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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 98. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
98. Nachwort |
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Die Blochianer kommen in Tanzschritten
Foto: Ursula Hunter
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Kriegstanz oder Friedenstanz – welcher soll's denn sein?
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Seit wir der illustren FAZ, diesem mainischen Zentralorgan angestammter Nationalkonserven, die im Blatt herrschende Vorliebe für den Dreierpakt Martin Heidegger, Carl Schmitt, Ernst Jünger – 2 x NSDAP, 1 x Stahlhelm – immer mal wieder ein wenig vorhielten, lässt nicht nur die einstige Heldenpropaganda nach, man beginn dort sogar Ernst Bloch zu lesen. Am 7. November 2012 entdeckt ihn ein wohlinformierter Franz Siepe schwungvoll als Tanz-Interpreten: »Der Philosoph und die Frauen- Bewegung … kein neuer Tanz ohne Veränderung der Gesellschaft: Ernst Bloch wollte den Frauen von Loheland Revolution und Metaphysik nahebringen …« Das ist klug und für bürgerstramme Verhältnisse gar avantgardistisch präsentiert. Salut den FAZ-Geisteswissenschaften. Nur enthält die Entdeckung einen nicht unerheblichen Fehler. Siepe schreibt, Blochs Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung sei »zwischen 1938 und 1947 in den Vereinigten Staaten verfasst worden.« Was nur mit Ausnahmen stimmt. Eine, die grundsätzliche und folgenreichste, nein die folgenschwerste betrifft das 19. Kapitel: Weltveränderung oder die Elf Thesen von Marx über Feuerbach, das erst in der DDR, d.h. in Leipzig zu Papier gebracht wurde und zum stilvollen Tanz der Frauen den heftigen Papierschwertertanz der Philosophen eröffnete.
Der dramaturgische Schwerpunkt des 9. Kapitels im Prinzip Hoffnung wird in unserem Buch Sklavensprache und Revolte auf den Seiten 517 ff behandelt.
Wir reden von Ernst Bloch, nicht vom Historiker Marc Bloch, den die Gestapo ermordete und nicht vom fiktiven Maximilian Bloch, recte Dieter Pfaff, dem elefantischen tv-Seelendoktor. Wir kehren zur FAZ zurück, von wo ein frechdachsiger Dietmar Dath auf- oder ausbricht, dem gern stahlbehelmten Organ im Feuilleton fixe Spritzen setzend, und wenn's gar zu heftig links sein sollte, geht der Companero als erklärter Leninist vom starkhessischen Hauptblatt zu den spreelinken junge Welt-Genossen. So zweiseitig am 7. und 8.11.2012 mit einem wohlfundierten Hoch auf die Russische Oktoberrevolution von vor 95 Jahren. Das liest sich gut informiert als popkulturelle Spitze. Was tun? fragte Lenin. Dath alias Spex antwortet adäquat: Nieder mit dem Kapitalismus.
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Dietmar Dath schrieb Stalin um
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Wie aber soll das gehen? Was die einen von ihrem Gott erhoffen, erwarten die anderen von ihrem Marx. Dath ist firm in Lenins Schriften und agiert weltklug mit dem angehäuften Stoff auf oft (aber-)witzige Weise, danach bleibt er lesenwert, doch taktisch lückenhaft verbogen. Mit deutlichen Worten zu Stalin und den Folgen würde er bei den fragmentarisch linken Jungweltlern schnell mit dem klugen Kopf gegen antike Propagandawände laufen. Die jW schleppt schwer an ihrer betonlinken Tradition wie Daths bourgeoiser Arbeitgeber FAZ an seiner betonrechten Basis. Immerhin lacht Dietmar D. sich als Wanderer zwischen zwei Presse-Regionen ins geballte Fäustchen. Seine wundersame Neufassung der Geschichte der KPdSU könnte selbst ihrem Vor-Verfasser Stalin imponieren, hielte der sich nicht noch im Orkus als globaler Weiser für unübertrefflich.
