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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 71. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
71. Nachwort |
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Mit Brecht in Karthago oder Schreckgespenste der Erkenntnis
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Cato der Ältere: Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam – im übrigen meine ich, Carthago muss zerstört werden – so endeten alle seine Senatsreden.
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Die Berliner Republik schickt sich an, Brechts Karthago-Triade von den drei Kriegen aufzuführen: 1. noch mächtig, 2. noch bewohnbar, 3. unauffindbar. Wir geben uns wieder mächtig, vermindern die Bewohnbarkeit und verdienen uns das absehbare Ende. Brechts Blick auf Karthago ist exemplarisch dekonstruktiv. Während er seine poetischen Texte oft ins Plus führte, sodass der illusionslosen Diagnose ein Marx'scher Hoffnungsaspekt folgte, endet die Karthago-Triade ausweglos im Nichts. C' est la Guerre! Das antike Karthago wie das antike Rom waren Machtgebilde mit ewigen Grenzveränderungen. Dazu gibt's heute Parallelen.
Kurze Antwort auf diverse Anfragen: Seit Aristoteles gibt es eine Erkenntnis, deren Konsequenzen nachfolgende Philosophen so scheuen, dass sie schriftliche Fixierungen lieber unterlassen. Das Schreckgespenst der Erkenntnis heißt Dekonstruktion. Es hieß nicht immer so. In der Scholastik vor tausend Jahren war es der Universalienstreit. Die Pariser neuen Philosophen, inzwischen gealtert, wandten sich vom absterbenden Kommunismus, von Sartre und zumeist auch von Marx ab, indem sie auf die Linie Nietzsche-Heidegger einschwenkten. Im Antitotalitarismus, der Faschismus und Kommunismus als eineiige Zwillinge gleichsetzt, verschwinden die diversen Theorien als Allgemeinheiten, die dekonstruiert werden. Das jeweilige Konstrukt als ein Allgemeines vergeht, was bleibt ist ernüchternde Realität.
Das wusste schon Schopenhauer, der seinen blanken Pessimismus freilich glanzvoll stilisierte. Als Pessimist ist schwer leben, es sei denn, einer wandert täglich mit Pudel durchs alte Frankfurt, wohin der wortgewaltige Arthur S. sich rettete, um aufrecht zu sterben. Unsere Pariser Marx-Kritiker wandten sich lieber dem Hammerphilosophen Nietzsche zu, der wie der Denker mit Pudel am Main das Leben als ständigen Kreisverkehr sah, dabei aber Gott, Richard Wagner und Kaiser Wilhelm dekonstruierte, auf dass nichts davon bliebe. Doch als es ihm zu öde wurde, schuf er sich den Übermenschen Zarathustra. Den nahmen diverse Akademiker in ihre Weltkriege mit, denn Nietzsche hatte die Dekonstruktion- minus erfunden. Seine Götter waren von gestern, seine Helden blond und grausam, seine Sätze kristallen klar und klirrend blöd. Übrigens schleppte auch ich eine handliche Zarathustra-Ausgabe von Kröner, Nachwort Alfred Baeumler, durch meine zwei Kriegsjahre, bis der Frau Mama der Nietzsche im Nachlass des vermisst gegangenen Soldaten GZ zuging. Nietzsche selbst übrigens ist, dekonstruiert, ein sauschlechter Soldat gewesen. Er hat den Zarathustra nur gespielt, aber fast so gut erfunden und ausgestattet wie Karl May seine Romane.
Wir wechseln von Karl May bruchlos zu Jean-Paul Sartre, der die Tiefenwirkung des 20. Moskauer Parteitags von 1956 unterschätzte und sich selbst dann noch mit revolutionären Gruppen solidarisierte, als deren Charakter längst fragwürdig geworden war. Das zwang die Freunde und Schüler dazu, sich von ihm zu distanzieren wie sie sich analog zum Niedergang der SU von den kommunistischen Parteien distanzierten. Soviel zur politischen Basis der jungen, inzwischen aussterbenden französischen Philosophen. Sie gewannen neue Aspekte, schufen unterschiedlich ausdifferenzierte Werke und führen meist doch zum verleugneten Marx zurück.
