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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 36 |
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Die unvollendete DDR als Vorläufer
Mit freigelegtem Busen könnte Mutti Merkel Väterchen Putin jederzeit in den Schatten stellen
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In Köln, der Stadt zwischen den Koordinaten Kardinal und Karneval, gründeten fixe Spitzköpfe ein lebensfreudiges Festival für Sinnsucher, das sie zielbewusst zum phil Cologne aufmotzen und als zweiten Aufguss dieses Jahr vom 19. bis 25. Mai am Rheinufer aufführen, das dann, stoßen ein paar Lyriker dazu, vom Rhein- zum Reimufer eskaliert. Ein akademisch duftendes Kürzel wie phil zieht unsere weltläufigsten Sinn- wie Unsinnsucher automatisch an als wärs Magie. Wer weiß schon noch zwischen Ochs und Esel zu differenzieren, wenn selbst der Differenzdenker Jacques Derrida auf den deutschen Philosophen der antisemitischen Schwarzen Hefte hereinfiel. Heidegger wie Derrida, was stört der Tod die Großdenker, werden in Köln erwartet, moderiert vom noch überlebenden Bernard-Henri Levy. Applaus als Vorschuss und vorwärts in den Krieg gegen Putin. Der Spitzenphilosoph Levy überlebte den Krieg gegen Libyen, zu dem er Sarkozy antrieb, der zwar den obersten Libyer Gaddafi beim Pariser Staatsempfang eben noch liebevoll geküsst hatte, ihn aber kurz darauf kulturvoll pfählen lassen musste. Wobei Deutschland sich ausnahmsweise der Mittäterschaft enthielt. Schande über uns Feiglinge. So darf das nicht weitergehen. Magister Levy legt hurtig die Schreibtischlanze gegen Russland und für die Ukraine ein, komme was da kommen mag, und sei es Merkels Busenfreundin, die blonde Kalaschnikowa. Anfangs schloss sie mit Putin teure Verträge ab, jetzt will sie ihm in den Kopf ballern. Das eben ist Politik. Hitler paktierte 1939 mal schnell mit Stalin, bevor er 1941 den Partner im Kreml auszuräuchern versuchte, was ihm etwas später den finalen Schuss in die Birne eintrug. Wegen diesem Führer und Putin, der als Stalin II. gehandelt wird, verstrickte Schäuble sich jüngst in linguistische Wirrnisse. Viel Zuspruch gab's und einigen Ärger, weil er Putins Einholung der Krim mit Adolfs Heimholung des Sudetenlandes parallelisierte, was er als bloße Analogie zu entschuldigen sucht. Analogie hin oder her, vergleichen lässt sich alles bis zu Elefant und Spitzmaus. Hitler allerdings ist bis jetzt unvergleichbar, es sei denn mit Stalin, was zum dümmsten Antitotalitarismus führt, dieser liebsten herrschenden Tollheit. Ich bin der Vergeblichkeit halber toll genug, Minister Schäuble den kleinen Unterschied zu erläutern, indem ich ihm ein lapidares Gedicht offeriere:
Du willst nach Eger?
Nimm den Weg über Lidice.
Du willst nach Karlsbad?
Fahr über Theresienstadt.
Du suchst das verlorene Breslau?
Fahr nach Auschwitz.
Die Straße nach Stettin
führt durchs Warschauer Getto.
Am Tag, da du ankommen wirst
deine Trauer darf sagen:
Dies hier
Dies hier war Deutschland.
Das wurde schon mal da, mal dort gedruckt, zuletzt im poetenladen mit Gruß an die unheilbar vertriebene Frau Steinbach, doch unsere gewählten Volksvertreter scheuen ontologische Texte und vergleichen immer erneut ausländische Politiker mit ihren deutschen NS-Größen, egal, wie oft sie mit ihrem Gleichsetzungswahn schon aufs Polit-Plappermaul gefallen sind, weil Parallelisierung direkt zur Bagatellisierung führt.
Wir schalten zurück zur Vorschau auf den im Mai stattfindenden Kölner Philosophenkongress, dessen baldigen Verlauf wir wegen spezieller Verbindungen zu Faust und Mephisto längst im Netz auffinden, d.h. voraussagen können. Kurzmeldung der Zukunft in Vergangenheitsform: Ein unbekannter Redner beglückwünscht Deutschland wegen seiner erfolgreichen neuen Politiker, die sich nicht auf einen Zweifrontenkrieg einließen, philosophiert er. Die Regierung brachte die USA und Europa auf unsere Seite, jetzt wird es für Moskau eng. Auf dem Podium beifälliges Nicken, im Publikum Gewisper. Wer ist dieser Mensch? Ein Alien? Ein Untoter von gestern? Wenn Philosophen von vorgestern in Köln über Philosophie sprechen dürfen, wenn Platon / Aristoteles referieren, warum nicht er, der erst vor ein paar Jahrzehnten verschwand wie andere vor Jahrhunderten. Ansonst verlaufen die 42 Veranstaltungen der 2. phil Cologne korrekt wie angekündigt. Die Intelligentsia schwärmt herbei. Sloterdijk, berühmter, leider abgesetzter tv-Stotterer »liest aus seinem neuen Buch, das es noch gar nicht gibt«, lass es bitte dabei, Peter. Martin Walser filosofiert über ein »gutes Vergessen«, aus seiner berühmten Paulskirchen- Rede zitierend, Safranski interpretiert Heideggers SA-Hemd als blanke Sonnenbräune, Frank Schirrmacher trägt sehr überzeugend seinen Zyklus über die Ohnmacht des einsamen Philosophen unter den FAZ-Herausgebern vor, woraufhin B-H Levy ihm höflich die Kalaschnikow der Julia Timoschenko anbietet, die Sahra Wagenknecht ihm flink entreißt und überm Knie zerbricht, ihren Goethe auswendig präsentierend: »Habe nun, ach! Philosophie … Durchaus studiert … ich armer Tor …« Am Ende der Veranstaltung, die noch gar nicht stattfand, spüre ich nicht übel Lust, alle Sinnsucher mit Hitler zu vergleichen, pardon, zu analogisieren. Was aber, wenn auch er ein unvollendeter Sinnsucher gewesen ist? Die NASA jedenfalls verkündet gerade mal wieder das Ende der Welt, was ohnehin niemanden überrascht. Weltuntergang? Na wenn schon. Das Raubtier Mensch kannibalisiert sich selbst. Das sah schon Schopenhauer voraus. Die Nachfahren des Führers realisieren es.
Zum 1. April 2014 gestattete sich die gefürchtete Linkszeitung junge Welt ein Riesenfoto von der Sitzung des Politbüros der SED vom 26. Juli 1968. Waren das noch Zeiten. Ich zähle ca. 20 Köpfe, sogar 1 Frau dabei. Elf Jahre früher hatte ich ihnen das Scheitern prophezeit ohne Prophet zu sein. Da ging ich eben weg und sie gingen als Parteienstaat gemächlich unter. Heute arbeitet die westliche Wertegemeinschaft abwechslungshalber an ihrem baldigen Ende. Ob Ost oder West oder sonstwo, der Blick in die Gesichter der Obrigkeiten signalisiert Karriere als Negativauslese. In der jungen Welt nennt Jörg Roesler seinen dort abgedruckten Text Die Unvollendete, wie man die DDR auch als Ganzes nennen könnte. Roesler beschränkt sich allerdings auf das Thema Die Industriereform 1964: Start der größten und tiefgreifendsten ökonomischen Operation im Rahmen des Neuen Ökonomischen Systems.
Na ja, bezogen ist der Artikel doch aufs ganze DDR-Schicksal. Exakt und kenntnisreich wird die Historie der NÖS rekapituliert. Wir betrachteten die Tragödie im poetenladen mehrmals, zuletzt im Nachruf 35 mit einem Foto unseres Freundes Prof. Fritz Behrens, als er noch freudig lächeln konnte, bevor ihn Walter Ulbricht in Verzweiflung und schwere Erkrankung trieb und sich später seiner Erkenntnisse und Theorien zu bedienen suchte. Arne Benary, ein Schüler des NÖS-Vordenkers Behrens, sah den einzigen Ausweg im Freitod. Ich nenne es Tod der Freien und verweise letztmals auf die Schrift Alternative Ökonomie in der Traditionslinie von Fritz Behrens. Das ganze Diskurs-Heft 18 der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2005 enthält die atemberaubende Geschichte der versuchten und verhinderten DDR-Opposition, Kapitel Ökonomie, woran Fritz Behrens am Ende selbst nicht mehr zu glauben vermochte. Die Revolution kannibalisiert ihre besten Genossen.
25.3.2014, aus Amsterdam mailt Marjolie Funke, früher DDR, dann Frankfurt/Main, später Nachbarin im Hochtaunus:
Gedächtnis ist das Stichwort: In Dresden ist Rudolf Scholz am 29. Januar 2014 fünfundsiebzig Jahre alt geworden. Der in Löwenberg, früher Schlesien, heute Polen, geborene und nun schon seit langem sächsische Bürger ist ausgebildeter Musiker und vielseitiger Autor. Hat Dresden zu seinem Geburtstag geflaggt? Oder Leipzig gratuliert? Im Dingsda Verlag Querfurt/Leipzig erschien von ihm 2002 der Roman Leipzigs letzter Held oder das Leben des Pfarrers Hans-Georg Rausch. Das Buch steht griffbereit im Regal. Ein Pastor als Heros, Agent und sächsischer Don Quichote. Ein Leben und eine Story vom Allerfeinsten zwischen allen Fronten und Instanzen. Der MDR sollte die Verfilmung riskieren, gerade weil die Geschichte so unglaublich stark fasziniert wie gezielt konterkariert.
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Quer zu allen Fronten
Rudolf Scholz
Leipzigs letzter Held
Oder die Leben des Pfarrers Hans-Georg Rausch
Dingsda Verlag 2001
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Nach Holland und Sachsen ein fröhlicher Mail-Wechsel mit Bayern:
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Gerhard Zwerenz
Links und lahm
Carlsen 1994
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Den »Tod des Kirchenkritikers Karlheinz Deschner« meldet heute, am 11. 4. die vom bayerischen Korrespondenten her immer mal wieder tiefschwarz getönte FAZ unter dem Titel Richter Gnadenlos. Der Text ist knapp und nicht so giftig wie die Überschrift. Unsere Generation 20. Jahrhundert tritt im Gänsemarsch ab. Deschner. war als williger Fallschirmjäger in Sizilien, fand später zum Antimilitarismus und Atheismus und räumte mit seiner Kriminalgeschichte des Christentums Himmel und Hölle ab, ein umgekehrter Fallschirmjäger, statt von oben Richtung unten ging es von unten gegen die oben. Einmal verübelte er mir ein paar Sätze über Nietzsche, die er als gegen Nietzsche gezielt empfand. Wir einigten uns, doch nicht in der Mitte. Per Postkarte schickte ich ihm ein Bloch-Zitat, das konstatiert, Nietzsche habe die richtigen Fragen gestellt, aber die falschen Antworten gegeben. Damit stockte unsere lebhafte Korrespondenz. Im zuletzt online erschienenen Nachruf 35 wird Deschner genannt und dankbar zitiert. Eine Form des antizipierten letzten Grußes. Im Gedächtnis anarchischer Partisanen vereist die Zeit zur glatten Schreibe. Die Zeitabstände verschwinden dir traumhaft. Du lebst heute und gestern.
Information von Live und lustig, dem Kleinkunstportal aus Berlin am 27. 3. 2014:
60 Jahre Leipziger Pfeffermühle
von Harald Pfeifer
Am 22. März 1954 stellten junge Leipziger Schauspieler im Weißen Saal am ZOO ihr erstes Kabarett-Programm vor. Es hatte keinen Namen, wohl aber ihr Kabarett. Leipziger Pfeffermühle. Dass es schon einmal eine Pfeffermühle gegeben hatte unter der Leitung von Erika Mann, wussten sie nicht. Mehr ist zum Start eines der berühmtesten Nachkriegskabaretts in Deutschland nicht zu sagen. Nur eben noch, dass der Enthusiasmus groß war. Wenn man den Werdegang der Leipziger Pfeffermühle beschreiben will, muss „vom Pfeffern und Gemahlen-Werden“ die Rede sein, vom politischen Angriff und der Maßreglung. Junge Spötter standen selbstgerechten Funktionären der SED gegenüber. Große Prominenz hatte beim Leipziger Kabarett ihren Karrierestart. Erich Loest und Gerhard Zwerenz gehörten zu den Autoren, auf der Bühne standen Helga Hahnemann, Ellen Tiedtke und Manfred Uhlig und bald war auch die Stammbesetzung beisammen. Ursula Schmitter, Siegfried Mahler, Hanskarl Hoerning, Manfred Stephan und Günter Schwarz. Die ersten Jahre waren turbulent. Nach zwei Jahren wurde das erste Programm über einen von Parteibütteln inszenierten Eklat kurzer Hand verboten. Leiter der Pfeffermühle Conrad Reinhold entging am Ende nur durch die Flucht nach dem Westen einer Verhaftung …
Das war ein Rückblick auf Satire Ost 1956/57. 1962 erschienen in Köln Gesänge auf dem Markt mit einer Satire West:
gesang auf ein eiland
europa
bretterbude kaiserschloß altes freudenhaus
in einem anfall von heuschnupfen
ging es unter
nur kurze drei sekunden vorher
begann es zu beten –:
EUROPÄER EUROPÄER EUROPÄER
faule gesellen falschmünzer tippelbrüder galgenvögel !
ihr alle
stehendes fußes
,verfehlten weges
unsre hinterlassenschaft eine fontäne gelächter
unser pfand eine erwachte welt gegen uns
europa du wilder anfall
des geists du asthmatische laune
du singender knabe mißratner charakter
europa
du lüge
diese weihnachten hatten wir ein gewaltiges
fest wir kitzelten einander kehle und hand
fraßen pfeffernüsse mit lichterglanz und
guillotinierten den weihnachtsmann das war
diesmal herr müller
es bekam ihm gut er
hatte schon seit jahren kreislaufstörungen
fröhliche weihnacht fröhliche weihnacht
wünschten sich alle und beschenkten einander
es ist gut daß es uns
gut geht es ist gut daß es uns gut geht
sogar die toten alten
welche verzehren auf den friedhöfen die
staatlichen pensionen sogar die toten
alten an die keiner mehr dachte sogar
sie stehen auf das ist auferstehung auf
industrieller basis sogar sie stehen auf
ersuchen um lebens
um lebens um lebensverlängerung einen
schönen platz an der sonne
einen schönen platz an der sonne
Das war Satire 1962 – Europa von Köln aus gesehen. Vom Krieg blieb noch der Nachkrieg. Ein Halbjahrhundert später ist der Nachkrieg längst vergangen. 2014 wird pflichtschuldig ans Jahr 1914 erinnert, der Zweite Weltkrieg bagatellisiert, der Dritte scheinheilig vorbereitet. Die ukrainische Stadt Kiew beherrscht den Schlagzeilenzirkus. Kiew – dort passierte doch schon mal etwas – Babi Jar – was war das bloß? Gegenwart mit Gedächtnisverlust.
Ingrid erinnert mich, Deschner erhielt den Alternativen Büchnerpreis nach mir. Zuvor bekam ihn Dieter Hildebrandt. Inzwischen auch ein junger Toter. Wer von uns Alternativ –Opponenten, konträr stehend zu den Akademie-Staatspreisträgern, lebt noch? Walter Jens, Dieter Hildebrandt, Robert Jungk, Karlheinz Deschner verstorben. Der unbeirrbar tapfere Preisstifter Walter Steinmetz hoffentlich noch gut beieinander. Von den Preisträgern bin ich der letzte Überlebende, obwohl mich das Neue Deutschland voreilig am 16.4.2014 unter die dahingeschiedenen Wehrmachtsdeserteure einreihte. Ja, Freunde und Genossen, liebe Leserinnen und Leser, Totgesagte leben länger. Ich bin verfrühte Informationen gewöhnt, war schon mal im August 1944 als gefallen, dann als vermisst gemeldet und immer wieder da. Die Generation ANTIKRIEG wird gegenwärtig vom Kollegen Tod im Akkord abgeräumt. Unbrauchbare Typen sind wir im neuen Haus Europa, wo es ohne oder gegen Russland geht. Im Spiegel vom 14.4.2014 deklamiert der unvermeidliche Sozi und Historiker Heinrich August Winkler einen Essay, den er Die Spuren schrecken nennt, denn, erklärt er, Putins deutsche Verteidiger wissen nicht, in welcher Tradition sie stehen. Winkler weiß es und verharrt bleiern in der Noske-Pabst-Tradition. In der plakativen Blähsprache nach dem Winkler-Modus wird Putins expansiver Nationalismus und eine unübersehbare Schwäche der russischen Wirtschaft behauptet, was Adolf Hitler Koloss auf tönernen Füßen nannte, bis ihm der Koloss trotz Schwäche auf die Stiefel fiel. Zum besseren Verständnis schlagen wir paar einfache Überlegungen vor: Als Sowjets standen die Russen und Ukrainer vor Jahren noch an der Elbe. Wisst ihr noch? Ans Schwarze Meer zurückgezogen stehen sie heute einander feindlich gegenüber. Was können wir tun? Wer sich dazu vernünftig äußert, gilt als Putinversteher, sagen die Putinfeinde und fallen schon per Formulierung in den kalten und heißen Krieg zurück, als es auch schon gegen Moskau ging. Krieg wollen sie nicht, versichern sie, haben nur am dicken Ende nichts anderes zu bieten als ihren vorgeschobenen NATO-nialismus
In äußerst kritischen und traurigen Situationen bieten geheime Tagebuchnotizen Trost. Mitunter werden aus Versehen Gedichte daraus, die den inneren Zustand festhalten für spätere Niederlagen:
alt geworden
unsre athletischen träume
stehen angepflockt vorm haus
und fressen stroh und heu.
unsre romantischen wünsche
leben in dunklen kellern
klemmen in rostigen fallen
die hälse und pfoten sich ein.
unsre gewaltigen kräfte
werden durch die stadt geführt
einen ring in der nase.
unsere schönen träume
stehen als scheuchen im feld
und verjagen die vögel.
In unseren kleidern gehen
gespenster spazieren. sie
hören auf unsere namen und
denken unsre schlechten gedanken.
(Gesänge auf dem Markt Köln 1962)
Alt geworden? Die klassische Philosophie hat seit Aristoteles und Platon zweieinhalb Jahrtausende auf dem Buckel. Am Rhein findet just der Kongress der Sinnsucher statt. Gibt es einen Fortschritt der Philosophie? Stalin ließ kritische Denker und Theoretiker erschießen. Wir wurden mit der Leipziger philosophischen Schule nur zerschlagen und verjagt. Die Bonner Republik hielt es mit Heidegger. Für die Berliner Republik bleiben seine Schwarzen Hefte. Was bietet Köln? Was haben wir letzten Blochianer der Ex-DDR zu bieten? Objektiv gezählt lud die DDR weniger Totenschuld auf sich als andere Deutschlande, die es jemals gab oder gibt. Allein ein Bundeswehr-Oberst produzierte per Befehl mehr als hundert Opfer und wurde zum General ernannt. Die DDR, deren wir Oppositionellen aller Deutschlande uns in Wehmut wie Zorn erinnern, bestand aus zwei Republiken. Die Macht lag in Moskau, das den unterworfenen deutschen Vertrauten, vorab den Genossen, das untaugliche Modell verschrieb, in der Gesellschaft bildeten sich die Konturen eines anderen Modells heraus, das unterdrückt zu haben die Schuld der Machtinhaber ist, die sich und den sozialistischen Versuch damit zur Untauglichkeit verurteilten, und es ist die Schuld derer, die zum Dritten Reich keinen hinreichenden Bruch zulassen wollten, so geschehen im Westen.
Diese verhinderte zweite DDR, eine mögliche, aber nicht realisierte Republik, lässt an eine kulturelle Europäisierung denken, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg von der roten Weltbühne Jacobsohns, Tucholskys, Ossietzkys angestrebt worden ist. Keine schlechten Ahnen am Vorabend des drohenden Weltbürgerkrieges.
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Dieter Schiller
Erbschaft diese Zeit
Heft 182
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Sagte ich rote Weltbühne? Das ist strategische Absicht. Mit unseren seit jeher roten Heften gegen die Schwarzen Hefte und Löcher der Heideggerianer-Kompanien samt Kumpanei. Getreu der Tradition dagegen Heft 182 der Pankower Vorträge mit Dieter Schillers Text Erbschaft dieser Zeit – Ernst Bloch und seine Moskauer Kontrahenten 1935/36. Die Moskauer Kontrahenten aus diesen Jahren sind auch noch Blochs Kontrahenten von 1956/57 in der DDR, genauer gesagt in Leipzig. Dieter Schiller weist das für Moskau im Detail nach, für Leipzig und die entschwundene DDR bezeugen wir es. Erich Loests Zorn auf Paul Fröhlich ist so gerechtfertigt wie kurzschlüssig. Da Erich knapp vor seinem Freitod noch auf mich als Fröhlich-Opfer verweist, sei ihm auf seine sächsische Himmelswolke gemailt: Das Politbüro-Mitglied Fröhlich war die letzte Inkarnation Stalins. Und sein letzter Sieg. Was bleibt ist Blochs Erbschaft dieser Zeit und für unsere Zeiten. Was bleibt sind Hitlers Kriege, die auch ohne ihn fortgesetzt werden als sei der Friede lediglich eine phantasmagorische Pause zwischen Menschheitsverbrechen.
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