Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
Am 31.1.1976 veröffentlichte die Frankfurter Rundschau ein Interview von Wolfram Schütte mit Fassbinder:
„Sie sind von Frankfurt weggegangen und wollten, sagten Sie damals, nach Paris gehen. Nun sind Sie aber wieder in München hängengeblieben … Ich bin nicht in München hängengeblieben Ich bin hier in München, weil ich hier einen Film mache (…) In Frankfurt hatten Sie aber doch schon ein Stück geschrieben, das Sie dort am TAT ursprünglich aufführen wollten … Ich wollte es auch danach am Theater machen. ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ führe ich nun aber nicht mehr auf (am Theater). Daraus hat nämlich mein Freund Daniel Schmid einen sehr schönen Film gemacht, der fertig abgedreht ist, geschnitten; im Augenblick wird er gemischt. Spielen Sie da mit? Ja, ich spiele eine von den Hauptrollen. Ein weiteres ›Frankfurt-Projekt‹ ist der Roman Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond von Gerhard Zwerenz … Das ist richtig. Nächstes Jahr im März und April werde ich den Roman in Frankfurt verfilmen. Ein Film von normaler Länge? Im Moment sieht es noch aus, als würde er unheimlich lang werden. Haben Sie vor, ihn so umfangreich zu machen? Ich werde ihn so lang machen, wie ich glaube, dass er's sein muss. Und wie wird er finanziert? Im Moment hat der WDR daran Interesse, und dann haben wir das Drehbuch der Projektkommission vorgelegt und dann mit Eigenkapital; auf jeden Fall: wir wollen ihn mit etwa 1,5 Millionen Mark machen. Wir hoffen, dass das so klappen wird. Das wäre der erste Film, bei dem ich wirklich Geld habe. Das wäre die teuerste von meinen bisherigen Kinoproduktionen. Wenn ich jetzt an Ihre kurze Frankfurter Zeit denke, dann sind da doch ganz schön viele Reste übriggeblieben. Das Frankfurt-Stück, das Daniel Schmid verfilmt hat (und damit fürs Theater 'gestorben' ist) … Ja, ich habe es fürs Theater gesperrt ... ...und das große Filmprojekt nach Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond (Zwerenz) . Ja, das hat aber viel mehr mit Zwerenz zu tun als mit Frankfurt. Ich bin überzeugt, ich hätte den Roman verfilmen wollen, auch wenn ich nicht in Frankfurt gewesen wäre. Was mich an dem Roman fasziniert, ist, dass er Figuren ganz präzise beschreibt, dle durch das Leben krank geworden sind, das sie führen, die krank und verkrüppelt und zerstört worden sind durch die Stadt, am Beispiel Frankfurt. Ich kann mir zwar vorstellen, warum er das über Frankfurt geschrieben hat, weil ich dort war; aber das trifft auf alle Städte zu. Ich habe noch nie so sehr verstanden, während ich den Roman gelesen habe, wie Leute krank werden, weil die gar nicht mehr anders können, als klein zu bleiben und abzusterben. (…) Ich habe gehört, dass Sie zusammen mit Peer Raben eine Oper machen wollen? Er sprach in München mit August
Everding über Fassbinders Opernplan Interessiert Sie das Libretto oder die Inszenierung? Mich interessiert eigentlich mehr, eine Oper zu inszenieren. Aber ich will – wie beim Theater – nicht machen, was schon da ist, ich will was Neues machen. Wie beim Theater: erst dann mache ich wieder Theater, wenn man das wie einen Film machen kann, also konkret, direkt zusammen mit Leuten, die sich dafür interessieren und davon betroffen sind; und nicht, dass man so Stücke liest und dann sagt: dieses Stück wollen wir jetzt machen; das mache ich überhaupt nicht mehr, dazu habe ich mich effektiv entschieden. Vielleicht gibt es das wieder: dass man an ein Theater geht, für zwei Monate, sagen wir mal, und da etwas macht, was mit einem zu tun hat. Und weil ich das so sehe, möchte ich auch lieber eine Oper machen, die aus Sachen entstanden ist, die mit mir etwas zu tun haben – wie die Musik von Peer Raben oder der Stoff. Was ist das für'n Stoff? Eine Geschichte von Zwerenz, über die ich jetzt nicht genauer sprechen will.“
Da schien alles ins Lot gekommen, der Gerechtigkeit war Genüge getan. Was Kropp betraf, so gewöhnte er sich ausgezeichnet an die Verhältnisse im Zuchthaus und gewann bald die Zuneigung des Personals, das seine gutwillige Fügsamkeit lobte.
In Wirklichkeit liebte Kropp die tote Nedine so, dass kein Platz blieb in seinem Herzen für andere Gefühle. Denn er war von der Rasse der Unbedingten.
Bis zu jenem Morgen, an dem es genug war, an dem sie die Tür öffneten und Krapp nicht in der Zelle fanden, in der er sieben Jahre lang gesühnt hatte. Da blieb ihnen zur Begutachtung ein loses Brett, das sich aus den Dielen heben ließ und einen schmalen Gang freigab, der in die Erde und jenseits der Kerkermauern ins Freie führte, dort aber von Holundergebüsch verdeckt wurde, weshalb die im Stadtpark zu Dageran flanierenden Bürger nichts von der Flucht bemerken konnten.
Soviel man sich auch mühte, man fand Krapp nicht mehr; nur auf den Gräbern Nedines und Hareks lagen je sieben rotglühende Rosen, und der Stadtgärtner beklagte sich überall wortreich, weil ihm jemand über Nacht fünfzehn der kostbarsten Blumen gestohlen hatte.
Fünfzehn? wird man fragen, da doch auf den Gräbern Nedines und Hareks nur je sieben, zusammenqenommen vierzehn Rosen lagen? Und wo blieb die fünfzehnte?
Die alte chinesische Weisheit antwortet: Ein Liebender trägt eine Rose im Mund, und Blut tropft von seinen Lippen.“
Sorge wegen anekdotischer Abschweifung Die reale Oper des Zeitgeistes komponiert sich inzwischen das 21. Jahrhundert selber zusammen. In den feuilletonistischen Unterständen postmoderner Epochenzwerge herrscht Aufregung. Das Gespenst der digitalen Evolution (FAZ vom 6.2.2010) geht um. Oder ist iPad gar ein Revolutionär? Das Risiko Staatsbankrott (FAZ) droht für übermorgen sowieso. Und noch erschreckender: Das Internet bereichert und bedroht unser menschliches Gehirn. (FAZ 5.2.2010) So jammern die Hirnlosen. Aber: Das iPad ist nur eine Fernbedienung. Ja was denn nun? Da wir einmal im Februar 2010 sind – am 3.2. zeichnete Rainer Hachfeld in Neues Deutschland einen heiligen Schwarzkittel. Überschrift: Jesuitengymnasium – und noch biblischer: Lasset die Kindlein zu mir kommen… Der Lehrer trägt vorn unterm Rock die erektive Ausbuchtung, ohne die der umgetriebene Pädophile nicht bei der Stange bleiben kann. Steckt unterm Priestergewand ein iPad von Apple, ein iPhone oder bloß das ganz gewöhnliche Handy von Lidl für oralen Sex? Dann lassen wir die Kirche aus dem Spiel, die bleibt sowieso im Dorf der Dauerwichser, was einst über Nietzsche schon nebenbemerkt wurde.
Heute beklagen die Herren von der Presse den Informations-Tsunami vom Personal-Computer bis zum iPod und wohin das alles denn noch führt. Das Jammern im Feuilleton über die schrumpfenden Werbe-Einnahmen der mitschrumpfenden Blätter schwillt an. Das mailt und googelt, twittert, zitiert und zittert und erkennt in Helene Hegemann die Heilige von Plagiatien. Was den Dresdnern ihr schiefer Tellkamp-Turm vom Weißen Hirsch ist, gibt den Berlinern ihr anonymisch-pseudonymisches Potpourri der Selbsterfahrung übern Mausklick. Vom Augen- und Ohrenschmaus zum Augen- und Ohrenklau. Die tüchtige Jungfer sucht ihr Glück per Handarbeit wie der Jesuitenpater als Lehrer in der Hose der Jungen. Dazu der FAZ-Leitartikel vom 13. Februar: Dynamik des Skandals. Das ist der Genuss am Arsch bourgeoiser Götter – ein Tabu statt gebrochen erbrochen und kunstvoll aufbereitet zu neuen feuilletonistischen Kotzbrocken. Das letzte Wort hat die FAZ vom 9.2.: „Die Figur, die Hegemann entwirft, gewinnt mit jeder Seite an Kontur …“ Dazu passt: „Das Buch ist ein Spiegel. Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Apostel herausblicken.“ Heute wär's Usus, den Autor der schönen Erkenntnis zu verschweigen. Pustekuchen. Es ist G. C. Lichtenberg. Das mainische Verlautbarungsorgan verkündet die Entriegelung der Sinne. Tatsächlich wird der Schrott verfeatchert, der Kultur genannt wird von den Verwertern des Bankrotts, der die Hirne mit den Banken gleichschaltet, damit das Ende synchron werde.
Goethe zu Helene Hegemann Schmidt und Hegemann als Liebespaar und Vorhang zu? Es ist Fassbinders verhinderte Oper als Parodie. Der Tote führt Regie, allemal lebender als das Personal vereinigter Hochstapelkulturen.
Die am 13. Februar in Dresden angereisten und dort abgewiesenen Nationalen drohen schon am 5. März in Chemnitz aufzumarschieren. Tatsächlich sind mit Dresden, Chemnitz und Leipzig alle drei großen Städte Sachsens im 2. Weltkrieg Ziele und Opfer westalliierter Flächenbombardements geworden. Es gibt drei Möglichkeiten des Gedenkens: 1. Wie alte und neue Nazis die anglo-amerikanischen Flieger wegen Kriegsverbrechen anklagen. 2. Die Erinnerung geschieht mit religiösem Touch, als stille Mischung von Totensonntag, Buß- und Bettag, Volkstrauertag. 3. Das Gedenken fügt der traurigen Rückschau eine aktivierende Schau nach vorn an mit der Frage: Sind Kriege zu verhindern und wenn ja, was kann ich tun? Mit dieser antikriegerischen Existenzfrage waren wir schon mal weiter als heute.
Am Sonntag, dem 14. Februar d.J. gab es in der ARD Kölner Karneval und bei Phönix vor applaudierendem Publikum eine der landesüblichen tv-Diskussionen über unseren Krieg in Afghanistan. Die Herren spielten ihre Rollen professionell. Der Kriegsminister war von und zu, der Außenpolitiker von der Süddeutschen Zeitung täuschte den Part eines globalen Journalisten vor, ein NATO-General sprach auch so, Tom Koenigs von den ehemals friedensbewegten Grünen könnte die Waffen, die er einst den Vietkong schenkte, afghanischen Dorfschützern gegen die Taliban umwidmen. Außerdem dabei Moderator Minhoff, der einige Male keck nachzufragen wagte und Gregor Gysi samt seinem zu Recht wiederholten Einwurf, solche Aufstände könnten nie durch Militär besiegt werden. Darauf beharrend bezeugte er seinen und seiner Partei guten Friedenswillen. Historisch aber bleibt das strittig. Alle die aufzählbaren Kriege westlicher Wertegemeinschaften waren und sind Kreuzzüge, bewaffnete „Missionen“ und abgetarnte oder offene „Kriegseinsätze“ zur Bewahrung und/oder Ausweitung eigener Macht. Gysi ist als allseits beargter Spitzenpolitiker an ein Minimum von Diplomaten –, ergo Sklavensprache gebunden. Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht hätten an seiner Stelle in dieser Runde energisch Nie wieder Krieg! ausgerufen. Dieser Satz plus Ergänzung durch Nie wieder Faschismus war bis zur deutschen Einheit eine Ost und West verbindende Linie. In der Folge von 1989/90 wurde das Widerstands- und Friedensband zerschnitten. Inzwischen ist es zu spät geworden für verbaldiplomatische Disziplinen. Nie wieder Krieg heißt auch Ende mit Krieg! Das verlangt erst einmal die ehrliche Sprachrevolte als Beginn pazifistischer Revolution. Die Phönix-Runde vom Pariser Platz war nichts anderes als eine bemühte Fortsetzung der ARD-Karnevals-Sendung vom selben Abend. Die Kölner Jecken aber böllern nur statt scharfzuschießen. Das Volk ist mitunter klüger als seine gewählten oder beamteten Sprechautomaten.
Das alles fügte sich in Fassbinders unvollendeter Oper in Fortsetzungen. Die Frage bleibt, wie öffnest du dir die Medien? Wer darf Oper, Theater, Kino, Fernsehen, Presse bedienen ohne als Bediener zum Diener fremder Herren zu werden? Erbrachte Helene Hegemann nicht eine revolutionäre Tat, als sie, die Rechtslage souverän missachtend, ihr Girliezimmer durch ein per Medien zusammengestohlenes Meublement zur Lasterhöhle aufpeppte? Nebenfrage: Wie wird der Mensch heutzutage Urheber, Schriftsteller, Dichter und gar Poet?
Was das sakrosankte Copyright betrifft, katapultierten Rainer Langhans und Fritz Teufel im Voltaire Handbuch 2 einst ihre Weisheiten unter dem listigen Titel Klau mich in die Welt. Unterzeile: „Wir haben geklaut bis zum 1. Sept. 68“.So geht die alte APO ins Anti-Opa-Zeitalter von heute über und Tellkamp / Hegemann sitzen triumphierend im Olymp der putzigen Postmoderne. Du kannst als Dichter aber auch direkt in die Politik wechseln und Biographien absondern. Niemand liest das Zeug. Die Parteigläubigen kaufen es zum Füllen der Lücken im Bücherschrank. Der Politiker kann seine Lebensgeschichte auch auf Eis legen, sich in der Weltwirtschaft ne goldene Nase verdienen und danach, bevor der Krebs ihn auffrisst, den eigenen Hofberichterstatter spielen. Ein National- oder Nobelpreis ist immer drin, lügt der Raffke sich seine Version so meisterhaft gewissenlos zusammen wie die vorangegangene Politik, diesen ersten Karrieresprung ins Himmelreich irdischer Gottheiten im Zeitalter abendländischer Hochkultur.
Fassbinder wollte nur in die Oper gehen, um dort neue Töne zu erproben. Inzwischen leben wir inmitten einer aufgedonnerten Inszenierung von Richard Wagner. Gewisse Heldentenöre suchen uns heim wie einst die Bomben Wagners Heimatstadt Dresden.
Bei kommenden Wahlen muss sich zeigen, ob die jugendlich-neue Piratenpartei ihre Chancen wahrzunehmen versteht. Die bisher letzte und insofern neueste Partei, genannt Die Linke hält sich im Moment mit ca. 10/11% zwischen möglichen 20% und dem Absturz unter 5%. Ihre Ausrichtung auf Lafontaine und Gysi war förderlich, koppelte sie jedoch an Alter, Gesundheit und Wohlergehen zweier solitärer Spitzenpiloten. Schwächeln sie oder fallen gar aus, droht regionaler Zerfall. Denkbar wäre eine feminin dominierte Zukunft mit tüchtigen Frauen, was einen Vergleich mit dem Christentum des alten Rom nahelegt, doch auch wenn die römische Untergrundkirche weiblichen Gläubigen ihren Auftrieb verdankte, landete sie bald bei der chronischen alten Priesterkaste, obwohl Rom früher eine Vision zu bieten hatte, die heute längst zum Teufel gegangen ist.
Das bringt unser 15. Nachwort in Erinnerung, in dem von Irmtraud Wojaks Fritz- Bauer-Biographie gesprochen wird, die zu rezensieren die FAZ ausgerechnet den Prof. Manfred Kittel beauftragte, der dem Hessischen Generalstaatsanwalt prompt die klebrigen Absonderungen seiner schwarzen Ironie aufs Grab schmierte. Inzwischen schlug der Blitz der Erleuchtung gleich zweimal in jener Chefredaktion ein, nachdem von der Süddeutschen Zeitung bis zum Spiegel allerlei Aufklärung drohte. Am 20. 2. 2010 dämmerte den FAZ-Hausgeistern, der Bund der Vertriebenen sei in die Nazizeit „bis zur Harmlosigkeit verstrickt.“ Eine geniale Verharmlosung von Seiten treuer Sklavensprachkünstler. Immerhin wird Prof. Kittels Schwarzmäntelchen gar zweimal gelüpft, denn er sei „der falsche Mann für die geschichtspolitisch brisante Leitung des Dokumentationszentrums“ der Vertriebenen.
Mindestens seit Joachim Fest, der sich von Albert Speer „an der Nase herumführen“ ließ, die ja beide in Fassbinders Oper auch eine Rolle spielen sollten, zeigt das Frankfurter Banker-Blatt eine fatale Vorliebe für falsche Männer.
Man stelle sich den letzten Akt illustriert vor: Ein DDR-Stasi-Mann informiert den Generalstaatsanwalt über Eichmanns geheimen Aufenthaltsort. Fritz Bauer konnte zwei Fehler begehen. Das Geheimnis, weil aus dem Osten, ignorieren oder an die von Nazis durchsetzte BRD-Justiz weiterreichen. Bauer informierte stattdessen sicherheitshalber die Israelis. Ein Halbjahrhundert später kreidet ihm diesen Schritt ein deutscher Rechtshistoriker in aller Öffentlichkeit übel an. Vielleicht war Prof. Kittel oder sein Rezensions-Auftraggeber nur besoffen? Das wäre noch eine am wenigsten arge Interpretation, die Fassbinders Oper allerdings verfremdete zur Frankfurter Allgemeinen Seifenoper.
Fassbinder vor dem Sprung in die Oper – es war die Isar und nicht der Main. Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 08.03.2010, geplant.
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