|
|
Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung
Die Sächsische Autobiographie, inzwischen ungetarnt offen als authentisches Autobiographie-Roman-Fragment – weil unabgeschlossen – definiert, besteht bisher aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nachrufe & Abrechnung.
Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Nachrufe & Abrechnung 46 |
|
»Weltordnung – ein aufs Geratewohl hingeschütteter Kehrichthaufen« Bloch-Vorlesung, Leipzig 1.10.1954
Ein Dichter über seinen Vater, der im Krieg ein Auge verlor und als Pazifist an Klarsicht gewann. Feuilletonist Weidermann im Botho-Strauß-Rausch
Volker Weidermann empfiehlt in der FAS vom 21.9.2014 unter der Überschrift Mit offener Brust ein Botho- Strauß-Buch, das demnächst im Hanser Verlag mit dem Titel Herkunft erscheinen wird, 95 Seiten, 14,90 €. Mich bewegt ein Satz des Rezensenten, in dem es heißt: »Die tragische Figur des Vaters, der im Ersten Weltkrieg ein Auge verlor und darauf Pazifist wurde.« Das ist ein Schuss ins oszillierende Gedächtnis. Weshalb? Unser Nachwort 58 vom 28.2.2011 im poetenladen beginnt mit den Worten: »Anfang 1944 kam ich mit einer US-Kugel im Arm auf den Hauptverbandsplatz hinter Nettuno und anschließend ins Lazarett nach Meran(o) in Südtirol. Otto, der ältere Bruder meiner Mutter hatte als k.u.k.-österreichischer Soldat in der Schlacht am Isonzo ein Auge verloren, auch er war im 1. Weltkrieg in einem Meraner Lazarett behandelt worden. Ich kriegte (oder erlitt) einen Lachanfall, als der Zug mit den Verwundeten neben dem Stationsschild hielt. Otto war als linker Revolteur aus Weltkrieg 1 zurückgekehrt. Seine Bücher und sein Einfluss prägten mich.«
Der Nachruf-Prolog bewegt sich zwischen dem Strauß-Titel Herkunft und meinem drittletzten Wort Einfluss. Parallelität stellt ein Mann her, der im Krieg ein Auge verlor und auf den Erzähler einen pazifizierenden Einfluss ausübt. Hier endet die Parallele, obwohl Strauß seinen Vater so hochachtet wie ich Otto, den älteren Bruder meiner Mutter. Die Differenz ist der konträren Wirkung geschuldet. Botho Strauß ist in der FAZ Liebkind und ich bin Unperson – das war nicht immer so. Heute würde ich mich schämen, in der FAZ Liebkind zu sein. Dem erklärten Einzelgänger B.S. gebührt der Status, indem er seinen Platz im kongenialen Kreis findet. Rezensent Weidermann eröffnet seine Laudatio mit der Frage: Kann man seiner Herkunft entrinnen? Und antwortet darauf mit der zweiten Frage: Will man das? Fragt sich drittens nur, wer da wen fragt.
Einen ganzen Tag vor Weidermanns (West) anschwellend-poetischem Bocksgesang auf Strauß in der FAS war ihm Sebastian Kleinschmidt (Ost-West) in der Sonnabend-FAZ zuvorgekommen und lieferte die bei Weidermann dann fehlenden Kennmarken Heidegger, Ernst Jünger usw. vorweg. Kleinschmidt hatte die beiden westlichen Geisteshelden bereits als Chefredakteur der DDR-Zeitschrift Sinn und Form gepriesen und könnte in der FAZ/FAS damit auch noch Karriere machen. Zurück zum Urquell der Weidermann-Würdigung für das Strauß-Buch, in dem von Bothos Vater und dessen im Weltkrieg 1 verlorenem Auge berichtet wird, auf den Verlust hin der Mann Pazifist wurde. Warum stutze ich? Weidermanns Artikel trägt den Titel Mit offener Brust.1943 