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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 9 |
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Hitlers Rückkehr als mediales Opiat
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Hitler war übrigens auch ein Schriftsteller
Als Schriftsteller leben
Heinz Ludwig Arnold
Rowohlt 1984
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Heinz Ludwig Arnold, Herausgeber des Dialog-Buches Als Schriftsteller leben, ein exzellenter Interviewer, hätte heute noch pointierter fragen können Als Schriftsteller sterben … Die Kultur mutet zugleich lebendig und tot an. Die Quengeleien der Kleingeister greifen um sich. Es riecht nach sanfter Verwesung. Selbst der letzte Gestank wird inszeniert. Danach rezensiert und abserviert.
Im November 2011 verstarb Heinz Ludwig Arnold. In einem letzten Telefonat mit Ingrid waltete und plante er noch ungebrochen optimistisch, erwähnte nebenbei eine eben überstandene schwere Magenoperation und ließ mich in Erinnerung an frühere Begegnungen und Zeiten grüßen. Er war einst bei Ernst Jünger daheim und ich bei Ernst Bloch. Zweimal Ernst verleiht Klarsicht. Zwei alte Schlachtrösser gedenken ihrer unveraltenden Schlachtrösser. Aus und vorbei. Sieht so die werte Unendlichkeit aus? Auf dem Rowohlt- Buchcover von 1979 oben links Peter Handkes Wanderung im Schnee mit Kind an der Hand, daneben Grass, ein Zeichenkunstwerk in der Rechten, Mitte links mit schwarzer Mütze Peter Rühmkorf, Tod im Jahr 2008. Deutlich zu sehen Kroetz an der Schreibmaschine beim Dichten, links unten Zwerenz mit skeptisch-schrägem Blick und ein ungemein wacher Walter Jens daneben, bei dem ich mich weigere, seinen scharfen Geist für verloren zu halten als greife Hölderlins Ende im Turm um sich. Dennoch: Als Schriftsteller sterben erfährt Aktualitätszufuhr. Hier eine Dialogpassage mit Arnolds Fragen wie Angelhaken:
Heinz Ludwig Arnold war für das Gespräch zu uns nach Offenbach gekommen, wo wir damals wohnten. Der Text-Auszug führt vom Main an die Pleiße zurück, Arnold erwies sich als hervorragend informiert. Ich nutze den Ausflug in Worten zum Ausflug in die Triade Vorgestern Gestern Heute:
Die kleine Differenz – Frage an Revolutionäre
Unterscheide stets zwischen zweierlei Deutschen
Die einen sind die Meister der Scheiterhaufen.
Scheiterhaufen werden im Dienste der Mächtigen
Errichtet. Opfer sind immer die anderen.
Unterscheide stets zwischen Scheiterhaufen und
Fegefeuer. Der Scheiterhaufen hinterlässt
Asche. Das Fegefeuer hinterlässt Geläuterte.
Aus dem Fegefeuer geht der neue Adam hervor.
Doch wie halten wir ihn davon ab, neue
Scheiterhaufen zu errichten?
Der hier abgedruckte Teil aus dem Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold hat einen Grund, den ich Hinter-Grund nenne. Benannt werden Dollpunkte, die als Lieblingsfragen und Lieblingsthemen gelten, weshalb ihnen die Tollpunkte entgegenstehen – unsere Tollheiten. Auf Arnolds Erkundigungen hin antwortete ich mit dem Verweis auf Marx und die Revolution und unsere Niederlage im Osten. Die zehn Zeilen über Die kleine Differenz schließen den Passus ab. Uns war deutlich geworden, mit Ernst Jünger neigte Arnold zum rechten kulturellen Prototyp und ich mit Ernst Bloch zum linken. Tatsächlich verkörpern Jünger, geboren 1895, und der zehn Jahre ältere Bloch zwei Generations-Archetypen des 20. Jahrhunderts. Während Jünger den Grabenkrieg mystifizierte, bezog Bloch vom Schweizer Exil aus die Gegenposition. Der Krieg stand gegen revolutionären Frieden. Uns verband allerdings, dass wir beide unsern Vor- und Nachdenkern nicht kritiklos folgten. Zudem folgte ein Epochenwechsel. Die Kardinalfrage richtet sich nach dem Untergang der Sowjetunion weiter an den siegreichen, nicht weniger untergangsbedrohten Westen und wird zur unentwegten Führerfrage.
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Jünger und Bloch –
zwei diametrale Generationsarchetypen
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Ein Buch von Horst Bingel trägt den ironisch-provokativen Titel Wir suchen Hitler, erschienen im Jahr 1965. Am gestrigen Abend, dem 25.2.2013, meine Mutter wäre an diesem Tag 109 Jahre alt geworden, stellten sich einige ratlose Zeitgenossen noch ratloser in der Sendung Hart aber fair um 21 Uhr in der ARD die Frage, weshalb Adolf Hitler immer gegenwärtiger wird – nun ja, Adolf heißt der alte Ochse, der zur unendlich lebenden Kuh umgefickt auftreten muss, damit ihn Presse und Fernsehen gewinnbringend melken können. Wie lässt sich gegenhalten?
Im Nachruf 8 zitierte ich Sätze aus einem früheren Hörspiel zum Führer-Komplex, den ich danach als erledigt einschätzte. Ein Fehler. Das Spiel ging – nein geht so vor sich – wir zitieren, weil sich im Archiv nur Fragmente finden lassen, aus den vergilbten ursprünglichen Originalmanuskripten mit den damals üblichen handschriftlichen Korrekturen. Auch das ist Erinnerungsarbeit, in so zeitraubender Mühe verlief einst im vorelektronischen Zeitalter des Schriftstellers Tagwerk:
Schauen wir am Ende zurück auf die sechs Autoren-Fotos der Rowohlt-Anthologie mit dem schönen Titel Als Schriftsteller leben – was verband uns miteinander? Keiner war für den Krieg. Jeder lebte und schrieb für sich allein. So jedenfalls im Jahr 1979. Was bleibt davon? Im Blick auf die Vergangenheit differieren wir nicht. Im Blick auf die Zukunft gibt es nur Worte, deren Übereinstimmung als Literatur zu bezeichnen der substantiellen Differenzierungskultur entbehrt. Bleibt Horst Bingels provokanter Buch-Titel Wir suchen Hitler. Wer suchet, der findet? Als Schriftsteller sterben ist eine treffende Variante. Übrigens war Hitler auch Schriftsteller. Seine Wiedergeburt kann nicht ausgeschlossen werden. Die Weimarer Republik als Untergangsmasse droht, wer will das bezweifeln, abendlandsweit.
Im eingangs zitierten Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold werden notwendige Revolutionen erwähnt, die misslingen können und einem Reflexionsprozess zu unterziehen sind. Dafür mangelt es an Revolutionären. Stattdessen beschenkt uns der beängstigend produktive Historien-Streifen-Hersteller Nico Hofmann, der bereits Rommel verrommelte, mit dem medienübergreifend bombastisch angepriesenen Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter und droht einen flotten Achtteiler über Adolf Hitler an. Das Nötige dazu bemerkte Georg Diez am 20 März 2013 in Spiegel online: »Hefte raus zum Opfer-Täter-Diktat.« Wer sich vom Konsum der neuen Hitlerkriegskrimis auch nur in Spuren Volksaufklärung wie etwa von Claude Lanzmanns Dokumentation Shoa verspricht, verwechselt die Genres und Kategorien. Mit der Buchkunst stirbt auch die Filmkunst an den medialen Opiaten.
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