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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 96. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coinci­dentia opposi­torum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  96. Nachwort

Der liebe Tod – Was können wir wissen?



Soldaten sind Mörder
 

Albrecht Dürer
Ritter, Tod und Teufel






Gegen Ende seines über neunzigjährigen Lebens nutzte der Philosoph Ernst Bloch die Meta­pher des Pioniers, wenn nicht Pfadfinders, indem er, nicht ohne zu lächeln, ver­kündete, er werde also, da im ange­mes­senen Alter, bald voran­gehen in die dunkle Höhle, um mit einer Fackel in der Hand zu er­kunden, was denn das sei, der Tod. Da war er also, der Philosoph des Prinzip Hoff­nung, zugleich der des gelassen lächeln­den Trotzes – was wissen wir vom künftigen Zustand? Was können wir wissen? Die Spann­weite reicht vom Ödipus des Kolo­nos, wo Sophokles resolut verkündet: »Das Beste ist, nicht ge­boren zu werden«, über Goethes Faust-Satz »Oh, wäre ich nie geboren« bis zum mo­dernis­tisch coolen Spruch vom »Unfug des Ster­bens«. Das bedeutet, den Tod locker nehmen, so von Leicht­fuß zu Leichtfuß, von Bruder zu Bruder, wenn nicht zum Herrn der Sense. Davor mögen Unruhe sein und Zweifel: »Werde ich sterben können?« fragte sich der Sati­riker Kurt Tucholsky besorgt in jungen Jahren und wählte dann, längst nicht alt, den Freitod.

 

„Das Beste ist,
nicht geboren zu werden,
das Zweitbeste
früh zu sterben.“




Der Tod steht nach dem Leben und vor dem Leben. Den Tod nach dem Leben zu fürchten besteht kein Grund. Wir dürfen annehmen, es handle sich um den fröh­lichen Ur­zustand, in dem wir uns befanden, bevor jene Zeugung stattfand, die uns in die anwach­sende Qualität eines fühlbar wer­denden Wesens versetzte. Die Geburt ist der Fußtritt, mit dem dich das Schicksal aus dem Bauch der Mama in die mensch­liche Exis­tenz befördert. Guten Tag und Wohl bekomms! Die Mutter hat den Schmerz, du hast den Schreck. Es wird erst eng und dann kalt um dich. Am Ende läuft die Story umgekehrt. Holte dich die Schwanger­schaft der Mutter aus dem Tod ins Leben, bringt dich das Sterben zurück in den Tod als kosmo­logischen Ur­zustand.

 

