Wir lagen vor Monte Cassino
Scharfschütze Tim brachte es auf 15 Tote. Das Verhältnis 1:15 ist deutscher Rekord. Im 2. Weltkrieg gab es bei 5 Millionen toten Deutschen 50 Millionen tote Feinde, d. h. es stand nur 1:10. Mal sehen, wieviel der nächste umlegt.
Unterm Ätna, der roten Zipfelmütze von Sizilien, wurde mir die Birne zerschossen. Weiter nordwärts – in Monte Cassino – hab den Tod ich genossen. Kein behelmter Germane in den Mauern der Benediktinerabtei. Den tausend Amibombern war's einerlei. Zerbombt und zerstört. Ruinenbetört.
Die Kompanie zählte inzwischen noch ein Halbdutzend Soldaten weniger. Drei starben auf der hinter dem Quartier gelegenen Latrine. Die Jagdbomber hatten sich drauf spezialisiert. Heldentod auf dem Donnerbalken, hörte ich ätzen. Sie schießen dich glatt in die Scheiße der Kompanie. Das besetzte Europa von Karelien bis Sizilien ein einzig Reich der Donnerbalken. Heute gibt's wieder Gefallene, doch US-Army und Bundeswehr ziehen mit Chemie-
Wegen der 16 Heldentoten langten wir in dieser Nacht verspätet in der Stellung an. Das Kloster oben am Berg war noch nicht bombardiert. Es war der Feldwebel, der den Hauptfeldwebel vertrat und die Gelegenheit nutzte, mir was anzuhängen. Holte mich vom LKW runter und kotzte mich an. Ich stieg auf den dritten Wagen. Diesem Arsch verdanke ich mein Leben? Später in Leipzig, als ich von Hans Mayer hörte, Walter Ulbrichts Herzensfreund , der Bezirkskommandeur und Menschenfeind Paul Fröhlich sei bei der Wehrmacht Koch und Feldwebel gewesen, fühlte ich mich leicht gehemmt beim Erwidern der Feindschaft. Hatte nicht ein Feldwebel meine Haut gerettet? Ich hätte alle dankbar umarmen können. …
Wir zogen weiter nordwärts nach Rom. Eine Blutspur der Tritte. Die heilige Fahne immer in der Mitte. Zur Audienz beim Heiligen Vater. Der weilte gerade im Himmel zum Befehlsempfang. So geht's bei so einem lang. Im Notfall nach oben. Der kann gut seinen Papa loben.
In der FAZ, dieser Zeitung für Herrenmenschen, erschien am 14.1.1998 folgender Leserbrief: „Ich als Mitstreiter, als Forstanwärter zwangsläufig in der Division Göring (Luftwaffen-Felddivision), habe in den zirka eineinhalb Jahren Frontdienst drei Verwundungen erwischt, weil diese Truppe immer nur an Brennpunkten eingesetzt und entsprechend dauernd verlegt wurde. Die Russen nannten uns deshalb ›Feuerwehrdivision‹: Sehr viele haben es gar nicht überlebt. Neben der Unbill bei Unterkunft und Verpflegung bei uns als ›Zwangsarbeitern‹ war die Luft häufig extrem eisenhaltig. Das war sicher nicht viel besser als bei den in der Industrie eingesetzten Zwangsarbeitern. Nachdem aber diejenigen, die sich der eisenhaltigen Luft durch Desertion entzogen hatten und uns den versuchten Schutz der Heimat, insbesondere vor den Russen, alleine überlassen hatten, heute ›entschädigt‹, werden, werden wir ›Zwangsarbeiter‹ wohl doch nicht auf Entschädigung hoffen dürfen – oder?
Dr. Peter Lampson, Nauheim“
Dieser Sermon zeigt, den Krieg kann man auch anders sehen. Der Herr Doktor möchte wie Zwangsarbeiter entschädigt werden. Mancher kam noch dümmer aus der Schlacht zurück als er hineingegangen war. Es gibt mehr und mehr lese- und lernunfähige Akademiker.
Von dem in Schwerte lebenden Zeichner und Geschichtenerzähler Kurt Elfering las ich eine Story, deren Verknüpfung mit schockhaft phantastischen Elementen aller Aufmerksamkeit wert ist. Ein junger Leutnant kontrolliert den angetretenen Soldaten, findet nichts zu beanstanden, aber: „Jetzt kam er auf die Idee, mein Gewehr auch noch unter die Lupe zu nehmen. Mit dieser Aktion konnte man jeden Landser in die Enge treiben. Als ich mein Gewehr hochhielt, damit er den Lauf durchschauen konnte, änderte sich das ganze Geschehen. Er hielt sich die Mündung des Gewehrlaufes vor sein linkes Auge, da geschah es. Ein Wachsoldat der Stammtruppe berührte mit seinem Arm eine leere Flasche, die auf der Fensterbank stand. Sie geriet aus dem Gleichgewicht, fiel auf den Fliesenboden und zerschellte laut krachend. In diesem Augenblick erstarrte der Waffenkontrolleur und schaute mich entsetzt an. Seine Hand verkrampfte sich um den Gewehrlauf. Er fiel auf die Knie und riss dabei das Gewehr mit auf den Boden. Er umschlang meine Füße und lag auf dem Boden wie ein reumütiger Sünder. Er wimmerte vor sich hin und bat um Vergebung für alle Untaten, die er in seinem Leben begangen habe. Die ganze Wachtruppe, die untätig im Raum war, beobachtete verblüfft diese Begebenheit. Ich war ebenfalls völlig durcheinander, hatte mich aber schnell wieder gefangen.
Ich legte meine Hand auf sein Haupt und sagte, er solle aufstehen, ich hätte ihm vergeben. Er erhob sich und sah mich erstaunt und glücklich an. Als er meine Hände küssen wollte, zog ich sie zurück und sagte ihm, er solle in Frieden hinausgehen. Er drehte sich um und entfernte sich mit dem Lied ›Großer Gott wir loben Dich...‹ aus der Wachstube.
Der Erste, der jetzt wieder klar denken konnte, war der Wachfeldwebel. So nach und nach kam der Rest der Anwesenden auch wieder zu sich. Der Feldwebel hob das Gewehr auf und gab es mir zurück. Er verpflichtete mich und alle Anwesenden zum Stillschweigen, damit nichts nach draußen durchsickern könne. Er gab mir auch noch den guten Rat, mich eiligst zu verdrücken, ehe der Leutnant dahinter käme, dass er gar nicht erschossen sei.“
Die Auflösung des Rätsels vom Großen Gott in der Wachstube folgt kurz darauf: „Diese Geschichte entspricht der vollen Wahrheit. Die Sache mit der Flasche, die von der Fensterbank fiel, ist allerdings eine Zwischeneinlage, die nicht stattgefunden hat. Es war eben nur ein Wunschtraum, den man gerne mal erlebt hätte. Der Herr Leutnant hat nach wie vor seinen Dienst weitergemacht.“ Das wirkt ernüchternd. Allerdings: „Wie ich später mal erfahren habe, wäre ein Leutnant des Divisionsstabes aus irgendeinem Grund durch einen Schock plötzlich irrsinnig geworden. Er sei auf einmal durch die Gegend gelaufen und habe behauptet, dass er erschossen worden sei. Nach seiner Erschießung habe er noch mit dem lieben Gott gesprochen. Zur Zeit soll er in einem abgeschiedenen Kloster in Oberbayern sein Dasein verbringen. Er benehme sich wie ein von Gott ernannter Ehrenbischof.“
Das phantastische Element der autobiographischen Realstory gibt dem Verlauf ein Moment der Verwunderung. Der Erzähler befriedet sich, indem er ex machina ein Gotteswunder suggeriert, ohne dass er deshalb gläubig sein müsste. Per Literatur wird das eigene Handeln ersetzt durch eine Variante. Der Verfasser bleibt bei seinem Ton sachlicher Mitteilung, der die Geschichte verknappt beendet: „Am 17. März 45 begann meine Gefangenschaft in Russland. Im Mai 1948 kam ich dann wieder nach Hause.“
Der Todeswunsch gegenüber dem Vorgesetzten ist Gradmesser der gefühlten, nicht aktivierten Rebellion. Der Krieg lebt davon, dass nichts anderes geschieht.
Und wir? Immer nordwärts ins Feuer und bäuchlings mittenmang im Schlag der Trommel. Unsere Marschälle hießen Kesselring und Rommel. Jeder Feldzug, Kameraden, ist dasselbe Ding, das gedreht wird. Und wer mitzieht, wohnt in beinerner Bälde mitten auf dem Ährenfelde.