Die 1956 in Moskau offiziell gewordene Wahrheit über Stalin bewirkte dessen Gleichsetzung mit Hitler. Die dazu maßgeschneiderte Theorie wurde der Totalitarismus, weshalb die früheren Linken zur Mitte rückten und sich als Antitotalitaristen verstehen. Zweifellos gibt es Gemeinsamkeiten. Dem Ermordeten muss es gleich sein, ob er in Auschwitz oder im Gulag starb. Um Nazi-Deutschland zu besiegen brauchte es aber Welt-Alliierte inklusive Stalins Sowjetunion. Im anschließenden Kalten Krieg standen USA/NATO und die SU einige Male nur wenige Minuten vorm Ausbruch einer global-atomaren Schlacht. Später nötigten die USA die Sowjetunion zur friedlichen Selbstaufgabe. Das ist einer der Unterschiede zwischen Hitlerismus und Stalinismus. Die Bereitschaft des Westens zum Atomkrieg, den Präsident Reagan in einem Ehrlichkeitsanfall Armageddon nannte, lässt keinen Raum für moralische Freisprüche. Die Supermacht USA stellte den Konkurrenten SU vor die Alternative Atomkrieg oder Unterwerfung. Stalins Kinder gaben auf. Hitlers Kinder aber hatten sich inzwischen auf die Seite der Sieger geschlagen, das war, solange die Programme stimmten, ein klug berechneter Schachzug. Von Ethik spricht man nicht beim Schachspiel. Was aber, wenn die neue Weltherrschaft ganz wie jede Weltherrschaft in der Vergangenheit letal endet?
Selbst die klügsten Köpfe können oft nur schwer unterscheiden, was in der FAZ/FAS Werbung, Leitartikel, Todesanzeige oder Wetterbericht sein soll. Am 13.11.2011 begann das Feuilleton kunstvoll- witzig mit einer Werbung des babylonischen Königs Emmetena (2. 400 v. Chr.) für sein rigoroses Zinsverbot. Dann entdeckte ich den drumherum stilisierten Rahmen-Artikel Schirrmachers über das Buch Debt (Schuld) des jungen US-Anthropologen David Graeter, der offenbar, entschlüsseln wir den FAZ-Enthusiasmus, eine Art von anthropologisch-ökonomischen Marxismus verfasst haben könnte. Der Satz, wonach jeder Umsturz, jede Revolution mit Schulden beginne, hat es in sich, zumal die Anthropologie unter Schuld auch Blutschuld versteht. Wie auch immer: gut gemeint, gut geschrieben, also lesenswert – eine Marx-Variante, wenn auch ohne dessen Vokabular, das in bürgerlichen Ohren Entsetzen auslöst als kündigte sich das Jüngste Gericht an. Dabei ist es nur der Gerichtvollzieher. Gleichwohl: Brav kolportiert, Feuilleton-Koryphäe.
Wer den heutigen Zustand der Welt unbesoffen einschätzen will, steht vor der Wahl des ernüchternden Vergleichs mit 1618, 1914 und 1939/1941. 1618 – Beginn des Dreißigjährigen Krieges, 1914 – 1. Weltkrieg, 1939 – 2. Weltkrieg und 1941 dessen Eskalation per Überfall auf die Sowjetunion. 1648 stoppte ein Kunststück von Mediation, genannt Westfälischer Friede, das Schlachtfest, ohne den Krieg in den christlichen Glaubensköpfen zu beenden, der bis heute anhält. Deutsche Einigung 1989/90? Wirtschaft, Horatio! Ringsum herrscht trotz Westfälischen Friedens immer noch der alte Krieg. Seither dominiert die ewige Wiederkehr siegreicher Verluste. 1914 – 18 verlor Deutschland den Kampf um Europa, 1939 – 45 den um die Weltherrschaft. Laut Heinrich August Winkler beendete das Reich damit seinen Sonderweg und zählt spätestens mit dem Einheitswunder von 1989/90 direkt zum westlichen Abendland. Ob deshalb die Berliner Republik auch die Kriege und Kolonialverbrechen der Westmächte samt USA mit zu verantworten hat, bleibt ungeklärt. An den westlichen Aktionen nimmt Deutschland nun als NATO-Mitglied teil, mit Ausnahmen und doch ausnahmslos, wird genau nachgerechnet. Ich hab da meine rein autobiographisch bedingten Zweifel als Befehlsverweigerer und Agnostiker. Aufgewachsen mit dem literarischen Kulturgut der Weimarer Republik, auf die Verdammung des gerade beendeten Weltkriegs Nr. 1 eingeschworen, war mir Weltkrieg Nr. 2 derart zuwider, dass ich ihn zu sabotieren suchte, was die Herrschaften nur deshalb nicht ahnden konnten, weil ich ihnen entwischte. Warum aber sollte ich, sage mir mal einer, die Kriege dieser Herren samt diverser Nachgeburten heute akzeptieren, wenn ich denen schon als lesefähiger Junge entlaufen bin? Als am 10. Mai 1933 Bücher verbrannt wurden, musste ich nicht unbedingt wissen, wer Karl Liebknecht war, aber ich las die ungeheuren Lobesworte von Henri Barbusse in seinem Antikriegsroman Das Feuer, die er Liebknecht widmete, und so stehen Liebknecht und Barbusse noch heute ganz oben als zwei heilige Antimilitaristen in meinem Kalender. Die Bücher, in denen ich vor achtzig Jahren lesen lernte, überdauern in unserer Hausbibliothek. Wir denken nicht daran, sie zu verleugnen, nur weil die Enkel der Krieger von gestern ihre Kriege von heute führen und die von morgen vorbereiten.