Tucholsky-Grabplatte
Schweden, Mariefred




Das Nietzsche-Wort von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, auch von der Wiederkehr des ewig Gleichen verkündet den Kreislauf. Wer gläubig ist und seinem Jesus Christus die Rück­kehr vom Tod ins Leben zubilligt, nun ja, der findet sich noch am besten ab mit den Be­gräbnis­kosten. Was können wir also wissen? Als Lebender gehörst du den Medi­zinern. Als Toter den Kirchen. Den Ster­benden geben die Doctores anstandshalber auf und die Priester verharren in Erwartung des Leich­nams. Die Philosophen begleiten ihn zaghaft eine Wegstrecke ins Reich des Metaphysischen und werden dabei immer klein­lauter. Die Priester empfangen deine Seele und salben sie mit Trauerpsalmen, wobei himm­lische Chöre von Kas­tra­ten jubi­lieren. Es ist geschafft, Brüder­lein und Schwester­lein ab in die Kiste. Das alles, Leute, steht felsen­fest. Bleibt das Zwi­schen­reich des Dahin­ster­bens, und das möchten wir gerne schöner und mensch­licher haben. Wenn einer einen leich­ten Tod erhielt, so hat er Schwein gehabt. Wer aber lang­sam stirbt und unter Qualen, der muss deshalb nicht noch zusätz­lich be­straft werden mit vielerlei auf­wendigen Appa­raturen, skan­dalös über­lastetem Per­sonal und Schluss­punkt in der Besen­kam­mer. Ster­ben muss nicht ein sich dahin­schlep­pendes Elend sein, das es heute immer häufiger ist, weil es am Geld fehlt und an der viel­beschwo­renen Humanität, die längst dahin­siecht wie die armen Leute ohne aus­reichende Ver­siche­rung.
  Es sieht ganz so aus, als solle der Arme auf dem kärglichen Sterbebett bereuen, kein Reicher geworden zu sein. Was führte ich doch für ein verfehltes Leben, soll er denken. Dem Reichen dagegen, von dem die Luther-Bibel spricht, erscheint der Tod als klassen­kämpfe­rische Tyrannei, zwingt .sie ihn doch zur Aufgabe all seiner Besitz­stände. Noch den letzten Heller muss er hergeben ohne sich, wie gewohnt, juristisch dagegen wehren zu können. Der Arme darf an diesem Punkt Erleich­terung spüren, wird er doch endlich seiner Exis­tenz­sorgen enthoben. Inzwischen ist der liebe Tod zur Beute der Par­teien, Vaterländer, Zeitungen und Kir­chen geworden, ein Höhe­rer habe abge­rufen wird ausgerufen und immer geht es um Ehre, Eitelkeiten und Geld. Nur die Zwerge des Lebens enden im Armen­begräbnis mit anonymer Urnenversenkung. Der Rest ist ein kurzer Monolog des Fried­hofs­beamten.
  Dem Armen ist der Tod Notausgang und dass der Reiche auch dahinscheiden muss, findet der Arme tröstlich. Der Reiche lässt sich Taschen ins Leichenhemd nähen und versucht seine Schätze zu retten. Ihm ist die Gleichheit im Tod die schlimmste Ungerechtigkeit, das versucht er ganz am Ende zu korrigieren. Sich mit denen dort unten gemein machen zu müssen findet er unsittlich. Abseits unserer Verrenkungen und Einbildungen steht der Tod unauslöschlich im Kalender. Wenn er auftaucht, bist du nicht mehr dabei. Schwer fällt die kurze oder längere Zeitspanne zuvor. Eine Gesellschaft, die das Sterben nach Gehalts­klasse und Besitz einrichtet, ist sterblicher als sie glaubt.
  An den Tod zu denken heißt an etwas Weitent­ferntes zu denken, das später gesche­hen wird, nach langer Zeit und mit dem man nichts zu schaffen hat, es sei denn bei einem Be­gräb­nis, da jedoch sind wir froh, weil es nicht unser eigenes ist. Ich denke lieber an den Tod vor meiner Zeit. Kein Grund sich zu beküm­mern, Mensch­lein. Vor deiner Stunde Null war es gar nicht so übel. Was heißt hier nicht so übel, gar nicht übel war es, vorm Auftakt, dem Ich-Anfang. Danach ist es mir nie besser er­gangen, genau be­trach­tet. Also wenn der Tod nach dem Leben so ist wie der Tod vor dem Leben, dann ist es ein ganz passabler Zustand, nirwana­haft eben, das Nirwana. Die Rückkehr dort­hin kann mich nicht ängs­tigen. Nur wenn sie dich von dort rausholen und wenn du etwa wieder­geboren wirst, ach du Schreck, wer sind jetzt deine Eltern? Sinds etwa Esel und Eselin, was dich dazu verdammt, Tag für Tag Lasten zu schleppen? Oder wirst du eine arme Sau, auf die der Metzger wartet, eine Kakerlake, der die Kammer­jäger so schnell wie möglich mit der Gift­spritze zu Leibe rücken? Machen wir ein fröh­liches Spiel daraus, flüstert mir mein Pseudo­nym ins Ohr. Und so ge­schieht es. Raus aus der irdischen Hülle und rauf in die sieben Himmel des hei­ligen Petrus. Du hoffst, dort ist alles leicht, heiter und ziemlich al­bern wie in der gestri­gen tv-comedy? Puste­kuchen, die einen schimpfen die anderen Ziegen­ficker und die schreien zurück: Du Schweine­fleisch­fresser! Der eine wartet auf die ver­sprochenen sieben Jung­frauen und der andere auf die ewige Selig­keit. Es fehlen weibliche Erzengel und so geht es wie in einer reinen Männer­gesell­schaft zu. Schröder, Fischer und Augstein wollten aus Gewohn­heit immer heiraten. Aus lauter Frust treten sie als Kanzler, Außen­minis­ter und Druck­seiten­general in die Himmels­dienste ein. Sitzen verstört und verein­samt auf ihren Gold­flitter­wolken herum und onanieren nach allen Seiten, dass es zwischen Rhein und Elbe dauer­regnet. Marx und Engels samt Rosa Luxem­burg treiben vorbei, eifrig im Streit­gespräch vertieft, die Klas­siker zitie­ren Sätze aus ihrem Kommunis­tischen Mani­fest, Rosa gibt kritische Kommen­tare. Alle drei winken spöt­tisch den un­glück­lichen toten Minis­tern zu, die beleidigt zur Seite blicken. Sozis eben.

