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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 77. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
77. Nachwort |
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Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
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Römisches Mosaik
Augiasstall
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Den noch etwas helleren Köpfen im bourgeoisen Okzident wird langsam mulmig zumute. Leben wir denn im Stall des Augias? Ein paar vormalige Halbtrotzkisten rufen, sich erinnernd, nach Karl Marx. Zwei Leitartikler lernen heimlich chinesisch. Mao dichtet, von Merkel angefeuert, aus dem Mausoleum heraus neokapitalistische Kampflieder. Stalin dreht sich in der Urne an der Kremlmauer um, dass Putin erwägt, sich dreimal taufen zu lassen. In der FAZ tagt das Herausgebergremium zum Thema: Haben wir Marx zu früh entlassen? Sollen wir ihn wieder einstellen? Das Feuilleton ist dafür, die Politik dagegen. Die Wirtschaft gibt auf. Der Wetterbericht sagt schweres Wasser voraus. Merkel berät sich indessen, wir träumen jetzt futuristisch, mit Lafontaine / Wagenknecht, während Gysi die SPD der Linkspartei zu integrieren versucht, dass Gabriel zur Heilsarmee flüchtet. Da ärgern die Grünen sich schwarz und die Schwarzen ergrünen. Nur die letzten fünfeinhalb FDPler leisten Widerstand, bis Brüderle trockengelegt ist.
Wir aber versuchen Sachsens Sumpf trockenzulegen. Schon als Napoleons Heer Moskau erobern wollte, zählten sächsische Truppenteile dazu, die erst in der Leipziger Völkerschlacht 1813 vom Kaiser abfielen und, kein Beispiel besonderer Ehrenhaftigkeit, gegen ihre bisherigen Kriegskameraden vom Leder zogen. Das Exempel – die Russen marschieren in Deutschland ein, nachdem die Deutschen Russland in Besitz zu nehmen versuchten – wurde im 19. Jahrhundert vorgeprobt, ehe das 20. Jahrhundert den Vorgang bis zum Exzess trieb. Wer dies unbedacht lässt und sich wie Pastor Gauck ein unbeschadetes blütenreines Kriegsgewissen zurechtlegt, ist gewiss eine Zierde des kirchlichen Standes. Die Rechten sammeln sich indessen. Der schöne Traum vom Frieden endet. Sicherheitsbehörden und Öffentlichkeit sind überrascht. Wird der nationalsozialistische Untergrund, der sich tatsächlich so nennt, bald Richtung Moskau aufbrechen, das Todesurteil an Sachsens Gauleiter Mutschmann zu rächen? Was hören wir da – beim Dresdner Hannah- Arendt-Institut – (HAIT) – kam plötzlich und unerwartet eine kritische Mutschmann-Biographie heraus? Das wundert einen, der sich mit den sonstigen dortigen Hervorbringungen auskennt.
Oft genug äußerten wir uns exakt dazu. Was sich in Dresden HAIT nennt, ist mit so weltanschaulichen Schwarzfrontkämpfern wie Backes, Jessen und anderen Verfolgern antifaschistischer Widerständler eine einzige permanente Beleidigung der Namensgeberin. Wenn Neonazis heute den Hitler-Attentäter Georg Elser verunglimpfen, können sie sich auf das Dresdner HAIT berufen, das damit voranging. Wenn aus den schwarzbraunen Sümpfen jetzt ein Aufklärungsbuch über Mutschmann auftauchen kann, verblüfft und erfreut es uns derart, dass wir hier den letzten heldenhaften Aufruf der braunen Nazi-Kröte abdrucken und dem HAIT für das Dokument danken. Offenbar schien es Hannah im Antifa-Himmel hoch an der Zeit, in dem nach ihr benannten Saftladen mal für den nötigen Linksgeist zu sorgen.
Einer der letzten fanatischen Aufrufe Mutschmanns in:
Der Freiheitskampf vom 17.4.1945
Diese Sachsenserie ist meine subjektiv-autobiographische Antikriegs-Erzählung im Blick auf fast 100 Jahre fassbaren Lebens in Distanz zur antiquierten Denke und Sprache von Politik und Geschichte, eine Subjekt-Revolte, der partisanenhafte Einzelfall im unerforschten Strom von Einzelfällen. Das begann für das lesewütige Kind, als es im Roman Das Feuer von Barbusse die ehrenden Worte für Karl Liebknecht über die trennenden Schützengräben hinweg fand. Das war es. Das bleibt es.
