Der Krieg als Badekur? (Hindenburg)
Der Entzug des Titels, als Degradierung von Bad Gablenz zum bloßen Ort ohne Bad, was nicht heißen sollte, es werde in Gablenz nicht gebadet, wogegen schon die prächtigen beiden Dorfteiche sprächen, an deren Ufern ich meine frühe Kindheit verbrachte, diese im Nachwort 6 unter dem Titel „Idylle mit Wutanfall“ ausgesprochene Abwertung setzte eine Anzahl Mails in Bewegung, die bei uns im Taunus eintrudelten: Hallo Ihr Tauniden,
mir brummt der Schädel noch etwas, habe den Poetenladen besucht und soviel gelesen über Bad Gablenz, Militärvereine (und sowas gibt's tatsächlich wieder, irre!), Wallraf, die FAZ und den Lügen-Fest, den Lesungsbericht, das Interview (hatte die Margot wirklich was mit Biermann?), war auch wieder in Auerbachs Keller in der Mädler-Passage (0h Gott, einstens von Schneider so schön renoviert) und dann die vielen vielen Fotos von Euch, grad' schön wars! Ja, ich kann nicht immer alles so behalten aber habe ja die Gelegenheit, immer wieder mal reinzulesen. In der Tat, das Online-Buch ist eigentlich ideal, so direkt und aktuell, das Tagesgeschehen kann sofort verarbeitet und verbunden werden mit Vergangenem, so könnt Ihr weiterschreiben ohne Ende. (Marjolie Funke, Amsterdam) Gerecht finde ich das nicht dem Gablenz das „Bad“ abzusprechen, das Du ihm zuerkanntest in der Freude über sein frisches Grün vor und um eine idyllische Teichlandschaft. Würden alle einst so geadelten Orte aufgrund ihrer unrühmlichen Vergangenheit derart abgestraft, Deutschland, wo blieben deine Bäder?!!!
Zugegeben, beeindruckend geschrieben hat er, der Crimmitschauer, der nun in der westlich gelegenen Fremde den künstlerischen Unruhestand verbringt. Auch dass er im Poetenladen blättert, macht ihn sympathisch. Aber wer schickte Dir das vermaledeite Militärvereinsfoto? Wie Dich das umgestimmt hat, will mir nicht in meinen Kopf. („Sturkopf“ – wie ihn mein Vater bevorzugt nannte) Wir sahen und empfanden die Gablenzer Parkidylle als den friedvollen Ort Deiner Kindheit, durch den es sich erholsam spazieren lässt. Quasi BAD-gerecht! (Waltraud und Heinz Seidel aus Tegkwitz unweit der Pleiße) Lieber Gerhard Zwerenz.
Lassen Sie bitte Ihr Bad Gablenz am Leben. Diese fischelanden Sachsen machen doch seit dem ersten Tag der Möglichkeiten ihre Häuser und Garten schön, damit Besucher Freude an diesem kleinen Dorf haben sollen, in dem alle Schattierungen menschlicher Schwächen und Stärken versammelt waren und sind. Die freuen sich doch jedes Mal, wenn sie sich treffen können und noch gesund sind und einen gefunden haben, der sie aufwertet. Halten Sie es in diesem Fall mit den Osterreichern, „sans mer fesch un vergessen mers“. Hinter jeder Unmenschlichkeit, verbirgt sich die Seele eines geschändeten Kindes, das mit dem Glanz der Neugier in den Augen, Vertrauen suchte und bitter enttäuscht wurde. Herzliche Grüße auch an Ihre Frau vom unverschämten Dieter Schwager