Bis zu diesem Absatz sprachen wir sanft, wo nicht freundschaftlich vom Gevatter Tod, der gleichsam der liebe Tod wie der liebe Gott der Christen ist. Nur ist ja auch deren Gott gar nicht so lieb, weshalb ich die letzten Sätze etwas sarkastisch einfärbte. Dazu fällt mir mein ganz indi­viduelles Verhältnis zum Tod ein. Und das war so:
  »In meiner frühesten Kindheit lebte ich bei der Großmutter. Sie wohnte in G. ne­ben der Kirche. Das Haus stand etwas erhöht. Wenn die Totenglocke läutete, eilten alte Frauen und wir Kinder vor zur Treppe, die von der Kirche hinabführte ins etwas tiefer gelegene Dorf. Man sah von hier aus den Trauerzug, dieses seltsame, vielfüßige, schwarzgekleidete und blumengeschmückte Etwas, das die Straße entlang zum Friedhof am Ortsende kroch, dies war also, was die Erwachsenen Tod nannten; der unbegreifliche, fremde, zugleich schöne und schmerzhafte Vorgang Tod drang mit Gesängen und Glockenklagen durch die Luft heran und tief in einen hinein. Der Tod saß dir wie ein Kloß im Halse, man begann zu würgen und nach Luft zu ringen, doch das fremde unheimliche Gefühl war nicht wirklich schlimm und machte nicht elend wie sonst Krankh­eiten, schmerzte nicht wie die Schläge, unser täglich Brot, nein, das drückende Gefühl in Kehle und Brust enthielt zugleich die köstlichste Süße, die einen sprachlos machte und gierig darauf warten ließ. Kaum erklang die Totenglocke, rannten auch schon alle los, das Schauspiel zu bewun­dern. Es war einfach schön, diesen Tod zu erleben, diesen feierlich bekränz­ten Trauer- und Freudenzug der Ein- und Heim­holung einer Leiche. Die alten Frauen bekamen nasse, glänzende Augen. Sie mochten den Tod, den sie fürch­teten und dem sie sich fast so nahe fühlten wie wir unsi­cheren unwis­senden Kinder.«
 Zugegeben, auch dieser Text aus Kopf und Bauch schil­dert noch einen recht passablen Tod. Aller­dings hatte ich den Tod ein paar Jahre später aus der Sicht des Soldaten kennen­gelernt.
  Als ich achtzehn Jahre zählte, es war Anfang 1944, steckte ich in den Bergen südlich von Gaeta in einem engen Schützen­loch. Seitwärts von uns fuhren zwei Panzer auf, die unsere Stellung Stück für Stück er­ledigten. Der Unter­offi­zier befahl Rückzug. Ich hakte ihm das Sturm­gepäck auf dem Rücken ein und bat ihn um die gleiche Hilfe. Jetzt ist keine Zeit! schrie er und klet­terte aus dem Loch. Ich stol­perte hinter­drein. Mein Gerümpel auf dem Rücken pend­elte, der Kara­biner­haken war in der Eile nicht richtig ein­gerastet. Wirf den verdammten Dreck weg! dachte ich, aber auch: Behalte das Zeug! So hetzte ich atemlos den anderen nach. Wenige Schritte vor der Wald­grenze kriegte ich zwei Schläge in den Rücken und flog zwischen Bäume und Büsche. Neben mir der Unter­of­fizier auf dem Bauche liegend. Das Sturm­gepäck auf seinem Rücken war zerfetzt wie der Rücken darunter. Ein Matsch von Rippen, Blut und Lungen­haschee. In der neuen Stel­lung angelangt, fand ich in meinem Sturmgepäck zwei kleine Granat­split­ter. Die größeren hatten den anderen erwischt. Wer gesteht sich schon ein, dass er sich tief im In­neren des anderen Tod gewünscht hat? Ein diszi­pli­nierter Soldat denkt sowas nicht. Meine Dis­­ziplin begann Schaden zu nehmen. Indem ich mir das ein­gestand, ver­schwand sie in den Orkus, woher sie kam und wohin sie endgültig gehört.

