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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 58. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
58. Nachwort |
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Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
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Ernst Jünger und sein befohlenes Erschießungskommando –
im Buch auf Seite 44
Ernst Jünger: Strahlungen I
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Anfang 1944 kam ich mit einer US-Kugel im Arm auf den Hauptverbandsplatz hinter Nettuno und anschließend ins Lazarett nach Meran(o) in Südtirol. Otto, der ältere Bruder meiner Mutter hatte als k.u.k.-österreichischer Soldat in der Schlacht am Isonzo ein Auge verloren, auch er war im 1. Weltkrieg in einem Meraner Lazarett behandelt worden. Ich kriegte (oder erlitt) einen Lachanfall, als der Zug mit den Verwundeten neben dem Stationsschild hielt. Otto war als linker Revolteur aus Weltkrieg 1 zurückgekehrt. Seine Bücher und sein Einfluss prägten mich. Unweit des zum Lazarett umfunktionierten großen Hotels entdeckte ich bald das Extra-Schaufester einer Buchhandlung – angefüllt mit Ernst-Jünger-Werken. Zwei vergebliche Desertionsversuche hatte ich hinter mir, kannte meine linken pazifistischen Schriftsteller aus dem Effeff und dachte, versuch's doch mal mit einem ordensritterlichen Schlachtross. Als Horst Bingel mich 1968 um einen Jünger-Beitrag für seine Streit-Zeit-Schrift bat, war ich noch von der DDR her sicher, so unbetroffen zu schreiben, als handle es sich um ein abgeschlossenes, weit zurückliegendes Thema. Im 41. Nachwort ist die erste Hälfte des Artikels nachgedruckt. Da jetzt der strategische Ernstfall eintrat, zitiere ich meinen kompletten Fairplay-Versuch von 1968, wenn auch mit hochrotem Kopf, weil Herzblut vergossen wurde, wo es doch nur um die Nachgeburt kriegerischer Drachen geht.
„1. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde beherrscht von einem Idol: dem Führer. Er trat auf als gottgewollt und Sendbote irgendeiner Vorsehung, zu ihm zählte notwendig das Volk, die Masse, die Summe der Untertanen.
Ernst Jünger war es, der, weil diese Ordnungen rational nicht zu vertreten waren, ihre Mythe schuf: den in tausend Gefechten und Grabenkämpfen, den in erbitterten, blutigen Nahkämpfen gehärteten und seiner inneren Substanz nach unverwundbaren Stoßtruppführer .Ein Führer auch er, aller rationalen Bezüge enthoben und zur Fabelgestalt verdichtet. Dieses Idol im Herzen, wuchsen nachfolgende Generationen zu Grabenkämpfern heran. Sie sahen den Jüngerschen Helden ab, dass man zu kämpfen, nicht aber zu denken, nicht zu zweifeln, zu fragen habe.
Ob Ernst Jünger ein Nazi war, steht für mich nicht zur Debatte. Aber seine Grabenkämpfer-Mythologie war eine Fahne des absoluten Gehorsams und inneren Befehls. Seine Bücher trieben Legionen junger Menschen in Kampf und Opfertod.
2. Hitler mochte Ernst Jünger und schützte ihn. Jünger mochte Hitler weniger, aber er ließ zu, dass Hitler ihn mochte und schützte. Und er war, bei aller Distanz, fasziniert von diesem Führer. Dagegen blieben die Marmorklippen und die Friedensschrift nur episodisch. Die Kampfmythe der Stahlgewitter im Herzen, kämpften junge Deutsche in Hitlers Stahlgewittern. Ernst Jünger war ein großer, geistiger Mobilisator für Hitlers Armeen. Diesen Führer nebenhin ›Kniebolo‹ zu nennen, wiegt hiergegen soviel wie ein Mistkäfer.
3. Ernst Jüngers Irrtum entstammt seinem Konservatismus. Seine Kriegshelden, für Dinge kämpfend, die vernünftigerweise nicht mehr vertretbar wären, verzichten auf Vernunft und Logik und erheben den Kampf selbst zur letzten Größe. Seine Stoßtruppführer werden somit zu Landsknechten, wenn auch mit dem Luxus innerer Herrenmoral. Seine Helden sind gehorsam. Sie fragen nicht nur nicht wem, sie wissen auch nicht mehr zu fragen.
Ernst Jüngers Frontkämpfer sind Einzelkämpfer, doch beschränkt sich ihre Vereinzelung auf den Kampf selbst. Sonst sind sie typische Massenmenschen: aufbietbar, folgsam, manipuliert mithin und also nichts weniger als individuell. Gehorsamkeitstiere eben.
