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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 96. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
96. Nachwort |
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Der liebe Tod – Was können wir wissen?
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Albrecht Dürer
Ritter, Tod und Teufel
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Gegen Ende seines über neunzigjährigen Lebens nutzte der Philosoph Ernst Bloch die Metapher des Pioniers, wenn nicht Pfadfinders, indem er, nicht ohne zu lächeln, verkündete, er werde also, da im angemessenen Alter, bald vorangehen in die dunkle Höhle, um mit einer Fackel in der Hand zu erkunden, was denn das sei, der Tod. Da war er also, der Philosoph des Prinzip Hoffnung, zugleich der des gelassen lächelnden Trotzes – was wissen wir vom künftigen Zustand? Was können wir wissen? Die Spannweite reicht vom Ödipus des Kolonos, wo Sophokles resolut verkündet: »Das Beste ist, nicht geboren zu werden«, über Goethes Faust-Satz »Oh, wäre ich nie geboren« bis zum modernistisch coolen Spruch vom »Unfug des Sterbens«. Das bedeutet, den Tod locker nehmen, so von Leichtfuß zu Leichtfuß, von Bruder zu Bruder, wenn nicht zum Herrn der Sense. Davor mögen Unruhe sein und Zweifel: »Werde ich sterben können?« fragte sich der Satiriker Kurt Tucholsky besorgt in jungen Jahren und wählte dann, längst nicht alt, den Freitod.
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„Das Beste ist,
nicht geboren zu werden,
das Zweitbeste
früh zu sterben.“
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Der Tod steht nach dem Leben und vor dem Leben. Den Tod nach dem Leben zu fürchten besteht kein Grund. Wir dürfen annehmen, es handle sich um den fröhlichen Urzustand, in dem wir uns befanden, bevor jene Zeugung stattfand, die uns in die anwachsende Qualität eines fühlbar werdenden Wesens versetzte. Die Geburt ist der Fußtritt, mit dem dich das Schicksal aus dem Bauch der Mama in die menschliche Existenz befördert. Guten Tag und Wohl bekomms! Die Mutter hat den Schmerz, du hast den Schreck. Es wird erst eng und dann kalt um dich. Am Ende läuft die Story umgekehrt. Holte dich die Schwangerschaft der Mutter aus dem Tod ins Leben, bringt dich das Sterben zurück in den Tod als kosmologischen Urzustand.
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Tucholsky-Grabplatte
Schweden, Mariefred
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Das Nietzsche-Wort von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, auch von der Wiederkehr des ewig Gleichen verkündet den Kreislauf. Wer gläubig ist und seinem Jesus Christus die Rückkehr vom Tod ins Leben zubilligt, nun ja, der findet sich noch am besten ab mit den Begräbniskosten. Was können wir also wissen? Als Lebender gehörst du den Medizinern. Als Toter den Kirchen. Den Sterbenden geben die Doctores anstandshalber auf und die Priester verharren in Erwartung des Leichnams. Die Philosophen begleiten ihn zaghaft eine Wegstrecke ins Reich des Metaphysischen und werden dabei immer kleinlauter. Die Priester empfangen deine Seele und salben sie mit Trauerpsalmen, wobei himmlische Chöre von Kastraten jubilieren. Es ist geschafft, Brüderlein und Schwesterlein ab in die Kiste. Das alles, Leute, steht felsenfest. Bleibt das Zwischenreich des Dahinsterbens, und das möchten wir gerne schöner und menschlicher haben. Wenn einer einen leichten Tod erhielt, so hat er Schwein gehabt. Wer aber langsam stirbt und unter Qualen, der muss deshalb nicht noch zusätzlich bestraft werden mit vielerlei aufwendigen Apparaturen, skandalös überlastetem Personal und Schlusspunkt in der Besenkammer. Sterben muss nicht ein sich dahinschleppendes Elend sein, das es heute immer häufiger ist, weil es am Geld fehlt und an der vielbeschworenen Humanität, die längst dahinsiecht wie die armen Leute ohne ausreichende Versicherung.