Die heutige diffus-imperiale Weltlage ähnelt der Zeit vor 1914. Die ein­zelnen Par­teien und Blöcke schaf­fen keine frie­dens­stif­tende Gesamt­kultur. Viele kleine Kon­flikte führen zu nicht mehr steuer­baren Ver­hält­nissen, End­station Chaos, garniert von irrealen Glau­bens­schwüren. Der Mangel an Kommuni­kation und Inte­gration mündet wie 1914 und 1939 im Krieg als wär's den Genen ein­ge­zeichnet. Wer über die größere Gewalt­maschine verfügt, traut sich den Sieg zu. Ihre diversen Haus­götter anbe­tend orga­nisieren die Über­menschen den Arma­geddon als gelte es nur eine kleine letzte Be­freiungs­schlacht zu schlagen.

Die Christen sind mit ihren antiken Höllen­mythen immer dabei und beherr­schen inzwischen sogar noch das Unter­bewusstsein ihrer Abtrünnigen wie der treu geblie­benen Schäfchen. Kein kirch­licher Pazifist sitzt in Haft. Kein Niemöller ist in Sicht. Jede neue Gene­ration drängt spielsüchtig aufs nächste Schlachtfeld, was als Hilfs­aktion schön­geredet wird, bis die Blase blutig platzt. Dass bereits die indus­trielle Stei­gerung der Ver­nich­tungs­kapa­zitä­ten aus den bibli­schen Schauern die reale Welt­katas­trophe werden lässt, geht den pro­fes­sionel­len Polit­krie­gern am Arsch vorbei, vom Kopf nicht zu reden, mit dem sie ihre Waffen­scheiße pro­du­zieren, weils Kasse macht. Auf Fulda Gap, die berühmt berüch­tigte Fulda-Lücke rück­blickend beru­higen sie sich mit der lässigen Aus­flucht, sie hätten doch Schwein gehabt. So vertrauen sie auf die lieben Schweine, von denen allein in Deutsch­land pro Jahr 60 Mil­lionen ge­schlach­tet werden. Wer aber die neuen Kriege mit derselben Lässig­keit zu ris­kieren gewillt ist, spielt russisches Rou­lette. Das Schick­sal der Erde samt ihrer Flora und Fauna wird den mono­polis­tischen Spitzen­pro­dukten hierarchi­scher Ver­blödung an­heim­gegeben. Aber, wird ein­gewendet, die Kuba-Krise wurde 1962 doch auch im letzten Augen­blick von Kennedy und Chruscht­schow ohne Atom­krieg bewältigt. Welch glück­hafte Kon­stel­lation – der Russe verlor bald darauf die Macht, der Ameri­kaner sein Leben.

