Trotz – Trotzalledem – Trotzki
Um gleich mit der Haustür in die proletarische Hütte zu fallen, der Georg Büchner den Frieden bringen wollte: Hier spielt meine ganz und gar eigne sächsische Biographie, die meist außerhalb des Geburtslandes statttfand und stattfindet, was nicht von mir zu verantworten ist. Mein Ich und die Ichs meiner Pseudonyme schützen vor schleichender Entfremdung. Verfremdung aber ist gewollt. In der Folge 58 ist zu lesen, wie ein Sterbender zu mir auf die Pritsche gelegt wird. Während er kalt versteift, greife ich ihm sein letztes Stück Brot aus der Wattejacke. Am Morgen stehen die Kameraden bereit, mich dafür, wie üblich, totzuschlagen, was der Sanitäter gutherzig verhindert. Seitdem mein so lästerlicher wie lächerlich ernster Vorsatz – von da an gehört mein ICH nur mir, keinem anderen. Keinem Verein, Staat, keiner Fahne oder Partei. Das Leben ist mir siebenmal geschenkt worden. Es wird nicht widerstandslos ausgeliehen noch weggegeben.
Wer nach Kriegsende in die DDR hineinwuchs und sich für diesen Staat entschied, lebt nach dessen Ende 1989/90 mit dem Makel des Untergangs. Ihm bleiben drei Möglichkeiten: 1. Unterwerfung, 2. Rückzug in Resignation oder Sektierertum, 3. Akzeptanz der eigenen Vergangenheit mit Korrektur infolge neuer Erkenntnisse. Letzteres auf die 11. Feuerbach-These bezogen, heißt: Korrigierte Interpretation und Veränderung des eigenen Weges. Hingegen werden die West-Sieger von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren repräsentiert, die Hitler bis zum Schluss dienten. Nach 1945 interpretierten sie ihre Welt neu, ohne sie zu verändern. Ihre Kriege gehen weiter. Sie bieten sich selbst schamlos samt Volk, Nation und NATO als Vorbilder an. Beim Blick auf die gegenwärtige Buchproduktion fragt sich, wie viel oder wenig Intellektualität Literatur noch verträgt. Der Leser wird gestreichelt, auf den Kopf gehauen, oder beides, vor allem jedoch gemolken. Offenbar zieht der Geist sich wieder in Ironie und Satire zurück, Kabarett statt Regierung, die Kabarett ohne Pep und Pfeffer spielt. Im Eulenspiegel Verlag gibt Peter Sodann soeben Schlitzohren und Halunken heraus. Dieser Almanach der Missetaten ist als fortzuschreibende Enzyklopädie gedacht und versammelt auf knapp 200 Seiten einen Zoo akademischer Troglodyten, die karrieregeile Elite der Postmoderne, die davon lebt, dass andere krepieren müssen, falls sie nicht duldend funktionieren. Die Anthologie ist so himmlisch gut und böse gemacht, dass man kaum glaubt, so etwas sei hierzulande noch möglich. Anno 2010 ist die gemeinsame Sprache EURO-Sprech. Geht der Euro, kommt Deutsch-Sprech zurück. General Naumann drückte es schon 1995 exakt aus, als er die Niederschlagung des Chinesischen Boxeraufstandes von 1900 und des Aufstands der Hereros 1904 als Vorbild für die Bundeswehr empfahl. Mit den Chinesen kann man das heute zwar nicht mehr machen, doch die schöne Devise Deutsche an die Front hört sich immer noch fesch an. Freilich pflegen unsere tapfren Soldaten bei der Rückkehr aus dem Feindesland an allerhand posttraumatischen Belastungsstörungen zu leiden. Die Zahl der Betroffenen steigt von Woche zu Woche, was für die Klugheit der Soldaten spricht, denn Kranke müssen körperlich und geistig erst wieder aufgepäppelt werden, ehe man sie erneut ins feindliche Terroristenland schicken kann, um neuen Terror zu produzieren. Blochs Hauptwerk hätte auch Das Prinzip Zukunft heißen können, ohne Zukunft keine Hoffnung. Kurios ist, dass die Sozialistische Einheitspartei ausgerechnet den linken Hoffnungs- und Zukunftsdenker nicht zu tolerieren vermochte, obwohl der weltweit als KP-Sympathisant ausgewiesen war. Allerdings integrierte der Mann allerlei christliche, jüdische, arabische, griechische Ideen zu einem so gar nicht eurozentrischen Marxismus, der sich einfach nicht fürs Parteilehrjahr eignete. Die Mischung war für die Genossen eine falsche, gar gefährliche Denke. Die Deutsche Zeitschrift für Philosophie erschien vierteljährlich im Aufbau Verlag. Zum Jahreswechsel 1953/54 lagen die ersten vier Hefte des ersten Jahrgangs vor. Im kleinen Kreis äußerte Bloch sich unzufrieden wegen ausbleibender Reaktionen. Er korrigierte gerade die Druckfahnen von Band 1 seines Hauptwerkes, in der Philosophie-Zeitschrift waren Kapitel daraus vorabgedruckt, doch wollte sie offenbar niemand so recht zur Kenntnis nehmen. Ich erbot mich, für Die Weltbühne darüber zu schreiben, fühlte mich aber unsicher und las Bloch in seinem Direktorenzimmer meinen Sermon vor, während Frau Franke die Tür bewachte und niemanden einließ.