Es sieht ganz so aus, als solle der Arme auf dem kärglichen Sterbebett bereuen, kein Reicher geworden zu sein. Was führte ich doch für ein verfehltes Leben, soll er denken. Dem Reichen dagegen, von dem die Luther-Bibel spricht, erscheint der Tod als klassenkämpferische Tyrannei, zwingt .sie ihn doch zur Aufgabe all seiner Besitzstände. Noch den letzten Heller muss er hergeben ohne sich, wie gewohnt, juristisch dagegen wehren zu können. Der Arme darf an diesem Punkt Erleichterung spüren, wird er doch endlich seiner Existenzsorgen enthoben. Inzwischen ist der liebe Tod zur Beute der Parteien, Vaterländer, Zeitungen und Kirchen geworden, ein Höherer habe abgerufen wird ausgerufen und immer geht es um Ehre, Eitelkeiten und Geld. Nur die Zwerge des Lebens enden im Armenbegräbnis mit anonymer Urnenversenkung. Der Rest ist ein kurzer Monolog des Friedhofsbeamten.
Dem Armen ist der Tod Notausgang und dass der Reiche auch dahinscheiden muss,
findet der Arme tröstlich. Der Reiche lässt sich Taschen ins Leichenhemd nähen
und versucht seine Schätze zu retten. Ihm ist die Gleichheit im Tod die schlimmste
Ungerechtigkeit, das versucht er ganz am Ende zu korrigieren. Sich mit denen dort
unten gemein machen zu müssen findet er unsittlich. Abseits unserer
Verrenkungen und Einbildungen steht der Tod unauslöschlich im Kalender. Wenn
er auftaucht, bist du nicht mehr dabei. Schwer fällt die kurze oder längere
Zeitspanne zuvor. Eine Gesellschaft, die das Sterben nach Gehaltsklasse und
Besitz einrichtet, ist sterblicher als sie glaubt.
An den Tod zu denken heißt an etwas Weitentferntes zu denken, das später
geschehen wird, nach langer Zeit und mit dem man nichts zu schaffen hat, es sei
denn bei einem Begräbnis, da jedoch sind wir froh, weil es nicht unser eigenes ist.
Ich denke lieber an den Tod vor meiner Zeit. Kein Grund sich zu bekümmern,
Menschlein. Vor deiner Stunde Null war es gar nicht so übel. Was heißt hier nicht
so übel, gar nicht übel war es, vorm Auftakt, dem Ich-Anfang. Danach ist es mir nie
besser ergangen, genau betrachtet. Also wenn der Tod nach dem Leben so ist wie der Tod vor dem Leben, dann ist es ein ganz passabler Zustand, nirwanahaft
eben, das Nirwana. Die Rückkehr dorthin kann mich nicht ängstigen. Nur wenn sie
dich von dort rausholen und wenn du etwa wiedergeboren wirst, ach du Schreck,
wer sind jetzt deine Eltern? Sinds etwa Esel und Eselin, was dich dazu verdammt, Tag für Tag Lasten zu schleppen? Oder wirst du eine arme Sau, auf die der Metzger wartet, eine Kakerlake, der die Kammerjäger so schnell wie möglich mit der Giftspritze zu Leibe rücken? Machen wir ein fröhliches Spiel daraus, flüstert mir mein Pseudonym ins Ohr. Und so geschieht es. Raus aus der irdischen Hülle und rauf in die sieben Himmel des heiligen Petrus. Du hoffst, dort ist alles leicht, heiter und ziemlich albern wie in der gestrigen tv-comedy? Pustekuchen, die einen schimpfen die anderen Ziegenficker und die schreien zurück: Du Schweinefleischfresser! Der eine wartet auf die versprochenen sieben Jungfrauen und der andere auf die ewige Seligkeit. Es fehlen weibliche Erzengel und so geht es wie in einer reinen Männergesellschaft zu. Schröder, Fischer und Augstein wollten aus Gewohnheit immer heiraten. Aus lauter Frust treten sie als Kanzler, Außenminister und Druckseitengeneral in die Himmelsdienste ein. Sitzen verstört und vereinsamt auf ihren Goldflitterwolken herum und onanieren nach allen Seiten, dass es zwischen Rhein und Elbe dauerregnet. Marx und Engels samt Rosa Luxemburg treiben vorbei, eifrig im Streitgespräch vertieft, die Klassiker zitieren Sätze aus ihrem Kommunistischen Manifest, Rosa gibt kritische Kommentare. Alle drei winken spöttisch den unglücklichen toten Ministern zu, die beleidigt zur Seite blicken. Sozis eben.
