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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Folge 77

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

77

Wir lagen vor Monte Cassino

Sommer 1943: Monte Cassino mit der berühmten Benediktinerabtei
Schütze Arsch aus dem letzten Glied tritt wohltrainiert nach vorn ins erste Glied, wo er von Scharf­schützen aus dem Schützen­verein er­war­tet wird. Blank ziehen. Kein Zittern und Zögern. Sichere Hand. Papa ist bei dir, Junge. Dein Papa schießt mit. Rekruten­ausbildung vor­verlegt ins Kinderzimmer. O du selige Kinder­waffen­narren­zeit. Achtung, Feuer frei! Jeder Schuss ein Genuss. Ehe zu dritt: Papa, Mama, Beretta. Komm mit, Junge auf den Schieß­stand. Warte warte nicht ein Weilchen bis zur Bundes­wehr. Du darfst früher. Glatter Schuss statt Kuss. Olympischer Wettbewerb Biathlon für Amokläufer. Statt Schwanz zu Möse junger Mann ist böse. Herzblut. Schmerzwut. Scharfer Schützenplatzmut. .Pfarrer summen. Psychiater brummen. Medien warten aufgeblasen schon auf allen Kleinstadtstraßen. Rummelplätze wie geschmiert. Politik ist längst blamiert. Heckler kocht. Mauser-Sauer-Walter schaffen Waffen nicht für waffenlose Friedensaffen. Wer zuerst kommt schießt nicht als zweiter.
Scharfschütze Tim brachte es auf 15 Tote. Das Verhältnis 1:15 ist deutscher Rekord. Im 2. Weltkrieg gab es bei 5 Millionen toten Deutschen 50 Millionen tote Feinde, d. h. es stand nur 1:10. Mal sehen, wieviel der nächste umlegt.

Unterm Ätna, der roten Zipfelmütze
von Sizilien, wurde mir die Birne zerschossen.
Weiter nordwärts – in Monte Cassino –
hab den Tod ich genossen.

Kein behelmter Germane in den
Mauern der Benediktinerabtei.
Den tausend Amibombern war's einerlei.
Zerbombt und zerstört. Ruinenbetört.
Die bei ei­nem Jabo­angriff auf einem Last­wagen gefallenen Gre­na­diere der Panzer-Divi­sion HG erhielten am Straßen­rand der Via Casilina ihr vor­läu­figes Grab. Sie wurden später auf den Sol­daten­fried­hof Cairo bei Cassino um­ge­bettet.
Beim Abtransport zur vorderen Stellung in Monte Cassino wurde ich einer Lappalie wegen vom LKW runterbefohlen und zusammengeschissen. Als ich zurückkam, waren die ersten beiden Wagen bereits weg. Ich kletterte auf den dritten. Kurz vorm Einbiegen von Roccasecca auf die Via Casilina krachte es. Jabos schossen über uns weg. Hinter der nächsten Kurve das brennende Wrack des voraus fahrenden LKW. Der aufgesessene Zug der 2. Kompanie mit Volltreffer. 16 Tote. Wir verscharrten ihre verschmorten Reste am Straßen­rand. Ein späteres Foto zeigt 14 Holzkreuze. Ich war sicher, es waren 16 Gräber. Die Kreuze pflanzten wir zwei Wochen später ein. Ich nagelte die Querlatten fest. Wer klaute da zwei Kreuze?
Die Kompanie zählte inzwischen noch ein Halbdutzend Soldaten weniger. Drei starben auf der hinter dem Quartier gelegenen Latrine. Die Jagdbomber hatten sich drauf spezialisiert. Heldentod auf dem Donnerbalken, hörte ich ätzen. Sie schießen dich glatt in die Scheiße der Kompanie. Das besetzte Europa von Karelien bis Sizilien ein einzig Reich der Donnerbalken. Heute gibt's wieder Gefallene, doch US-Army und Bundeswehr ziehen mit Chemie-Klos in den Krieg. Das ist die Technik der Postmoderne.
Wegen der 16 Heldentoten langten wir in dieser Nacht verspätet in der Stellung an. Das Kloster oben am Berg war noch nicht bombardiert. Es war der Feldwebel, der den Hauptfeldwebel vertrat und die Gelegenheit nutzte, mir was anzuhängen. Holte mich vom LKW runter und kotzte mich an. Ich stieg auf den dritten Wagen. Diesem Arsch verdanke ich mein Leben? Später in Leipzig, als ich von Hans Mayer hörte, Walter Ulbrichts Herzensfreund , der Bezirks­kommandeur und Menschenfeind Paul Fröhlich sei bei der Wehr­macht Koch und Feld­webel gewesen, fühlte ich mich leicht gehemmt beim Erwidern der Feind­schaft. Hatte nicht ein Feldwebel meine Haut gerettet? Ich hätte alle dankbar umarmen können. …

Wir zogen weiter nordwärts nach Rom.
Eine Blutspur der Tritte.
Die heilige Fahne immer in der Mitte.
Zur Audienz beim Heiligen Vater.