Am 13.11.2011 leitartikelt es in der FAS ungewohnt ehrlich: „Erst die Entscheidung der NATO, zu Beginn der achtziger Jahre Mittelsteckenraketen nachzurüsten, zwang die Sowjetunion in die Knie. Populär war diese Aufrüstung nie und doch trug sie zum Frieden bei.“ Der Friedensbeiträger Helmut Schmidt erhielt soeben für sein Lebenswerk den Milleniums-Bambi. Schmidt-Schnauze bewirkte den Sieg über die Russen und wird bambiert. Die dankbare Promigeneration, reichlich versehen mit Rehkitzen, applaudiert gerührt hinauf zur festlichen Burdabühne. Unter dem FAZ-Aufrüstungs-Leitartikel vom 13.11. wird urplötzlich gewarnt: „Brauner Terror – Überraschung – Serie von Morden …“ Da hat man fleißig die Bundeswehr von der Verteidigung auf Intervention im Ausland umgebaut und nun intervenieren drei oder vier oder wie viel erklärte Nazis im Inland? „Wollte man nicht sehen, was nicht sein durfte?“ Aber ja, geehrter Markus Wehner in der FAS – so simpel war und ist das.
Karl Korsch: Er stählte Brecht fürs Leben mit Marx und fürs Überleben unter Stalin
Brecht war von seinem heimlich-unheimlichen Lehrer, dem unorthodoxen Marxisten Karl Korsch so aufs Ungeheuerliche vorbereit worden, dass ihn 1956 Chruschtschows Eröffnungen über den wahren Josef Wissarionowitsch nur noch zu dem Satz „Stalin – Verdiente Mörder des Volkes“ inspirierten.
Und dann starb BB. Seine Hinterlassenschaft ist weniger das Theater als dessen Essenz: Die Gedichte von Bertolt Brecht, in einem repräsentativen Dünndruckband mit 1.391 Seiten. Das ist der klassische Revolutionskommunismus als Marx-Bibel. Ernst Bloch liefert die Philosophie-Poetik dazu. Nicht ohne revolutionäre Romantik. Das Christentum benötigte in Rom einst 300 Jahre, um Staatsreligion zu werden. Setzen wir 1848 als Ausgangspunkt bleibt dem Marxismus bis 2148 Zeit zur Staatsreligion. Seinem Wesen nach sollte er allerdings weder Staat noch Religion sein. Was tun? Was nicht tun? Revolution als Mutter der Freiheit? Vorher wird gefoltert und gemordet. Die einen tun's um zu verhindern, die andern um sich durchzusetzen.