4. Ernst Jüngers Irrtum ist der Irrtum derer, die bewahren wollen, was nicht mehr zu bewahren ist. So verengt sich ihr geistiger Horizont. Der Pour le Mérite-Träger Jünger ist wie eine von ihm selbst erschaffene Gestalt: tapfer auf der falschen Seite und so fehl am Platze wie in der Zeit.
5. Die Landsknechtstypen haben ein Gegenbild: den Partisanen. Ernst Jünger fand zu diesem Reich keinen Zugang, wiewohl er sich in seinen späteren Büchern manchmal darum bemühte. Die Selbstanalyse Ernst Jüngers steht noch aus.
6. Für den Grabenmythologen des I. Weltkrieges fehlt mir jedes Verständnis. Soviel zum frühen Jünger. Was den späteren angeht: Die persönliche Distanz, die Ernst Jünger nach 1933 zum Regime zu halten wusste, erfüllt mich mit Respekt. Er hätte, bei soviel Protektion von oben, des Dritten Reichs erster Dichter und oberster Kriegsbarde werden können. Dass er dem nicht nachgab, spricht dem deutschen Konservatismus noch einen Anteil Ehre zu. Hernach kam nur noch ein einsamer Stauffenberg, und seither nichts.
Die heutigen Jünger Jüngers suchen seine Frühperiode fortzusetzen, die Kampf- & Grabenmythe. Ich bewundere indessen die Gelassenheit des späten Ernst Jünger und ergötze mich an seinen entomologischen Jagden.
Oder ich nehme seine Tagebücher vom II. Weltkrieg vor, diese gesammelten Inkonsequenzen mit ihrem Anfang in Sklavensprache, ihrem Reichtum an scharfsinnigen Analogien und melancholischen Notierungen und dem ärgerlichen Abstieg zum Schluss – Platitüden und emsige Vorurteile. Gegen Ende von Strahlungen II wundert sich der Autor, dass ihn recht kuriose Freunde auf- und heimsuchen. Der Selbstironie keineswegs unzugänglich, notiert er, was seine Frau über die Besucher sagt: „Ich möchte wissen, was du für Bücher schreibst. Kommt da überhaupt mal ein Vernünftiger?‹ Und Jünger lässt sich sibyllinisch antworten: „Du weißt doch: wo ein Aas ist, sammeln sich die Raben …‹
7. Ernst Jünger, lese oder höre ich manchmal, hat irgendeine Ehrengabe erhalten von, was weiß ich, Regierungs- oder Industrieseite. Wohl bekomms ihm, denke ich. Und: Er lebt zurückgezogen, abseits, still. Einer, der überlebt hat. Auch sich selbst.
Diesem Manne mag ich den Respekt nicht versagen. Dann, plötzlich, lese ich seine Bücher ganz wie einer, der nicht in seine Zeit gehört und der Verpflichtung entkommen ist, in den Zeitkämpfen mitzuhalten. Was gehen mich Ernst Jüngers Meinungen an? Die Fehlleistungen, Fatalitäten, Irrtümer?
Auf der literarischen Ebene jenseits von Gut und Böse sind Erfahrungen noch zu machen. Möglicherweise gibt es einen Begriff von Größe, der .dialektischem Wandel nicht unterliegt, so wie sie selbst nicht abschaffbar ist.“
Wie zu sehen ist, versuchte ich 1968 dem Haudegen gerecht zu werden. Bis ich mir Strahlungen I – Das erste Pariser Tagebuch wieder vornahm und die Szene inhalierte, in der unser Herr Hauptmann die Exekution eines Fahnenflüchtigen, zwar ungern, doch tapfer disziplinös kommandierte. Du schräges Arschloch, dachte ich, pass' mal auf, wenn die Deserteure zurückschießen.
