Frankfurter Polizeibuchmesse 1968 (Dokumentation)
Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2008 erlaube ich mir einen melancholischen Rückblick auf die Buchmesse 1968. Die runden 40 Jahre verlocken dazu. Überhaupt wird die Erinnerung an 1968 allenthalben wachgerufen und da wäre es schade, bliebe die turbulente 68er Messe vergessen. Im Dezemberheft 1968 druckte konkret meinen Tatsachenbericht »Buchmesse – Zuchthausmesse«. Herausgeber der Zeitschrift waren damals das SPD-Urgestein Jochen Steffen, Peter Rühmkorf und Klaus Rainer Röhl. Steffen und Rühmkorf sind verstorben, Röhl suchte und fand das Heil seines Alters bei Prof. Ernst Nolte und Gesinnungsfreunden vom rechten FDP-Flügel wie Alexander von Stahl, Rainer Zitelmann, Heiner Kappel, die sich einer inzwischen gewonnenen Röhl-Erkenntnis anschließen: »Der Feind steht links«.
Das wusste schon Hitler und dem stimmen heute mehr Leute zu als es in unserem angeblich funktionierenden demokratischen Staat zu erwarten wäre.
Hier also mein 68er Messebericht und daran anschließend ein Interview mit der Zeitung Publik vom 4. Oktober 1968:
Buchmessen-Rückblick
Die Geschäfte waren gut, weil sie besser waren als im Vorjahr. Sie waren aber noch längst nicht gut genug. Und was das Ritual anbelangt, so handelt es sich um eine Polizeibuchmesse. Wollen wir das einfach vergessen, so lässt die Messeleitung im nächsten Jahr vielleicht auch noch Panzer und Artillerie auffahren. Da übt dann irgendein schwarzer oder brauner Löwe in den Messehallen und verteidigt die Meinungsfreiheit. Von den Uniformierten abgesehen, wimmelt es auch von Polizisten in Zivil. Man hätte fast jedem ausgestellten Buch einen Kripomann als Lesezeichen einfügen können.
Was, meinen Sie, sind die Gründe dafür?
Bei uns wird alles zu Besitz. Das Volk gehört der Regierung, die Fabriken gehören den Kapitalisten, die Bundeswehr gehört CDU/CSU und NPD, die Zeitungen gehören den Gegnern der Linken, die Jugend gehört der Polizei und die Buchmesse der Messeleitung. Natürlich gehören damit auch die Bücher und die Schriftsteller den Verlegern und die Verleger leihen Bücher wie Schriftsteller die Messetage über aus an Funk, Fernsehen und Presse. Das ist ein wohlfunktionierendes Geschäft, über das jeweils am Sonntagvormittag in der Paulskirche Kultursoße gegossen wird.
Sie waren mit dem diesjährigen Friedenspreisträger nicht einverstanden?
Im Vorjahr war es Ernst Bloch. Mit ihm waren manche nicht einverstanden und haben das auch gesagt. Bundespräsident Lübke fehlte in der Paulskirche. Aber Unruhen fehlten auch. Offensichtlich kann man Ernst Bloch unserer Öffentlichkeit und Jugend anbieten. Aber nicht dem Herrn Lübke. Und Herrn Lübke nicht Ernst Bloch. Ich selbst habe, vom Börsenverein aufgefordert, den Festartikel in der Messesondernummer des Börsenblattes geschrieben. Die diesjährige Wahl Senghors halte ich für unglücklich. Man warf den protestierenden Studenten vor, sie wüssten nicht genug Bescheid über Senghor. Mir scheint eher, die ehrenwerten Herren, die Senghor kürten, wussten nicht genug Bescheid. Die Fragen, die der SDS an Herrn Senghor richtete, sind völlig legitim. Illegitim war die Brachialgewalt, mit der man den SDS zu unterdrücken suchte.
Sie halten den Polizeieinsatz für ungerechtfertigt?