Laut Paul Celan ist der Tod ein Meister aus Deutschland. Der Dichter irrte. Der Tod ist historisierbar geworden wie einst im Dreißigjährigen Krieg. Der Tod in seiner Praxis wurde zur Internationale von Mord, Massenmord, Massenmassaker. Ein universaler Filmtitel prophezeit: Die Erde ohne Menschen. Reiner Futurismus?

Soeben findet Ingrid im Netz einen Text aus zwei Vergangen­heiten:

Unzeitgemäße Betrachtungen
ultramontan – reaktionär
Mittwoch, 20. Februar 2008

Gerhard Zwerenz: Die bestmögliche Regierungsform ...
Gerhard Zwerenz, linker, marxistisch orientierter Schrift­steller und Philosoph, spitzt seine Gedanken im Buch „Wider die deutschen Tabus“ einmal in einer Weise zu, die lesens­wert ist: Die Krankheit der Welt ist eine Mangel­erscheinung. Es fehlt die best­mögliche Regierungs­form. Die westliche Demokratie leidet an dem Kardinal­fehler, dass in ihr Geld jede Meinung, wie auch deren Gegen­teil erzeugen kann. Genies sind das Produkt aus Frechheit und Reklame. Minister sind das Produkt aus Geschäfts­inter­esse und Bezie­hung. Mora­­listen entstehen aus wohl­ver­stan­denem Inter­esse und Ver­stellung oder in Folge körper­licher Schäden. Gerhard Zwerenz: Wider die deutschen Tabus. München 1962.
Eingestellt von Nikodemus um 20:56
Labels: 2 Dekadenz, 2 Politik, 2 Staat, 2 Wirtschaft

Kommentare:
Anonym hat gesagt …
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Donnerstag, Februar 21, 2008 1:15:00 nachm.
Dominik Hennig hat gesagt …
Suchen wir lieber die bestmögliche Nicht-Regierungsform: Anarcho-Kapita­lismus!
Mittwoch, Februar 27, 2008 2:04:00 nachm.
KJ hat gesagt …
Ist das Ernst gemeint: Nicht-Regierungs­form? Also das Gesetz des Dschun­gels?



   

Rommel: Ritterkeuz auf Pour le Mérite

James Bond als Rommel-Zwilling: ewige Lizenz zum Töten




Soweit eine Seite der Unzeitgemäßen Betrachtungen, die so zeitgemäß sind, dass keine Vergangenheit mehr vergeht: Eingestellt am 20.2.2008 mit Zitat aus Wider die deutschen Tabus, Original-Taschen­buch vom Jahr 1962, ergo vor einem kleinen Halb­jahr­hundert. An diesem Donners­tag, dem 1. November 2012 wächst sich das Tabu Tod zum superben My­thos aus und geistert am Abend aus der ARD ins werte Publikum: Rommel, der Wüsten­fuchs. Der wüste Wüsten­fuchs – warum kein Wüstenwolf, weil Adolfs Lieb­lings­wort vom Namen Wolf, wie er sich gern nennen ließ, bis zu den Wer­wölfen anders instru­menta­lisiert war? Der Panzer-Rommel wird durchaus plural gesehen: »Für mich ist er kein Held« (Film­produzent Nico Hoff­mann) »Ein Bild von einem Mann« (Regisseur Niki Stein, FAS 28.10.2012) »Seine histo­rische Stunde ging vorbei« (FAZ 29.10.2012) »Des Teufels Feld­mar­schall« (Spiegel 29.10.2012) »Hitlers Pop-General« (stern 25.10.2012) Der Tod steht ihm gut (FAS 28.10.2012), was jedoch auf den neuen James-Bond-Film zielt, Bond als »Untoter, ein Zombie« ist der Rommel-Zwil­ling im Kleinen, der es, obwohl als 007 mit der Lizenz zum Töten aus­gerüstet, nicht auf die 60.000 Wehr­machts­füchse brachte, die dem Feld­mar­schall begeis­tert ge­horchend ihre Be­stat­tung im Wüsten­sand favo­risier­ten, von den gefallenen Ita­lienern oder den westal­liier­ten Feinden nicht zu reden. Etwa 200.000 Rommelaner zogen es vor, nicht zu fallen, sondern brav die Hände zu heben, lieber in anglo­amerika­nischer Gefan­gen­schaft als mausetot. So nahmen sie die spätere NATO vorweg. Nach der Landung der West­al­liierten am 6. Juni 1944 spe­kulierte Rommel selbst mit der Idee, die Front im Westen zu öf­fnen, danach könnte es gemeinsam gegen den Osten gehen. Kame­rad Adolf frei­lich ließ den falschen Freund Wüsten­fuchs dafür übern Jordan gehen, bevor er sich dem Zug der deutschen Lemminge anschloss, der bis heute noch kein Ende gefunden hat: Der Gott, der Eisen wachsen ließ …

