Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
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Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
Rasputin
Im letzten Kapitel wurden wir am Ende beinahe peinlich ernsthaft, da fehlt einem waschechten Sachsen der Spaß an der Ironie des doppelten Bodens. Ohne Blick in den Underground graust uns.
Heute mag es so aussehen, als hätte unsereins keine gute Vergangenheit oder überhaupt keine. Ich dementiere das leicht amüsiert bis schwer verschnupft. Anno 1967 z.B. legte ich mich wegen der militärischen Feierlichkeiten bei Adenauers Staatsbegräbnis im Dom zu Köln mit den köllschen Schwarzen so nachhaltig an, dass es ratsam erschien, ins liberalere München auszuweichen. Weil die Verlage, für die ich schrieb, in Frankfurt domizilierten, sauste ich einmal wöchentlich von der Isar an den Main, wobei ich bald den Rhein vermisste, mir aber von einem unerwarteten Honorar den eben herausgekommenen BMW 2002 ti leistete, der in den folgenden Jahren so manchen Todestrieb junger ungestümer Fahrer befriedigte. Auf den 800 Kilometern Autobahn (morgens hin – abends zurück) spürte ich die Verlockungen des Bleifußes, hielt mich aber an die kluge Überlebensregel, dass zur schnellen Abfahrt die triumphale und heile Heimkehr gehöre. Da ein Schriftsteller Geld benötigt, und da die Deutschen (West) eben von der Fress- und Sauf- zur Sexwelle wechselten, schrieb ich für Jörg Schröder unter dem Pseudonym Leslie Markwart einen luftigen Porno mit dem futuristisch-avantgardistischen Titel „Die Zukunft der Männer“. Sein Verlag Olympia-Press war der deutsche Ableger einer international grassierenden Weltfirma und stieß auf der Frankfurter Buchmesse in ungeahnte Höhen und Tiefen vor. Keiner merkte, dass ich den Globalbestseller „Die Geschichte der O.“ parodiert hatte, indem ich an die Stelle der Dame O. einen Herrn plazierte, der nun den weiblichen Sadismen so ausgesetzt war wie die O. den männlichen. Wenn Geilheit derart dumm macht, dachte ich, dann hat der homo sapiens ein intellektuelles und erektives Problem. Es erschien Abraham Melzer, der tüchtige Verleger, der sich mit dem erfolgreichen Verleger Schröder in schwere Konkurrenzkämpfe verwickelt sah. Melzer wollte auch gern einen Porno, weshalb ich auf RASPUTIN verfiel, welcher Roman flugs in die Maschine geknattert wurde, denn Pornografie bringt Spaß, weil sie die schönste Weltverscheißerung darstellt. Lustgewinn pur, und wenn's klappt sogar Geldgewinn, du kannst dabei auch Pleite gehen wie der Marquis de Sade.
Die Rasputin-Story wuchs. Zar und Zarin wurden aufgepeppt, der wüste und wüst betende gläubige Bauer pilgerte von Sibirien her ins Heilige Petersburg, legte Fürstinnen, Huren, Hausfräuleins samt Zarin aufs Kreuz, therapierte den blutenden Zarewitsch, riet dem dumpfen Herrn Zaren vom Krieg gegen Deutschland ab und endete fünffach ermordet in der eisigen Newa.
Ich mischte kalte Realität mit heißen Phantasien, stilisierte die rasputinschen Liebeskräfte bis in jene geilen Höhen, wo nur noch die antiken Gottheiten hausen, denen irdische Sitten und Moral bekanntlich Hekuba sind, und jede Buchseite wurde mit ein paar gängigen four-letter-words verziert, die aus der amerikanischen Manhattan-Prärie via Henry Miller und Charles Bukowski gerade in die germanisch-germanistischen Urwälder eindrangen wie Weiße ins Indianerland. Das las sich dann so: „Rasputin, Ficker der Herrscherin aller Reußen, im Mösenpflücken lang geübt, verfügte über die Gabe psychologischer Osmose ... Babolin behauptet, in Pokrowskoje hätten die Bauernweiber Rasputins Badewasser getrunken und seien davon schwanger geworden ... Es ist ein ziemlicher Schreck, wenn du dir vorstellst, dass es Mütterchen Rußland ist, das du fickst' sagte Rasputin ...“
Natürlich achtete ich beim Dichten auf die Regeln der political correctness, wie es sich gehörte, und um die politsüchtigen Akademiker zu erfreuen, setzte ich dem 1. Kapitel als Motto voran: „Ohne Rasputin hätte es keinen Lenin gegeben.“ Welches weise Wort ich dem Herrn Kerenski zuschrieb, der gewiss dankbar reagierte, wüsste er, wie gescheit er dargestellt wurde, indessen ist der ja schon lange tot
Die freche Romansatire war unter dem Pseudonym Peer Tarrok kaum erschienen, da befassten die Behörden sich mit der Unverschämtheit. Es gab moralische Verwünschungen, Indizierungsanträge, kirchliche Gewitter, teure Professorengutachten, Rundfunkbeiträge, Fernsehauftritte sowie ein hochwissenschaftliches Papier, das für ein striktes Verbot votierte und sich dabei auf einen gewissen Shdanov berief, welcher Obertowaristsch schon einem Generalissimus Stalin bei Schriftstellerverfolgungen und Vorbereitungen für Todesurteile gegen Intellektuelle innig zur Seite gestanden hatte. Inzwischen war neben dem teuren Hardcover eine preiswertere Ausgabe bei 2001 auf dem Markt, die in kurzer Zeit ihre zehnte Auflage erreichte. Den endgültigen Ruhm aber trug dem kleinen Buch der für Indizierungen zuständige nordrhein-westfälische Minister mit dem nicht ganz beziehungslosen Namen Figgen ein, was nun selbst die glühendsten Verbotsanhänger zu einschlägigen Wortwitzeleien und preiswerten Kalauern verführte. Als alles überstanden war, schrieb ich, solchen Stammtischbräuchen wenig geneigt, am 10.10.1970 in einem Brief an den Verleger:
„RASPUTIN wurde nun doch nicht indiziert, obwohl das Figgen-Ministerium keine Gelegenheit vorüberziehen ließ, sich tüchtig zu blamieren. Da zitieren sie Old Tucholsky und schreiben ihn falsch. Da zahlen sie einem Herrn Professor Tausende für 4 Seiten Gutachten und der Mann tautologisiert, ist der Grammatik nicht mächtig und verkehrt ein Zitat der Susan Sonntag ins Gegenteil des von ihr Gemeinten.
RASPUTIN wurde nicht indiziert. Die Bundesprüfstelle ist besser als ihr schlechter Ruf. Wie seltsam, plötzlich Staatsleute zu finden, die so reden wie zuhören können. Wächst etwa die Denkfähigkeit unserer alten vielgescholtenen deutschen Beamten?
Mein lieber Abi, wir sollten nun Schluss machen. Ich hatte die diversen Masken, das Pseudonym benutzt, dem Rummel zu entgehen. Unter dem Schutz des Pseudonyms soll man unbehelligt seine nächsten Bücher schreiben können. Veröffentlicht man unter seinem richtigen Namen, muss man das Buch auch immer ‚stellvertreten‘, also neben dem Autor auch Darsteller sein. Ich hatte und habe das sehr satt. Ein Buch, einmal gedruckt vorliegend, ist für den Autor längst vergessen, ist gestorben. Wie ärgerlich, sich dann immer wieder vor den Toten stellen zu müssen. Das Pseudonym enthebt einen davon. Da aber der Tarrok geknackt worden ist, kam ich gerade in den Trubel, was meiner weiteren Arbeit nicht förderlich ist.
Ich schlage vor, wir drucken keine nächste Auflage. Ist der noch vorhandene kleine Rest weggegangen, gilt der RASPUTIN als vergriffen. Die Rechte fallen an mich zurück. Ich vergebe sie nicht wieder. Nach kurzer Zeit wird Gras über die Stelle wachsen. Gräber sind schnell vergessen. Schließlich haben wir etwas bewirkt mit dem Buch, einige Herren in obersten Stellungen haben sich erregen müssen, sind geschockt, das steigert die Denkfähigkeit. Mögen sie auch Tuchos Namen falsch schreiben, wir haben sie gezwungen, an Tucholsky zu denken. Sich nicht wiederum zu blamieren, werden sie nun Tucho wirklich lesen, das könnte Folgen haben. Arbeiten unsere Herren Ministerialbeamten in den siebziger Jahren endlich die zwanziger Jahre auf, buchen wir's schon als Erfolg. So kann man mit RASPUTIN die Denkfähigkeit bis zur Rezeption der Kritik an Weimar hochschocken. Schwer ist's in diesem Beruf, aber die Regierenden einen Millimeter fortzubewegen – ist das nichts? Kein Heureka – nur ein Heurekachen, immerhin, ziehen wir RASPUTIN, den Beweger, also zurück. Er hat die Oberen wieder einmal aufgebracht, der große kleine dumme geile mächtige Bauer.
Herzlich Ihr
... “
Seither sind mehrere Jahrzehnte vergangen. Die Buchrechte wurden nicht wieder vergeben. Von Zeit zu Zeit erinnert der SPIEGEL an den schönen Skandal. Zuletzt in Nr. 46/2000, und in 50/2000 wurde das Foto eines pornographischen Tisches präsentiert, der entweder Katharina der Großen gehörte oder der letzten Zarin, dieser Rasputin-Geliebten. Ich erblasste, als ich die Abbildung sah. Da hatte ich nun mit meinem berüchtigten Rasputin-Porno die deutschen Amts- und Schlafzimmer in himmlisch-höllische Erregung versetzt, hatte recherchiert, studiert, fantasiert, ironisiert, polemisiert und erigiert, doch auf eine so verblüffend primitive wie zugleich hochartifizielle Sauerei wie die weiland russischen Herrscherinnen war ich nicht verfallen. Was für ein Versagen – ein deutscher Porno-Poet weit unter dem Level zweier Zarinnen im heiligen Mütterchen Russland.
Ich erwog nun eine Wiederauflage des Buches. Die fleißig gestreuten schmutzigen Wörter müsste man freilich streichen, dergleichen ist heute Jugendsprache, „geil“ ein geläufiger Ausdruck, die Vokabel „ficken“ gehört so selbstverständlich zum Fernsehen wie der Wetterbericht. Mitten im SPIEGEL glänzen Sätze von der Art „Ach, fick dich selbst ... Jedenfalls ist Sex in aller Munde ...“ Im stern 42/2002 lese ich vom „In den Arsch ficken“, wie will da ein satirischer Pornograf bei diesen Bräuchen der Saubourgeoisie noch mithalten. Hinweg also mit den four-letter-words. Die Story vom supersexy Rasputin, gegen den Strich, auf den die Medien ständig gehen, erzählt, würde noch Wunder wirken wie der Wundertäter selbst. Denn, so heißt es im Roman auf Seite 152, wo Rasputin seinen Mörder Jussupow anherrscht: ›Sing mir ein Lied, Fürst!‹ ... Jussupow unterhält die fröhliche Leiche, die vor ihm sitzt, die Beine in den Juchtenstiefeln von sich gestreckt, die Bluse geöffnet, das Gesicht hochrot unterm langen, wohlgebürsteten Bart. Der Mörder singt entsetzt ein Lied nach dem anderen, das Opfer prostet ihm herzlich zu, mit vergiftetem Tee und vergiftetem Wein: ›Sing, Brüderchen Fürst! Sing noch ein Lied!‹“
An anderer Stelle steht die Mordpassage so stilgerecht herum, dass der Verfasser einräumt, sie nicht ganz ohne Stolz zu zitieren: „Zweifach vergiftet, vierfach erschossen, mit Stiefeln getreten, mit Knüppeln erschlagen, mit Stricken gefesselt und im Eiswasser des Flusses ertränkt, war Rasputin nicht hinüber, befreite sich von den Stricken, tauchte hoch, stieß gegen die Eisdecke der Newa, fand das ins Eis gehackte Loch, streckte einen Arm aus dem Wasser und erstarrte.
Man fand ihn, zu splitternder Härte gefroren, das zerschlagene, zur Unkenntlichkeit verwüstete Gesicht, den bis zuletzt zeichengebenden Arm, das Glied – der unermüdliche, nie erschlaffende Schwanz in voller Größe gefroren. Als man nach der Revolution Rasputins Sarg öffnete und die Leiche untersuchte, wurde das Fehlen des Herzens und des Gliedes festgestellt. Wie es hieß, waren beide in das Privateigentum der Zarin eingegangen.
Die Zarin und ihre Familie wurden am 16. Juli 1918 in Jekaterinenburg erschossen. Rasputins Insignien gelten seither als verschollen.“
Wenn ich richtig informiert bin, gibt es inzwischen mehr als 250 Bücher über Rasputin und seine heilige Zarin. Alle zwei Jahre kommt ein Film hinzu. Eines aber darf als sicher gelten, ein Rasputin-Roman wie der meine von 1969/70 wird nie wieder geschrieben werden. Lese ich jetzt mein Büchlein, werde ich ganz neidisch auf die Zeit der sechziger und siebziger Jahre, als wir unverfroren genug waren, sowas zu Papier zu bringen. Es geschah eben in einer langen, köstlichen Periode festlicher Randale. Und ich, ein Sachse aus dem erotischen Land der Pleiße, schrieb über Rasputin so schön und fair wie mein Landsmann Karl May über die Rothäute.
Am Montag, den 5. November, erscheint das nächste Kapitel.