Wir erinnern uns: Im Entscheidungsjahr 1956 war Walter Ulbricht derjenige deutsche Politiker, der spürte, was die Stunde geschlagen hatte. Er und seine Begleiter waren von S. Nikita Chruschtschow in Moskau nicht eingeladen worden, als in den letzten Stunden des 20. Parteitages Stalin delegitimiert wurde. Sie erfuhren erst danach davon. Das verübelte der Genosse Walter dem Genossen Nikita, denn er witterte Unheil. Die beiden kannten sich von der Stalingrad-Front her. Als die sowjetischen Panzer den ungarischen Aufstand im Oktober 1956 niederwalzten, verharrte Ulbricht unentschlossen bis zum 28. November, an dem er sich endgültig statt zur Entstalinisierung zur Restalinisierung entschied. Indem er sich gegen Lukács und Bloch wandte, setzte er mit der Repressionsmaschine die Ent-Intellektualisierung der Partei in Gang. Die Möglichkeit eines 3. Weges, den China später einschlug, war für alle Zeiten undenkbar geworden. Es hatte für SU und DDR jedoch einen 3. Weg gegeben. Man hätte so undogmatisch revolutionär sein müssen wie die junge Garde in Peking, die ihren Stalin, genannt Mao, von innen heraus transformierte, sodass China im 20. und 21. Jahrhundert dominant werden konnte. Marx statt Murks.
NSU war früher ein ehrbares Motorenwerk, gegründet im Jahr 1873. Jetzt ist es ein zeitgemäßer Nationalsozialistischer Untergrund mit dem Zwickauer Dreierpack des rechtsextremistischen Terrorismus, so der eigene wie amtliche Firmenname. Die Zwickauer Mördergruppe stammt eigentlich aus Jena. Verfolgt wurde sie von der Staatsanwaltschaft in Gera, das liegt etwa in der Mitte der Strecke von Jena nach Zwickau. Natürlich können die thüringischen Sicherheitsbehörden von Jena und Gera nicht bis nach Zwickau blicken, denn da liegt eine Bundesländergrenze sowie die Pleiße dazwischen. Zwickau liegt sogar an der Mulde und Thüringen verfügt weder über Zerstörer noch U-Boote, um die in den Sumpfgebieten des schwarzbraunen Nachbarlandes untergetauchten Hitlerianer aufzufinden, solange die sich nicht selber umbringen. Die Aufklärung ihrer Terrortaten ähnelt, soweit wir bisher davon Kenntnis erhalten durften, der heldenhaften Vorgeschichte. Unsere Gewissensfrage lautet also: Wie können junge Leute als Folge der deutschen Einheit in Freiheit zu Mord-Neonazis eskalieren? Dazu zitierte ich im vorigen Nachwort 70 ahnungsvoll den früheren Bonner Innenminister Friedrich Zimmermann mit seiner Lobeshymne auf den Nazi-Oberst Rudel:
Hans-Ulrich Rudel
Mein Kriegstagebuch
„Rudel war im 2.Weltkrieg das ist unbestritten einer der tapfersten und in seinem militärischen Wirken erfolgreichsten Soldaten. Er erfüllte seine soldatische Pflicht, zuletzt beinamputiert, bis zum bitteren Ende. Dafür sollte man ihm Anerkennung entgegenbringen ...“ Und ich erlaubte mir hinzuzufügen: „So Zimmermann über Rudel. Nun, als Beispiel, Rudel nicht über Zimmermann, aber über seinen Führer: „... Und der Führer steht vor mir. Ich denke nur daran, dass ich kein frisches Hemd angezogen habe, mehr nicht.“ Mehr dachte er nicht. Der Rudel. Der Zimmermann. Beinamputiert oder hirnamputiert, das ist hier die Frage.“ Rudels Kriegstagebuch mit seinen Aufzeichnungen eines Stuka-Fliegers und der werbewirksamen Empfehlung durch den Bonner Innenminister Friedrich Zimmermann, 1987 im Limes Verlag erschienen, ging nach der deutschen Vereinigung wie andere Nazi-Schwarten auch östlich in Neonazikreisen von Hand zu Hand. So drängt das falsche Heldenwort zur Un-Tat.
Wer aber sollte im Freistaat Sachsen den neuen Nazi-Untergrund bemerken, wenn die Altnazis ihre Heldenlieder singen und die Dresdner Behörden die Protestler gegen die rechten Aufmärsche sogar noch auf dem benachbarten thüringischen Freistaatsgebiet verfolgen müssen. „Besonders der Linksextremismus ist in der Vergangenheit unterschätzt worden“ betonte Sachsens früherer Innenminister Albrecht Buttolo bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, ganz wie es der Chemnitzer Extremismusforscher Prof. Eckhard Jesse mit landesweitem Erfolg lauthals verkündet. Wer so nachhaltig jedes antifaschistische Engagement beschimpft und kriminalisiert, vermag sich einen neonazistischen Untergrund-Terror in nächster Nachbarschaft gar nicht mehr vorzustellen. Da kam beim ewigen Stasi-Riechen das Nazi-Riechen wohl viel zu kurz, zumal manche Riechernase selbst voll ist vom braunen Gestank und der Staat großzügig die Gründung neuer NPD-Trupps finanziert. Beim kommenden Dresdner Nazi-Aufmarsch im Februar 2012 dürfen die dortigen Ordnungsbehörden im rechtsblinden Eifer wieder rotieren. Damit Deutschland „aus dem Schatten der Vergangenheit“ heraustritt und weil die Linke „extremistische Züge“ aufweist, wird man an der Elbe traditionsgetreu Neo-Nazis (wieso Neo-?) beschützen und die protestierenden demokratischen Kräfte behindern und verfolgen, wie es der „vergleichende Extremismusbegriff“ eingibt. Dem rechten Terror fielen seit der Einheit in Frieden und Freiheit mehr als 140 Menschen zum Opfer, amtlich reicht es den Abzählern nur bis 40 – und dem linken Terror kann kein einziger getöteter Mensch angelastet werden. Terror von links jedoch wird laut Professor Jesse sträflich unterschätzt, der von rechts aber überschätzt. Es ist hoch an der Zeit, dieses öffentliche Affentheater zu dekonstruieren.
Hannah Arendt hilf! Nun ja, prophetisch wie unsereiner wird, musste man sich lebenslang der Über- und Untergründler erwehren, warnten wir in unserer Serie schon häufig vor den Herren Jesse und Kameraden, so in der 11. Folge „Hannah Arendt und die Obersturmbannführer“, in der 57. Folge „Fragen an einen Totalitarismusforscher“ und in der 60.Folge „Freundliche Auskunft an Hauptpastor Götze“. Wer googelt, findet dazu arg viele Fragen, aber keine Antworten.
Inzwischen ertönt die Marschmusik weiter wie gewohnt in ungestörter Popularität: Gigi und die braunen Stadtmusikanten – Döner-Killer – Adolf Hitler lebt – Stahlgewitter – So erfreut Ernst Jünger sich des ewigen Lebens wie Adolf Hitler und die nazistische Subkultur, denn der Feind steht links. Deshalb vergibt der Ministerpräsident von Baden-Württemberg ein Ernst-Jünger-Stipendium, denn es gilt, den Grabenkampf zu bestehen. Helden sind wieder gefragt. Aber: „Wird mit dem Jünger-Stipendium der Falsche geehrt?“ fragt Raphael Gross am 18.11.2011 in der FAZ. Am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt/Main gibt es Jahr für Jahr Stipendiaten, gewiss nützlich, doch von der Wirkung her nicht zu vergleichen, ist der Name des Grabenkämpfers Ernst Jünger im Spiel. Ein weithin relevantes Fritz-Bauer-Stipendium wäre vonnöten. Der hessische Ministerpräsident hat die Chance, Gutes tun – notfalls könnten wir Gründe dafür liefern. Der ehemalige Hessische Generalstaatsanwalt und lebenslang aktive Antifaschist hat die Ehrung verdient. Wer daran zweifelt, darf sich an unserem 15. Nachwort „Fritz Bauers unerwartete Rückkehr“ orientieren.
Inzwischen geht für Zwickau die Welt unter. Eine schöne, fleißige Auto- und Bergbau-Stadt, die Barbarossa einst besuchte, wo Thomas Münzer predigte, Robert Schumann komponierte und romantisierte, diese Perle an der Mulde gilt plötzlich als namengebender Ort einer Jenenser Nazi-Terror-Bande, genannt NSU, als steckte dahinter ne Anspielung auf die Marke DKW – der Fluch des Dreiers. So begann dieses Nachwort zielgenau mit Brechts Karthago-Triade. Ein Untergang mit Größe und Stil. Heute ist jede Zeitung voll von Untergängen. Die FAZ am 18.11.2011: „Wenn die Rettungsschirme und die Staaten, die sie in Anspruch nehmen, groß genug werden, wird der Weg in den Abgrund vergemeinschaftet.“ So sieht es Ernst-Joachim Mestmäcker, eine internationale Koryphäe. Artikel-Überschrift: Gemeinsamer Weg in den Abgrund. Der Unterschied zu Brechts Karthago-Exempel ergibt sich aus der Zeit- und Stildifferenz. Brecht warnte nach dem 1. und vor dem 2. Weltkrieg. Mestmäcker, vormals Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut, gibt vor dem 3.Weltkrieg den Lemming. Nein, warnt vor dem Sprung in den Abgrund. Hat aber kein Rezept. Das liefert der polnische Außenminister Jacek Rostowski als Vorausschau drei Tage später im selben Blatt: „Es besteht die Gefahr eines historischen wirtschaftlichen Desasters, das wie die Große Depression der dreißiger Jahre zuletzt in Europa zum Krieg führen würde.“ 1971 schrieb ich in Kopf und Bauch – die Geschichte eines Arbeiters, der unter die Intellektuellen gefallen ist: „Geschichte verstehe ich als Entwicklung zu Tod und Untergang.“ Setzte allerdings hinzu, mit Blochs Philosophie ließen sich sowohl Untergang wie Tod etwas hinauszögern. Auf der Suche nach diesen freundlicheren Aspekten war ich 1952 hoffnungsvoll von der Zwickauer Ingenieursschule an die Leipziger Karl-Marx-Universität gewechselt. Heute aber steht der Krieg wieder ins Haus.