lagen wir in Sizilien im Artilleriefeuer unter einem ausgebrannten Panzer. Neben mir mein Freund Wilhelm Strasser, dem ein zigarrenstarker Granatsplitter die Brust öffnete. Es traf ihn, nicht mich. Warum stoßen mich 2014 drei Worte auf Papier ins Jahr 1943 zurück. Weshalb ruft der einäugige Vater des mir gänzlich unbekannten Botho Strauß soviel Vergangenheit in mir wach? Weil der Vater Pazifist wurde, was der Sohn würdigt, ohne ihm in dieser Haltung zu folgen? Wer könnte das verlangen. Ihr Jesus war Pazifist. In seinem Namen führen sie noch heute Krieg auf Krieg. Großes Glück hatte ich mit meinem Helden, diesem Onkel Otto, was ihn als Name so minimalisiert wie sein aufrechter Gang durchs Leben das meine von Kindheit an strukturierte. Der Fall wird in Weder Kain noch Abel im Detail belegt, als Jürgen Reents danach fragte. Meine Antwort:
|
Gerhard Zwerenz: Weder Kain noch Abel
Gespräch mit Jürgen Reents. Das Neue Berlin 2008 |
»Onkel Otto war der ältere Bruder meiner Mutter und der ruhende Pol für mich. Er war eigentlich alles: Kommunist, Anarchist, Trotzkist und spielte Saxophon. Der hat mich auf die richtige Seite geworfen.«
Reents: »Mit seinem Rat: ›Die ganze Welt ist irre, du musst dich dagegen zur Wehr setzen?‹ Sie erwähnen ihn so in Ihrem Buch Venus auf dem Vulkan.«
GZ: »Mit solchen Denkanstößen und Ratschlägen, und mit seinen Büchern. Ich hatte bis zu meinem fünften Lebensjahr im Bett meiner Großmutter geschlafen, dann haben sie mich in die Bodenkammer umgesiedelt. Da gab es neben einem Bett und einer kleinen Waschgelegenheit diesen riesigen Seemannskoffer mit Büchern. Sie waren fast alle von der Büchergilde Gutenberg und galten bis 1933 als gute Lektüre. Aber ab 1933 wurde mir gesagt, davon dürfe niemand mehr etwas wissen, diese Bücher seien alle verboten. Einige sind deshalb zu Beginn der Nazizeit ausgelagert worden, die explizit linke und kommunistische Literatur. Der Kutscher vom benachbarten Rittergut versteckte sie im Stall.«
Reents: »Um welche Bücher handelte es sich?«
GZ: »Alle, von denen ich heute noch lebe: Arnold Zweig, Remarque, Balzac, Barbusse, Heinrich Heine, Gorki, Nietzsche … Mit dem Lesen dieser Bücher habe ich angefangen, bevor ich zur Schule ging, aber schreiben lernte ich erst in der Schule.«
In meinem von Jürgen Reents genannten Büchlein Venus auf dem Vulkan, März Verlag 1982, schildere ich Otto, das Glasauge wie Botho Strauß seinen Vater. Hier eine Kostprobe aus meines Onkels Reden an mich, als der 2. Weltkrieg begann:
Dies ist eine passende Stelle für Montage. Also nutzen wir Blochs Sklavensprachdefinition. Grundsätzlich ist die passive von der aktiven Sklavensprache zu unterscheiden. Die passive Variante folgt dem Druck von oben, den Verhältnissen, Normen, Gewohnheiten. Die Unterworfenen reden wie es von ihnen verlangt, zumindest erwartet wird. Sie verhalten sich naiv, domestiziert, beflissen bis possierlich. Die Worte und Bilder der Medien finden in den Köpfen den gewünschten Widerhall. Die aktive Sklavensprache artikuliert statt Widerhall Widerstand, dessen Potential sích nach dem Ausmaß der Repression richtet und vom andeutenden Unwillen bis zur Verbalrevolte reicht, die sich zur rebellischen Aktion steigern kann. Untergang einbegriffen.