Da besorgt ein Dokument wie der letzte Nazi-Gauleiter-Aufruf zum Krieg gegen den linken Feind nur die heute gewünschte Nachhaltigkeit. Für Schopenhauer war der Mensch ein Raubtier. Das stimmt für die Vorgeschichte. Militär und Völkerschlachten zählen zur Vorgeschichte der Menschheit, wo bis heute die Räuber und Mörder leben. Der Friede ist Kulturleistung oder bloß Fressnapf für Kampfpausen Nietzsche: „Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen.“ Wer Kriege führt oder nicht verhindert, wird in sie verwickelt. Am Anfang entscheiden Politiker und Militärs darüber. Wird gesiegt, ist es auch am Ende so, wird man besiegt, ist von Schuld zu reden die Sache der Priester und Pastoren, die das gerne tun, während die Generation der Söhne und Töchter den Eltern Vorwürfe macht. Bei den Enkeln beginnt das Kriegsspiel von neuem. Alle bisherige Geschichte ist Kriegsgeschichte, Im Krieg sagen die Soldaten, was sie sagen müssen. Wer was andres sagt, gerät in verzwickte Situationen. Würden die Soldaten sagen, was sie fühlen, gerieten sie alle in die Bredouille. Lieber sagen die Soldaten das, was von ihnen erwartet wird und bringen einander um. So bleibt alle Geschichte Kriegsgeschichte. Die Hoffnung, diese Kriegsgeschichte durch Revolutions-Geschichte abzulösen hat getrogen, weil es den Kriegern gelang, die Revolutionen in ihre Kriegsgeschichte zu integrieren. Und da Revolutionen wie die Pariser Kommune von 1871 und der Russische Oktober 1917 in die bloße Verteidigung gezwungen wurden, erhält die Kriegsgeschichte ein neues Kapital angefügt statt zu enden. So bleibt Menschengeschichte Raubtiergeschichte.
Das Meer am Morgen, Volker Schlöndorffs neuer Film, erzählt „von Ernst Jünger, verbeugt sich vor dem französischen Nationalhelden Guy Moquet –“ So ist es am 6. 2. 2012 in der FAZ zu lesen und Andreas Kilb schrieb ein kenntnisreiches Requiem für einen Knaben dazu. Der Knabe war freilich ein siebzehnjähriger Kommunist, als er am 22.10.1941 von Wehrmachtssoldaten als eine von 50 Geiseln erschossen wurde. Nachzulesen ist das in Ernst Jüngers Schrift zur Geiselfrage, zu der ihn General Otto von Stülpnagel veranlasste, als „Rechtfertigung im Fall einer deutschen Niederlage“, wie Kilb exakt notiert. Jünger aber zehrt vom Ruhm, den letzten Brief Moquets übersetzt zu haben. Ich warte nun auf Schlöndorffs emphatischen Film über die Hinrichtung des deutschen Wehrmachtsdeserteurs, deren Vollzug Hauptmann Ernst Jünger selbst gehorsam kommandierte. Wer überliefert den letzten Brief des exekutierten Deserteurs?
Lieber Volker Schlöndorff, falls Du ein paar kriegspoetische Informationen benötigst, in unserer online-poetenladen-Serie ist darüber allerhand zu finden. Etwa im 58. Nachwort – Titel: „Ernst Jünger und sein befohlenes Erschießungskommando ...“
Als Altüberlebender frage ich mich, wie kommen diese aufeinanderfolgenden Minister, Parteiführer, Generäle, Unternehmer und Milliardäre eigentlich dazu, von unsereinem Gehorsam einzufordern? Ich erinnere mich, wie ich 1933 als Siebenjähriger die über Nacht abhanden gekommene Weimarer Republik suchte. Wo war sie? Im Schrank? Unterm Bett? Danach traten der Reihe nach an: Hitler / Stalin, Adenauer / Globke, Ulbricht / Honecker und darauf gab's nach sechzehn Jahren Kohl usw. die Einheit, da haben wir nach nun auch schon sieben Jahren Merkel im Angebot, die auf dem goldenen Euro durch die Lande reitet, hoffend, er sei kein verrostetes Blech. Einen Präsidenten nach dem andern hievt sie auf den Thron, doch die Elite sitzt so höllentief im Schlamm, da findet sich keiner mit weißer Weste. Wie wär's mit dem luthernachfahrenden Friedrich Schorlemmer? Er ist aber nicht katholisch und war in der DDR schon mal pazifistisch verseucht. Das spricht gegen ihn.