Als DD-Resümee bleibt: Endlich zieht mal einer den selbstherrlichen FAZ-Kommandeuren rechter Hand wie den marxoiden Schlafmützen am linken Rand eins über. Nieder mit dem Kapitalismus? Und was soll hoch? Wenn der Leninist Dath erst im FAZ-Feuilleton die Antwort geben darf, steht die liebe junge Welt noch budgetärmlicher da. Trotz aller spitzen Federn oder wegen ihnen fehlt es nach der Partei an Kapital. Die Leser sterben aus. Die Ideen sind schon ausgestorben. Analyse und Kritik allein reichen nicht. Marx ist mehr als musealer Marxismus und andererseits das schwarzbraune Haselnuss-Imperium der Geld- und Gold-Götzen.
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Mesa Semilovic
Der Derwisch und der Tod
Aus dem Buch stammt der Titel des GZ-Romans Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond
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Die FAZ-Eloge vom 7.11. auf Bloch als Tanz-Philosophen wird thematisch am 10.11. als »zeitlose Utopie« fortgesetzt. Überschrift einer Film-Rezension: Die tanzenden Scherben der Zeit, was ich etwas zerstreut las als Die tanzenden Derwische der Zeit. Den Titel meines Romans Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond entnahmen Ingrid und ich 1973 dem Roman Der Derwisch und der Tod des Bestsellerautors Mesa Selimovic, der damit auf den Balkan zielte, wie aber, wenn das deutsche Euro-Europa zur europäischen Balkanisierung führt? Zuzutrauen ist es unsern regierenden Übermenschen. Selbst der am Main gestrandete Adorno zog als beleidigter Derwisch ins postalische Feld und schrieb 1958 über Blochs Prinzip Hoffnung an Peter Suhrkamp: »Anstelle der wirklichen Anstrengung und Arbeit des Begriffs, die ein alter Hegelianer wie Bloch doch weiß Gott schwer zu nehmen hätte, ist das Buch wie ein reißendes Gewässer, in dem alles mögliche Zeug, vor allem Konservenbüchsen, herumschwimmt, überreich an einem teilweise übrigens etwas apokryphen Stoff, aber arm einfach an geistigem Gehalt.«
Nun ja, die linksintellektuellen Meisterdenker konnten sich auf Marx berufen, ging's per Galle im Aberwitz gegeneinander. Auch hatte das Paar Adorno-Bloch eine deliziöse Vorgeschichte. Dass der am Main zu Stuhle gekommene Professor dem von der Pleiße an den Neckar geflüchteten Kollegen gern ein paar Tröpfchen Gift injizierte zeigt, auch Geistesriesen domizilieren von Zeit zu Zeit gern unter der Gürtellinie.
Weiter im Bloch-Tanzschritt. Vom aufrechten akademischen Linkskundschafter Richard Albrecht ist im www.poetenladen.de Die Entschädigungsakte Bloch – Kurzmemorial zum 25. Todestag am 4. August 2012 zu lesen. Der Fund birgt reiche Ernte. Der vielfach verfolgte und immer wieder exilierte Ernst Bloch mit Ehefrau Karola erhielt 1967 vom Stuttgarter Landesamt für Wiedergutmachung im Vergleich 10.700 DM ausgezahlt. Hannah Arendt wurde jedoch, Albrecht merkt dazu »soweit ich weiß« an, eine »Höchstentschädigungssumme von gut einer halben Million DM« zugewiesen. Mein Pseudonym, der Satiriker Gert Gablenz in mir rekurriert, Bloch hätte eben mal mit dem hitleraffinen Heidegger wie Hannah A. ins Bett steigen und ihn lebenslang intern romantisch hochhalten sollen, das hätte ihm in Deutschsüdwest reichen finanziellen Segen beschert. Ingrid überlegt, ob die als Studentin liebesblinde Hannah ihrem angebeteten Martin H. später etwa einen Anteil von den 500.000 DM hat zukommen lassen. Vorstellbar wäre das. Ich weise sowohl den vorlauten Gert Gablenz wie auch Ingrid zurecht und argumentiere mit den umwerfend freiheitlichen Resultaten der friedlichen Revolution in Sachsen. Denn Dresdens schwarze Regierung und ihr staatsratgebendes Hannah-Arendt-Institut nutzen Arendts Schriften dankbar zur totalen Totalitarismus-Doktrin mit Stoß-Richtung contra DDR, was von der Philosophin so gar nicht formuliert worden ist. Was soll's, ab in die Klappe, roter Sachse, husch-husch-husch und halt die Gusch.
Erfreut lesen wir zum Ausgleich eine mail aus dem thüringisch-sächsischen Pleißenland zum 94. Nachwort : »Mein Blochbild ergänzt sich: Vom Philosophen zum umgänglichen Menschen. Interessant auch sein Verhältnis zu Marcuse und seine 4. Satzergänzung, die ihr euch wohl auf die Fahne geschrieben habt.« Absenderin ist die Germanistin Dr. Waltraud Seidel, früher Karl-Marx-Universität. Sie zählt zu den ins Umland verstreuten Ostakademikern, die von der Besatzungsmacht-West wegen zu hohen Wissensstands nicht beschäftigt werden können. Auch Slawisten und Sinologen wurden durchweg ausgebootet. Heute werden sie gesucht.
Sachsen scheint der exemplarische Fall einer Rückwende von Rot nach Schwarz direkt ins vergangene Jahrhundert zu sein. In Dresden erlauben sich Polizei und Justiz jahrelange Verfolgung linker Proteste gegen nazistische Umtriebe. In Chemnitz bagatellisiert der Regierungsratgeber Prof. Eckhard Jesse so nachhaltig den grassierenden Neofaschismus, dass die NSU-Mörderbande über ein Jahrzehnt hin Chemnitz wie Zwickau in aller Ruhe als Rückzugsgebiet nutzen kann. Als an der Technischen Universität Chemnitz eine öffentliche Diskussion mit E. Jesse stattfinden soll, erkrankt der Professor superpünklich. Doch wie die Freie Presse meldete, ist ausgerechnet dieser seltsame Extremismusforscher als Zeuge und Sachverständiger im Sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss vorgesehen.
Ernst Blochs Tanzschritten der Moderne stehen alte Affentanzschulen gegenüber. Ein unübertreffliches Exempel bieten folgende www.-Meldungen. Zwar heißt der genannte Übergeber Werner Schulz und nicht Schulze, macht nichts – Hauptsache Hetze gegen Karl Marx, da kommts auf ein e mehr oder weniger nicht an:
gedanken des monats – Wurzener Geschichts- und Altstadtverein e.V.
www.geschichtsverein-wurzen.de
Werner Schulze zur Bildübergabe von Erich Loest an die Medienstiftung der Leipziger Sparkasse am 22. September 2010 ...
Der Kommunismus als Weltanschauung war zweifellos ein großer Irrtum. Als Praxis des kollektiven Lebens wurde er zum großen Verbrechen. Oder wie es Hans Mayer im „Turm von Babel“ seinen Erinnerungen an die DDR beschreibt: „Sie wollten Gemeinschaft stiften, Brüderlichkeit, ein transzendentes oder innerweltliches Kollektiv. Alles sollte erzwungen werden und wurde gewaltsam durchgesetzt: bis es gewaltig gescheitert ist.“ Aber genau das hat mit Marx zu tun. Er hat die Vorlage geschrieben und die Vorgaben diktiert. Der rechthaberische Philosoph, der keinen Philosophen neben sich gelten ließ. Allenfalls seinen ihn finanzierenden und geistig applaudierenden Freund Engels. Für ihr Experiment sind Millionen Menschen drauf gegangen und unzählige Ideale verbraten worden … Deswegen darf man ihn von der Verantwortung für das was in seinem Namen geschehen ist, nicht frei sprechen.
Wurzen, ach Wurzen, kurz nach der Wende von Links-Kaputt zu Rechts-Kapital, als in Wurzen die Neo-Nazis ganze Straßenzüge beherrschten, lasen Erich Loest, von der Buchmesse kommend – da gab er sich noch so, wie er mir von früher vertraut war – und ich einen Abend lang trostspendend in der kleinen sächsischen Stadt. Inzwischen geben dort die Marx-Töter im Geschichtsverein den Ton an. Zu ihrem gepriesenen Herrn Schulz(e) erzähle ich liebend gern die kleine Geschichte aus meinem Bonner Abenteuerleben, Buchtitel: Krieg im Glashaus oder Der Bundestag als Windmühle.