Die Frage ist natürlich, ob ich meinen Wutanfall zurücknehme, bereue oder verstärke. Ließe sich nicht auch wollüstig von Bad Crimmitschau (Sahnbad) oder Bad Leipzig (Bad Tiefensee) sprechen, wo Napoleon in der Elster, Goethe, Nietzsche und Richard Wagner tatsächlich im Flüsschen aus dem Erzgebirge / Vogtland plantschten? Als Sachsen einst mit Belgien um den industriellen kontinental- Mephisto betrieb für Nietzsche das fällige Provokationsgewerbe, ganz so als hätten schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts die heutigen Fernsehspaßkotzbrocken Konjunktur gehabt. Wir kehren damit zur Kafka-Tür in Auerbachs Keller zurück. Laut Türwächter herrscht dahinter Helligkeit. Fragt sich, ist das Durchblick oder Blendung. Ist's Eingang zum Spiegelsaal, zum Röntgenraum, zur astronomischen Kuppel mit Fernrohr ins Weltall oder in die Anatomie zum Pathologen mit den scharfen Messerchen, um die Leich' zu erforschen? Ist's Analyse des bloßen Skeletts mit Seelenstriptease? Was bist du – was bin ich? Tat twam asi, du nacktes Arschloch – merk dir: Duck dich so lange, bis du andere sich ducken lassen kannst. Diese Seelenparkplätze, schau um dich, diese Seelenparkplätze grenzen an die majestätisch modernistischen Hochhäuser für Blasenkranke: Wenn Blasen platzen gesunden Millionäre zu Milliardären. Wer will noch Millionär werden, wenn's um Billionen geht. Wer schafft die erste Billiarde. Unendlicher Aufstieg von einer Blase zur nächsten. Gregor Gysi bei Madame Maischberger zu Prof. Sinn: Sie bliesen die Blasen bis zum Platzen auf! Antwort des Professors: Da hieß ich noch Unsinn. Die Vorsilbe hab ich getilgt. So lässt in der Wertegemeinschaft die eine Blase der anderen die Luft raus oder sie platzen gemeinsam. Jetzt aber bricht in den obersten Bankhochhaus-Etagen der Kommunismus aus. Jeder nach seinen Bedürfnissen. Die sind global und astronomisch. In den unteren Stockwerken schuften die kleinen Millionäre, bedroht vom Arbeitsplatzverlust, auf der Mindestlohnebene dahin, bis sie mit 67 mit ihren paar abgezweigten Goldbarren in ihren Villen verdarben müssen – Lesefehler, muss heißen verderben. Und das alles hinter Kafkas Tür in Auerbachs Keller.
Am Abend des 10. Dezember im ZDF bei Maybrit Illner illustre Gäste: Theoderich von und zu Guttenberg schützt seine weichen Korrekturen mit neuen Papiersäbelhieben. Jürgen Todenhöfer hält tapfer die Pazifistenfront gegen einen Tarzan-Typ, den Bodybuilder und Schauspieler Ralf Müller, der in den USA Schwarzenegger ablösen wollte und nun den ständigen KdF-
Der Friedensnobelpreisträger Obama ruft zum Kampf. Nobel erfand das zugehörige Dynamit. Die Deutschen führten schon zwei Weltkriege und verloren sie. Die Amerikaner schlichen sich siegreich fort aus Vietnam. Im Irak sind sie noch beim Rückzug und in Afghanistan werden sie ebenso gewinnen wie vordem die Engländer und Russen, da wollen wenigstens die deutschen Helden mal wieder dabei sein, wenn's schiefgeht wie einst von Moskau bis Leningrad und Stalingrad. Gelernt ist gelernt. Alle singen: Uns ist ganz kannibalisch wohl, Als wie fünfhundert Säuen! (Goethe Faust)
Der letzte DDR-Verteidigungsminister und General Heinz Kessler hält den 20. Moskauer Parteitag von 1956 mit Chruschtschows Rede gegen Stalin für einen revisionistischen Anfang der Niederlage. Kessler war im Juli 1941 von der Wehrmacht zur Roten Armee desertiert. Leider folgten ihm die deutschen Soldaten nicht. Wenn die Deutschen einig sind, ziehen sie keck in den Krieg. So brachten sie bis 1945 fünfundzwanzig Millionen Russen den Tod.