Ach ja, Kameraden, unsere Wunschträume dienen heute bei der Bundeswehr. In Albtraumsekunden kurz vor dem Aufwachen zähle ich mich zu den Toten am Ätna, vor Nettuno und von Monte Cassino. Untote nennt man uns. Wir leben in euren Köpfen und fressen uns von euren Nachfolgegehirnen bis zum versalzenen Herzen durch. Krebs heißt die rationale Fehldiagnose. Ich bin tot und widersetze mich der Umsiedlung vom schönen Platz an der Via Casilina zum Soldatenfriedhof Cairo. Wenn ich hier in meiner zweiten Heimat liege und nicht gerade vor bundesberliner Kasernentoren das Lied von der Lili Marlen singe, summe ich den zugehörigen Refrain vor mich hin: Ich hab keinen Kameraden – der letzte starb in Stalingrad – tote Soldaten sind eben noch genauso romantisch wie die Prätoten, die erst morgen gefällt werden.
Genossin Sonne Wer einmal desertiert, ist für immer verloren. Sein Platz ist am Strand. Er kämpft für ein anderes Vatermutterland. Versonnen blickt er aufs Meer. Glückwunsch der Sonne zum blutroten Sonnenuntergang. Sie – ein Deserteur von höchstem Rang. Und nun der kalte Mond am Himmel. Die Nacht voller Soldatengewimmel. Fahnenflüchtige, die Fresse im Sand. Spuck's aus, dein Vaterland.
Ausblick: Der Autor dieser Zeilen Ias als Kind hintereinanderweg einen Koffer voll verbotener revolutionärer Literatur. Viele Männer, die er kannte, verschwanden in Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Andere gingen über die Grenze nach Prag. Der Rest wurde Soldat und düngte die Erde von Stalingrad bis Tobruk oder kehrte zurück und war so irre wie zuvor. Wer das nicht wollte, wurde Kommunist um die Welt zu verbessern und ist nun an allem schuld. Unser Autor studierte auch die Werke postfaschistischer Jungfrauen westlicher Wissensgesellschaften, bis ihn die permanente Konterrevolution so anödete, dass er seine sächsische Urheimat neu entdeckte, dort war inzwischen alles chinesisch hochmodern geworden. (siehe Folge 2 dieser fabelhaften Serie)
Inzwischen wissen wir nicht mehr, leben wir im Reich der Parodien oder im realisierten Futurismus. In der Parodie heißt es:
Wir lagen vor Monte Cassino und trugen den Tod im Kopf. In den Herzen, da hockte der Führer und siedete sein Volk im Topf. Ahoi, Kameraden, ahoi, ahoi! Sterbt wohl, Kameraden, sterbt wohl, sterbt wohl!
Im realisierten Futurismus klingt es fröhlicher. Weil das revolutionäre Sachsen es satt hatte, müßig in der Mitte abzuwarten, erklärte es sich auf dem Dritten Weg zur Sonderwirtschaftszone Hongkong II – seitdem klappt der Laden wieder wie früher, als Sachsen sich noch selbst regierte. Unser Autor las als Soldat Ernst Jüngers Stahlgewitter-
In meinem langen Brief vom 26.8.1996 an Bundeskanzler Kohl heißt es: Ihre internen Stellungnahmen, Herr Bundeskanzler, gegen die mit Dokumenten aufklärende Wehrmachtausstellung ermutigt nicht nur die mit lebenslanger Blindheit geschlagenen alten Schlachtrösser, sondem eben auch Nachgeborene wie den Amtschef des BW-Heeresamtes, Generalmajor Jürgen Reichardt, der am 15.03.1996 erklärte: „Keine unserer heutigen Truppengattungen hat ihre Existenz so sehr durch Bewährung im Kriege behaupten müssen wie die deutschen Fallschirmjäger. Kennzeichen jedes Krieges ist der Mangel. Weder waren deutsche Fallschirmjäger bei ihren Einsätzen besser ausgerüstet als andere Truppen, noch hatten sie Überfluss an Kräften, Waffen oder Vorräten. Was sie unterschied, war der Geist. Der kriegerische Geist, der Korpsgeist, der Geist der Ritterlichkeit.
