanten. Was aber ist ein dreißigjähriger Krieg von 1618 bis 1648 im Ver­gleich mit dem hundert­jährigen Welt­krieg, der 1914 begann und 2013 bei weitem nicht enden wird. Das 1913 in Leipzig einge­weihte Völker­schlacht­denkmal verweist auf Napoleons Nieder­lage 1813 an der Pleiße zurück. 1914 begann der neue – erste –Weltkrieg mit dem fortwirkenden Friedensverrat der Sozial­demokratie an ihren Antikriegsschwüren. Der Rest sind große Koa­litionen und ein linker Wider­stand, der auf der Kippe steht.

Loest in Durch die Erde ein Riss, Seite 298/99: »Er gehörte jetzt der Partei­gruppe des Schrift­steller­ver­bandes an und referierte im Partei­lehr­jahr über Hegels Ästhe­tik  … Friedlich-freund­lich saßen sie bei­sammen und ließen sich er­klären, was Zwe­renz bei Bloch gelernt hatte …« Das war 1956/57 und um sie herum wurde es immer unfriedlicher. Hegel diente als marx­gehei­ligter Schutz­schild. Ich hatte gerade mein Bändchen Arist­ote­lische und Brecht­sche Dramatik hinter mir und bei Aris­tote­les den Anti­gottes­be­weis ent­deckt, den es bekannt­lich wie den Gottes­beweis gar nicht gibt. Unter­scheiden wir aber Einzelnes und All­gemei­nes, verlockt das All­gemeine, ist es nicht in seinen Einzel­heiten nach­weisbar, zum Glauben. Gott ist, wie die Partei, die höchste denk­bare Allge­mein­heit, also musst du daran glauben oder die Folgen deines intran­sigen­ten Unglaubens tragen. In der Kind­heit hatte ich 1933 lernen müssen, unsere ver­folgten Bücher erst zu ver­schweigen und später zu verbergen. 1956 lernte ich die Kunst einer Sklaven­sprache, die den­noch keine Lüge ist, also auf dem Hacke­beilchen zu balan­cieren riskiert.
  Mehr über die Philosophie der Differenz, die lange vor den neuen, inzwischen veralteten Pariser Meisterdenkern aus dem Osten kam:

Nachwort 35: Die Philosophenschlacht von Leipzig  externer Link
Nachwort 36: Dekonstruktion oder das Ende der Verspätung ist das Ende  externer Link
Nachwort 46: Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I  externer Link

Damit ist die Verallgemeinerungsfähig­keit der Sprache als ewige Kriegs­ur­sa­che noch nicht hin­reichend aufgeklärt. Macht, Religion, Wirtschaft werden ständig arti­kuliert. Der Begriff, im Wort verpackt und geheiligt, erhärtet zur tödlichen Waffe, mit der Anders- und Un­gläubige zu bekämpfen sind, bis sie dran glauben müssen.

So saßen wir inmitten Europas am Pleißenufer vorm Reichs­gerichts­koloss herum und for­derten die Götter heraus. Unser Leipziger Modell bestand aus einer Gruppe von Jüngern mit Ernst Bloch als atheistischen Juden, der den Jesus als Revo­lutionär gab mit Thomas Münzer als Pseudonym. Zu den anfangs elf Bloch-Jüngern gesellten sich aller­lei andere, bis die Obrigkeit donnerte und Walterchen von Berlin aus Blitze schleu­derte. Dieses Proto­koll notiert die Gestalten. Der eine blieb am Ort, wurde Professor, schrieb Bücher und Dramen, Szenarien für Fernseh­filme, erwies sich als zu sensibel und verstarb an der Einheit. Der andere hatte nur die Hälfte der Haftzeit von Loest abzubüßen, entfloh in den Westen, machte hohe Karriere in Springers Welt und bewarf Ernst und Karola Bloch samt Freunden mit Schlamm als ginge er beim Hassprediger William S. Schlamm in die Lehre. Außer­dem wurde er Doktor und Professor und beliefert noch immer das Exzellenz­blatt Junge Freiheit mit hurtigen Leit­artikeln. Über andere Biographien sind im www.poetenladen.de an den ent­sprechenden Stellen die dramaturgischen Details vermerkt. Old Erich und Old Gerhard bilden dazwischen die Modell-Duell-Gruppe, von der ich am meisten weiß, weil – aber lassen wir das.
  Heute, am 11.10.2013 lässt der uns sitt­sam und satt­sam be­kannte FAZ-Meister­feuil­letonist Lorenz Jäger jenen Prof. Dr. Gün­ter Zehm zu dessen 80. Geburtstag hoch und höher leben. Wir ge­dachten des Jubilars bereits vor wenigen Sätzen, die Junge Frei­heit wird ihn staats­brief­lich wie die FAZ gebüh­rend zu feiern wissen. So steht er als statua­rischer Rechts-Außen-Blochianer in der Gegend herum wie anderseits der jüngst dahin­geschie­dene Prof. Hans Heinz Holz als Hegel-Lenin-Stalin-Proselyt im Viererpack. (Nach­wort 33) Gestern wurde wieder ange­fragt nach der Anzahl der in den – bisher – 3000 Seiten dieses Buches Genannten, vorab­gedruckt als Überlebens­serie im www.poetenladen.de Leipzig. Es sind wohl mehr als tausend Personen, und wer bei uns nicht vorkommt hat falsch gelebt und wird von den staats­parteihörig diplomierten Märchen­erzählern zu jener Masse einge­stampft, aus der sie ihre unsterblichen Werke schöpfen. Mehr über die Masse bei den Kollegen Schopen­hauer, Le Bon, Julien Benda, George Orwell …