Der weilte gerade im Himmel zum
Befehlsempfang. So geht's bei so
einem lang. Im Notfall nach oben.
Der kann gut seinen Papa loben.
In der FAZ, dieser Zeitung für Herren­menschen, erschien am 14.1.1998 folgender Leser­brief: „Ich als Mitstreiter, als Forst­anwärter zwangsläufig in der Division Göring (Luftwaffen-Felddivision), habe in den zirka eineinhalb Jahren Frontdienst drei Verwundungen erwischt, weil diese Truppe immer nur an Brennpunkten eingesetzt und entsprechend dauernd verlegt wurde. Die Russen nannten uns deshalb ›Feuerwehrdivision‹: Sehr viele haben es gar nicht überlebt. Neben der Unbill bei Unterkunft und Verpflegung bei uns als ›Zwangsarbeitern‹ war die Luft häufig extrem eisenhaltig. Das war sicher nicht viel besser als bei den in der Industrie eingesetzten Zwangsarbeitern. Nachdem aber diejenigen, die sich der eisenhaltigen Luft durch Desertion entzogen hatten und uns den versuchten Schutz der Heimat, insbesondere vor den Russen, alleine überlassen hatten, heute ›entschädigt‹, werden, werden wir ›Zwangsarbeiter‹ wohl doch nicht auf Entschädigung hoffen dürfen – oder?
Dr. Peter Lampson, Nauheim“
Dieser Sermon zeigt, den Krieg kann man auch anders sehen. Der Herr Doktor möchte wie Zwangsarbeiter entschädigt werden. Mancher kam noch dümmer aus der Schlacht zurück als er hinein­gegangen war. Es gibt mehr und mehr lese- und lern­unfähige Akademiker.
Von dem in Schwerte lebenden Zeichner und Geschichtenerzähler Kurt Elfering las ich eine Story, deren Verknüpfung mit schockhaft phantastischen Elementen aller Aufmerksamkeit wert ist. Ein junger Leutnant kontrolliert den angetretenen Soldaten, findet nichts zu beanstanden, aber: „Jetzt kam er auf die Idee, mein Gewehr auch noch unter die Lupe zu nehmen. Mit dieser Aktion konnte man jeden Landser in die Enge treiben. Als ich mein Gewehr hochhielt, damit er den Lauf durchschauen konnte, änderte sich das ganze Geschehen. Er hielt sich die Mündung des Gewehrlaufes vor sein linkes Auge, da geschah es. Ein Wachsoldat der Stammtruppe berührte mit seinem Arm eine leere Flasche, die auf der Fensterbank stand. Sie geriet aus dem Gleichgewicht, fiel auf den Fliesenboden und zerschellte laut krachend. In diesem Augenblick erstarrte der Waffenkontrolleur und schaute mich entsetzt an. Seine Hand verkrampfte sich um den Gewehrlauf. Er fiel auf die Knie und riss dabei das Gewehr mit auf den Boden. Er umschlang meine Füße und lag auf dem Boden wie ein reumütiger Sünder. Er wimmerte vor sich hin und bat um Vergebung für alle Untaten, die er in seinem Leben begangen habe. Die ganze Wachtruppe, die untätig im Raum war, beobachtete verblüfft diese Begebenheit. Ich war ebenfalls völlig durcheinander, hatte mich aber schnell wieder gefangen.
Ich legte meine Hand auf sein Haupt und sagte, er solle aufstehen, ich hätte ihm vergeben. Er erhob sich und sah mich erstaunt und glücklich an. Als er meine Hände küssen wollte, zog ich sie zurück und sagte ihm, er solle in Frieden hinausgehen. Er drehte sich um und entfernte sich mit dem Lied ›Großer Gott wir loben Dich...‹ aus der Wachstube.
Der Erste, der jetzt wieder klar denken konnte, war der Wachfeldwebel. So nach und nach kam der Rest der Anwesenden auch wieder zu sich. Der Feldwebel hob das Gewehr auf und gab es mir zurück. Er verpflichtete mich und alle Anwesenden zum Stillschweigen, damit nichts nach draußen durchsickern könne. Er gab mir auch noch den guten Rat, mich eiligst zu verdrücken, ehe der Leutnant dahinter käme, dass er gar nicht erschossen sei.“
Die Auflösung des Rätsels vom Großen Gott in der Wachstube folgt kurz darauf: „Diese Geschichte entspricht der vollen Wahrheit. Die Sache mit der Flasche, die von der Fensterbank fiel, ist allerdings eine Zwischeneinlage, die nicht stattgefunden hat. Es war eben nur ein Wunschtraum, den man gerne mal erlebt hätte. Der Herr Leutnant hat nach wie vor seinen Dienst weitergemacht.“ Das wirkt ernüchternd. Allerdings: „Wie ich später mal erfahren habe, wäre ein Leutnant des Divisionsstabes aus irgendeinem Grund durch einen Schock plötzlich irrsinnig geworden. Er sei auf einmal durch die Gegend gelaufen und habe behauptet, dass er erschossen worden sei. Nach seiner Erschießung habe er noch mit dem lieben Gott gesprochen. Zur Zeit soll er in einem abgeschiedenen Kloster in Oberbayern sein Dasein verbringen. Er benehme sich wie ein von Gott ernannter Ehrenbischof.“
Das phantastische Element der autobiographischen Realstory gibt dem Verlauf ein Moment der Verwunderung. Der Erzähler befriedet sich, indem er ex machina ein Gotteswunder suggeriert, ohne dass er deshalb gläubig sein müsste. Per Literatur wird das eigene Handeln ersetzt durch eine Variante. Der Verfasser bleibt bei seinem Ton sachlicher Mitteilung, der die Geschichte verknappt beendet: „Am 17. März 45 begann meine Gefangenschaft in Russland. Im Mai 1948 kam ich dann wieder nach Hause.“
Der Todeswunsch gegenüber dem Vorgesetzten ist Grad­messer der gefühlten, nicht aktivierten Rebellion. Der Krieg lebt davon, dass nichts anderes geschieht.