Auf die Weltbühne vom 24. Februar 1954 antwortete die zuständige Parteigruppe des Philosophischen Instituts schon kurz darauf: Parteiorganisation der Institute für Phil/Psych – Monatsbericht März 1954 Statt den Parteibeschlüssen zu folgen, las ich die heiligen Bücher der linken Atheisten. Ein Halbjahrhundert später erinnerte mich ein Handzettel daran. Zur Lesung aus Sklavensprache und Revolte ließen sich in Frankfurt ein paar helle Köpfe etwas einfallen, das Form und Worte im Kreis verband. Für mich galt seit 1954 nur noch der Ausbruch aus dem Kreis, dieser Haftzelle.
Totalitäre Freiheit oder entartete Utopie – Umkreisung der Hoffnung – beides durch Kreis und fünf Stichworte verdeutlicht. Die Suche nach Kongruenzen entwickelt Jan Robert Bloch im Bloch-Almanach 28/2009 weiter, wo er auf väterlichen Spuren wandelnd Begrifflichkeiten reflektiert. Zwar sei Das Prinzip Hoffnung stärker als der frühere angelsächsische Titel Dreams of a Better Life, denn nun komme „Militanz, philosophischer Anspruch, internationale Vertikalität, thematische Strenge“ hinein, doch der Terminus „konkrete Utopie“ sei ungeeignet, weshalb J. R. Bloch „docta spes“ favorisiert, was freilich das Märchenhafte und Poetische der ursprünglichen Bedeutung von Utopie zugunsten des allein Wissenschaftlichen vernachlässigt. Von den 68ern der BRD bleibt ihre mediale Geschichte als linker Aufbruch mit rechter Bruchlandung. Von den vergessen gemachten 56ern der DDR bleibt Ernst Bloch, der revolutionäre Reformator, eine moderne Ausgabe von Marx, Nietzsche, Luther und Thomas Münzer. Von der DDR verleugnet, von der Bonner Republik zugleich verhätschelt und gehindert. Der offizielle deutsche Philosoph soll Blochs Antipode Heidegger sein. Der SA-Mann passt nahtlos in die kapitale Kriegs-Elite. Der Titel Das Prinzip Hoffnung klang mir zu vage und religiös. Blochs Anregung, Lessings Furcht- und Mitleids-Dramaturgie durch Trotz und Hoffnung zu ersetzen, mindestens zu erweitern, sagte mir mehr zu. Also gelangte ich über Trotz und Trotzki zu der des Trotzkismus verdächtigten Gedichtzeile „Die Mutter der Freiheit heißt Revolution“. Da wurde die Partei erst sauer und dann fuchsteufelswild. Weil ich beim Leipziger Germanisten Theodor Frings Mittelhochdeutsch zu hören und eine Prüfung zu absolvieren hatte – sein Cousin Joseph Frings wollte später als Kölner Kardinal nicht nur meinen Casanova-Roman, sondern mich in persona verbieten – semantisierte ich munter durch die gegenwärtigen Sprachfallen. Als Kind hatte ich über viele Bücher, die ich las, schweigen müssen. Da erzählte ich eben statt von Arnold Zweig oder Ludwig Renn vom mir nicht weniger lieben Karl May. Jetzt in Leipzig durfte man ungescheut über Zweig oder Renn reden, aber nicht über Trotzki, Orwell, Koestler. Es ist mit der freien Sprache gefährlich wie an der Front. Geht der Soldat zu weit vor, ist er dumm und kommt zu Schaden. Bleibt er zu weit zurück, mangelt es ihm an Courage. Unser Titel Sklavensprache und Revolte