Quellen: Der Begriff findet sich häufig bei Bloch. Ein längerer Hinweis in Atheismus im Christentum auf Seite 30. Näheres dazu in unserem Buch Sklavensprache und Revolte auf Seite 341 sowie im Kapitel Unterschiedliche Sklavensprachen ab Seite 128. Hier noch ein Bloch-Satz: … »Die Sklaven wechseln.«
|
|
Atheismus im Christentum –
gibt's denn sowas? |
Ottos Reden an mich sind Klarsprache. Ich traktiere sie auch sehr gern, wenn selbst die Verbalrevolte ohne Wirkung bleibt. Das ist der wunde Punkt. Der einäugige Botho-Strauß-Vater ist im Text als Klarsprache lediglich ein literarischer Aufhänger. Aus der tragischen Figur wird ein Rätsel im gefälligen Feuilleton. Weidermann zitiert folglich seinen favorisierten Dichter mit dessen Bekenntnis: »Dabei müsste ein Leben in der Kunst sich in namenloser Neugier auflösen, bis man irgendwann mit großen Augen untergeht.« Das ist Untergang auf Papier. Wo bleibt da des Vaters Glasauge. Kehrt einer nach dem Verlust eines Auges als Pazifist aus dem Krieg heim, verspricht die Gestalt für die Gestaltung bei weitem mehr als im Text gehalten wird. Die namenlose Neugier mag mit dem feuilletonistischen Untergang hinreichend bedient werden. Der Pazifist nicht. Da wird er stets ans Kreuz geheftet
Lakonische Rückschau ins Ich: Als der Siebenjährige 1933 erfahren hatte, die Bücher in seiner Bodenkammer waren ab sofort verboten, fühlte er sich erstmals in seinem Leben bedroht und erlernte die Technik der Geheimhaltung erworbenen Wissens. So überstand er Schule, Lehrlingszeit und Wehrmacht. Der Plan, bei der Hitlerjugend das Segelfliegen zu erlernen und übers Erzgebirge nach Prag zu entkommen, scheiterte an der In Prag einmarschierenden Wehrmacht. Ab also mit 17 Jahren zur Luftwaffe. Was Hitlers Stellvertreter Hess konnte, konnte ein Trotzkist schon lange. Her mit der Messerschmidt und fort in die weite Welt. Stattdessen werden drei Luftwaffenrekruten am Tag der Entscheidung, abkommandiert in die Kaserne nach Utrecht, wo die Luftwaffendivision Hermann Göring, die bei Rommel in Afrika gerade unterging, neu aufgestellt werden sollte. Zwei freuen sich auf Holland. Der dritte erstarrt zur Eissäule. Scheibenkleister ist es mit der ersehnten Flugschule, er wird nicht wegfliegen, er wird wegstiefeln müssen. In seinen luftigen Wünschen hatte er sich's leichter vorgestellt. Kinderleichter.
Zweimal missglückte der Versuch, sich von der Truppe zu entfernen. Zwischen Monte Cassino und Gaeta stach ein Riesenkerl von Feind den Begleiter nieder. Ich wollte sein Bajonett nicht auch noch kosten und drückte ab. Das war Schreck, Panik, Angst, Verlust, Wut. Bald gab es Gerede in der Kompanie. Die schiefen Blicke der Verdächtigung. Hatten die beiden abhauen wollen? Da bin ich ganz und gar ein tüchtiger Soldat. Dumm und gehorsam wie gewünscht. Das wäre ja gelacht. Im Ernstfall parodiere ich den Jünger bis zum Kotzen. Als sie mir in Monte Cassino den Orden anhefteten »Für den Fronteinsatz im Erdkampf in mindestens drei Gefechten an drei verschiedenen Tagen« - das Weiße im Auge des Feindes sehen hieß das im Heldendeutsch. Da wusste ich doch, die dritte Flucht musste glücken. Der Warschauer Aufstand im August 1944 verhalf dazu.
Als Fünfjähriger ging ich an der Hand meiner Großmutter durch den Ort. Mit dem Finger wies sie auf einzelne Häuser, die Namen von »Gefallenen« nennend, da hatte eine Frau ihren Mann, dort ihren Sohn verloren. Warum standen die Männer nicht wieder auf, wenn sie gefallen waren fragte ich und erfuhr »gefallen« bedeutete, im Krieg getötet worden zu sein. Diese Frauen und Mütter wussten mehr als wir wissen durften. Ich nahm mir vor, nie zu den Gefallenen zu gehören. Und wenn, stünde ich wieder auf.
Heute, mit fast 90 Jahren wünsche ich mir eine Zaubermedizin, die nach dem Abgang jede denkbare Wiederkehr auf diesen Erdball verhindert. Es muss doch irgendwo unter Milliarden von Himmelskörpern noch etwas Vernünftiges geben.