Diskussionen sind keine Störungen, die polizeilich verhindert werden müssten. Notwendig ist eine Demokratisierung der Messe. Ausländische Verleger sollten künftig ebenso zur Messeleitung gehören wie gewählte Mitglieder des Schriftstellerverbandes. Das Verfahren der Auswahl des Friedenspreises sollte öffentlich sein. Die Öffentlichkeit der gesamten Messe muss verbürgt werden. Wir hätten uns die bisherige Buchmesse noch lange gefallen lassen, wäre diesmal nicht die obskure Hallenschließung vom Samstagnachmittag passiert. Kafkaesker geht es nicht. Man wird seiner Bewegungsfreiheit beraubt, wird glattweg festgesetzt, ein- oder ausgesperrt, und kein Verantwortlicher ist in Halle 6 zu finden, der Rede und Antwort stünde. Man hat also kurzerhand ein Messepublikum, Autoren, Presseleute, Verleger und Schaulustige behandelt wie man sonst hierzulande Studenten behandelt. Mit Gewalt, und dass es sich dabei um eine Staatsgewalt handelte, macht die Sache nur noch schlimmer. Ich finde es unstatthaft, dass man so mit dem Publikum verfuhr, ich finde es auch unstatthaft, dass man sonst so mit Studenten verfährt. Nach und nach werden immer weitere Gruppen der Gesellschaft zu bekämpfenswerten radikalen Minderheiten erklärt.
Max von der Grün, Hans Növer und Sie sind am Sonnabendnachmittag in Halle 6 gewählt worden, mit der Messeleitung über den Abzug der Polizei zu verhandeln, Sie haben dann die Hallenöffnung erreichen können. Hat sich die Messeleitung also als zugänglich und einsichtig erwiesen?
Ich hatte von Herrn Taubert keine schlechte Meinung. Unsere Verhandlung an diesem Nachmittag führte zum Abzug der Polizei. Leider zog sie sich nicht völlig vom Messegelände zurück. Möglicherweise hat Herr Taubert nicht die besten Ratgeber. Es wäre auch an der Zeit, dass Herr Unseld mal ein offenes selbstkritisches Wort sagte. Man kann auf die Dauer mit der Linken wohl nicht einen Enzensberger streicheln und mit der Rechten den die Polizei herbeirufenden Herrn Taubert. Das reißt einen dann mittendurch.
Übrigens ließen die Herren von der Polizei, die uns gewöhnliche Sterbliche aus- oder einsperrten, den Herrn von Thadden durch. Möglicherweise hat von Thadden dann den Messedirektor abgelöst. Die Buchmesse verlief jedenfalls so, als sei die NPD schon an der Macht. Die Rechten probten die Unterdrückung.
Da Sie Dr. Unseld erwähnen – meinen Sie wirklich, er sei mit Herrn Tauberts Maßnahmen so gänzlich einverstanden gewesen?
Dr. Unseld hat keine glückliche Figur machen können auf dieser Messe. Er tanzt auf zu vielen Hochzeiten. Sitzt im PEN, in Buchhandelsgremien und Messeleitung, wählt Preisträger mit aus und verlegt auch noch linke Literatur, die also antiautoritär, antifaschistisch, radikaldemokratisch und sozialistisch intendiert ist. Da er Mitglied des PEN ist, frage ich mich, ob seine Unterstützung der Messeleitung und die damit verbundene Billigung des Polizeieinsatzes mit der PEN-Charta vereinbart werden kann. Die Literatur ist ein andauerndes Gespräch über Vernichtung sowie physische Gewalt und zwar zu deren Verhinderung. Der Verlauf dieser Messe zeigte, dass dieses Gespräch fruchtlos geblieben ist hierzulande. Platon ging bekanntlich dreimal nach Syrakus, mit dem Diktator zu sprechen und auf den Tyrannen Einfluss zu nehmen. Dionysios dankte es dem Philosophen damit, dass er ihn als Sklaven auf den Markt bringen und dort verkaufen ließ. So ähnlich wurde auf dieser Buchmesse die Literatur verkauft. Es ist die Art, wie unser Land mit seiner oppositionellen Jugend umzugehen gewillt ist. Der Dialog wird untersagt. Die Öffentlichkeit immer mehr abgeschafft. Der Analyse mit Minderheitenhetze begegnet. Früher schickte dieses Land seine Jugend aus, damit sie auf den Schlachtfeldern verblutete. Mir scheint, die Führer von damals neiden der jetzigen Jugend das friedliche Zeitalter. Also greift man wieder zur Machtpolitik, rüstet auf, gefällt sich in starken Worten, hält die Jugend in veralteten Abhängigkeiten und reagiert, begehrt sie auf, mit Prügel und Gefängnis.
Liegt der eigentliche Konflikt nicht darin, dass ein Verleger, der linke Autoren verlegen will, Kapitalist sein muss, und widerspricht das nicht einander?
Man kann durchaus als Kapitalist sozialistische Literatur publizieren, wenn man souverän genug bleibt, das eine durch das andere zu humanisieren. Aber man darf als Verleger sozialistischer Bücher nicht zur Verteidigung des Kapitalismus zu faschistischen, zumindest aber obrigkeitsstaatlichen Mitteln greifen. Das ist Schizophrenie und Übleres. Auch ein kapitalistischer Verleger hat Pflichten, und dazu gehört, dass er gegenüber dem Leser integer bleibt und mit seinen Autoren solidarisch. Sonst erweist er sich als Teil einer schönen Fassade vor allerlei Schrecken.
Vielleicht wäre die Messe ohne Polizei gar nicht mehr zu Ende zu bringen? Vielleicht hat sich zuviel Zündstoff angesammelt?
Nehmen wir erstmal die Polizei in Schutz gegen eine Messeleitung, die sie herbeigerufen hat. Das Buch als Summe geschriebener Worte ist dem gesprochenen Wort verwandt. Wenn das Wort als gesprochenes Wort, als Demonstration für oder gegen etwas auftritt, hat noch niemand das Recht, es deshalb gleich zu kriminalisieren. Gerade dies tat die Messeleitung, womit der physische Konflikt unausweichlich wurde.
Der Versuch der jungen Leute, auf der Buchmesse die Literatur beim Wort zu nehmen, ist doch gar keine Provokation. Ich sehe darin den eher rührenden Versuch der ratlosen, allein gelassenen und sich verraten vorkommenden jungen Generation, mit den Älteren doch noch reden zu können und deren Dickfelligkeit zu durchdringen.
Aber Krawalle dürften kaum das richtige Mittel dafür sein?
Ach die lieben Krawalle – ein Tag Münchner Oktoberfest fordert mehr Aufwand an Polizei, ärztlicher Hilfe und Justiz als die gesamten Vorgänge bei der Messe-Opposition. Da regt sich niemand auf. Das finden alle ganz natürlich. Das gehört zu den Spielen, die dem Volk zu lassen sind. Gewiss, ich halte den SDS nicht für einen Meister der Taktik. Man hätte statt des unsinnigen Sturms auf die Paulskirche, diesem Akt revolutionärer Romantik, lieber bei der angekündigten Gegenpreisverleihung bleiben sollen. Wenn ich aber lesen muss, was unsere geistigen Kleinbürger, die unser analphabetisches Großbesitzbürgertum publizistisch vertreten, so von sich geben, solidarisiere ich mich sofort mit SDS und APO. Lieber mit sieben Wölfen heulen als mit siebenundsiebzig Schweinen grunzen. Die Krawalle waren nicht der Anfang, sie waren nur die Antwort aufs Vorgegebene. Der Polizeistaat zieht dem Kopf den Knüppel erst vor und dann, mit ihm, eins über. Wer die oppositionelle Jugend von allen Möglichkeiten der Mitbestimmung ausschließt, holt sich die Radikalisierung ins Haus. Wer ihr mit Prügel und Pistole aufwartet, macht die Zuchthäuser zu Schulen der Revolution. Mit einem Lübke auf dem Präsidentensessel und einem Kiesinger an der Regierung ist kein Staat moralisch zu vertreten. Die Alten, die sich einen Hitler zugemutet hatten, mögen seine Mitmarschierer für tragbar halten. Aber die Jungen antworten darauf mit Widerstand. Mir ist die Jugend lieb. Sie wird sich niemals mehr befehlen lassen, was ihre Väter sich befehlen ließen. Sie ist, welch ein Glücksfall, dem deutschen Gehorsam entwachsen.