21 Die feinen Herren Kollegen
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Werner Schulz, ist ein guter Redner, dem ich baff zuhöre, denn er schöpft seinen Zorn direkt aus Gottes Hirnschale, im Angriff gnadenlos, ein Jäger der Sünde, und zielsicher beim Abschuss des Wildes. Ich vermute, der stirnzerfurchte Mann mit dem aschgrauen Gesicht derer, die den Feinden auflauern, weil sie sich selbst nicht vergeben können, ich vermute also, da trägt einer sich selbst als Last durchs Leben. Wenn Schulz die PDS vornimmt, bin ich an meine frühen Attacken auf die SED erinnert, jetzt suchen die Spätlinge nachzuholen, was sie zu der Zeit versäumten, als es noch gefahrvoll war, den Diktatoren entgegenzutreten. Auf einem Flug von Bonn / Wahn nach Leipzig zur Wahlkampfzeit Spätsommer 1998, Genschers gelber Pullover leuchtete, ganz das Markenzeichen der Hoffnung, manche nennen es Neid, der Exminister wollte vom Flughafen Leipzig in seine Heimatstadt Halle / Saale, wo er seine Freiheitlichen aufzumöbeln hoffte, was misslang, Genschers gelber Pullover also wies mir die Richtung zu den Plätzen, wo Gregor Gysi und Werner Schulz von den Lufthansa-Geistern nebeneinander plaziert saßen und sich angeregt, freundschaftlich unterhielten, Feinde außer Dienst, Kollegen im Fluge zum Kampf um Stimmen. Ich las SZ, Woche und Freie Presse, am Abend des Buchmessensonnabend diskutierten Hermann Kant, mein lieber früherer Erzfeind und ich, einer seiner früheren Erzfeinde, in der großen neuen Glitzerbuchhandlung auf dem Hauptbahnhof, der eben zum modernsten und größten Luxuswarenhaus Europas ausgebaut worden war. Nach der Landung, beim Durchqueren des Flughafengebäudes der Eindruck völliger Fremdheit. Anschließend notiert: „Leipzig, die frühere Heimat ist mir jetzt zum fremdesten Ort von ganz Deutschland geworden.“ Als ich kurz darauf vom Tode Hans Pfeiffers hörte, war mir unser Leipzig ganz verloren: Deckel auf den Sarg. Schulz und ich wohnten in Bonn im selben Abgeordnetensilo Heussallee 7. An einem arglos reinen Freitagmorgen, die Sonne schien wie bestellt, die Luft roch nur nach sich selbst und der Himmel über uns log sich die blaueste Bläue auf die Jacke, stieg ich die Stufen vom Eingang zur Straße hinab, versenkte hausväterlich ordentlich einen Beutel Abfall in den linkerhand aufgereihten Kunststofftonnen, wandte mich zurück, um auf die Straße zu treten, da verließ der Kollege, das grüne Mitglied des Bundestages, der mürrische Werner Schulz das Haus, erschien oben auf dem Steinpodest, von wo die Stufen herabführen und ich wünschte einfach aus der Reinheit des Herzens heraus deutlich und artikuliert einen Guten Morgen. Es kam keine Antwort. Nach zwei Schritten blieb ich stehen, wandte mich um und erklärte: Sie sind wirklich ein Arsch! Der Herr Kollege glotzte. Entschloss sich zu einem Geräusch, das als einsamer Lacher gedeutet werden konnte, wäre das Gesicht, dem es entfuhr, nicht so grämlich maskiert gewesen. Das war's dann auch. In meinen gesamten vier Bonner Jahren wurde zwischen Schulz und mir kein Wort gewechselt. Mein Gruß, meine fünf nachgeschobenen Worte und sein unartikuliertes Lachen blieben die Ausnahme. Dabei hätte ich mir vom grünen Bürgerrechtler liebend gern von seinen bürgerrechtlichen Leipziger Heldentaten berichten lassen, und sei es nur, um sie zu notieren und in diesem Buche weiterzugeben, wie es Chronistenpflicht ist.
Nicht alle Anti-Marxisten aus einem Sachsen, das so viel besser war und sein kann, gefallen sich in kümmerlichen Atavismen wie Schulz, diese Zierde der Grünen aus Zwickau, wo die Mord-AG NSU in Sicherheit überlebte und von wo der Attentäter Josef Bachmann aufbrach, der im April 1968 in Westberlin Rudi Dutschke zweimal in den Kopf schoss. So langsam wird mir bei der Verteidigung Sachsens etwas unwohl. Höchste Zeit für neue Blochsche Tanzschritte. Angela Merkel riskierte bei der Dankesrede nach der Verleihung ihres Ehrendoktorhutes (h.c.) der entmarxten Leipziger Universität sogar den Namen Bloch zu nennen. In diesen Wochen jetzt bereist sie Griechenland und Portugal, wo die Politiker werkeln und merkeln, während das Volk auf den Straßen die Anti-Merkel-Revolte probt. Eine Atmosphäre aufgeheizt wie im einstigen Bauernkrieg. Das erinnert an Walter Elliger, Historiker und Theologe, SA-Mann mit DDR-Intermezzo, dann Ostflüchtling voller überströmender antimarxistischer West-Weisheiten. Blochs Sicht auf Thomas Müntzer als Theologe der Revolution sei nur eine phantasievolle Darstellung, denn Müntzer ging es allein um Gott. Dieser Elliger-Aberwitz ist nachzulesen im Spiegel / 26/1975. Ende der rechten Tanzparanoia. Wir ziehen statt des Tanzes der Derwische den der Blochianer vor: »Auch was tanzt, will anders werden und abreisen.« (Bloch in Wunschbild im Tanz)
Am Anfang war Ernst Blochs revolutionärer Wille zur Macht im Sozialismus. Blochs Werk wird unterschiedlich begriffen als
a) neues Hoffnungsdenken mit Hauptpunkt Utopie/Revolution
b) philosophischer Marxismus und Stalinismus
c) philosophischer und politischer Reformismus bzw. Reformkommunismus
Alle drei Exegesen haben etwas für sich und gegen sich. Die Partei, die Bloch 1957 als Feind diffamierte und aus der Universität feuerte, kam der Wahrheit am nächsten, wenn auch aus falschen Gründen und Absichten. Richtig ist, Bloch war genausowenig Marxist und Kommunist wie Karl Marx sich Marxist nennen lassen wollte. Biographisch und vom Werk her gibt es vier Blochs. Den weithin unbekannten Lebensphilosophen der Jugendzeit, der sich von Schopenhauer und Nietzsche herleitet und politisch-pazifistisch gegen Krieg und Lenin polemisiert.
Dann den Bolschewisten der mittleren Periode, der Leninist und Stalinist wird und sich philosophisch bis zur Sklavensprache maskiert. Endlich den janushaften alten Bloch, der die sozialistische Revolution als unkorrigierbar missglückt bewertet, im Alterswerk jedoch die stringente Selbstkorrektur verweigert.
Wer, viertens, zum Kern vordringt, muss das Werk wie ein Palimpsest lesen, durch die von Milieu, Not- und Zwangslagen aufgetragenen Schriftsätze hindurch. Nimmt man neu aufgetauchte Dokumente sowie letzte Arbeiten der Bloch-Forschung hinzu, enthüllen sich bisher unbekannte Dimensionen. Demnach war Bloch zu seiner Marx-und-Stalin-Zeit mehr Nietzscheaner als Bolschewist. Seine Neigung zur Sowjetunion und sein Stalinismus resultieren aus der Zwangslage der Absage an den früheren Pazifismus und der individuellen Unfähigkeit zum philosophischen Kompromiss. Blochs WilIe zur Macht war die Konsequenz seiner zugleich revolutionären und jüdischen Existenz im tödlichen Konflikt zwischen Stalin und Hitler.
Erst wer Bloch als Nietzscheaner erfasst, erkennt ihn auch im Alterswerk als unwiderrufenen prä- wie postmarxistischen Revolutionär, der privat leicht die sozialistische Revolution als missglückt werten konnte, leitete sein Denken doch immer im Kern zur Menschheitsrevolution über, die in seiner Jugendzeit offen, im marxgetönten Werk der mittleren Periode verhüllt gelehrt worden ist. Blochs Interesse an Sklavensprache war ein gezielter Verweis auf die Notwendigkeit von Enthüllung, Entschlüsselung, modern: von Dekonstruktion seines eigenen Werkes. Diese Dekonstruktion beginnt mit Aufarbeitung bisheriger Unter.lassungen. Bloch wurde bisher lediglich marxistisch bzw. antimarxistisch gelesen und interpretiert. Der existenzphilosophische Kern blieb unberücksichtigt. Dies zu ändern bedarf es einer Drehung der unterbelichteten Seiten, dieser Verlegenheiten des eitlen Zeitgeistes, ins Licht. Das beginnt mit der Frage, weshalb Bloch drei lebensphilosophische Sätze dutzende Male wiederholend an Textanfänge stellte, einen bestimmten Text über Jahrzehnte geheim hielt, manche Ideen systematisch verrätselte und nur im Gespräch offenbarte. Die genauere Exegese ergibt einen neuen, ganz anderen, revolutionären Philosophen, den Abschied vom vertrauten Bloch-Bild und den sich selbst perpetuierenden Nachäffereien akademischer Tretmühlengänger, deren postmoderner, flotter Opportunismus den letzten philosophischen Revolutionär aufs eigene Mittelmaß einzuebnen bemüht ist.
In Sklavensprache und Revolte heißt es auf Seite 347: »Nach dem Ende des zweiten deutschen Staates wird der Versuch Blochs, eine freiere Gesellschaft zu begründen, zur Brücke über die schwarzen Abgründe des Nihilismus.« Der Nihilismus der Berliner Republik heißt seit längerer Zeit NSU – seit einem Jahr wird das vereinigte Deutschland mit seinem Nationalsozialistischen Untergrund nicht fertig. Der ist die Spitze des in den Osten verschobenen Eisbergs deutscher Vergangenheit. Dafür gibt es schlechte Gründe genug. Als 1996 im Bonner Bundesrat endlich die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren anstand, stimmten die Freistaaten Sachsen und Bayern dagegen. Wer ist da frei wovon? War Hitlers Vernichtungskrieg keine Fahnenflucht wert? Bloch schon 1918: Kampf, nicht Krieg. Da haben Politiker Nachholbedarf. Es fehlen die Tanzschritte gegen den Krieg. Die Blochianer hatten 1957 in der DDR ausgetanzt und in der BRD wurde nur Gymnastik daraus.
Inzwischen tanzen Obamas Generäle aus der Reihe, Schon Adolf H. hatte da Ärger mit seinen Militärs. Herr von Blomberg heiratete eine Nutte, was die Kameraden fälschlich für unstandesgemäß hielten, Herr von Fritsch wurde unzutreffend als homosexuell verdächtigt wie später der Bundeswehr-General Günter Kießling – Generäle haben nicht schwul zu sein, schon der Anschein lässt sie stürzen.
Obamas Generäle heirateten, zeugten treu und brav ihre Kinder und werden plötzlich mehrschläfrig, bis die Geliebte der vermeintlichen Rivalin droht: »Lass die Finger von meinem Kerl!« Der Kerl ist der hochdekorierte, hochgelobte David Petraeus. Ein zweiter Kommandeur steht im Zwielicht – US-General John R. Allen – fürs erste wegen unangemessenen E-mail-Verkehrs, wo immer er sonst noch verkehrt verkehrt hat, ist ungeklärt.
Da ist unsere Bundeskanzlerin von anderem Kaliber, kein Sex-Verdacht nirgends.
Zwar droht im südlichen Europa per Generalstreik ein revolutionärer Aufstand wie 1848 und global ein Schwarzer Freitag im Quadrat, Angela aber steht fest und kann nicht anders als hieße sie Martina Luther.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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