Hier auf Erden wird eben die schwache Seite Nietzsches als ewige Wiederkehr des Krieges organisiert. Immer dasselbe öde Karussell, durch Marx bereits vor langer Zeit mit seiner Doktordissertation widerlegt – wer will das wissen. Die Krieger, Kriegerinnen inklusive, können nicht anders. Von den Medien wird fleißig eingeheizt: Feindbild Russland … Das Recht des täglichen Tötens… Chinas Aufstieg – Deutschland muss sich auf ein Land einstellen, das vor Konflikten nicht zurückschreckt … Vater erzählt wieder vom Krieg… Unsere Mütter unsere Väter … Daimler greift in China an … Putins Schlachtplan… Krieg in den Köpfen… Von Ernst Jünger zu von der Leyen: Kriegshandwerk als Job … Das ist der Sound des Krieges …
Der Zeitungsungeist steigert sich von der versprochenen Friedensdividende zur Totschlagzeile. Nicht mehr nur der Marxismus, sondern der Pazifismus wird zum feindlichen Gespenst erklärt …
Krim-Krise aus russischer Sicht:
Putin ist verrückt
Ihr im Westen versucht, hinter Putins Handeln eine Strategie zu entdecken. Ihr fragt euch, was sein legitimes Interesse sein könnte. Wir Russen wissen, dass da der blanke Wahnsinn am Werk ist (FAZ 15.03.2014 von Nikolai Klimeniouk)
Leipziger Volkszeitung 9.9.2014:
Terrorgefahr:
Kritiker warnen vor Waffentransport vom Flughafen Leipzig
Laut Walter Benjamin hat »die Menschheit mit ihrer Selbstentfremdung jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuss ersten Ranges erleben lässt. So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.« (Walter Benjamin Illuminationen, Suhrkamp 1961)
|
|
Marxist Walter Benjamin –
heute noch en vogue? |
Fürs erste geht unser meistzitiertes Blatt vom Main, vielleicht aus Respekt vor Benjamin, noch wie sein Vorgänger zu Hitlers Zeiten den Weg mit Widersprüchen. In der Politik herrschaftlich machtverfallen, in der Wirtschaft zunehmend verunsichert, doch weltläufig, im Feuilleton mal honorabel, mal nichts als angstverschwitzt vor den Konsequenzen. Wir aber lesen über den Waffentransport, der vom Leipziger Flughafen ausgeht. Will das die Heldenstadt? Die gewünschte D-Mark ist weg, die Waffen sind da. Wir lieben Sachsen trotzdem. Unser Titel Die Verteidigung Sachsens ist so ernst gemeint wie fröhlich. Wir kennen wie Wilhelm zwo keine Parteien mehr und kehren den Spruch der Sozis von 1914, diesen falschen Burgfrieden, diese Kriegserklärung mit Verrat an der 2. Internationale, in seine wahre Bedeutung um. Sachsen, Deutschland, Europa erklären aller Welt den Frieden und arbeiten ernsthaft daran. Der Linkspartei ein besonderer Herzensgruß. Sie kann nur noch besser werden, obwohl sie inzwischen längst mehr Aufklärung betreibt als die andern.
Europas Linken samt deutscher Linkspartei ist wie den anderen die ursprüngliche Philosophie abhanden gekommen. In der Berliner Republik schrumpft die Politik zur Personalie und die Kultur zum Dauer-Talk, unterbrochen von Börsen- und Wetterberichten, was bleibt sind Krimis, Fußball, Merkel, von der Leyen und der trotz Krebs stets wohlig braungebrannte, wortsprudelnde Bosbach.
Sklavensprache XIX
aus GZ: Vergiss die Träume deiner Jugend nicht – 1989
Wer auf die tägliche Dosis allgemein
üblicher Sklavensprache verzichtet,
handelt sich Unwillen ein. Erst lacht
man ihn aus, dann setzt die Maschinerie
der Verfolgung ein. Wer nicht in Demut
verharrt, muss es büßen. Wer mit dem
Kopf gegen die Decke stößt, ist zu
groß gewachsen. Er wird verkürzt.
Einige wenige gehen ihren Weg weiter.
Wenn sie stehen, stehen sie aufrecht.
Irgendwann wird man beim Häuserbau
das Maß berücksichtigen müssen.