Bis zu diesem Absatz sprachen wir sanft, wo nicht freundschaftlich vom Gevatter Tod, der gleichsam der liebe Tod wie der liebe Gott der Christen ist. Nur ist ja auch deren Gott gar nicht so lieb, weshalb ich die letzten Sätze etwas sarkastisch einfärbte. Dazu fällt mir mein ganz individuelles Verhältnis zum Tod ein. Und das war so:
»In meiner frühesten Kindheit lebte ich bei der Großmutter. Sie wohnte in G. neben der Kirche. Das Haus stand etwas erhöht. Wenn die Totenglocke läutete, eilten alte Frauen und wir Kinder vor zur Treppe, die von der Kirche hinabführte ins etwas tiefer gelegene Dorf. Man sah von hier aus den Trauerzug, dieses seltsame, vielfüßige, schwarzgekleidete und blumengeschmückte Etwas, das die Straße entlang zum Friedhof am Ortsende kroch, dies war also, was die Erwachsenen Tod nannten; der unbegreifliche, fremde, zugleich schöne und schmerzhafte Vorgang Tod drang mit Gesängen und Glockenklagen durch die Luft heran und tief in einen hinein. Der Tod saß dir wie ein Kloß im Halse, man begann zu würgen und nach Luft zu ringen, doch das fremde unheimliche Gefühl war nicht wirklich schlimm und machte nicht elend wie sonst Krankheiten, schmerzte nicht wie die Schläge, unser täglich Brot, nein, das drückende Gefühl in Kehle und Brust enthielt zugleich die köstlichste Süße, die einen sprachlos machte und gierig darauf warten ließ.
Kaum erklang die Totenglocke, rannten auch schon alle los, das Schauspiel zu bewundern. Es war einfach schön, diesen Tod zu erleben, diesen feierlich bekränzten Trauer- und Freudenzug der Ein- und Heimholung einer Leiche. Die alten Frauen bekamen nasse, glänzende Augen. Sie mochten den Tod, den sie fürchteten und dem sie sich fast so nahe fühlten wie wir unsicheren unwissenden Kinder.«
Zugegeben, auch dieser Text aus Kopf und Bauch schildert noch einen recht passablen Tod. Allerdings hatte ich den Tod ein paar Jahre später aus der Sicht des Soldaten kennengelernt.
Als ich achtzehn Jahre zählte, es war Anfang 1944, steckte ich in den Bergen südlich von Gaeta in einem engen Schützenloch. Seitwärts von uns fuhren zwei Panzer auf, die unsere Stellung Stück für Stück erledigten. Der Unteroffizier befahl Rückzug. Ich hakte ihm das Sturmgepäck auf dem Rücken ein und bat ihn um die gleiche Hilfe. Jetzt ist keine Zeit! schrie er und kletterte aus dem Loch. Ich stolperte hinterdrein. Mein Gerümpel auf dem Rücken pendelte, der Karabinerhaken war in der Eile nicht richtig eingerastet. Wirf den verdammten Dreck weg! dachte ich, aber auch: Behalte das Zeug! So hetzte ich atemlos den anderen nach. Wenige Schritte vor der Waldgrenze kriegte ich zwei Schläge in den Rücken und flog zwischen Bäume und Büsche. Neben mir der Unteroffizier auf dem Bauche liegend. Das Sturmgepäck auf seinem Rücken war zerfetzt wie der Rücken darunter. Ein Matsch von Rippen, Blut und Lungenhaschee. In der neuen Stellung angelangt, fand ich in meinem Sturmgepäck zwei kleine Granatsplitter. Die größeren hatten den anderen erwischt. Wer gesteht sich schon ein, dass er sich tief im Inneren des anderen Tod gewünscht hat? Ein disziplinierter Soldat denkt sowas nicht. Meine Disziplin begann Schaden zu nehmen. Indem ich mir das eingestand, verschwand sie in den Orkus, woher sie kam und wohin sie endgültig gehört.
Die heutige diffus-imperiale Weltlage ähnelt der Zeit vor 1914. Die einzelnen Parteien und Blöcke schaffen keine friedensstiftende Gesamtkultur. Viele kleine Konflikte führen zu nicht mehr steuerbaren Verhältnissen, Endstation Chaos, garniert von irrealen Glaubensschwüren. Der Mangel an Kommunikation und Integration mündet wie 1914 und 1939 im Krieg als wär's den Genen eingezeichnet. Wer über die größere Gewaltmaschine verfügt, traut sich den Sieg zu. Ihre diversen Hausgötter anbetend organisieren die Übermenschen den Armageddon als gelte es nur eine kleine letzte Befreiungsschlacht zu schlagen.
Die Christen sind mit ihren antiken Höllenmythen immer dabei und beherrschen inzwischen sogar noch das Unterbewusstsein ihrer Abtrünnigen wie der treu gebliebenen Schäfchen. Kein kirchlicher Pazifist sitzt in Haft. Kein Niemöller ist in Sicht. Jede neue Generation drängt spielsüchtig aufs nächste Schlachtfeld, was als Hilfsaktion schöngeredet wird, bis die Blase blutig platzt. Dass bereits die industrielle Steigerung der Vernichtungskapazitäten aus den biblischen Schauern die reale Weltkatastrophe werden lässt, geht den professionellen Politkriegern am Arsch vorbei, vom Kopf nicht zu reden, mit dem sie ihre Waffenscheiße produzieren, weils Kasse macht. Auf Fulda Gap, die berühmt berüchtigte Fulda-Lücke rückblickend beruhigen sie sich mit der lässigen Ausflucht, sie hätten doch Schwein gehabt. So vertrauen sie auf die lieben Schweine, von denen allein in Deutschland pro Jahr 60 Millionen geschlachtet werden. Wer aber die neuen Kriege mit derselben Lässigkeit zu riskieren gewillt ist, spielt russisches Roulette. Das Schicksal der Erde samt ihrer Flora und Fauna wird den monopolistischen Spitzenprodukten hierarchischer Verblödung anheimgegeben. Aber, wird eingewendet, die Kuba-Krise wurde 1962 doch auch im letzten Augenblick von Kennedy und Chruschtschow ohne Atomkrieg bewältigt. Welch glückhafte Konstellation – der Russe verlor bald darauf die Macht, der Amerikaner sein Leben.
Laut Paul Celan ist der Tod ein Meister aus Deutschland. Der Dichter irrte. Der Tod ist historisierbar geworden wie einst im Dreißigjährigen Krieg. Der Tod in seiner Praxis wurde zur Internationale von Mord, Massenmord, Massenmassaker. Ein universaler Filmtitel prophezeit: Die Erde ohne Menschen. Reiner Futurismus?
Soeben findet Ingrid im Netz einen Text aus zwei Vergangenheiten:
Unzeitgemäße Betrachtungen
ultramontan – reaktionär
Mittwoch, 20. Februar 2008
Gerhard Zwerenz: Die bestmögliche Regierungsform ...
Gerhard Zwerenz, linker, marxistisch orientierter Schriftsteller und Philosoph, spitzt seine Gedanken im Buch „Wider die deutschen Tabus“ einmal in einer Weise zu, die lesenswert ist: Die Krankheit der Welt ist eine Mangelerscheinung. Es fehlt die bestmögliche Regierungsform. Die westliche Demokratie leidet an dem Kardinalfehler, dass in ihr Geld jede Meinung, wie auch deren Gegenteil erzeugen kann. Genies sind das Produkt aus Frechheit und Reklame. Minister sind das Produkt aus Geschäftsinteresse und Beziehung. Moralisten entstehen aus wohlverstandenem Interesse und Verstellung oder in Folge körperlicher Schäden. Gerhard Zwerenz: Wider die deutschen Tabus. München 1962.
Eingestellt von Nikodemus um 20:56
Labels: 2 Dekadenz, 2 Politik, 2 Staat, 2 Wirtschaft
Kommentare:
Anonym hat gesagt …
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Donnerstag, Februar 21, 2008 1:15:00 nachm.
Dominik Hennig hat gesagt …
Suchen wir lieber die bestmögliche Nicht-Regierungsform: Anarcho-Kapitalismus!
Mittwoch, Februar 27, 2008 2:04:00 nachm.
KJ hat gesagt …
Ist das Ernst gemeint: Nicht-Regierungsform? Also das Gesetz des Dschungels?
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Rommel:
Ritterkeuz auf Pour le Mérite
James Bond als Rommel-Zwilling:
ewige Lizenz zum Töten
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Soweit eine Seite der Unzeitgemäßen Betrachtungen, die so zeitgemäß sind, dass keine Vergangenheit mehr vergeht: Eingestellt am 20.2.2008 mit Zitat aus Wider die deutschen Tabus, Original- Taschenbuch vom Jahr 1962, ergo vor einem kleinen Halbjahrhundert. An diesem Donnerstag, dem 1. November 2012 wächst sich das Tabu Tod zum superben Mythos aus und geistert am Abend aus der ARD ins werte Publikum: Rommel, der Wüstenfuchs. Der wüste Wüstenfuchs – warum kein Wüstenwolf, weil Adolfs Lieblingswort vom Namen Wolf, wie er sich gern nennen ließ, bis zu den Werwölfen anders instrumentalisiert war? Der Panzer-Rommel wird durchaus plural gesehen: »Für mich ist er kein Held« (Filmproduzent Nico Hoffmann) »Ein Bild von einem Mann« (Regisseur Niki Stein, FAS 28.10.2012) »Seine historische Stunde ging vorbei« (FAZ 29.10.2012) »Des Teufels Feldmarschall« (Spiegel 29.10.2012) »Hitlers Pop-General« (stern 25.10.2012) Der Tod steht ihm gut (FAS 28.10.2012), was jedoch auf den neuen James-Bond-Film zielt, Bond als »Untoter, ein Zombie« ist der Rommel-Zwilling im Kleinen, der es, obwohl als 007 mit der Lizenz zum Töten ausgerüstet, nicht auf die 60.000 Wehrmachtsfüchse brachte, die dem Feldmarschall begeistert gehorchend ihre Bestattung im Wüstensand favorisierten, von den gefallenen Italienern oder den westalliierten Feinden nicht zu reden. Etwa 200.000 Rommelaner zogen es vor, nicht zu fallen, sondern brav die Hände zu heben, lieber in angloamerikanischer Gefangenschaft als mausetot. So nahmen sie die spätere NATO vorweg. Nach der Landung der Westalliierten am 6. Juni 1944 spekulierte Rommel selbst mit der Idee, die Front im Westen zu öffnen, danach könnte es gemeinsam gegen den Osten gehen. Kamerad Adolf freilich ließ den falschen Freund Wüstenfuchs dafür übern Jordan gehen, bevor er sich dem Zug der deutschen Lemminge anschloss, der bis heute noch kein Ende gefunden hat: Der Gott, der Eisen wachsen ließ …
Unser öffentlich-rechtliches Staatsfernsehen nutzt den grauen Novemberbeginn mit Buß- und Bettag sowie Totensonntag für eine ganze Gedenkwochen-Sendung zur Vermessung des Todes statt Kritik an der Vergangsterung der Welt zu wagen. »Der medizinische und technische Fortschritt drängt den Tod immer weiter zurück. Das Risiko früh zu sterben war noch nie so gering wie heute.« (FAS 28.10.2012). Das nennt sich glattweg und griffig Mortalitätsrevolution. Jetzt wissen wir auch, weshalb so viele Staaten scharf darauf sind, unsere sublimen Panzer und U-Boote zu kaufen. Es geht darum, den Tod zu besiegen, ganz wie Rommel, hochgeehrt von seinen Soldaten ob tot oder überlebend. Rommel, Hitler und Kameraden sind via Bildschirm die klassischen Untoten der ewigen deutschen Nation. Seit 1848 leben unsere Helden Nationbuilding vor, bis sie ab 1871 ff Tatsache wurde. Seither künden Tausende Kriegerdenkmale davon. Wovon? An welche Gefallenen denken wir? An unsere 30.000 toten U-Boot-Soldaten oder an ihre 30 – 40.000 versenkten Opfer? Aber sind unsere Marines keine Opfer und nur Täter? Müssen wir der von uns produzierten Leichen mit gedenken? Mehr als 25 Millionen tote Sowjetmenschen, 6 Millionen Juden, mehr als eine halbe Million Sinti und Roman, Zigeuner genannt, und was ist mit den zigtausend ermordeten Deserteuren, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen? Wie daran gedenken zwischen Volkstrauertag, einst Heldengedenktag, Totensonntag, ohne die Differenz zwischen Untat und Opfer zu verkennen? Die Zeitung junge Welt, viel gescholten und in der Väterchen-Stalin-Frage gern recht verschwollen, erschien am 13./14.Oktober mit dem einzig adäquaten Totengedenken. Satire oder die längst fällige logische Konsequenz? BW-Oberst befiehlt Bombenwurf mit über hundert Opfern und wird von seinem Minister zum General befördert. Ist der Tod wieder ein Meister aus Deutschland? Menschen sterben in der ewigen Differenz zwischen Tätern und Opfern. So setzen unsere Kriege sich fort. Feldmarschall Rommel erhielt am letzten Lebenstag seine Widerstands-Chance, hätte er die beiden Generäle, die ihn als ihres und seines Führers Todesboten aufsuchten, erschossen und sich selbst ehrenhalber die Birne perforiert. Von Adolfs zweitausend Generälen wagte das kein Dutzend.
Am Kapitelanfang war Bloch. Er steht zum Ende: »Doch noch leben wir gar kurz dahin. Wir nehmen ab, je mehr wir reifen. Sehr bald danach werden wir gelb, liegen faulend tief drunten.« (Geist der Utopie)
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Gerhard Zwerenz
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Nachworte
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