Vielleicht sollte ich mich in einer wahnwitzig heiligen Eingebung selber vorschlagen: Mit 19 Jahren der Wehrmacht entlaufen. Mit 23 Jahren SED-Mitglied. Mit 32 Jahren Partei-Ausschluss und Haftbefehle. Anschließend 54 Jahre – bisher – politisch-literarisch-publizistische Linksopposition, davon unvergessliche 4 Jahre im Bonner Bundestag. Reicht das fürs Präsidentenamt? Gleich gibts Maluspunkte. Papa und Mama waren nicht in der NSDAP. Ich auch nicht. Als gelernter und weiter ausübender Deserteur würde ich bei Staatsbesuchen die angetretene Ehrenkompanie sofort entlassen. Geht nach Hause, Jungs und lernt was Ordentliches. Wer weiß denn, wie das Volk entscheiden würde, hätte es die Wahl. Albtraum: Pastor Gauck als Wunschpräsident! Das komplettiert sich automatisch. Die CSU bläst ihr Guttenberg-Barönchen zum Kanzler auf. Sarrazin wird Außenminister mit Steinbach als Botschafterin in Warschau. Roland Koch wird Innenminister, Wulff Justizminister. Wer tritt an als Verteidigungsminister? Da stünde General a.D. Naumann zur Verfügung. Warum gerade er bei so reicher Auswahl? Das will begründet sein: Obzwar die FAS als FAZ im Sonntagskostüm Erlaubnis für allerlei Frech-Freiheiten besitzt, muss sie doch ab und zu starken Tobak liefern. Am 1. Januar 2012 durfte Klaus Naumann, Bundeswehr-Generalinspekteur und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses a.D. sich melden und Gott, Luther, die Kirche sowie sich selbst lobpreisen. „Ich sage euch, dass ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt.“ Nachsatz Naumann: „Dieser Rat war falsch.“ So sind sie, diese Christen. Unsere Frage: Und wenn du, General, der und das Böse bist? Naumann: „Ich habe mich 1958 in grauer Vorzeit, als Soldat gemeldet und dann 41 Jahre lang die Uniform der Bundeswehr getragen …“ Was die graue Vorzeit betrifft, war es mehr eine feldgrau-braune, die der treue Soldat Naumann fortsetzte. Das will bewiesen sein. Am 8.11.1995 sagte ich in der 67. Sitzung des Deutschen Bundestages laut Stenographischem Bericht:
... zum Glück
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Diese ostentativ schamlose Kaiser-Wilhelm-Rehabilitierung fand 1995 im Bonner Bundestag statt. Da war die DDR bereits fünf Jahre lang einbezogen. Inzwischen sind deutsche Soldaten weltweit im Einsatz, obwohl Aussatz verbal exakter zuträfe.
Verhielt die DDR sich besser? Wie beidseitig friedensuntauglich die zwei deutschen Staaten sich artikulierten, notierte Hannes Schwenger 1983 als „Orwells deutsche Wirklichkeit“ in seiner bei Piper erschienenen Schrift Im Jahr des Großen Bruders:
Gauleiter Mutschmanns Dresdner Alarmruf von 1945 gegen den Feind, der in den Sachsengau eingedrungen ist, verwechselt wie üblich die Fronten. Der ärgste Feind war er selbst. Die Aufklärung, vom Hannah-Arendt-Institut, wenn auch sehr verspätet ausgehend, erfreut uns, doch wann klärt das Institut über General Naumanns Kaiser-Wilhelm-Lobpreisung auf? Und wer riskiert eine fundamental christliche oder sozialistische Kritik an den seither illegal legalisierten neuen deutschen Kriegs-Beteiligungen? Mutschmann war der Typ des kriegerischen Brutalniks, Naumann gibt den Part des zivilen Strategen. Die Differenz schläfert ein. Soviel zur Taktik.