Vor Jahrzehnten begann ich in fröhlicher Erwartung die FAZ-Ausgaben zu sammeln, in denen Ernst Jünger erwähnt wurde. Das Material wuchs archivsprengend an. Immer wenn ichs wegen Überfülle aufgeben wollte, erschloss das Blatt neue Möglichkeiten: Jünger als Briefschreiber, als Kunstobjekt, als Technik-Verneiner, als Technik-Befürworter, als Devotionalien-Horter, als Kriegsziel, dem der Feind den Helm vom Kopf schoss, Jünger und Carl Schmitt, Martin Heidegger, Friedrich Sieburg, Hans Speitel, Helmut Kohl, dazu die Frauenfrage, an der ich mich schon in der Folge 5 vom 7. Oktober 2007 begeisterte. Weil das soweit zurück liegt, darf's zitiert werden:
„Schwenken wir von der Roten Armee zur Wehrmacht und von der Pleiße an die Seine nach Paris. Dort unterhielt Ernst Jünger als Besatzungshauptmann von 1941 bis 44 in der französischen Hauptstadt eine „Liebesaffäre ... mit der deutschstämmigen und ebenfalls verheirateten Kinderärztin Sophie Ravoux“. Mit dieser veritablen Sensation überraschte die feingebildete FAZ vor einiger Zeit eine begierig lauschende Weltöffentlichkeit. Ernst, der Tausendsassa! Im Ersten Weltkrieg ein Dutzend Verwundungen im Grabenkampf und im Zweiten Weltkrieg drei Jahre hindurch germanischer Bettschatz in der Stadt der Liebe. Dabei hatte er das Abenteuer in seinen Meisterwerken so plural und sorgfältig verschlüsselt: Bald treibt er es mit „Madame Dancart“, dann mit „Charmille“, „Madame R.“ oder der „Doctoresse“, hinter welcher Vielzahl doch immer nur die eine Dame, genannt „Spinnen-Frau“, steckt, zu der er sich als tapfrer „Tiger-Mann“ gesellte. Denn, erfahren wir aus Dichtermund: „Zeugung und Tötung werden zu simultanen Vorgängen: etwa in der Umarmung von Spinnen-Frau und Tiger-Mann ...“ Paris als Zoo. Das FAZ-Feuilleton als Zoo-Handlung. Bald wird bei Ikea die Ernst-Jünger-Matratze im Angebot sein. Frau Gretha Jünger aber saß daheim als „Betrogene“, die „dreimal von dem Verhältnis“ erfährt. Dreimal? War sie etwas vergesslich? Der Held selbst über seine tragische „Rolle im Dreiecksverhältnis“ in nobelster Herrenprosa: „Unter uns Männern: Zwischen zwei Frauen kann unsere Lage der des Richters beim salomonischen Urteil gleichen, doch sind wir das Kind zugleich.“ Wir danken dem Besatzungshauptmann Jünger und seinem Hausmitteilungsblatt FAZ für diese Sternstunde erotisch-literarischer Volksaufklärung. Eine Frage zu der speziellen Kinder-Rolle hätten wir noch: Wo deponierte der Tiger-Mann seinen Pour-le-Merite-Orden, wenn er mitten im besetzten Paris seine deutsch-französische Spinnen-Frau bestieg?“
Im November 2010 jüngerte es in der FAZ hageldicht. Am 4.11.: Brief an J. Foto: Mit der Haltung des Bleibenden: Ernst Jünger in Paris 1942 (da lag die „befohlene“ Exekution eines Deserteurs schon ein Jahr zurück). Am 6. 11. tritt Der Ästhet des Schreckens als niedliche Comic-Figur gleich zum FAZ- Beginn an, im Feuilleton gibt's ihn auf einer ganzen Seite. Urplötzlich löst sich mir das Rätsel: Die meinen es ernst mit dem Ernst als Comic-Figur. Bisher hatte ich das Blatt vom Main naiverweise als Zeitung mit Comic-Serien als Beigabe verstanden. Es ist umgekehrt: Die Comic-Serien sind die Zeitung, alles andere ist Beiwerk zur Unterhaltung.
Gerhard Zwerenz 1948 als NVA-Soldat noch bevor es die NVA gab. Warum nur musste die NVA untergehen?
Warum bloß musste die NVA untergehen, wenn die Jüngerschen Abziehbilder weiter in aller Welt herumschießen. Da unsere um schwachsinnige Ideen nie verlegenen CDU/CSU-Granden gerade ein deutsches Einheitsdenkmal errichten wollen, bietet sich Jüngers zerschossener Weltkrieg-1- Stahlhelm für unsere künftigen Globalkriege als Symbol in überdimensionaler Pracht an. Allerdings frage ich mich mitunter, ob Jünger die Kugel tatsächlich wohlbehalten überlebte. Vielleicht starb er daran. Zumindest litt er danach an PTBS und aus den schwerwiegenden Schäden entwickelte sich eine hochinfektiös auf Zeitungen und Bücher übergreifende Seuche. Die Kriegspest geht um, weitergetragen von den heldenhaften Zeilenschindern der dritten stählernen Generation. Da wieder Krieg herrscht, ist Kanzlerin Merkel die Oberbefehlshaberin. Christen und Sozialdemokraten sind wie immer fleißig dabei. In FAZ, Spiegel und diversen Polittalk-Runden spenden nachgewachsene Nahkämpfer ihr kostbares Blut für den Endsieg.