Und wir? Immer nordwärts ins Feuer
und bäuchlings mittenmang im
Schlag der Trommel. Unsere Marschälle
hießen Kesselring und Rommel.

Jeder Feldzug, Kameraden, ist dasselbe
Ding, das gedreht wird. Und wer
mitzieht, wohnt in beinerner Bälde
mitten auf dem Ährenfelde.
Ach ja, Kameraden, unsere Wunschträume dienen heute bei der Bundes­wehr. In Alb­traum­sekunden kurz vor dem Aufwachen zähle ich mich zu den Toten am Ätna, vor Nettuno und von Monte Cassino. Untote nennt man uns. Wir leben in euren Köpfen und fressen uns von euren Nachfolgegehirnen bis zum versalzenen Herzen durch. Krebs heißt die rationale Fehldiagnose. Ich bin tot und widersetze mich der Umsiedlung vom schönen Platz an der Via Casilina zum Soldatenfriedhof Cairo. Wenn ich hier in meiner zweiten Heimat liege und nicht gerade vor bundesberliner Kasernentoren das Lied von der Lili Marlen singe, summe ich den zugehörigen Refrain vor mich hin: Ich hab keinen Kameraden – der letzte starb in Stalingrad – tote Soldaten sind eben noch genauso romantisch wie die Prätoten, die erst morgen gefällt werden.

Genossin Sonne

Wer einmal desertiert, ist für
immer verloren. Sein Platz ist
am Strand. Er kämpft für ein
anderes Vatermutterland.

Versonnen blickt er aufs Meer.
Glückwunsch der Sonne zum
blutroten Sonnenuntergang.
Sie – ein Deserteur von höchstem Rang.