Zwischen den Kriegen leben die Diplomaten als aufrechte Schnecken wie von Grass gebenedeit. Neulich war überall Genscher. Auf der Mattscheibe erschien er als originalgetreuer Soldat der sagenhaften Armee Wenk, die den Führer raushauen sollte, was nicht mehr klappte. Dafür überbrachte er jauchzenden DDR-Flüchtlingen in Bonns Prager Botschaft die Genehmigung zur Ausreise. Die ganze DDR folgte nach. Kroatien und Slowenien erkannte er 1992 so eilig an, dass Jugoslawien wie 1941 zerfiel. Überall Genscher, der gelenkige Phänotyp für jede Geschichtsepoche vom Eozän bis übermorgen. Aus Leipzig ist zu hören, die vormalige Karl-Marx-Universität solle nach Hans-Dietrich Genscher benannt werden. Im Spiegel Nr. 1/2012 taucht der windschlüpfige Herr als NSDAP-Mitglied auf, will davon aber nichts gewusst haben und bis heute nichts wissen. Jedenfalls ein würdiger Namenspatron für Leipzigs Uni. Ich hab gar nichts gegen ihn. Nur gegen den Windschlüpfer-Typ. Warum fällt mir in dieser Nachbarschaft gleich wieder Joachim Gauck ein? Das absehbare Ende des gegenwärtigen Bundespräsidenten Wulff bringt Pastor Gauck erneut ins Spiel, der sich stolz bescheinigt, „mit einem gut begründeten Antikommunismus aufgewachsen“ zu sein. Das dürfte stimmen. Gaucks Mutter war als alte Kämpferin ab 1932, sein Vater ab 1934 in der NSDAP. Repräsentiert Sohn Joachim schon vom familiären Hintergrund her die Mehrheit des deutschen Volkes sowie den erneuten Rückwärtsgang zur Großmacht? Ein veritabel antikommunistischer Nazi-Nachkömmling im Bellevue passte doch prima in die beschleunigte Rückwärtsbewegung.
Ingrid entsinnt sich der Friedenspreis-Verleihung des Deutschen Buchhandels 1967 an Ernst Bloch. In die Paulskirche geleitet wurde der Philosoph vom damaligen Bundesminister für Wirtschaft, Karl Schiller, dem seine Entourage auf dem Fuße folgte. Durch den Mittelgang bewegte man sich sehr gemessen. Mir lag die ganze Zeit ein in diesen Jahren grassierender Slogan auf der Zunge: Schiller, Schiller, Zechenkiller. Nicht zu vergessen die Verstrickung des NSDAP-Mitglieds Schiller und seine ökonomischen Ratschläge im Dritten Reich. Man fragt sich, ob es 1967 keinen weniger nazibelasteten Regierungspolitiker zum Paulskirchen-Geleit für den deutsch-jüdischen Denker Ernst Bloch gab.
Soweit Ingrids Erinnerung. Doch wer, von Willy Brandt abgesehen, hätte ohne braune Flecken in Kleidung und Charakter die Rolle übernehmen können, wenn's doch kein freischwebender Linksintellektueller sein durfte? Lieber braun statt rot. Heute treten die Nachfolger der Nazis, Gründer und prägenden Figuren der Bonner Republik, was erst jetzt mit Hängen und Würgen eingeräumt wird, wie deren Mumien auf, eingebaute Tonbänder abspulend und wie die Vorfahren Linksverbote fordernd. Seit 1989/90 siegen sie auch wieder. Am 23.1.1995 schon hatte ihnen Egon Bahr per Spiegel-Leserbrief ins Gewissen geredet, dessen Vorhandensein hoffnungsvoll voraussetzend: „Die Rassengesetze bleiben ein untilgbarer Fleck auf der deutschen Geschichte. Deshalb war und bleibt es ein Fehler, den Kommentator der Rassengesetze, Globke, zum Chef des Kanzleramtes gemacht zu haben. Obwohl Adenauer damit erreicht hat, was er erreichen wollte. Es wäre mehr als ungerecht, die Ostdeutschen heute härteren Kriterien zu unterwerfen. Deshalb bin ich für ein Schlussgesetz, das nur Kapitalverbrechen ausnimmt. Südafrika war mit seinen Rassengesetzen schlimmer als die DDR. Mit einen Stasi-ähnlichen Gesetz gäbe es dort Bürgerkrieg statt den weisen Versuch Mandelas zur Aussöhnung.“
Was heißt Aussöhnung in Deutschland? Der Westen verargt dem Osten die DDR als wäre sie wie er selbst keine Hitler-Kriegs-Folge gewesen. Und trotzdem eine Hoffnung. Für junge Leute wie ältere Genossen erschien Stalin 1945 als Sieger über Hitler. In ihrer Erinnerung wirkt Josef Wissarionowitsch S. jugendhaft vergoldet. Man lebte nicht unterm Druck Stalins, man trug ihn als Konterfei des Sieges, weil er Befreiung vom Nazi-Reich brachte. Als Brecht nach Chruschtschows Rede gegen Stalin den roten toten Helden einen Verdienten Mörder des Volkes nannte, leistete er sich kurz vorm eigenen Tod eine letzte Dekonstruktion. Stalins Genossen können für sich und ihre Kriegszeiten als Argument vorbringen, ihr blutrot lackierter Generalissimus Janus brach, mit Ernst Thälmann gesprochen, Hitler das Genick. Was haben Hitlers Gefolgsleute dem entgegenzusetzen, die Herren Mitmarschierer bis zur letzten Stunde wussten ja, ganz wie Göring in Nürnberg, nichts von Dachau und Auschwitz. Die deutsche Treue lebt von selbstbestimmter Blindheit.