Mit Jürgen Habermas ließe sich unser Leipziger Oppositions­modell als versuchte kom­muni­kative Inter­aktion bezeichnen. Leider wusste das die Partei nicht. Nehmen wir statt Partei das weniger abstrakte Politbüro. 22 Männer und 1 Frau präsen­tieren sich. Die halbe Gruppe war der Verfolgung 1. durch Hitler und 2. durch Stalin gerade noch so entkommen. Keine deutsche Obrigkeit hat mehr zu bieten. Warum also liefer­ten sie nichts Bes­seres von Bestand? Fehlte wohl ein Habermas als Ratgeber. 22 Genos­sen und 1 Genossin zwischen den Nach­kommen Hitlers und Stalins einge­klemmt. Ihnen fehlte es an Kapital und Freiheit. Selbst an Freiheit zum Marxis­mus. Ihr Versuch schei­terte. So besiegten die West­nachkommen die Ost­nachkommen. Bleibt die Aus­nahme Willy Brandt – SAP/SPD,

Aber:
Ich bin der Pfahl im Fleisch der
SPD, sagte die Frau Links. Die
SPD sprach: Ich kenne dich nicht. Antwortete
die Frau Links: Du wirst
mich schon noch kennenlernen
wollen, begegnen wir uns erst
Unter den Linden.

Unsere deutsche Sozialdemokratie ist auf ihre alte Kriegsdevise Noske statt Marx zurückgerastet. Das Land wird dominiert von Macht­menschen und jenen Neonihilisten-Kompanien, die nur darauf lauern, sich den Macht­menschen an­zu­schließen. Im Inneren der Volksseele und zensiert von ihren Ver­führern läuft die kommunistische Tragö­die ab. Was fortexistiert, ist unser verborgenes Bloch-Land. Denn der Wunsch nach linker Ein­heit ist bloße romantische Sehnsucht, solange Sozial­demokraten sich weigern, Tote, die sie auf dem Kerbholz haben, ehrlich zu betrauern und offen zu bereuen; nicht anders die Kommunis­ten, denen es noch schwerer fällt, die von ihnen verschul­deten Opfer über den eigenen Toten nicht zu vergessen, zumal die Reihe der Täter von Noske bis Hitler auch Stalin und seine Henker einbeziehen muss. Wie da gerecht und aufrecht blei­ben?
  Erich Loest in Durch die Erde ein Riss: »Leipzig sog er auf, Leipzig sog ihn auf.« Und hob ihn auf und zog ihn hinab. Walter Ulbricht und sein Feldwebelkoch Fröhlich hatten einen Schriftsteller in den Bau geschickt, der sich siebeneinhalb Jahre später - kein einziger Tag war ihm erlassen worden – so ungebrochen an seine Schreibmaschine setzte, wie er sie verlassen hatte. Mit einem Unterschied. Er war jetzt, wie einst Dostojewski, schwer traumatisiert. Von diesem Trauma der Einsamkeit, von der Verlassenheit des Häftlings wird noch zu reden sein.


Für den 22.10.2013 lud die Bundesstiftung zur Auf­arbeitung der SED-Diktatur nach Berlin zur Veran­staltung »Pershing II und SS-20« ein. Erläu­terung: »Eine massiv verschärfte Rüs­tungs­politik offen­barte zu Beginn der 1980er-Jahre das Herauf­ziehen eines ›zweiten Kalten Krieges› zwischen den Super­mächten. Die Stationierung neuer sowjetischer Mittel­stre­cken­raketen (SS-20) und die von der Bunde­sregierung Schmidt initiierte Reaktion der NATO mit ihrem ›Doppel­be­schluss‹, der dann von der Bundes­regie­rung Kohl realisiert wurde, erhöhte die Span­nungen zwischen den poli­tischen Blöcken, zugleich regte sich Widerstand.«


Immerhin wird hier die Konflikt­verschärfung und Schmidt/Kohls fleißiger Anteil daran benannt, wenn auch ziemlich verlegen und verschämt. Es regte sich gar Widerstand in West wie Ost. Wie schön. Ein­ladungen der Bundesstiftung liegen oft im Brief­kasten und gehen uns als fromme Staats­papiere selten etwas an. Im November 2006 gab's per Programm eine Einladung zur Dis­kussion mit Erich Loest. Über­rascht fuhren wir nach Berlin. Doch Erich weigerte sich, mit Ingrid und mir gemeinsam auf dem Podium zu sitzen. Einen Hände­druck zur Begrü­ßung rang er sich gerade noch ab. Die Diskus­sion mit anderen endete irr­lichternd kurz vor Mitternacht.

Über den www.poetenladen.de ging uns am 15.10. eine E-mail-Bot­schaft aus Zürich zu: »… unbe­dingt muss ich mich bei Ihnen bedanken: Ich lese und lese Ihre Vertei­digung Sachsens, und es ist eine aufklärende Wohltat sogar im Bezug auf mich selbst, nachdem ich schon dachte, ich sei der heimat­loseste der Heimatlosen. Ich wusste gar nicht mehr, dass ich doch im Gymnasium in den siebziger Jahren mal so etwas wie ein Blochianer geworden war.
Herzlichen Dank – Thomas Hannibal, Zürich«
  Herzlichen Gruß nach Zürich. Blochianer finden sich als Sympa­thisan­ten über Grenzen hinweg und bleiben nie ohne Heimat, es sei denn an den vier Tagen im Oktober 2013, als Leipzig sich darin gefiel, das dumpfe blut­rünstige Völker­schlach­ten von 1813 in Echtzeit nach­zuäffen. So dauert die Echtzeit diverser Konter­revolu­tionen europa- und weltweit bis heute an.
  Die Germanis­tin Dr. Waltraud Seidel, nach der Vereinigung von der Leipziger Karl-Marx-Uni­ver­sität ins Alten­burger Um­land ver­schla­gen, mailt zu den fatalen Zi­taten Sieg­fried Wagners im Nachruf 24 : »Danke für die heutige „Über­lebens­rede“. Was „dieser Zwerenz“ aber auch immer dem Sieg­fried Wagner für Ärger machen musste! Bernd-Lutz Lange nennt ihn eben­falls, mehr aber Paul Fröh­lichs Machen­schaften in den sechziger Jahren, vor allem nach dem 11. Ple­num (Dez.65), als die Hetz­tiraden gegen Kunst und Kultur den „großen Bruder“ ablenken sollten von den geringen Ungehor­sam­keiten im wirt­schaftlichen Bereich. Kann nur gering gewesen sein, sonst hätte sich Erich Apel nicht das Leben genommen.«