Und nun der kalte Mond am Himmel.
Die Nacht voller Soldatengewimmel.
Fahnenflüchtige, die Fresse im Sand.
Spuck's aus, dein Vaterland.
Ausblick: Der Autor dieser Zeilen Ias als Kind hintereinanderweg einen Koffer voll verbotener revolutionärer Literatur. Viele Männer, die er kannte, ver­schwan­den in Zucht­häusern und Konzen­trations­lagern. Andere gingen über die Grenze nach Prag. Der Rest wurde Soldat und düngte die Erde von Stalingrad bis Tobruk oder kehrte zurück und war so irre wie zuvor. Wer das nicht wollte, wurde Kommunist um die Welt zu verbessern und ist nun an allem schuld. Unser Autor studierte auch die Werke postfaschistischer Jungfrauen westlicher Wissens­gesell­schaften, bis ihn die permanente Konter­revolution so anödete, dass er seine sächsische Urheimat neu entdeckte, dort war inzwischen alles chinesisch hochmodern geworden. (siehe Folge 2 dieser fabelhaften Serie)
Inzwischen wissen wir nicht mehr, leben wir im Reich der Parodien oder im realisierten Futurismus. In der Parodie heißt es:

Wir lagen vor Monte Cassino
und trugen den Tod im Kopf.
In den Herzen, da hockte der Führer
und siedete sein Volk im Topf.

Ahoi, Kameraden, ahoi, ahoi!
Sterbt wohl, Kameraden, sterbt wohl,
sterbt wohl!
Im realisierten Futurismus klingt es fröhlicher. Weil das revolutionäre Sachsen es satt hatte, müßig in der Mitte abzuwarten, erklärte es sich auf dem Dritten Weg zur Sonderwirtschaftszone Hongkong II – seitdem klappt der Laden wieder wie früher, als Sachsen sich noch selbst regierte. Unser Autor las als Soldat Ernst Jüngers Stahl­gewitter-Helden­schwarte, um ebenso heldisch zu werden. Weil es ihm nicht gelang, schmiss er die Knarre weg und ging zu den roten Russen. Dreizehn Jahre später ging er zu den schwarzen Westlern und schrieb immer noch alles heimlich auf, was niemand wissen wollte. Dass er bei den Deutschen und Russen und nochmal bei den Deutschen Kopf und Kragen riskierte, war ihm sein Engagement für die humoristische Revolution wert. Die Höchststrafe dieser 5. humoristischen Internationale ist totlachen. Danach beginnt ein neues Leben. Für Zahlenfans sei noch angemerkt, der Todesschütze Tim, mit dem diese Folge beginnt, brachte es, sich selbst eingerechnet, auf 16 Tote. Das sind ebensoviele wie ein englischer Jagdbomber 1944 an der Via Casilina produzierte. Das waren Soldaten. Ein altmodischer Krieg eben. Der moderne Krieg geschieht mitten im Frieden und killt besonders gern Zivilisten.
In meinem langen Brief vom 26.8.1996 an Bundes­kanzler Kohl heißt es: Ihre internen Stellung­nahmen, Herr Bundeskanzler, gegen die mit Dokumenten aufklärende Wehr­macht­ausstellung ermutigt nicht nur die mit lebenslanger Blindheit geschlagenen alten Schlachtrösser, sondem eben auch Nach­geborene wie den Amtschef des BW-Heeresamtes, Generalmajor Jürgen Reichardt, der am 15.03.1996 erklärte: „Keine unserer heutigen Truppen­gattungen hat ihre Existenz so sehr durch Bewährung im Kriege behaupten müssen wie die deutschen Fall­schirmjäger. Kennzeichen jedes Krieges ist der Mangel. Weder waren deutsche Fall­schirmjäger bei ihren Einsätzen besser ausgerüstet als andere Truppen, noch hatten sie Überfluss an Kräften, Waffen oder Vorräten. Was sie unterschied, war der Geist. Der kriegerische Geist, der Korpsgeist, der Geist der Ritter­lichkeit.
Dieser Geist befähigte deutsche Fallschirmjäger im Kriege zu Leistungen, die anderen als Beispiel dienten, die vielen als unmöglich galten, die vor allem den Soldaten der gegne­rischen Armeen Ehrfurcht und Respekt abnötigten und von deren Ruhm noch heute die Fallschirm­truppen aller modernen Armeen zehren. Es ist ein Geist. der seine tiefen Wurzeln in unserer deutschen Militär­geschichte, in unserer abend­ländischen Kultur und in unserer christlichen Ethik hat:
das eigene Leben zu wagen für sein Land und sein Volk.
den Gegner zu achten und als Menschen zu respektieren und
die Regeln und Gebote von Anstand, Sitte und Glaube auch im
Kampfe zu wahren.
Das ist unsere soldatische Tradition, und unsere deutschen Fallschirmjäger haben für ihren ritterlichen Kampf unsterblichen Ruhm erworben.“
Dazu meine damalige abschließende Bemerkung: Mag sein, Generalmajor Reichardt ahnt solche Zusammenhänge nicht, wiegt doch kein Manöver das Schlachtfeld auf; bei ihm jedoch kommt die hochnäsige Impertinenz des christianisierten Germanen hinzu, der die Wehrmachts­truppe der Fallschirm­jäger nahtlos mit abend­ländischer Kultur, christlicher Ethik, mit Anstand, Sitte und Glaube zusammenbringt. So unverschämt bieder steht das auch in den von diversen Kamerad­schafts­verbänden aus­gebrüteten Regi­ments- und Divisions­geschichten. Mit Herrn Reichardt aber wird es offizielle Bundeswehr-Ideologie.