Vom Westen aus zurückblickend sagte Bloch, er habe in Leipzig nur die Geschichte der Philosophie statt der eigenen vorgetragen. Eine taktisch kluge Entscheidung, sonst wäre er gleich von Beginn an gescheitert. Wer allerdings wollte, der vernahm mehr als Lehrbuchweisheiten. Das begreifen manche heute noch nicht. Bis zur Bekanntschaft mit dem Philosophen war ich ganz zufrieden damit gewesen, meine kleine Gablenzer Bodenkammer-Bibliothek vor der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 bewahrt zu haben. Diese Literatur war meine winzige widerständige Welt geworden. In Leipzig trat Blochs Kernsatz Kampf, nicht Krieg hinzu. Pazifismus als Haltung? Résistance nicht ausgeschlossen. Mit Trotzki überlebte die Leninsche Revolution, bis Stalin ihn ermorden ließ. Für den Sieg über Hitler-Deutschland reicht es noch, dann war der Tank leer. Blochs „Absage an jeden Dogmatismus“ (Ekkehard Martens) leitete die erst verfolgte, dann verschwiegene Leipziger Periode des Dekonstruktivismus ein. Die zu Parolen und Klischees verkümmerten Allgemeinheiten mussten auf den Prüfstand. Das wurde ab 1956/57 als Konterrevolution verfolgt. Der Rest schleppte sich gerade noch bis 1989/90 hin. Die siegreiche Bonner Bundesrepublik aber wusste ihr unverdientes Glück nicht zu nutzen und setzte auf Unterwerfung, Besitzstandserweiterung und Linkenhatz.
So will's die deutsche Tradition. Als sie auch noch den linksintellektuellen jüdischen Widerstandsdenker Bloch im Osten vergessen machten oder wie im Westen bagatellisierten, begann ich die DDR als unsere unter Wert und Moral verschleuderte Chance zu verteidigen – mit Marx, Trotzki, Bloch und unseren Träumen. Kampf, nicht Krieg eben. Im Gedicht Die Mutter der Freiheit heißt Revolution, entstanden 1956 im Leipziger Mendelssohn-Haus, lautet die erste Zeile: Die alte Erde hält den Atem an – das war mir den prompt folgenden Partei-Ausschluss wert. Die alte Erde hält noch immer den Atem an. Sie kann daran ersticken. Wer aber als Linker heute darauf wie damals reagiert, hat nichts begriffen. Das führt zu Krieg, statt Kampf. Heute warnen unsere Oberen als hießen sie alle Hubertus Knabe vor einer Bagatellisierung der weiland DDR. Sie war aber kein Augiasstall oder es betrifft beide Deutschlande. Die alten Griechen mobilisierten Herakles gegen den Augiasstall. Wir setzen bescheiden auf Marx gegen Nietzsche, der die ewige Wiederkehr des Gleichen predigte. Was für eine Miseren-Parole. Seit 1848 verloren die Deutschen jede Revolution. Selbst die Reformation gelang ihnen nur halb. Man könnte sie vollenden. Auch dazu sind sie – Wetten dass? – unfähig.
Dies notiere ich am 16.2.2012. In der Zeitung wird gemeldet, Edmund Stoiber stieß am Vortag in Kelkheim auf dem Podium vor 500 Gästen sein Glas um, zeigt aufs leere Gefäß und ruft unter großem Beifall aus: „So ist der Euro.“ War's das also, ihr parteichristlichen Schelme? Stoiber hatte noch einen feinen Satz drauf: „Sollen etwa die Chinesen künftig die Welt bewegen?“ Stoiber tat's in Kelkheim jedenfalls nicht. Stieß nur sein Glas um. Wir aber kehren in die unvergangene, jedenfalls unter Wert geschlagene Alternativwelt zurück. Denn die Chinesen bewegen die Welt.
Während Stoiber in Kelkheim sein weltbedeutendes Getränk umwarf, durfte Sahra Wagenknecht in der ARD-Runde bei Anne Will ein paar Tatsachen verkünden. Heiner Geißler sagte dasselbe, nur mit christlichem Herzblut. Dann baldowerte die Runde weiter ihrer Endzeit entgegen. Wer von links her dabei mithalten will, muss es wissen. Deutschland scheiterte bei der Europa-Welt-Eroberung zweimal mit Waffen und mit Kapital beim dritten Mal. Sie nennen es nur EURO und schmeißen es um.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
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- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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