Wie soll die Buchmesse künftig stattfinden?
Die Buchmesse ist entweder ein Geschäft oder eine Demonstration der Literatur oder beides. Bisher legten alle Wert darauf, dass sie beides sei. Wenn sie aber beides sein soll, so muss sie auch eine Gegendemonstration aushalten und lieber sich selbst abschaffen als zu den Mitteln Zuflucht zu nehmen, die herkömmlich die der Literaturfeinde sind, ihrer Entsteller, Verfolger, Unterdrücker, der Polit- und Moralzensoren und ihrer Büttelgarden. Wenn Frankfurt noch eine Messe wert sein soll, darf sich die Messeleitung nicht der Gewalt bedienen. Wenn die Jugend, weil ihr jede andere Äußerungsmöglichkeit genommen ist, mit Provokation arbeitet, kann die Staatsgewalt, der jede Äußerungsmöglichkeit gegeben ist, nicht durch Provokation provozieren.
Ich habe nach der ersten Polizeiabsperrung, zusammen mit von der Grün, Növer, Otto Köhler, Frank Benseler und vielen anderen die Halle wieder zu öffnen versucht und als einer der ersten zum Protest aufgerufen. Ich finde, es ist gut gewesen, so zu handeln. Wer sich den Knüppel gefallen lässt, hat ihn verdient.
Epilog von 2008:
Die Tore zur Leipziger Buchmesse, auf der ich 1956 meine ersten beiden Bücher hattte vorstellen können, waren mir ab 1957 verschlossen. 1968 schloss Polizei die Tore zur Frankfurter Buchmesse. Ich fand das unfair und so stemmten wir, friedfertig und waffenfrei protestierend, die Hände gegen die zugesperrte Glastür.
In meinem Arbeitszimmer steht ein dicker Buchband, in Leinen gebunden mit weißem Umschlag und leeren Seiten, eine mich aktivierende Aufforderung zur Wortarbeit. Auf der Flucht vor mehreren Stiefvaterländern zwischen Beresina, Bug, Pleiße, Rhein und Main war mir der Luxus, von Büchern umgeben zu sein, zum Lebenszweck permanenter Revolte geworden. Mag sein, die bewusstlose Kulturindustrie der Postmoderne nivelliert heute ihr Produkte soweit, das unsere unfrommen Revolten vergeblich bleiben. Das Buch lebt dann nur noch als auratische Werbung, wie sie der Schönheitsoperateur seiner Kundschaft verpasst, um sie unters Messer zu bekommen.
Dichters Ende (1984)
Die beste Werbung ist der Tod des Dichters. Alle streben ihn zu loben. Sein Verleger weiß vor Glück sich nicht zu fassen, er möchte all seine Autoren sofort sterben lassen. Die von der Presse atmen auf. Wir sind das Ekel endlich los, So denken sie im Stillen, und hauen ihm ein schönes Nachwort drauf. Er sei noch viel zu früh gestorben und dennoch zugehörig zu den Größten. (Er hatte oft genug ihr kleines Glück verdorben.) Sie dankten's ihm, indem sie ihn verbösten. Doch nun ist endlich Ruh. Der Kerl ist früh den Bach hinabgegangen. Sein trauemder Verleger legt kein Geld mehr zu, Achtung, Gewinnzone! Der Erfolg hat endlich angefangen Die Leser lesen ihn. Die Rezensenten sperren seine Leich mit jedem Jubiläum tiefer in das Erdenreich. Gott sei's gedankt, der Kerl ist weg. Seine Knochen deckt der Dreck. Seine wirren Wahngebilde nähren nun die Büchergilde. Eine Zeitlang gibt es noch Tantiemen. Seine Erben haben Glück. Dann bleibt von ihm, dem staubzerfallnen Stück, ein Grab im Lexikon zurück. Am Montag, den 13. Oktober 2008, folgt das nächste Kapitel.
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Gerhard Zwerenz
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