Bei einem Gegenangriff auf einen Berg nahe Gaeta blieb ich nachts vor den feindlichen Stellungen liegen. Das Bataillon war im hellen Mondlicht die felsigen Hänge hochgescheppert, im feindlichen Feuer in Deckung gegangen und, abgeschlagen, ins Tal zurückgedrängt worden. Der Hang war mit Toten und Verwundeten übersät, ich verschoss die Munition, wartete, bis der Mond am Morgen unterging und zog mich in der kurzen Dunkelheit zwischen Monduntergang und Sonnenaufgang zurück.
Da mein einzelner Abgang auf dem steinigen Hang hörbar wurde, schossen die Neuseeländer, die den Berg besetzt hielten, aufs Geratewohl in die Tiefe. Ich geriet außer Atem, nahm keine Deckung mehr, stiefelte und stolperte langsamer fort – jetzt in jener Verfassung, die der Infanterist kennt und die ihn mit unabweisbarer Macht überkommt, hat er eine gefahrvolle Situation glücklich überstanden, ohne ihr schon ganz entronnen zu sein. Es ist ein Gefühl von Wonne, Lebensfreude und Hass. Unten am Berg blieb ich stehen und lachte scheppernd den Hang hinauf. Da geschah das Seltsame, das Gewehrfeuer verstummte. Nur meine röhrende Stimme war zu hören, und dann stimmten die Neuseeländer oben in mein Gelächter ein. Statt aufeinander zu schießen, lachten wir gegeneinander.
Das Gelächter vom kriegerischen Herbst 1943 hüpfte hurtig den steinigen Hang hinauf, mit dem Gelächter der Neuseeländer zusammenprallend und zurück zu mir, dass ich's am Morgen im Traum höre und aufwache und beim Kaffeetrinken nachrechne, es sind kleine 68 Jahre vergangen, seit ich bei Gaeta dem Heldentod ein Schnippchen schlug. Es ist heute der 9. Februar 2011 und die FAZ bietet mir am frühen Morgen in ihrem Ressort Geisteswissenschaften Ernst Jüngers Stahlhelm aus dem 1. Weltkrieg mit Blick ins Innere an, wo bei normaler Behelmung das Gehirn sitzt. Dieser Helm jedoch liegt da wie eine umgedrehte Schildkröte mit dem Panzer nach unten und der Öffnung nach oben, denn das Ding dient u. a. als „Zeuge, Reliquie, Archivalie“ und schließlich „Quelle“ - wovon? Jedenfalls soll das eiserne Relikt „als stiller Zeichenträger die Betrachter zum Denken bringen“ – ein Stahlhelm als Denkapparat – Titel des FAZ-Artikels: Ein Helm, wer Böses dabei denkt. Achtung! Wink mit dem Zaunpfahl – die Überschrift ist ironisch gemeint. Der so überaus prominente Helm erscheint eindeutig oder umschrieben ca. 25 mal im Text als Stahlhelm, gar zwei Stahlhelme, Kopfpanzer, säkularisierte Reliquie, Objekt, Corpus, Auftaktexponat, Kriegsrelikt, Erinnerungsstück, Werksymbol, Fetisch, auratisches Monument. Endlich heißt es: „Stumm ist der Helm jedenfalls nicht mehr. Er sprudelt vor Beredsamkeit. Die Archivalie ist zur Quelle geworden.“ Qualle träfe es genauer – Nesselqualle. Mitten im Wortgetöse prangt ein Foto: „Ernst Jünger ohne Helm, mit dem Orden Pour le Mérite“ – tatsächlich. er ist es, kopfnackt, abgesehen vom militärisch gestutzten Haar, Hals und Brust ordensgeschmückt, Hand am Degen, stumpfgesichtig. Auch dazu ertönt der verbale Parademarsch: Todeserfahrung – Forschungsfeld – Souvenir – Reliquie – Reliquiar – auratisch kanonisiert – emphatisch – narrativ – wunderkammerartig – White-cube-Atmosphäre – Fetisch – heuristisch – Inszenierung … Na wie das Leben und Nachleben bei aufrechten Kriegsmannen eben so spielt. Das raspelt im angestrengten Ton seine postkultürlichen Sprüche daher, dass einem der Stahlhelm fast leid tun kann. In Jüngers Kriegsbüchern ist zu viel hochgestapelt und zu wenig gelacht worden.