Es war einmal, da saß also einer in Leipzig und blickte auf seinen weiten exotischen Bekanntenkreis, dessen unglaubliche Widersprüchlichkeit lauter entgegengesetzte Pole enthielt. Seine früheren Kameraden und Freunde sowie nachmaligen Genossen aus den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern, die mit ihm als ehemalige Deserteure zurückkehrten, waren Volkspolizei- und Armee-Offiziere geworden, arbeiteten in Kriminaldienststellen und bei der Staatssicherheit, in Partei und Staatsämtern. Jetzt in Leipzig fügte sich eine ganz andere Gesellschaft hinzu, das hochmögende Personal von Universität, Wissenschaft, Kunst. Durch die Freundschaft mit Ernst Bloch entstanden Verbindungen mit Alfred Kantorowicz, dem Unbestechlichen; Wolfgang Harich, dem Undurchschaubaren, Hanns Eisler, dem Mister Sarkasmus. Nachdem er ein kleines Büchlein über Brecht und Aristoteles geschrieben hatte, suchte Alfred Kurella diesen Zwerenz in seine Anti-Brecht-Front einzubauen, wogegen er sich wehrte. Er fand in Johannes R. Becher einen Fürsprecher, bis er sich mit seinen Veröffentlichungen zu weit vorwagte und Becher erneut auf Parteilinie ging. Hier von der Stadt an der Pleiße versuchte er die ersten Fäden zu seinen späteren Freunden Erich Fried, Arthur Koestler, Ludwig Marcuse, Robert Neumann zu ziehen, und als er die DDR fliehen musste, rettete sich zur selben Zeit Alfred Kantorowicz in den Westen, die herzliche Freundschaft dauerte bis zum schweren, bitteren Tod des Unbestechlichen in Hamburg. Inzwischen waren auch Bloch und andere in der BRD. In den sechziger Jahren meinte er mitunter, Leipzig sei überall. Wenn er Uwe Johnson traf, dachte er an die Bloch-Vorlesungen in Leipzig, zu denen Johnson eine Zeitlang anrückte, nach Schnaps riechend, schwerzungig, schwerfällig, artikulationsfaul, das Schweigen des Nordens im sündigen Geschwätz des Südens der Republik. Sie würden Johnson manipulieren, vernützen, von Geheimdiensten narren lassen, er würde aus der Mitte zur Peripherie tappen und verschwinden, ein unaufgelöstes Kreuzworträtsel der Literatur-Illustrierten. Über all das würde er noch schreiben und veröffentlichen, wäre die Zeit reif, nahm er sich vor.
Eine Kooperation mit den Spitzen und Amtsträgern dieser unaufgeklärten postnazistischen Bonner Staatsgesellschaft war nicht mein Ding, worüber Erich Kuby sich am 10.10.1974 im stern äußerte. Unter dem Titel Ein Querkopf ohne Heimat schreibt Kuby: »Er kam aus der DDR und wurde einer der schärfsten Kritiker der Bundesrepublik … Das Leben des Schriftstellers Gerhard Zwerenz enthält kaum eine Person, eine Situation, ein Milieu, die nicht auch in seinen Büchern vorkommen. Denn der gedrungene Linksliterat mit dem wuchernden Vollbart und dem markanten Quadrat-Kopf sieht sich außerstande, Unrecht und Ungerechtigkeit schweigend hinzunehmen.« Ich fand das freundlich von Kuby, fühlte mich aber immer noch in der Situation des Achtjährigen, der gegen das Verbot seiner Lieblingsbücher durch die Nazis revoltiert. Es gibt lebenslang imprägnierende Erfahrungen, und da wir gerade von Biographien und Autobiographien sprechen, sind die Konsequenzen gefragt.
Wer im Krieg ein Auge verliert und als Pazifist heimkehrt, ist trotz Verlust ein Sehender geworden. Wer dem Einäugigen tief ins Glasauge blickt, wird verstehen, weshalb es tränen kann.
Es ist eine finstere Zeit
Es ist eine finstere Zeit
Da die Dichter schweigen aus Angst
Und die Kritiker reden auf Befehl
Und es ist eine Literatur
Der keiner glaubt.
Aber es werden Honorare gezahlt.
Es ist eine finstere Zeit
Da Unbekannte hocken
In möblierten Zimmern
Und mit heißen Manuskripten
Anfüllen die Schränke.
Aber es wird Makulatur gedruckt.
Es ist eine finstere Zeit
Da die Dichter nicht dichten
Und die Denker nicht denken
Denn es darf nicht gedichtet
Und nicht gedacht werden.
Aber es werden Preise verteilt.
Geschrieben zur Leipziger Buchmesse 1956 –
reaktiviert zur Frankfurter Buchmesse 2014
|
|
|
|
|