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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 44 |
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Botschaft aus dem Käfig der Papiertiger
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Rasputin vervielfältigt sich und Enzensberger geht als Herr Z. Nr. 2
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Dieses liebenswürdige Gedicht hatte ich vergessen. Ist es überhaupt auf meinem Mist gewachsen. Andreas Mytze schickt's aus London, hat es in den Niederlanden aufgefunden. Die Worte lesend fällt's mir nach und nach wieder ein, es zählt zu einem Dutzend, das ich vor vielen Jahren in die weite Welt verschickte – als Gruß an alle papiertigernden Käfigbewohner – wie definiert das der Kollege Volksmund? Man wird doch mal die Wahrheit sagen dürfen.
Hier die Kopie des Original- Deckblatts der Utrechter Edition. Danach ein zweiter Rückgriff auf die nicht vergehende Vergangenheit der Papiertiger im Wortkäfig:
Gerhard Zwerenz 90
Geschrieben von Andreas Mytze
Hauptkategorie: Nachrichten
Kategorie: Nachrichten Deutsch
Veröffentlicht: 30. Juni 2014
Aus den heute durchaus unvermeidlichen Ärgernissen (1961)
53 Jahre später (zu spät?)
Nach zwei Wochen traf ich auf den ersten Beamten, der höflich war. Sofort großes Mißtrauen. Weshalb ist er so ausgesucht zuvorkommend? Will er was?
Ja, er will was. Er will ein Auto zur Verfügung stellen. Dann soll ich zum Informationsbüro West gefahren werden. Dort soll ich – nein danke. Ich lehne ab. Nun friert seine Miene ein. Er kann mich nicht zwingen, das ist gut.
Nein, mein Lieber, die Zeit unsrer Gutwilligkeit ist gestorben. Am ersten Tag konnten sie uns noch überfahren. Da waren die Amerikaner, sie bekommen einen gleich zu Beginn, verfrachten dich in kleine Busse und ab gehts zur Clay-Allee. Dort ist man notorisch kalt, notorisch unhöflich, betont distanziert, auffallend unverschämt mit dir. Man offeriert dir, was man glaubt dir offerieren zu können.
Wenn du einwilligst, werben sie dich sowie deine gesamte in Mitteldeutschland wohnende Verwandtschaft an. Können wir uns mit Ihrem Onkel vielleicht einmal treffen? Nein, das können Sie nicht – oder auch ja, das können Sie.
So kannst du, lieber Flüchtling, deine Familie und Sippe systematisch ausrotten. Du vermagst ihnen Stück für Stück einen Zwangsaufenthalt in Bautzen zu verschaffen. Hier kannst du alle deine Tanten sowie die Schwiegereltern und noch deren Anverwandte verkaufen. Hier ist die große Menschenbörse. In Ostberlin handelt man Westmenschen und in Westberlin Ostmenschen ... (35)
Auszug aus: Gerhard Zwerenz: Ärgernisse. Von der Maas bis an die Memel
Kiepenheuer und Witsch, Köln 1961 (Für Ingrid Zwerenz)
Dieser vielleicht eher kuriose Herr· Z. war paar Jahre zuvor in das verheißungsvolle Land BRD übergetreten und man erwartete dort offenbar – à la Alfred Kantorowicz – liebhaftere, ja dankbarere Meinungen zu den bundesdeutschen Tagesthemen von diesem ausgeschiedenen Republikflüchtling.
Also recht „offene Töne“, lieber Gerhard, im Jahre 1960 (und auch früher), nicht gerade zum Wohle dieser unsäglich- peinlichen CDU/CSU Regierungen jener Zeit? Adenauer/GIobke ließen vielleicht schmerzhaft grüßen mit einem „Sonderboten“ und Ulbricht schickte Dir auch mal ne Geburtstagstorte nach drüben (oder: hüben)?
Wäre ja denkbar gewesen, oder auch nicht. Oder gar ein paar Stasi-Häscher? Oder traten da überaus freundlich/frohe BNDGutMenschen vor Deine Türe im Laufe der Jahre?
Nun also bald 90 und noch immer kein bißchen weiser in Deiner Taunusischen HalbEmigration?
Diverse Zwerenz-Titel sind bei AWM ohne weiteres erhältlich!
Vielleicht nicht gerade alle 150, aber doch die wichtigsten, vor allem die ganz frühen ...
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Erinnerungen aus
London 2014
an Berlin 1961
Gerhard Zwerenz
Ärgernisse
Von der Maas bis an die Memel
KiWi 1961
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Gestern, Sonnabend den 19. Juli 2014 erschien hier Iring Fetscher und verabschiedete sich in den Tod. Vor Jahrzehnten reisten wir beide per Zug nach Saarbrücken, wo Lafontaine Oberbürgermeister oder Ministerpräsident werden sollte. Wahlhilfe aus Frankfurt/Main, die rote Heidi war auch dabei, fuhr aber eigenwillig alleine im Auto. Trat verspätet auf. Steigst du in die Urne? Iring lächelte statisch wie im Leben. In der Zeitung ist zu lesen, ab jetzt, August 2014, will die New York Times nicht mehr wie bisher »von scharfen Verhörmethoden« faseln, wenn es um »Folter« geht. Ein sprachlich kühner Fortschritt wie die Information, eine Stunde Flug unserer Eurofighter kostet lausige 78.197 Euro – runde 3,5 Tonnen Treibstoff für Himmelsfolter. Leserbrief in neues deutschland als Trostzuckerle gefunden, wo Norman Mailer zitiert ist: »Eine friedliche und einträchtige Welt ist der geheime Alptraum der Offiziere und Advokaten.« Braver Mailer, wenn er wollte. Der Freistaat Sachsen meldet »Erste Erfolge« und offeriert einen »Aktionsplan gegen Crystal Meth«. Hat's bitter nötig. Das Giftzeug kommt über die Grenze aus Tschechien. Prag konnte schon mal bessere Exporte vorweisen. Zum Abschluss eine dpa-Meldung. Egon Bahr mahnt eine klügere Ostpolitik an, Abdruck nur im nd entdeckt. Die anderen boxen mit Klitschko gegen Putin, den sie unterschätzen wie ihre Vorgänger das Väterchen Stalin. Als der 1939 mit Hitler gegen Polen paktierte, schrieb ihm der tapfere Münzenberg ins Herz: »Der Verräter, Stalin, bist Du!« Es kostete Münzenberg kurz darauf das Leben. Bei Stalin reichte es noch für den Sieg über die Nazi-Angreifer. Napoleon, Wilhelm zwei, Hitler, wer will der Nächste sein.
Nicht jeder jüngst Verstorbene meldet sich pünktlich wie Iring Fetscher bei uns am Feldberg ab. Doch die Toten-Liste füllte sich überraschend schnell: Jan Robert Bloch, Heinrich Graf von Einsiedel, Carola Stern, Johannes Rau, Markus Wolf, Jakob Moneta, Peter O. Chotjewitz, Erich Köhler, Helmut Seidel, Elmar Podlech, Hans Heinz Holz, Werner Mittenzwei, Marcel Reich-Ranicki, Walter Jens, Lothar Bisky, Peter Scholl-Latour, Wolfgang Leonhard, Karlheinz Deschner, Manfred Naumann, Werner Liersch, Erich Loest, Frank Schirrmacher, Gert von Paczensky…
Unsere Generation tritt ab. Mehr und mehr Jüngere gesellen sich voreilig dazu. Auffallend der tv-Adel. Je häufiger präsent in Bild und Ton, desto schärfer der Schnitt. Als lösten Kamera und Mikrofon stetig mehr Krebs aus. Scholl-Latour suchte seinen Weg ins Ende zu ignorieren. Als der Westen in Afghanistan einfiel, aus dem die Sowjettruppen eben geschlagen abzogen, warnte er von Talk zu Talk nachdrücklicher vor den Invasionsfolgen. Als die letzten Westlinge geschlagen abzogen, waren dem Jahrzehnte lang erstaunlichen Power-Mann Schwächen anzumerken, doch hinterließ der Prognostiker dem tv-Publikum noch genug scharfe Sätze. Was half es. Die auf Sieg am Hindukusch setzten, sahen in Scholl-Latour einen Anti-Amerikaner, zeigen keine Spur von Einsicht oder Reue und stiften siegreich verlierend weitere Kriege an. Sie leben davon, dass andere sterben.
Ist die Autobiographie so herzlich wie ins Herz treffend, ergeben sich Totengespräche zwischen Autor und Figur. Anfangs wunderten mich die Endvisiten. Bis ich merkte, es kommen nur die vorbei, über die ich geschrieben hatte. Die meisten bedanken sich. Andere wünschen ein Schlusswort. Endlich marschieren die Racheengel auf. Wären sie nicht gerade verstorben, brächten sie den Autor unverzüglich um. Freundlich höre ich mir die erbosten Damen und Herren an und denke, wenn ich erst in euer Nirwana eingerückt sein werde, können wir das alles in Ruhe klären. Offengestanden, mitunter gibt's bei unsereinem ein ganz schönes Gedränge – fast wie beim werten Publikum im wieder vielgefragten Kabarett, die Leute wollen die Vorstellungen live konsumieren oder per Fernsehen. Die Witzbühne ersetzt den witzlosen Realpolitiker. Das Interesse wächst auch, wenn einer seine Zeitgenossen aufs Papier bringt. So möchten sie überleben, wenn sie tot sind. Unvergänglich.
Seit den Umwälzungen auf dem Literaturmarkt tauchen längst entschwundene Bücher im Heute wieder auf. Mein exklusiver Rasputin-Roman, der 1967 Kultur und Politik in helle Aufregung versetzte, weshalb ich ahnungsvoll das Pseudonym Peer Tarrok gewählt hatte, ist wieder da. Die irrwitzigen Abenteuer mit dem Buch sind nachzulesen in unserer Folge 8, erschienen Oktober 2007 unterm Titel »Mit Rasputin auf das Fest der Sinne«. Das satirische Buch war bald vergriffen und ist seit 2013 mit einem mir völlig unbekannten Umschlag wieder vorhanden. Im www. werben die Verlage Eulenspiegel und Weltbild dafür. Beim Eulenspiegel ließen sie sich ein paar flotte Fangzeilen dazu einfallen. Die entstammen allerdings auch meinem Buchtext und waren ursprünglich statt zur Werbung als Donner und Blitz gedacht.
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Die Angebote beziehen sich auf gebrauchte Exemplare. Nichts dagegen einzuwenden. Wer zeichnet verantwortlich für das neue Cover? Nie hat mich jemand wegen dieser Ausgabe befragt, Bücher als Freiwild?
Ebenso ungeklärt eine Neu-Edition von Soldaten sind Mörder als Taschenbuch mit neuem Titelbild. Die TB-Ausgabe war mir unbekannt. Von alldem blieb der Autor ohne die geringste Information.
Der Lyriker und Essayist H. M. E. hat ein neues Buch geschrieben. Die FAZ meldet dazu: »Herrn Zetts Betrachtungen, oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern«. Enze also und sein Herr Zett. Das erinnert mich ans Jahr 1997, da erschien mein Band Die Antworten des Herrn Z. oder Vorsicht, nur für Intellektuelle – mit einer Dokumentation, Freunde und Feinde über Zwerenz, Dingsda – Verlag. In der Tat dachte 1997 weder Zwerenz noch Herr Z. an Enzensberger und seinen Herrn Zett im Jahr 2013.
Gerhard Zwerenz: Die Antworten des Herrn Z. | Dingsda Verlag 1997
Hier eine Vorbemerkung, die GZ seinem Dingsda-Band mit auf den Weg gab:
Das Thema linker Einigkeit oder Feindschaft ist brennend aktuell geblieben. Harich sah es so, was ihm zehn Jahre Haft einbrachte. Soviel und noch etwas mehr zum Fall des doppelten Herrn Z. ist in Nachwort 21 nachlesbar. Die Differenz zwischen Deutschland Ost und West bleibt unüberwunden. Selbst die Fluchtversuche aus dem Käfig der Papiertiger bleiben vergeblich wie der Turmbau zu Babel. Dass Enzensberger auch ein Herr Z. statt ein Herr E. sein will, finde ich nachdenkenswert und zitiere weiter aus dem Nachruf 21:
Da hilft eine Prise Enzensberger. Deutschland, Deutschland unter anderem, so sein 1968er Suhrkamp-Buchtitel, aus dem wir gern zitieren, siehe auch poetenladen, Folge 22. Enzensberger über Büchners Hessischen Landboten und den Schmäh, den Büchners Kritiker dagegen absondern: »Es zeigt auch, wie wenig man in Deutschland vom politischen Widerstand und seinen Bedingungen versteht …« Da tritt, mitten im Wahlkrampf, dieser intellektuellen Wundstarre, der alerte Jakob Augstein auf den Plan und setzt bei Hanser sein ganz eigenes Widerstandsbuch unterm Titel Sabotage ab. Aber ja doch, so mutig sabotierend sind Enzensberger, Rudolf Augstein, Martin Walser u.a. Revolutionserzeuger auch schon mal gewesen. Und was ist das Resultat? Der gesamtdeutsche heilige Merkelismus und ringsum eine Welt voller Krisen und Kriege, die Merkel mit Geld, das ihr nicht gehört, retten soll, zur Strafe dafür, dass deutsche Waffen es in zwei totalen Kriegen nicht schafften, die Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen. Aber es blieb doch die deutsche Kultur? Bevor deren erklärtes Zentrum, der Frankfurter Suhrkamp Verlag, nach Neo-Berlin exilierte, warfen Vater Unseld und Sohn einander Blochs Wort von der Liebe zum Gelingen so heftig an den Kopf, dass des Hausphilosophen guter Satz zur Liebe zum Misslingen geriet. Frage: Was wurde aus der Welt des Aufbruchs nach 1945, was aus Adorno, Horkheimer, Benjamin, Bloch, Brecht? So stehen fünf Köpfe für die besseren Möglichkeiten der vielen Gutwilligen, deren Mühen unterminiert wurden. Es begann hochgemut mit der Rückkehr von Philosophie und Literatur aus dem Exil ins besiegte Land. Was ist daraus geworden? Sabotage ist daraus geworden. Der Mord an der Philosophie geht weiter. Allein der Club der toten Dichter hat Zukunft.
Der vorige Nachruf 43 endete mit einem Vorausverweis auf den Wahlsonntag in Sachsen, auf den wir nun im Nachruf 44 zurückblicken. Am 31. August teilte sich in Sachsen das Wir sind das Volk in eine Hälfte, die wählt und in eine zweite Hälfte, die die anderen wählen lässt. Sachsen rot. Sachsen schwarz. Sachsen ohne FDP und NPD im Dresdner Landtag. Sachsen mit der AfD im Landtag. Ein guter Tausch? Zuwachs im bürgerlich-konservativen Lager. Sachsen nicht links, nicht rechts, sondern grau gemixt mit König Stanislaw III. – recte Tillich an der Spitze, der zu DDR-Zeiten in der Nationalen Front Karriere lernte und an der Elbe soviel Frieden stiftet, dass er sogar mit dem Linken Rico Gebhardt tv-öffentlich gezähmt zu diskutieren wagte. Sachsen als Zweimann-Show im Sinne Merkels. Der Geist Adenauers wird vom Rhein in die Landeshauptstadt an der Elbe umgesiedelt. Leipzig, Chemnitz, Zwickau und das potente wie gemaßregelte Land ringsum fanden kaum statt. Die Welt ist voller Kriege? Für Sachsen zählt der Auto-Klau an der Ost- und Südgrenze. Für den schwärenden nächsten Weltkrieg ist Berlin zuständig, wo die stärkste Frau der westlichen Halbwelt bündnistreu regiert. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 31. August 2014 Haupttitel Seite 1: DIE NATO GEHT NACH OSTEN. Dazu ein letzter guter Rat, bevor alles wie 1914 und 1939 wird. Schickt die Kriegsministerin Ursula v.d.L. in die Wüste und gebt Margot Käßmann das Kommando, deren erster Chef doch tatsächlich ein Pazifist gewesen sein soll. Inzwischen legte allerdings Ex-Pastor Gauck ein erneutes Kriegsbekenntnis samt wiederholter Drohung gegen Russland ab. Ein genetisch belasteter theologischer Großmaulwurf für die neue Ostfront. Ist sowas noch zu pazifizieren?
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