Wie Jesus auf zwölf Jünger brachte Ernst Jünger es im 1.Weltkrieg auf ein rundes Dutzend Wunden. Dafür schoss er seinen Feinden mitten in die Stirn und rührte solange im Blut rum, bis Kaiser Wilhelm ihn im September 1918 mit dem Pour le Mérite verzierte. Den Orden schleppte er voller Stolz im 2. Weltkrieg in der Pariser Etappe herum, wo er vom Hotelbalkon aus rotweinsaufend überfliegenden feindlichen Bombern fröhlich zuprostete und im übrigen als Tigermann seine Spinnenfrau bestieg, die er im Tagebuch aus literarischen Gründen vervierfachte, was unsere Frage noch immer unbeantwortet lässt, wo er denn während seiner stilisierten pluralen Fickübungen das Halsknorpelgebaumel deponierte, falls er damit nicht der Geliebten Klitoris solange stimulierte, bis sie sich orgiastisch vervielfachte.
Henri Barbusse: Hoffnung auf Karl Liebknecht
Karl Liebknecht
Henri Barbusse Das Feuer
Wir marschieren vom Pariser Etappenhengst Ernst Jünger im 2. Weltkrieg zurück zum 1. Weltkrieg. Zwei Bücher unserer heimlichen Gablenzer Bodenkammer-Bibliothek hatten mich besonders beeindruckt. Das erste, heute noch im Hause, ist Das Feuer von Henri Barbusse. In der Ausgabe aus dem Jahr 1929 (63. Tausend) finden sich diese mir unvergesslichen Zeilen von Seite 363: „Ich horchte, auf einen Stock gestützt und über ihn gebeugt, auf seine Worte; ich vernahm im Schweigen des Abends die Stimme jenes Mundes, der sich selten nur auftat. Und er sagte mit hellem Klange:
– Liebknecht!
Dann stand er auf, die Arme immer noch ineinander geschlungen. Sein schönes Antlitz, auf dem der tiefe Ernst einer Statue lag, sank auf die Brust. Aber noch einmal trat er aus seinem marmornen Schweigen heraus und wiederholte:
– Die Zukunft! die Zukunft! Das Werk der Zukunft wird darin bestehn, unsre Gegenwart auszuwischen, und noch mehr als man denkt, als etwas
niederträchtiges und schändliches. Und doch war diese Gegenwart notwendig, sie war notwendig! Fluch dem Kriegsruhm, Fluch den Armeen, Fluch dem Soldatenhandwerk, das die Männer abwechselnd zu blöden Opfern und verruchten Henkern macht! Ja, Fluch: wahr ist es, aber es ist zu wahr, es ist wahr für die Ewigkeit, für uns noch nicht.“
Diese Passage mit dem Kenn-Namen Karl Liebknecht lese ich noch heute so als wären seit der ersten Lektüre keine acht Jahrzehnte vergangen.
Das zweite unvergessliche Buch aus meiner Kindheit ist Etappe Gent von Heinrich Wandt, auch noch heute in unserer Bibliothek, es erschien 1926 im AGIS-Verlag Wien Berlin, Zweites Hunderttausend / Erweiterte Ausgabe.
Wer war, wer ist Heinrich Wandt? Der Gegen-Jünger. Sein Feind mit Kopf und Bauch. Hier die Leuchtspur seines Vorworts:
Heinrich Wandt: Etappe Gent
Heinrich Wandt dokumentierte das Leben der Etappenhengste hinter der Front und handelte sich dafür Vorwürfe, Verfolgung und Anklagen bis hin zum Hochverratsprozess ein. Im Internet sind die faszinierenden Details zu Leben und Werk des Autors aufbewahrt, der 1965 in Berlin-Schöneberg verstarb, von den Zeitgenossen so vergessen wie Ernst Jünger durch die nachfahrende Stahlhelmfraktion unvergessen gemacht wird. Ein schlüpfriges Heldenleben zahlt sich aus, wird es nur mundgerecht und maulflink genug serviert. Etappe Gent ist die exakt realistisch erzählende Dekonstruktion des 1. Weltkrieges. Eine empörungsfähige Leserschaft stieß sich damals noch an Suff&Sause der Offiziersbande, während die Frontsoldaten im Graben verbluteten. Auch Jüngers Mut-Blut-Euphorie zehrte davon, aufgezeichnet ohne eine Spur des kritischen Impetus von Heinrich Wandt. Im 2. Weltkrieg expandierten Front und Etappe weit über die deutschen Grenzen. Aus den besetzten Gebieten flossen riesige Warenströme heim ins Reich. Hinter den Hauptkampflinien arbeiteten Einsatzkommandos und Todesfabriken, von denen die Herren Offiziere auch danach nicht gewusst haben wollen. Heinrich Wandt beschrieb im 1. Weltkrieg einen konkreten lokalen Vorgang, erregte Aufsehen und wurde mehrmals vor Gericht gestellt. Nach dem 2. Weltkrieg flüchten die einen bis heute in notorische Unwissenheit und die anderen zu dem für sündenlos erklärten Typus Jünger. Das Exekutionskommando im Mai 1941 in Paris, zu dem er „befohlen“ wurde, hätte er ablehnen können. Wer wäre schon mutig genug gewesen, den berühmten Pour-le-Méritter abzustrafen. Ach ja, im Text distanziert er sich leise weinend vom Hinrichtungskommando, dieser Heros in den Träumen seiner Hofschranzen-Journaille. Der seit der Vereinigung anwachsenden postmedialen Stahlhelmgruppe dient Jünger inzwischen als Heldenkonserve zum Aufgeilen für neue asymmetrische Kriege, durch die unsere abendländische Legitimationskrise überwunden werden soll. Ein Held von vorgestern als aufblasbare Gummipuppe für'n Geschlechtsverkehr zwischendurch. Das hat Tradition und Methode. Mütter mit asymmetrisch hergerichteten Brüsten gebären Knäblein mit eingewachsener Maschinenpistole statt Genital. Die Deutschen schaffen sich ab? Das Deutsche Reich der Zukunft als bundesweites Lazarett zur Heilung von Prä- wie Posttraumatischen Belastungssymptomen – PTBS. Und statt Himmel darüber das deutsche Einheitsmonument – Jüngers durchschossener Stahlhelm mit der Wucht und Größe des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig. Gleich dort angebaut auf den Knochen der Toten von 1813. Unsere große Kulturgeschichte aber setzt sich fort, Jünger schrieb seine Kriegserlebnisse in anschließenden Friedenszeiten um, bis sie in den Kram passten. Der tapfere Ritter zu Guttenberg warf sich als Minister für Selbstverteidigung am Hindukusch verzweiflungsvoll in die Schlacht an vorderster Front, wo ein auf Wache stehender eingeborener Soldat, von Verzweiflung angesteckt, das Gewehr umdrehte und drei deutsche Bundeswehr-Kameraden völlig sowie zwei bis drei von ihnen partiell außer Gefecht setzte. Da war der Minister schon abgereist, denn unser adliges Volks-Idol musste in der fernen Heimat seine Dissertation umschreiben, weil's darin von Fremd-Worten und Leih-Sätzen wimmelte. Fleißarbeit aus sieben Jahren eben. Was eine stramme Parallele Jünger-Guttenberg ergibt. Umschreibe-Helden unter sich. Und der Minister plagiierte gleich zu Anfang ausgerechnet einen Artikel aus der FAZ …
Mein Rat: Etappe Gent lesen.
Guttenbergs plagiative Werbung für einen FAZ-Artikel, mit dem er seine Doktorarbeit eröffnete, wird von der Zeitung nicht geschätzt. Statt die Abschreibungs-Dissertation zu würdigen, reagiert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit einer über mehrere Seiten ausgebreiteten Bloßstellung des nun bis auf die Knochen blamierten Barons. Gestern noch der gefeierte Kriegsminister mit Gemahlin im „Fronteinsatz“ am Hindukusch, heute von hinten erdolcht? Eine Lichtgestalt ist perdu – so kann die FAZ getrost zu ihrer unantastbaren Leitfigur Ernst Jünger zurückschalten. Auf die Frage FAZ – Ernst Jünger bietet google in Sekundenschnelle 41.000 Hinweise. (In Worten: mehr als einundvierzigtausend …)
Wir bescheiden uns mit den ersten 10 Ergebnissen. Wem das noch nicht reicht, der schaue selber nach.
Letzte Anmerkung von GZ zu EJ: Der Krieg dauert auf der Gefechtslinie Jünger, FAZ, zu Guttenberg bis heute an. Wer es anders will, findet Auskunft und Hilfe bei Henri Barbusse und Heinrich Wandt.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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