Zurück also ins arg gebeutelte Zwickau. Warum wird es gebeutelt und warum lässt es sich das antun? Warum wurde Zwickau ein Stützpunkt von Werwölfen der 2. und 3. Generation? Wie kommt ein Braunauer Nachwuchs an die Mulde? Von der Straße bis ins Internet tanzen die neuen Nazis ihren lustlosen Amtsverfolgern auf der Nase herum. Weil die politische Elite nicht die Wahrheit zu sagen versteht oder wagt. Sie müsste sonst ihre Lebenslügen eingestehen und sagen: Wir, nicht Hitler allein, sondern Hitlerdeutschland waren der Weltfeind. Ohne den Widerstand von Stalins Roter Armee hätte Hitler mit uns, seinen Deutschen, die Weltherrschaft erringen können. Weil wir das zumindest heute nicht mehr wollen können und wollen wollen, werden wir uns zur Wehr setzen.
Antifa als linke Lebenslüge?
Die Elite jedoch bekämpft statt der Nazis deren Gegner, statt der Faschisten die Antifaschisten. Weil, sagen sie, der Antifaschismus missbraucht wird. Was und wer wird denn nicht missbraucht von den Missbräuchern. Tatsächlich erschien 2002 ein Sammelband unserer staatlichen Geistesriesen von Wolfgang Schäuble bis Hubertus Knabe unter dem Titel Der missbrauchte Antifaschismus – Untertitel Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken. Das Werk enthält ungewollt die versammelten Lebenslügen der deutschen Rechten. Den Tatbestand festzustellen riskiert nur niemand, weshalb wir es in aller gebotenen Freiheit des Wortes im Internet sagen. Wenn der Antifaschismus laut Schäuble und Kameraden die „Lebenslüge der deutschen Linken“ ist, so ist der Faschismus samt schuldig gebliebenem Antifaschismus die rechte deutsche Staatslüge, wo nicht –raison.
Kopf hoch, Zwickauer. Die drei Nazis stammen aus Thüringen. Hinter diesem Trio infernale stand eine hilfsbereite rechtsextreme Riege bereit. Im Kopf der Mörder mit den kalten Herzen nistet eine braune Vergangenheit, die zur Zukunft drängt. Cato der Ältere lebte vom Wunsch der Vernichtung Karthagos. Brecht konstatierte: noch mächtig, noch bewohnbar, unauffindbar. Ausgerechnet Stalin konterte: „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibt bestehen.“ Wir können uns dessen nicht mehr so sicher sein. Hitler, vier Tage nach seinem Machtantritt: „Ich werde den Pazifismus, den Marxismus und das krebsartige Geschwür der Demokratie ausrotten.“ Seine Werwölfe sind unter uns mit ihren braunen Glasaugen.
Kopf hoch, Zwickauer? Eine der ersten antifaschistischen Widerstandsgruppen in Deutschland entstand bereits im Sommer 1933 im westsächsischen Gebiet zwischen Pleiße und Mulde. Das wird nicht erinnert. Wer hat ein Interesse daran, es zu vergessen? Man darf sich erinnern. Müsste es aber wollen.
Lemmings letzte Weisheit: Selbst der größte Schirm bewahrt nicht vor dem tiefsten Fall.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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