Dieser Geist befähigte deutsche Fallschirmjäger im Kriege zu Leistungen, die anderen als Beispiel dienten, die vielen als unmöglich galten, die vor allem den Soldaten der gegnerischen Armeen Ehrfurcht und Respekt abnötigten und von deren Ruhm noch heute die Fallschirmtruppen aller modernen Armeen zehren.
Es ist ein Geist. der seine tiefen Wurzeln in unserer deutschen Militärgeschichte, in unserer abendländischen Kultur und in unserer christlichen Ethik hat:
das eigene Leben zu wagen für sein Land und sein Volk.
den Gegner zu achten und als Menschen zu respektieren und die Regeln und Gebote von Anstand, Sitte und Glaube auch im Kampfe zu wahren.
Das ist unsere soldatische Tradition, und unsere deutschen Fallschirmjäger haben für ihren ritterlichen Kampf unsterblichen Ruhm erworben.“
Dazu meine damalige abschließende Bemerkung: Mag sein, Generalmajor Reichardt ahnt solche Zusammenhänge nicht, wiegt doch kein Manöver das Schlachtfeld auf; bei ihm jedoch kommt die hochnäsige Impertinenz des christianisierten Germanen hinzu, der die Wehrmachtstruppe der Fallschirmjäger nahtlos mit abendländischer Kultur, christlicher Ethik, mit Anstand, Sitte und Glaube zusammenbringt. So unverschämt bieder steht das auch in den von diversen Kameradschaftsverbänden ausgebrüteten Regiments- und Divisionsgeschichten. Mit Herrn Reichardt aber wird es offizielle Bundeswehr-
Weil unsere Alliierten also heute Kriegsverbrechen planen und begehen und dabei straflos bleiben wollen und sollen, sind die Kriegsverbrechen vor 1945 auch straffrei zu halten. In der Konsequenz heißt das, Jodel und Keitel samt Kameraden zu rehabilitieren. Kein Zweifel, die Herren Generäle sind miteinander solidarisch und der Gang der deutschen Einheit entbehrt nicht seiner inneren Logik.
Da ich eben meinen langen Brief von 1996 an Bundeskanzler Kohl erwähnte, den die inzwischen verstorbene Zeitschrift UTOPIEkreativ in den Heften 75 und 76 sogar ungekürzt nachdruckte, sei hinzugefügt, dass darin exakt vor dem politkriegerischen Schwachsinn gewarnt wurde, der seither verwirklicht wird, auch wenn das Grundgesetz quiekt wie ne arme Sau vorm Schlachthaus. Als die SU Afghanistan besetzte, musste die DDR-Armee nicht mitmachen. Seit die USA in Afghanistan einrückten, sind die vereinten Deutschen stramm dabei. Wie wir behelmten Idioten damals vor Monte Cassino. Und schon fordert ein deutscher General das Recht auf Kriegsverbrechen.
Nicht zu vergessen: Als der frommforsche Bundeswehr-General Reichardt 1996 im Verteidigungsausschuss des Bonner Bundestages sein Märchen von den christlichen Wehrmachts-Fallschirmjägern zum besten gab, saß ich im Ausschuss direkt vor ihm und äußerte mein Erstaunen als einer, der in Monte Cassino mit der ersten Fallschirmdivision in der Scheiße gesteckt hatte. Herr General sahen mich an wie ein Gespenst das andere. Hätte ich mitgeteilt, direkt aus dem Dreißigjährigen Krieg zu kommen, Reichardt wäre nicht verdatterter gewesen.
Dabei war ich doch nur ein atheistischer Trotzkist, den es über die Luftwaffen-Panzer-Divison Hermann Göring zu den Fallschirmern verschlagen hatte, wo er scharf drauf war, die Fahne der Hakenkreuzritter endlich verlassen zu können.
Das friedlich vereinte Deutschland aber besitzt längst ein permanentes Kriegsprogramm. Die goldige FAZ spendete bereits am 27. März 1998 dem unübertrefflichen General Reichardt eine ganze Seite mit dem Schlusssatz: „Das ist der geistige Kern deutscher Militärtradition.“ Anders gesagt: Fortsetzung folgt.
(Anmerkung: Alle Vierzeiler dieser Folge stammen aus dem Band Die Venusharfe, München 1985)
Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 04.05.2009.
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Gerhard Zwerenz
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