signalisiert die Front als mobile Grenze. Sag soviel wie gerade noch möglich, doch lass dich nicht abschießen. Es sei denn, du willst provozieren. Dann benötigst du Reserven. Als Bloch 1962 die erweiterte Suhrkamp-Ausgabe von Erbschaft dieser Zeit mit einer Widmung schickte, die aufs letzte Leipziger Gespräch anspielte, las ich das Buch erstmals in unbedrohter Ruhe und begriff, weshalb es in der DDR nicht hatte erscheinen können. In Westdeutschland war das nicht riskant, hier begriff sowieso keiner die Konterbande. Diese doppeldeutige Erbschaft sprengt jede Parteigrenze und ist Seite für Seite Dekonstruktion aller Ideologien: „Dionysos … zeigte im allerchristlichsten Bauernkrieg weniger Sklavenmoral als den Herren lieb ist.“ (Seite 362) Das 1935 in Zürich erschienene antifaschistische Buch hatte in der ersten Ausgabe bereits die Genossen davor gewarnt, zu feudalen Herren zu entfremden. Vom 21. bis 25. Juni 1935 tagte in Paris der Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur, auf dem sich die KPD-Führung mit der neuen Volksfrontpolitik gegen den Hitler-Faschismus wehrte. Als Bloch, der am Kongress in Paris teilgenommen hatte, 1957 in Leipzig Lehrverbot erhielt, war den Genossen noch nicht einmal bewusst, dass dies den letzten Akt im Endspiel der Volksfrontpolitik bedeutete. Schuldhaftes Unbewusstsein ist nicht auf die Linke beschränkt, wenn auch dort existentiell unangebracht. In Blochs Erbschafts-Buch heißt es in Anspielung auf den Reichstagsbrandprozess: „… die Erscheinung Dimitroffs in Leipzig hat der Revolution mehr geholfen als tausend Breittreter oder Referenten in Versammlungen.“ Die friedlichen Revolutionäre von 1989/90 hatten nichts Besseres zu tun als den Dimitroffplatz schandhaft umzubenennen. Die Tatsache, dass ohne Dimitroff, die 3. Internationale und die Rote Armee, ob Stalin oder nicht, Nazi-Deutschland die Welt hätte unterwerfen können, schreckt keinen. Der Sieg des Führers wäre der Sieg des Dritten Reiches und seiner prä- wie postfaschisischen Antikommunisten geworden. Sich bei dieser Vorstellung zu entsetzen gilt als unanständig. Und das ist der Knackpunkt. Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Das sind die Hierarchien.
Die Dekonstruktion ist eine französische Erfindung, mehr der Not gehorchend als dem freien Willen. Im Lande dominierte die KP. Bei den Linksintellektuellen dominierte Jean-Paul Sartre. Ab Chruschtschows 1956er Geheimrede gegen Stalin sank der Stern der KPF. Auch Sartres Status als Übervater in Politik, Literatur, Philosophie bröckelte. Unter Sartres Schülern und Jüngern wuchs der Gegenwille. Doch so sehr sich die Jünger gegen Sartre positionierten, den SA-Mann Heidegger nahmen sie ihm als Lehrmeister aus Deutschland ab. Seither gibt's in Paris einen Konflikt, den die Deutschen sich seit dem Ausbruch ihrer 1990er Einheit ersparten, indem sie einfach nachplappern, was ihnen vom teuren Westen her vorgesagt wird. Konstatiert werden zwei Heidegger – a) der SA-Mann, b) der Philosoph.