Kesslers Einschätzung Chruschtschows ist verständlich, aber verkehrt. 1993 verurteilte ihn das Berliner Landgericht, bestätigt vom BGH, zu siebeneinhalb Jahren Haft wegen seiner „unmittelbaren Täterschaft“ als DDR-General. Warum erhielten die Wehrmachtsgeneräle für ihren Angriff von 1941 keine Strafe wegen „unmittelbarer Täterschaft“? Die Geschichte ist ungerecht. Die Herren siegten 1941, wurden 1945 besiegt und siegten 1993 mit Urteilen wie dem gegen Kessler, der sich 1941 als Wehrmachtssoldat gut und tapfer entschieden hatte. Als DDR-Minister und General handelte er auf sowjetische Weisungen hin richtig, im Weltmaßstab jedoch falsch. In seiner Einschätzung erkennt er die strategischen Fehler von KPdSU und SED auch heute noch nicht. Moralisch-ethisch aber steht er haushoch über den befehlshabenden Generälen, die 1939 und 1941 in den Vernichtungskrieg ostwärts zogen.
Am Ende des 7. Nachworts wurde versprochen, den Kriegsbefürwortern von Cora Stephan bis Henryk M. Broder noch einige Sätze zu widmen. Bei Broder genügt der Verweis auf unsere Folge 24. Zu Frau Stephan gibt's ein Zitat aus Links und lahm, Carlsen Verlag Hamburg 1994: „In diesem Kapitel gingen wir vom Phänomen jener Linken aus, die sich von Pazifisten zu Bellizisten wandelten; natürlich wollen sie immer nur Hilfsbedürftigen helfen. Tatsächlich gaben die Freiwilligen ein Beispiel, die im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco zur Waffe griffen. Ich vermag nur zu achten, wer nicht andere in den Krieg entsendet, sondern selbst in den Kampf zieht. Das gilt, wegen der gleichen Berechtigung, auch für Frauen, und so sehe ich nicht ohne Wohlwollen, wenn auch nicht ganz frei von Schadenfreude (ganz klein wenig nur), den Tag kommen, an dem die Rekruten Biermann, Enzensberger, Broder, angeführt von Hauptmann Cora Stephan, zu Nahkämpfen auf den Balkan, nach Afrika oder Indien abfliegen, um die inzwischen aufgeriebenen Kriegsfreiwilligenkompanien des Majors Cohn-Bendit aufzufrischen.“
Diese Sätze entstammen dem Kapitel Die zweimalige Einmaligkeit, wo allerlei Gestalten benannt werden, die aus lauter Freiheits- und Friedensliebe für jeden Krieg votieren, der ihnen nützt, bis es tatsächlich kracht und sie wieder auf Lessings Ringparabel und Tucholskys Antimilitarismus zurückgreifen. Die neuen Kriege begannen bald nach dem Mauerfall, als eine Friedensdividende versprochen wurde, die Waffenproduktion sich vervielfachte und die alten Krieger- und Militärvereine frisch erblühten. Nachschub kam aus bis dahin grünen, gar linken, wo nicht maoistischen Gefilden, was die Militarismusfratze zur Soldatinnenpose der Bomberpilotin stilisierte. Vernichtung wird wieder zur modischen Vokabel, Einsatz das Unwort des Jahres. Den Nobelfriedenspreis gibt's für Eskalationen. Man wird doch noch ein wenig bomben dürfen. Die Nobelliteraturpreisträgerin ist auch wie Peter Struck für den schönen Krieg am fernen Hindukusch. Demnächst wird wohl Carl von Ossietzky der Friedensnobelpreis aberkannt. Wir sind wieder normal.
Was ist bloß mit der FAZ los? In letzter Zeit setzt es dort vernünftige, mitunter sogar vorzügliche Artikel. Buchbesprechungen ohne Russenhass. Wirtschaftsanalysen mit hierorts bisher verfemten Einsichten. Bald bleibt ein DDR-Politiker unbeschimpft, bald gibt's einen sakralen Text über Trotzki. Am 11.12.09 eine ganze Seite von Franz Walter: „Die Not der SPD begann viel früher“. Wieviel früher? Der Politikwissenschaftler ist an der Göttinger Uni Doktor und Professor gar und hat trotzdem Wichtiges zu sagen. Wollte die SPD ihm folgen, bliebe ihr nur Auflösung mit Übertritt zur Linken, die bisher zumindest noch ungescheut gegen den anlaufenden 3. Weltkrieg votiert. Aber: „Wer Afghanistan nicht den Taliban überlassen will, muss eine Antwort auf sie geben.“ (Cora Stephan) Das hörten wir schon beim Vietnamkrieg. Die Antwort bestand im US-Abzug. Und die großmächtige UdSSR verdrückte sich dann aus Afghanistan, wohin die Amerikaner sie gelockt hatten. Dafür lockten die Russen bald die Amis nach Afghanistan und die Deutschen folgen ihnen beflissen in den Schlamassel.
