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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 47 |
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Frankfurter Buchmesse als letztes Echo des Urknalls
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Hat Kohl dem Schwan nur Kohl erzählt oder wird das Buch Heriberts Schwanengesang
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Die Frankfurter Buchmesse 2014 begann schon bevor sie begann als Kohl-Messe. Print und Television, soweit sie auf sich hielten, waren dabei, der Spiegel wie in besseren Zeiten an der Spitze, was die FAZ zu ironischen Tönen ermunterte: »Kohls Schmankerl und die historische Wahrheit – Heribert Schwan publiziert medienwirksam Zitate aus seinem 630-Stunden- Interview mit dem früheren Bundeskanzler«, so frech Rainer Blasius am 7. Oktober zum Duell des Jahres. Nixon verletzte sich einst an seinen Tonbändern, deren fatale Sprache ihn verriet, Kohl will jetzt nicht gesagt haben, was er dem aufmerksam aufzeichnenden Heribert Schwan aufsagte. So wird der Pfälzer Alt-Kanzler zum politischen Ereignis aufgetankt wie Botho Strauß zum literarisch-poetischen Meisterdenker. Als wissenschaftliches Kulturgut teilt das Blatt in derselben Ausgabe noch mit, dass Helmut Schmidt und sein Dauerfreund Siegfried Lenz die Freundschaft zwischen Willy Brandt und Günter Grass eifersüchtig aufs äußerste missbilligten. War da Neid im Spiel? Mehr dazu, sogar mit einigen Distanzen, in Schmidt-Lenz von Jörg Magenau, Hoffmann und Campe. Dramaturgisch nicht ungeschickt berief der Bibel-Autor Gott den Deutschstunden-Lenz just zur Buchmessen-Eröffnung in den Himmel hoch zu den Gutmenschen. Das alles macht die Messe zum Rückblick ins deutsche Panoptikum. Stimmungsvoll begleitet wurden die Reminiszenzen am Abend des 6. Oktober bei hart aber fair mit einer der beliebten Todes-Diskussionen – wie halten wir's mit Selbstmord, Freitod, Suizid, Töten auf Verlangen? Dem einzelnen wird die Freiheit des Exitus von Staat und Religion bestritten. Als globales Kollektiv aber bereiten sie sich darauf vor. So dient die Buchmesse als futuristische Manifestation. Geprobt wird Der Untergang Roms, Teil 2 – Copyright USA.
So ein schöner 3. Weltkrieg braucht seine vorbereitende Sprache. Auch die Semantik muss in den Einsatz zur Verteidigung westlicher Werte. Die Spalte am rechten Rand der FAZ war schon am 7. Mai 2009 überschrieben mit Flexibel in Afrika. Im weniger exotischen Untertitel heißt es: »Der Einsatz der GSG 9 ist womöglich nur verschoben.«.
Der Autor Peter Carstens tröstet nach Kräften die Ungeduldigen, die es kaum erwarten können, eingesetzt zu werden. Folglich wird Einsatz im Text 14 mal genutzt, um es in den Augen des Lesers zu fixieren. Einmal wird der Spiegel zitiert, der über den »Aufmarsch der Gladiatoren« moserte, ein andermal sitzt der »Einsatz« im »Sondereinsatzkommando (SEK)«. Die Etymologie des Begriffs verweist auf zeitgeschichtliche Vorgänge. »Die Einsatzgruppen, die auf dem besetzten sowjetischem Territorium tätig waren, bestanden aus Sonder- und Einsatzkommandos.« (Enzyklopädie des Holocaust Piper Verlag München, 1989) Inwieweit das modifizierte Verbalkonglomerat »Sondereinsatzkommando« der Sklaven- oder Herrensprache, und wenn ja welchem Dialekt oder Argot zuzuordnen sein mag, bedarf sicher mehr intellektuellen Aufwandes als die zuständige Bundeswehr-Denkfabrik, Abteilung Sprachverwaltung zu leisten vermag. Gehen wir zurück am etymologischen Strang, gelangen wir zum vergessenen Nachkriegsbestseller Wörterbuch des Unmenschen von Sternberger / Storz / Süskind, die unter dem frischen Eindruck des 2. Weltkrieges den werten »Einsatz« glattweg zur Unmenschensprache rechneten, weil sie in Hitlerdeutschland »heroischen Glanz« erhielt: »Wie jählings jener Glanz im Frühjahr 1945 erblich, selbst für die, deren Augen das nicht mit ansehen wollten, – das ist anscheinend nicht mehr allgemein bewusst. Deshalb muss man daran gehen, das Wort ›Einsatz‹ endgültig zu entzaubern. Wir empfehlen den verehrlichen Lehrerkollegen, den Passus vom lobenswerten Einsatz fortan ausschließlich dem vorbereitenden Eingang zu der Mitteilung vorzubehalten: ›konnte leider nicht versetzt werden.‹«
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Aus dem Wörterbuch des Unmenschen
Von Dolf Sternberger, Gerhard Storz
und W. E. Süskind
Unten: Text auf der Rückseite des Buches |
Die Ironie der Schlusssätze im Wörterbuch des Unmenschen ordnet den Einsatzgebrauch zweifelsohne der befohlenen Herrensprache zu, die als Sklavensprache zur Volkssprache mutierte, deren Glanz 1945 keineswegs und schon gar nicht jählings verblich, wie unser FAZ-Beispiel zeigt. Im Gegenteil. Jede Sklavensprache ist zugleich oktroyierte Herrensprache – Janus eben, doppelgesichtig, doch beidseitig auf Sieg aus. Das Wort Einsatz inflationiert inzwischen wie im 2. Weltkrieg: »Streit über Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine und im Irak« – so der FAZ- Haupt-Titel am 6.10.2014 Seite 1, direkt darüber Fresko von Tiepolo – wie Abraham »seinen Sohn Isaak opfern will«, denn »ich befolge Gottes Gebot«, wobei ein Engel den gottbefohlenen Mord friedfertig sabotiert. „Denn du sollst nicht töten.« Ja, was denn nun? Ein#-satz ja oder nein? Zum Thema schrieb ich mal ein Buch mit dem Titel Weder Kain noch Abel. Danke Jürgen Reents für Deine Fragen dazu, die ich aus dem kleinen Leben beantwortete. Aus seinem großen Leben versuchte es auch der Evangelische Ex-Bischof Wolfgang Huber, der am 6. Oktober auf einer ganzen FAZ-Feuilletonseite predigte: »Du sollst nicht töten – und nicht töten lassen«. Großer Vorsatz und schön gesagt und seit zwei Jahrtausenden wirkungsloses Papier.
Als ich in Rente ging, kam mir die Wende entgegen. Die Hälfte meines Lebens verbrachte ich im Osten. Die zweite Hälfte im Westen. Ich werde, denke ich, auch die Zeiten der tollen Vereinigung noch überstehen, falls die neuen Kriege nicht schneller kommen als mein nächster Geburtstag. Ich bin jetzt 89 – mich umblickend erkenne ich den abnormen Hansen, den verrückten Thüsing, den untragbaren Coppik, ich sehe die nicht zu goutierenden Christen Niemöller, Gollwitzer, den absolut unpassenden General Bastian, eigentlich sind wir ein ganz schön großer Verein von Aus-der-Reihe-Tänzern. Ob es nicht endlich mal klingelt bei den so ganz und gar Normalen? Wohin sind die Freunde, Genossen, Kollegen von gestern? Aus Traum wird Satire. Nichts Neues im Land. Das war schon immer so: Wer irgendwann eine linksverdächtig klingende Wahrheit zu sagen riskiert, ist bald weg vom öffentlichen Medienfenster. Stell dir vor, Eckart Spoo gäbe statt des scharfen Ossietzky eine noch schärfere Bild-Zeitung heraus. Otto Köhler leitartikelte in dem Blatt Die Welt und Dietrich Kittner träte regelmäßig im Fernsehen auf usw. Stell dir vor, Tucholsky hätte sich nicht das Leben genommen, die Bundeswehr klagte ihn von wegen Soldaten sind Mörder an und Rolf Gössner verteidigte unseren Mann vorm Reichsgericht an der Pleiße. Das hätte Folgen. Stell dir vor, Hitler hätte sich schon 1933 erschossen, Eva Braun heiratete Joachim C. Fest, der bei jeder Frankfurter Feier Marcel R.R. so unhöflich anstößt, dass er in Albert Speers Arme fällt. Stell dir vor, Frau Illner leitete das Rote Kloster in Leipzig und Hindenburgs Paule verschenkte seinen Helm samt Kaiser-Wilhelm-Bart an die präsidiale Sprachröhre Gauck. Stell dir vor, Gauck tauscht mit Obama die Plätze, Schröder mit Putin und Alice Schwarzer heiratet Sloterdijk. Stell dir vor, Hitlers Mama hätte den Fötus beizeiten abgetrieben, dann wäre Joachim C. Fest auf Hartz 4 angewiesen und Albert Speer spielte lebenslang im Kölner Karneval die Jungfrau im Dreiergespann. Stell dir vor, das alles stünde in einem FAZ-Artikel und stammte von mir. Dann gäbe es sogar Honorar dafür, die Redaktion würde ausgewechselt mit den Ossietzky-Autoren, die in der FAZ den Laden schmissen. Stell dir vor, das wäre keine Strafversetzung, sondern ein Hauch von pluraler Demokratie.
Mit Hatto Fischer in Athen ergibt sich lebhafter E-mail-Austausch. Hier zum Anfang die ersten Lektüre-Eindrücke, seine Zeilen vom 3.10.2014
Ein Detail nennt Hatto Fischer noch zu Adorno: »Als er einen Vortrag an der Cambridge Universität hielt, gab es keinen Applaus, nachdem er ihn beendet hatte. Nichts Schlimmeres gibt es als gegen eine Mauer aus schweigender Ablehnung zu rennen.«
Meine Erwiderung nach Athen: Lieber Hatto, Dein Wissen, die Energie, die Lust am Schreiben halten den Herbsthorizont auf und erhellen den Oktober. Bitte bedenke, ich bin nicht mehr der Autor von 1989, dessen Jugoslawien-Rede Du besprochen hast. Ingrid wie ich sind unterwegs auf dem letzten Gang. Unser Buch zu Ernst Bloch etc., 2004 erschienen, ist nicht traditionell klassifizierbar und nur der 1. Teil des Versuchs, diesen Philosophen als Weltgeheimnisträger zu enträtseln. Das ist Fragment geblieben. Der Rest liegt seit Jahrzehnten in ca. tausend Texten parat oder wird im www.poetenladen.de stückweise ausgeplaudert. Verging Bloch mit der DDR? Wir enthüllen einige Szenen aus Ost und West, die andere nicht kennen oder absichtsvoll verhüllen. Wie Du schreibst, denken heute junge Griechen oft an Ausreise oder Selbstmord. Mir scheint, das wird zur umfassenden Weltparole.
Herzlich – Gerhard Zwerenz
PS: Beim Durchlesen erscheint mir mein Brief zu lakonisch. Ich hoffe aber, Du entdeckst noch einige Auskünfte in Sklavensprache und Revolte. Und bitte – zu Bloch fanden Ingrid und ich sowohl Fragen wie Antworten, die wir als Übergänge verstehen. Es sind keine Lehrtexte, weder Wissenschaft noch Poesien, sondern Formen wahrnehmender Autobiographie, subjektiv widerständig, wie es von Aristoteles noch nicht klassifiziert werden konnte, weil erst in Endzeiten möglich. So entsteht die Mischung pluraler Ich's, das eine erzählt, das andere findet, berichtet und entdeckt oder widerspricht. Irrtum einbeschlossen. Und wenn ich Derridas Differenzdenken bereits in Blochs früher Erbschaft dieser Zeit aufspüre, kann das eine bisher blinde Stelle im oppositionellen Denken aufklären. Mangelndes Differenzdenken ist übrigens ein horrender Untergangsgrund von Weltreichen. Ihnen wird alles zur Macht. Selbst die Ohnmacht.
Unsere graue Vorgeschichte berichtet von Völkern, die plötzlich auftauchen oder untertauchen. Dazwischen mögen Jahrhunderte liegen. Die Verschnellerung und Verkürzung der Zeit kann das jetzt an einem einzigen Tag bewerkstelligen. Roms Untergang dauerte Jahrhunderte. Das gegenwärtige USA-Rom kann mit seinem Weltherrschaftanspruch in Tagen zerbröseln, verhält es sich weiter so dumm wie heute. Die Barbarei des 20. und 21. Jahrhunderts ist ein industrielles Endprodukt, das die SF-Literatur lustvoll ausmalte, bis Alltag draus wurde. Die Autobiographie des letzten Alten wird zum Protokoll des Urknalls. Letztes Echo. Aus der Traum.
Ferne Freunde (1985)
Wenn ich mitten auf der Straße mich so umblicke,
sehe ich immer wieder welche,
die längst gestorben sind.
Ich beobachte sie über längere Zeiten.
Erst gaben sie ihren Geist auf.
Dann ihr Fleisch. Schulterhebend
schlüpfen sie aus ihren
Knochen.
Ganze weite krumme Friedhöfe ragen in
meine Augen. Lazaretten nahm ich die
Parade ab.
Ich grüße mit fester Haltung.
Wie gerührt ich bin, soll man mir
nicht ansehen.
Vielleicht hilft seelisches Strammstehen.
Totenregimenter marschieren vorbei.
Gestern erblickte ich ein langvertrautes
gutes Gesicht.
Ich erkannte es und erkannte es nicht.
Wir sprachen die alten Losungsworte.
Wir stellen die alten Bewegungen nach.
Wir nannten uns beim Vornamen.
Wir haben umgebracht und
wurden umgebracht. Ortlos irren
unsere wehmütigen Gefühle
durch das Vergessen.
Nahe Freunde: Wer ist Jochanan Trilse-Finkelstein? Geboren am 10.10.1932 in Breslau, seitdem auf Reisen, Fluchten und Heimatsuche, lebt heute in Berlin, Theaterkritiker in Ossietzky, Autor mehrerer Biographien und mit vielen anderen Potentialen. Wollte ihm zum diesjährigen Geburtstag gratulieren, fand eine seiner ingeniösen Erinnerungen, an die hier gern erinnert werden soll:
„So war Ernst Bloch, ein Wortkünstler, ein Fabelerzähler, ein Prophet, der Mensch, der verständnisvoll und solidarisch das in mir gärend Angelegte förderte, indem er mir zu Stipendien verhalf. Er wusste, dass ich wohnen und essen musste, um Philosophie studieren zu können…Ich besuchte ihn auch nach seinem Verweis vom Petersteinweg in Leipzig in seinem Privathaus, um dort seine Privatissima zu hören, nein, ihnen zu lauschen. Andachtsvoll und dankbar. Ich war zumindest intelligent genug zu wissen, wen ich vor mir hatte. Ich ging immer gerade durch die Gartentür von vorn ins Haus … Gerhard Zwerenz sprang von hinten über den Gartenzaun. Er meinte, dass die Vordertür überwacht würde, aber das war mir völlig egal … ich hatte mit zehn Jahren, selbst bewaffnet, unter dem Beschuss der kroatischen SS gelegen. Die Staatssicherheit ging mir links und rechts vorbei. Außerdem war ich Österreicher. Der Zwanzigste Parteitag der KPdSU hatte vieles in Bewegung gebracht. Harich, Janka, Schröder bezahlten für ihr Eintreten in diese Bewegungen … jemanden würde es treffen, so war das immer. Trotzdem tat ich, was ich wollte. Ich suchte mir meinen Weg und entschied selbst, wen ich dort treffen würde. Ich verstand dann, dass Zwerenz seine Ansage anarchistisch und satirisch meinte, weil er nicht aus Vorsicht hintenherum ging, sondern weil er die Person war, über Zäune zu setzen. Damit wurde er zu dem großen Journalisten, den ich immer mit Spannung und einem nachfolgenden Gefühl von Reinigung und Erleichterung las…jemand, der klar denkt, ein Pazifist und auch ein Kämpfer ist. So trafen wir uns, damals in Leipzig. Sicher arbeiteten alle Käuzchen und Regenwürmer und die einäugige Katze im Garten für den Geheimdienst, Zaun hin, Gartentür her, doch wir mussten und wollten zu Bloch.“
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Karola Bloch
Aus meinem Leben
Neske Stuttgart 1990 |
Die Szene führt uns stilsicher zurück zum Leipzig der fünfziger Jahre. Da klafft eine Lücke. Das zweierlei Deutschland hatte noch Chancen. Wir suchten sie wahrzunehmen. Westteil siegte, Ostteil unterlag. Ihr Zwist bleibt bestehen wie der zwischen Katholiken und Protestanten, die seit Jahrhunderten im Streit verharren. Die Gauckisten werden die DDR ad infinitum Unrechtsstaat schimpfen und den Unterschied zwischen Nazi-Deutschland und der SED-DDR auf Null absenken. So grundfalsch das ist, wir heben die DDR nicht in den Himmel. Jochanans Schilderung unserer geheimen Besuche bei Ernst Bloch vervollständigt Karola Bloch in Aus meinem Leben mit den Worten: »Nach unserer Rückkehr überraschte mich eines Morgens der Besuch von Gerhard Zwerenz. Er war mit der Harich-Gruppe in Verbindung gebracht worden und musste mit seiner Verhaftung rechnen. Seit Wochen schon schlief er nicht mehr zu Hause. Zwerenz hatte bei Ernst studiert, verehrte und liebte ihn. Er fragte mich, ob Bloch es ihm übel nehmen würde, wenn er in den Westen ginge. Er war zweifelnd geworden, denn er kannte Blochs Standpunkt. Aber ich sagte ihm, uns würde es beruhigen, ihn im Westen zu wissen; er sei jung und in Gefahr, sein Opfer wäre sinnlos, das wisse auch Ernst. So verabschiedeten wir uns herzlich. Später, in Westdeutschland sahen wir uns oft.«
Wir sahen, sprachen und erinnerten uns so wehmütig wie sarkastisch immer mal wieder an unsere Leipziger Zeit und die dort geweckten wie verdorbenen Hoffnungen. Konnten wir in der Bundesrepublik mehr sein als Übriggebliebene? So hatten wir nicht gewettet.
Die Frankfurter Buchmesse 2014 endete wie sie begann als Kohl-Event. Schluss-Akkord am Sonntag, dem 12. Oktober um 21 Uhr 45 bei Günther Jauch, der statt Millionäre zu machen einen Kampf um Kohl (FAZ) dirigierte. Die Kohl-Protokolle, was protokollieren sie? Klartext oder Artikulation von Schmäh und Häme im Polit-Saustall. Laut dem einst die BRD regierenden Polter-Pfälzer sind Linke rotes Pack und Angela Merkel kann nicht mal mit Messer und Gabel essen. Wer so spricht und so etwas zu lesen ein dringendes Bedürfnis verspürt, der zählt sich dazu. Das ist die deutsche Tafel der Oberklasse. Als Alternative biete ich zur Abwechslung meinen Brief an Bundeskanzler Kohl aus dem Jahr 1996 an:
1. Ist es sinnvoll, so einen Brief zu schreiben? Die Androhung von 100 Seiten war Schocktherapie. 16 Seiten genügten vollauf.
2. Die erste hier als Probe vorgelegte Seite deutet das Thema höflich an. Es ging um Kultur und Krieg.
3. Darum geht es heute als Endspiel.
4. Der Kanzler schwieg anfangs und antwortete dann nicht abweisend, doch nichtssagend. In der Presse wurde mein Schreiben verschiedentlich erwähnt, aber nur in der linken Zeitschrift UTOPIEkreativ Nr. 75/76 vom Januar und Februar 1997 vollständig abgedruckt.
5. Der Grund sind im Brief aufgezählte Details, die der Kultur schaden und die nächsten Kriege provozieren.
6. Was 2014 die Welt zu vernichten droht, war zuvor längst abzusehen.
7. Das Dritte Reich hatte ich als Soldat nur per Flucht von der Front verlassen können. Der DDR war ich 1957 entkommen. Die Bonner Republik sah und sehe ich auf dem Weg über Berlin zurück in die Weimarer Republik.
8. UTOPIEkreativ, 1997 couragiert genug, meinen Brief an den Bundeskanzler abzudrucken, wurde eingestellt. Wozu noch vor Gefahren warnen, wenn es längst zu spät ist.
9. Im Brief an Helmut Kohl heißt es auf Seite 36 der Druckausgabe: »In letzter Konsequenz ist eine Entscheidung von Ihnen gefordert: Gibt es eine Alternative zu dem Kriegsdrama, das einige Ihrer Politiker, Militärs, Professoren an die Wand malen und das alle Merkmale einer sich selbst verwirklichenden Prophezeiung aufweist?«
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Auf die Buchmesse 2014 in Frankfurt folgt wie üblich im Frühjahr darauf die Leipziger Buchmesse. Was aber, wenn wie am Main die Kohl-Protokolle auch an der Pleiße den Geist der Kultur bestimmen? Vom letzten Echo des Urknalls zu sprechen ist keine Übertreibung. Eine Tragödie also. Leipzig könnte sich in die komödiantische Tragodeia der Antike retten und von Kohls Bimbes-Ghostwriter Heribert Schwan die Messe feierlich eröffnen lassen. Als Mix zwischen Aristophanes und Richard Wagner. Wenn Heribert dabei den echten Helmut wortgetreu zitiert, wenn Wolfgang Thierse als Volkshochschulhirn und Subjekt erscheint, das meint, das Ende von DDR und UdSSR sei auf den Straßen entschieden worden, wenn jetzt die Merkel keine Ahnung hat und nicht mit Messer und Gabel essen konnte, obwohl sie doch, wie jeder weiß, in Leipzig Physik studiert hatte, dann könnte das die Messe an der Pleiße zu einem globalen Kultur-Event eskalieren. Bleibt nur noch ein in Stein gehauenes Trio Kohl-Merkel-Thierse, und fertig ist das lang gewünschte Denkmal der Deutschen Einheit.
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