Als Ex-Kommunist reagierte ich auf die damals Neuen Französischen Philosophen mit Interesse. In der Frankfurter Rundschau vom 10. Juni 1978 liest sich das so: „In der FR sind kurz hintereinander zwei größere Arbeiten über die Marxismuskritik der Neuen Französischen Philosophen erschienen. Bei dem Aufsatz von Lothar Baier (FR vom 22.4.1978) handelt es sich um einen gekürzten Vorabdruck aus dem Literaturmagazin 9, das gegen einen neuen Irrationalismus gerichtet ist. Vorher hatte Oskar Negt (FR vom 11.2.1978) seine Meinung dargelegt. Ich will nicht verhehlen, dass ich beiden Autoren neue Erkenntnisse verdanke, auch wenn mir einige ihrer Gedanken ebenso dunkel bleiben wie manche Ansichten der Neuen Französischen Philosophen. Was mich stutzig macht, ist das deutliche Unbehagen bei Baier und Negt. Ich frage mich: Warum reagieren sie durchweg so? Dabei ist Negt zwar ein Marxist, aber alles andere als ein sich angegriffen fühlen müssender Orthodoxer; Baier wiederum ist wohl kein Marxist, aber auch er reagiert emotional, die Franzosen bekommen von ihm soviel Feuer wie die betroffenen deutschen Marxisten Spott.“ Wer den FR-Artikel von Negt und Baier nachliest, kann das hohe intellektuelle Niveau bei den damaligen Kontroversen nur bestaunen. Heute beherrschen Banalitäten den Diskurs im Osten, und im Westen will ein stotternder tv-Diogenes die Reichen unbesteuert lassen, weil er gern von deren Spenden-Brocken leben möchte. Das Männchenmachen am Tisch der Herren ist auch eine kulturelle Errungenschaft der Bonn-Berliner Republik. Der FR-Artikel von Negt enthält Fotos von Marx, dem „Herrschaftsdenker“, wie Glucksmann / Levy meinen, die sich selbst als Alternative proklamierten. Lothar Baier fragte: „Wie schief werden französische Theoretiker von denkmüden deutschen Linken verstanden?“ Wie falsch wurde und wird Marx verstanden? Was läuft verkehrt bei der Rückentwicklung europäischer Intellektualität auf den Stand von vor 1914? Unsere FR-Kontroverse wurde übrigens im Juli 1978 von der Göttinger Zeitschrift POLITIKON weitergeführt – und wieder auf beneidenswertem Niveau. Der Rotterdamer Emeritus Prof. Heinz Kimmerle gibt in seiner Einführung zu Derrida (Junius-Verlag Hamburg 2000) einen so informativen wie skeptischen Überblick: „Das Denken Jacques Derridas gehört in den Zusammenhang einer Strömung, die ich ›Philosophie der Differenz‹ nennen möchte. Andere Vertreter dieser Strömung sind in Frankreich Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jean-Francois Lyotard, Julia Kristeva und Luce Irigaray. Auch in Deutschland und Italien wird auf verschiedene Weise jeweils an einer ›Philosophie der Differenz‹ gearbeitet. Der ›Dekonstruktivismus‹, der im Anschluss an Derridas Denken in den Vereinigten Staaten von Amerika in einigen Departments of Literary Criticism entwickelt worden ist, stellt eine eigene Weiterbildung Derridascher Denkmotive dar, auf die noch näher Bezug genommen wird.“ Danach folgen zwei Sätze, auf die es uns der Konsequenzen wegen ankommt: „Aber die Bezeichnung ›Philosophie der Differenz‹ ist nicht ohne Probleme. Sie leitet sich her aus der Kritik des identifizierenden Denkens, wie sie von Adorno entwickelt worden ist.“ Kimmerle deduziert das detailliert. Uns aber interessiert die Wurzel. Ob Derrida oder Foucault, diese Schule stammt kaum von Adorno ab, sondern in der Hauptsache von Nietzsche und Heidegger. Die Krankheit überschritt schon bei Sartre den Rhein Richtung Westen. Der deutsche Bewusstseinskonflikt europäisierte sich zum Konflikt des Unbewussten – genauer: des Nichtmehrbewussten. Europa hackte sich seine Linke ab – fast bis in den Exitus, zumindest aber bis zum Scheintod. Dazu Ingrid Zwerenz am 29.10.05 in Ossietzky, Heft 22: „Die beste Therapie gegen Sartres Heidegger-Manie lieferte Heidegger selbst, als Sartre ihn Anfang der fünfziger Jahre aufsuchte. Die ganze Zeit hindurch jammerte der Deutsche wegen eines satirischen Textes, den der französische Philosoph und christliche Existentialist Gabriel Marcel über ihn verfasst hatte. ›Da von nichts anderem die Rede war‹, berichtet Simone de Beauvoir in ihrem Buch Der Lauf der Dinge, ›ging Sartre nach einer halben Stunde weg.‹ Später erzählte er der Lebensgefährtin, ›dass Heidegger dem Mystizismus verfalle‹ ... und fügte hinzu: ›Dabei plagen sich vierzigtausend Studenten und Professoren den ganzen lieben langen Tag mit Heidegger ab, stellen Sie sich das vor!‹“ Inzwischen ist der 2. Weg, dieses groß ansetzende Revolutionsabenteuer der Bolschewiki so demütig wie demütigend zu Ende gegangen, dass Putin über den Massenmord von Katyn öffentlich rätselt, „Stalin habe wohl aus einem Gefühl der Rache gehandelt …“ Wir werden das Rachegefühl unbedingt mal in seiner internationalen Dimension dekonstruieren müssen, denke ich unbescheiden wie ein altgedienter Karl-May-Leser. Als wir 1990 nach drei Jahrzehnten erstmals wieder mit Hans Pfeiffer zusammentrafen, wer kennt ihn noch, den Leipziger Autor, Professor, Dramatiker, Nationalpreisträger, erinnerte er daran, dass ich schon 1956 in Leipzig die Wahrheit über Katyn gefordert hatte, was die führenden Genossen in flockige Wut versetzte. Soviel zum 2. Weg im roten Osten. Bleibt der 1. Weg, den wir auch den chronischen deutschen Weg nennen können. Das große Karthago führte drei Kriege? So Brecht geschichtsgetreu. In seiner Kriegsfibel führt das große Deutschland drei Kriege. Mit jedem Krieg wird es kleiner. Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz. Eisernes Kreuz, Kruzifix, Kreuzzüge, Hakenkreuz, Holzkreuz. Putin vermutet Stalins Rache bei den Toten von Katyn. Budjonnys Rote Reiterarmee wurde 1920 zwischen Warschau und Smolensk von polnischer Kavallerie in die Flucht geschlagen. 1939 ritt sich polnische Kavallerie gegen Hitlers Panzerarmee tapfer in den Tod. Es ist mit dem Stolz wie mit grünem Holz. Es wird simples Feuerholz draus. Stalin ließ 1940 ca. 22.000 Polen erschießen. Am 10.4.2010 holte der Tod die polnische Präsidentenmaschine mit 97 Menschen an Bord vom Himmel nahe Katyn. In der Zeitung ist zu lesen: „Weltweit Trauer um Lech Kaczynski“. Stalins Rache geht um? Isaak Babel in seinem Buch Budjonnys Reiterarmee: „Wehe uns, wo bleibt die süße Revolution?“ Rache kann auch süß sein. Stalin war georgischer Klosterschüler. Als Georgien kürzlich den Krieg mit Russland provozierte, flog Lech Kaczynski zusammen mit anderen christlichen Rache-Engeln schnell mal hin nach Tiflis, um dem Präsidenten Saakaschwili Beistand zu leisten. Fliegen war halt sein Hobby. Doch zwischen katholischen Polen und orthodoxen Russen ist schwer landen. Rom und Konstantinopel sind alte Feinde? Katyn hat keinen Flughafen und Smolensk liegt mitten im schweigenden Wald? Da verfällt Frau Merkel, eben vom Kampfeinsatz in USA und Afghanistan zurück, vor lauter christlicher Trauer in Schockstarre und ihre Partei entsendet Erika Steinbach zum Staatsbegräbnis nach Warschau. Deutschland dreigeteilt niemals. Ursprünglich wollte der Marxismus die alten Gespenster besiegen. Das war sein Irrtum. Die Rache wird immer süßer. Glaubensgespenster leben ewiglich. Ihr Tod ist ein Scheintod und ihr Gott ein Mister Gospodin Menschenfresser. Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 26.04.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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