Unser öffentlich-rechtliches Staatsfernsehen nutzt den grauen November­beginn mit Buß- und Bettag sowie Toten­sonntag für eine ganze Gedenk­wochen-Sendung zur Ver­mes­sung des Todes statt Kritik an der Vergangs­terung der Welt zu wagen. »Der medi­zinische und technische Fort­schritt drängt den Tod immer weiter zurück. Das Risiko früh zu sterben war noch nie so gering wie heute.« (FAS 28.10.2012). Das nennt sich glattweg und griffig Mor­talitäts­revo­lution. Jetzt wissen wir auch, weshalb so viele Staaten scharf darauf sind, unsere sublimen Panzer und U-Boote zu kaufen. Es geht darum, den Tod zu besiegen, ganz wie Rommel, hoch­geehrt von seinen Sol­daten ob tot oder überlebend. Rommel, Hitler und Kame­raden sind via Bild­schirm die klas­sischen Untoten der ewigen deut­schen Nation. Seit 1848 leben unsere Helden Nation­building vor, bis sie ab 1871 ff Tat­sache wurde. Seither künden Tausende Kriegerdenkmale davon. Wovon? An welche Gefal­lenen denken wir? An unsere 30.000 toten U-Boot-Soldaten oder an ihre 30 – 40.000 versenkten Opfer? Aber sind unsere Marines keine Opfer und nur Täter? Müssen wir der von uns produzierten Leichen mit gedenken? Mehr als 25 Millionen tote Sowjet­menschen, 6 Mil­lionen Juden, mehr als eine halbe Million Sinti und Roman, Zigeu­ner genannt, und was ist mit den zig­tausend ermor­deten Deser­teuren, Kommunis­ten, Sozial­demo­kraten, Christen? Wie daran gedenken zwischen Volks­trauertag, einst Helden­gedenktag, Toten­sonntag, ohne die Differenz zwischen Untat und Opfer zu ver­kennen? Die Zeitung junge Welt, viel ge­scholten und in der Väterchen-Stalin-Frage gern recht verschwollen, erschien am 13./14.Oktober mit dem einzig adäquaten Toten­ge­denken. Satire oder die längst fällige logische Konse­quenz? BW-Oberst befiehlt Bomben­wurf mit über hundert Opfern und wird von seinem Minister zum General befördert. Ist der Tod wieder ein Meister aus Deutsch­land? Menschen sterben in der ewigen Differenz zwischen Tätern und Opfern. So setzen unsere Kriege sich fort. Feld­mar­schall Rommel erhielt am letzten Lebens­tag seine Wider­stands-Chance, hätte er die beiden Generäle, die ihn als ihres und seines Führers Todes­boten aufsuchten, erschos­sen und sich selbst ehren­halber die Birne perforiert. Von Adolfs zwei­tausend Gene­rälen wagte das kein Dutzend.
  Am Kapitelanfang war Bloch. Er steht zum Ende: »Doch noch leben wir gar kurz dahin. Wir nehmen ab, je mehr wir reifen. Sehr bald danach werden wir gelb, liegen faulend tief drunten.« (Geist der Utopie)

Gerhard Zwerenz    05.11.2012   

 

 
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz