Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
Da hat Genosse Herbert Graf als Ulbrichts Sekretär, Assistent und Biograph den Mund nicht zu voll genommen, doch die Backen zu stürmisch aufgeblasen. Bei aller Sympathie muss ich anmerken, was der Herr da schreibt, ist Teil einer SED und DDR betreffenden postmortalen Schmährede. Zwar ungewollt, aber giftig genug. Das können Wessis besser. Auch der Ost-
Karola Bloch in ihrer Biographie Aus meinem Leben: „Damals, 1959 in Frankfurt, fragte man uns, ob wir nicht in den Westen ziehen wollten. Aber Ernst war in diesem Punkt eisern: Er glaubte, dass sein Platz in der DDR sei, weil er nur von dort aus Einfluss auf die Entwicklung eines Sozialismus haben könne, wie wir ihn uns vorstellten. Er war der Meinung, dass der Weg dorthin zwar schwierig, aber nicht unmöglich sei. Walter Boehlich, damals Lektor bei Suhrkamp, unterstützte ihn in dieser Ansicht. Nach unserer Rückkehr überraschte mich eines Morgens der Besuch von Gerhard Zwerenz. Er war mit der Harich-Gruppe in Verbindung gebracht worden und musste mit seiner Verhaftung rechnen. Seit Wochen schon schlief er nicht mehr zu Hause. Zwerenz hatte bei Ernst studiert, verehrte und liebte ihn. Er fragte mich, ob Bloch es ihm übel nehmen würde, wenn er in den Westen ginge. Er war zweifelnd geworden, denn er kannte Blochs Standpunkt. Aber ich sagte ihm, uns würde es beruhigen, ihn im Westen zu wissen; er sei jung und in Gefahr, sein Opfer wäre sinnlos, das wisse auch Ernst. So verabschiedeten wir uns herzlich. Später, in Westdeutschland sahen wir uns oft.“
Karola irrt sich im Datum. Blochs sprach ich in Leipzig zum letzten Mal nicht 1959, sondern 1957. Darüber ist in Sklavensprache und Revolte zu lesen. Mein letzter Besuch bei Blochs im August 57 in Leipzig, von dem Karola in ihrem Buch berichtet, galt nicht, wie sie sagt, der Beschwichtigung von Ernst. Karola stellte ich es so dar, insoweit stimmt auch ihre Notiz. Unter vier Augen warnte ich Bloch vor der Verhaftung. Was er dann bei seinem freiwilligen ZK-Besuch in Berlin anstellte, weiß ich nicht. Er sprach nie offen darüber. Ich drückte mich bisher bei meinen diversen Beschreibungen der damaligen Ereignisse nicht genauer aus. Solange Ernst Bloch lebte, wollte ich ihm das nicht antun. Später hielt ich es nicht mehr für so wichtig. Das neue Herbert-
Das mit viel amtlichem Fleiß und Schweiß verfasste Haussuchungsprotokoll wird hier erstmals veröffentlicht. Wieviel „operativ wertlose Papiere“ mussten die armen Stasileute durchforsten, um bei „bereits negativ angefallenen Personen“ endlich „operativ wichtig“ werden zu können. Wobei mir die angefallenen Personen zu denken geben, weil das fragen lässt, wer wen anfällt, nachdem jemand aufgefallen war. Mehr dazu in Sklavensprache und Revolte, Kapitel „Ernst Blochs taktischer Selbstverrat“.
Mich freut, dass von meinen seit September 1957 verschwundenen Papieren per amtlichen Zitaten einige Sätze sorgsam aufbewahrt worden sind. Ich gestehe, nach dem 20. Parteitag in Moskau und Chruschtschows geheimer Anti-Stalin-Rede sah ich im Dritten Weg den Ausweg aus der sonst hoffnungslosen Lage. Bloch war mir der Philosoph des Dritten Weges. Da er nach dem Ungarischen Aufstand vom Oktober 1956 zurückwich, suchte ich die Entscheidung bei meinem Besuch, von dem Karola berichtet. Bei den anstehenden Kontroversen konnte ich mich nicht gut auf jemanden stützen, der das nicht mehr wollte. Wäre der Philosoph konsequent geblieben, hätte ich das Risiko der Haft auf mich genommen. Da er bremste, blieb mir nur die Westflucht, zu der ich mich ungern entschloss, weil die DDR zur Heimat geworden war.
Die von Ulbrichts Mitarbeiter Herbert Graf zitierten Sätze des Historikers Walter Markow zählen zur gewollten Bagatellisierung Blochs und entsprechen dessen Lage in Leipzig nach seinem taktischen Rückzug. Mein Rat damals: Keine Rücksicht auf mich. Bald darauf war ich in der BRD. Karola und ich begründeten meinen letzten Leipzig-Besuch mit meinem West-Plan. Den wahren Grund kann ich jetzt nennen, nachdem aus dem damals „sichergestellten Schriftverkehr“ hervorgeht, dass ich Ende 1956 meine Publikationen mit Rücksicht auf Bloch und auf dessen Einspruch hin milderte, bzw. unterließ. Der Gang nach Westen war für mich von zwei Vorsätzen begleitet: 1. würde ich es denen, die mich dazu nötigten, mit den mir gemäßen Mitteln der Aufklärung inklusive Satire und Polemik heimzahlen. 2. wollte ich danach das unterbrochene und verfolgte Projekt eines Dritten Weges in der BRD für Ost wie West wieder aufnehmen.
Welche Aufregungen und Folgen die beschlagnahmten Papiere in DDR und BRD damals nach sich zogen, ist irrwitzig. Jetzt nur aus gegebenem Anlass eine aktuelle Information. Seit der Haussuchung 1957 sind inzwischen kleine 52 Jahre vergangen, da erscheint im stern 4/2009 diese geradezu revolutionär betitelte Kolumne:
Auf dem dritten Weg Verlief also der Dritte Weg von meinem kleinen DDR-Schreibtisch zum großen stern? Dort hatte ich ihn allerdings 1961 schon einmal verkündet. Damals lagen die Papiere über mich erst seit vier Jahren in Mielkes Tresor. Von dort gelangten sie direkt ins Politbüro und ZK der SED sowie in die Redevorlage eifriger Genossen Parteiführer, Wissenschaftler, Literaten und im Westen in die Tresore hiesiger Geheimdienste und damit zur Kenntnis von allerlei tüchtigen Vaterlandsverteidigern, die ihr Vaterland schon bis 1945 tapfer verteidigt hatten. Und existierten nicht schwarz auf weiß genügend Beweise, glaubte ich an Erfindungen und Lügen. Die fehlen aber auch nicht. Da wir über die Gauck-Birthler-Behörde die geheime DDR-Geschichte erfahren können, ist sie nur legitimierbar, wenn zugleich die westlichen Geheimdienst-Vergangenheiten aufgedeckt werden. Sonst bliebe es bei der Rache der Sieger am Unterlegenen. Ich gehe jedoch von der historischen Gleichberechtigung beider deutscher Staaten samt ihrer dubiosen Dienste aus. Nietzsches Umwertung der Werte lässt mich nicht Hitlers und Adenauers General Gehlen für einen guten und Ulbricht/Honeckers General Mielke für einen bösen Mann halten. Beide machten Jagd auf Trotzkisten und alle, die sie dafür hielten.
So werde ich mir erlauben, im Anschluss an diese Folge weitere Schleier geheimer Vorgänge zu lüften, an denen noch heute festgehalten wird. Wozu hat man schließlich ein Archiv, seine individuellen Erfahrungen sowie Notizen und endlich die Lust sanfter Beharrlichkeit, wie sie der zu Unrecht unterschätzten Pleiße eigen ist.
Verhaltensweisen
(Auch ein Dritter Weg) So mancher hat sich grenzenloses Verlangen in Jahren bittrer Einsamkeiten eingefangen. Nur weiß er nit, verlangt er dieses oder das oder sonst irgendwas. So manche hat in Jahren der Entsagung der eigenen Wünsche sich entledigt. Da lauscht sie in der Kirche auf ihres Pastors süße Predigt. Und andre kotzt es an schon in der Schule. Sie weigern sich zu röcheln auf Befehl. Sie drehen ab und gehen los als Schwule. (Die Venusharfe, München 1985) Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 16. Februar 2009.
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Gerhard Zwerenz
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