Frau Seidel zieht den Trauerflor von Loests Freitod (?) bis zum Suizid Apels durch. Auch das ein Stück DDR-Geschichte. Paul Fröh­lichs Worte und Taten zählen zu den Ursachen des Miss­lingens. Loest wenige Wochen vor seinem Todes­sprung: »Ich kann nicht ver­gessen und will es auch nicht … Meine alten Geg­ner haben gesiegt.« Der nach Leipzig zurück­ge­kehrte Schrift­steller so erfolg­reich wie unheilbar depressiv? Auf ein Wort, Erich, das kann doch nicht wahr sein. Seine Antwort vom Karl-May-Forum aus dem Himmel der Poeten: Der Kampf geht weiter, Howgh – ich habe ge­sprochen … Erich tritt zur Seite. Flink ergreift Karl May das über­dimen­sionale Himmelshandy: Eure DDR er­innert mich ans Inka-Reich. Immer besiegt und trotz­dem alle Zeiten über­dauernd – Zwischen­ruf Loest: Der May-Karl, ist er etwa auch ein Marxist? Und Karl May flott wie immer: Liebe deine Indianer wie dich selbst. Twitter vom Politbüro der Hölle: Lenin hinterließ uns eine Welt­revo­lution und ihr habt sie ver­schis­sen! Mit Blitz und Donner – im Auf­trag des Ge­nossen Stalin – Paul Fröh­lich, vormals Leipzig. Protest­ruf von Petrus am Himmels­tor: Wo bleibt, ihr Genossen Erz­engel, eure Revol­te mit Kopf und Bauch? Es klingt als sänge er die Inter­natio­nale oder Eine feste Burg ist unser Gott …
Gerhard Zwerenz    28.10.2013   

 

 
Gerhard Zwerenz
Serie
Zwischenberichte
  1. Zum Jahreswechsel 2012/13
  2. Ins Gelingen oder Misslingen verliebt?
Nachrufe
  1. Es herrscht jetzt Ruhe in Deutschland
  2. Wer löst den Loest-Konflikt?
  3. Wo bleibt die versprochene Reformdebatte?
  4. Wortgefechte zur Linken und zur Rechten
  5. Küsst die Päpste, wo immer ihr sie trefft
  6. Wir Helden auf der immer richtigen Seite
  7. Ein Versuch, Stalingrad zu enträtseln
  8. Der Übermenschen letzter Wille
  9. Hitlers Rückkehr als mediales Opiat
  10. Von Leibniz zum tendenziellen Fall der Profitrate
  11. Vom langen Marsch den 3. Weg entlang
  12. Das Kreuz mit den Kreuzwegen
  13. Gibt es Marxismus ohne Revolution oder ist Marx die Revolution?
  14. Unser Frankfurter Rundschau-Gedenken
  15. Meine Rache ist ein dankbares Lachen
  16. Drei jüdische Linksintellektuelle aus dem Chemnitzer Marx-Kopf
  17. Aufmarsch unserer Kriegs­verteidigungs­minister
  18. Vom Linkstrauma zur asymmetrischen Demokratie
  19. Gauck wurde Präsident. Bloch nicht. Warum?
  20. Vorwärts in den Club der toten Dichter 1
  21. Der Mord an der Philosophie geht weiter
  22. Nie wieder Politik
  23. Abbruch: Erich Loests Fenstersturz
  24. Statt Totenklage Überlebensrede
  25. Philosophie als Revolte mit Kopf und Bauch
  26. Das Ende der Linksintellektuellen (1)
  27. Das Ende der Linksintellektuellen (2)
  28. Leipzig leuchtet, lästert und lacht
  29. Briefwechsel zum Krieg der Poeten
  30. Die Urkatastrophenmacher
  31. Abschied von der letzten Kriegsgeneration?
  32. Konkrete Utopien von Hans Mayer bis Joachim Gaucks Dystopien
  33. Vom Leben in Fremd- und Feindheimaten
  34. Was wäre, wenn alles besser wäre
  35. Von Schwarzen Heften und Löchern
  36. Die unvollendete DDR als Vorläufer
  37. Auf zur allerletzten Schlacht an der Ostfront
  38. »Der Mund des Warners ist mit Erde zugestopft«
  39. Die Internationale der Traumatisierten
  40. Fest-Reich-Ranicki-Schirrmacher – Stirbt das FAZ-Feuilleton aus?
  41. Grenzfälle zwischen Kopf und Krieg
  42. Linke zwischen Hasspredigern und Pazifisten
  43. Wahltag zwischen Orwell und Bloch
  44. Botschaft aus dem Käfig der Papiertiger
  45. Ernst Bloch und die Sklavensprache (1)
  46. »Weltordnung – ein aufs Geratewohl hingeschütteter Kehrichthaufen«
  47. Frankfurter Buchmesse als letztes Echo des Urknalls
  48. Autobiographie als subjektive Geschichtsgeschichten
  49. Die Sprache im Käfig und außerhalb
  50. Tage der Konsequenzen
  51. Oh, du fröhliche Kriegsweihnacht
  52. Merkel, Troika, Akropolis und Platon