Das antike Rom hielt sich für Gefahrensituationen seine kapitolinischen Gänse. Unsere eleganten Gänse und ihre tonangebenden Gänseriche schnattern falschen Alarm. Die christliche Zeitgeist-Moderne steckt voller Überraschungen. Der eine Minister tritt zurück. Der zweite schmeißt andere raus und schrumpft auf halbe Größe ein. Wer weiß, was der christlichen Kanzlerin bevorsteht. Vielleicht tritt Gott bald zurück. Dass ich Bad Gablenz den Bad-Titel streiche, liegt nicht allein am wiederauferstandenen Militärverein. Steht eine Bank heute vor der Pleite, gründet sie eine Bad Bank, in der sie ihren Giftmüll lagert. Das will ich meinem Geburtsort nicht antun. Fröhliche Weihnachten also. Fröhliche Weihnachten? In Folge 91 erinnerten wir an die am 13. 8. 09 von der FAZ gemeldeten 136 Mauertoten der Jahre 1961 – 1989. Laut „Recherchen eines vom Bund geförderten Forschungsprojekts können 125 Opfer an der Berliner Mauer nachgewiesen werden.“ So der aktuelle Stand. Wir schrieben:„So etwas und noch mehr erledigte Hitlers Deutschland in einer einzigen Nacht. Das ist die Differenz zwischen der 1. und 2. Diktatur. Von der Verursachung der 2. durch die 1. abgesehen.„Tatsächlich wurden in der Nacht vom 7. zum 8. September 1943 in Plötzensee im Namen des deutschen Volkes 185 Antifaschisten hingerichtet. Die „bis zu 140“ neuen Toten des durch einen Bundeswehr-Oberst befohlenen Bombenangriffs von Kundus liegen etwa in der Mitte von 185 und 125 Opfern. Die Täter scheint die göttliche Unschuld von Vaterlandsverteidigern zu verbinden. Also doch: Fröhliche Weihnachten.
Am 11. Dezember 09 meldete Neues Deutschland den Tod von Eberhard Fiebig: „Eisenmann … letzter Künstler des Eisenzeitalters … monumentale Stahlskulpturen … Großplastiken … schwerste Stahlskulpturen Europas … Tor des irdischen Friedens vor der Universität Kassels.“ Gerade war Alfred Hrdlicka übern Jordan gegangen. In Frankfurt hatte ich ihn zur Wehrmachtausstellung als „Steinfresser“ begrüßt, dabei Fiebig zum „Stahlfresser“ ernannt, um mich selbst als bloßen Wortfresser anzuschließen – Hrdlicka also von hinnen und gleich darauf Fiebig? Potzblitz, am 14. Dezember widerruft das gespenstisch bewusstseinserweiternde ND Fiebigs Tod. Ein triumphales Dementi. Mein Bericht aus dem Landesinneren – City Strecke Siedlung (S. Fischer, 1972) enthält viele Bilder von Fiebigs Foto-Safari durchs damalige wilde von Revoluzzern bevölkerte Frankfurt, inklusive ordnungspolitischer Betreuung – ein Polizist hob Fiebig fürsorglich den Helm vom Kopf, der zweite zog ihm den Knüppel übern Schädel. Abenteuer eines Kameraprofis, der dann zur Kunst aus Aluminium und Stahl flüchtete. Das Leben in der Freiheit härtet die Herzen. Irgendwo schrieb ich darüber und finde jetzt noch im Hausarchiv an die hundert Fiebig-Straßenkampffotos.
Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 04.01.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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