 Leistungen erbringen, die
 als unmöglich gelten
 (Vergrößerung per Klick)
Inzwischen ist der tapfere BW-General zwar a.D., in seiner christlichen Verteidigung des Krieges inklusive Kriegs­verbrechen aber noch ein Stück weitergekommen, wie er in der Zeitschrift Gebirgstruppe erkennen lässt: „In der öffentlichen Meinung gilt heute bei uns bereits jeder als schuldig, dem eine Beteiligung an der Partisanen­bekämpfung im letzten Weltkrieg vorgeworfen wird, während unsere Alliierten längst die Vorschriften und Erfahrungen der Deutschen auswerten und zu Rate ziehen für ihren aktuellen Kampf gegen den Terror.“
Weil unsere Alliierten also heute Kriegsverbrechen planen und begehen und dabei straflos bleiben wollen und sollen, sind die Kriegsverbrechen vor 1945 auch straffrei zu halten. In der Konsequenz heißt das, Jodel und Keitel samt Kameraden zu rehabi­litieren. Kein Zweifel, die Herren Generäle sind mit­ein­ander solidarisch und der Gang der deutschen Einheit entbehrt nicht seiner inneren Logik.
Da ich eben meinen langen Brief von 1996 an Bundeskanzler Kohl erwähnte, den die inzwischen verstorbene Zeitschrift UTOPIEkreativ in den Heften 75 und 76 sogar ungekürzt nachdruckte, sei hinzugefügt, dass darin exakt vor dem politkriegerischen Schwachsinn gewarnt wurde, der seither verwirklicht wird, auch wenn das Grundgesetz quiekt wie ne arme Sau vorm Schlacht­haus. Als die SU Afghanistan besetzte, musste die DDR-Armee nicht mitmachen. Seit die USA in Afghanistan einrückten, sind die vereinten Deutschen stramm dabei. Wie wir behelmten Idioten damals vor Monte Cassino. Und schon fordert ein deutscher General das Recht auf Kriegs­verbrechen.
Nicht zu vergessen: Als der frommforsche Bundeswehr-General Reichardt 1996 im Verteidigungs­ausschuss des Bonner Bundestages sein Märchen von den christlichen Wehrmachts-Fallschirm­jägern zum besten gab, saß ich im Ausschuss direkt vor ihm und äußerte mein Erstaunen als einer, der in Monte Cassino mit der ersten Fallschirmdivision in der Scheiße gesteckt hatte. Herr General sahen mich an wie ein Gespenst das andere. Hätte ich mitgeteilt, direkt aus dem Dreißigjährigen Krieg zu kommen, Reichardt wäre nicht verdatterter gewesen.
Dabei war ich doch nur ein atheistischer Trotzkist, den es über die Luftwaffen-Panzer-Divison Hermann Göring zu den Fallschirmern verschlagen hatte, wo er scharf drauf war, die Fahne der Hakenkreuzritter endlich verlassen zu können.
Das friedlich vereinte Deutschland aber besitzt längst ein permanentes Kriegsprogramm. Die goldige FAZ spendete bereits am 27. März 1998 dem unübertrefflichen General Reichardt eine ganze Seite mit dem Schlusssatz: „Das ist der geistige Kern deutscher Militär­tradition.“ Anders gesagt: Fort­setzung folgt.
(Anmerkung: Alle Vierzeiler dieser Folge stammen aus dem Band Die Venusharfe, München 1985)

Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 04.05.2009.

Gerhard Zwerenz   27.04.2009   
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz