Am 30. Mai 2008 lag die Sprengung der Leipziger Paulinerkirche exakt 40 Jahre zurück. Die Medien waren üppig bestückt mit Erinnerungen und Empörungen. Im Leipziger Stadtparlament hatte es 1968 eine einzige Gegenstimme gegeben, wird mitgeteilt. Nicht aber, von wem die Gegenstimme stammte - Tatsache, auch vier Jahrzehnte danach bleibt dieses tapfere Nein von LVZ bis FAZ anonym. Warum wohl? Erich Loest nannte den unfreiwilligen Anonymus »Leipzigs letzten Helden« und äußerte sich später nicht mehr dazu. Was steckt dahinter? Nun denn, Nein sagte damals ein aufmüpfiger Pastor, der nebenbei noch als Stasi-IM agierte, was ihn am Protest nicht hinderte. Wer es genauer wissen will, der sei auf Folge 17 unserer Serie verwiesen, Kapitel: Der Schatten Leo Bauers. (Leipzigs letzter Held, Dingsda-Verlag 2001)
Die Schwierigkeiten im Umgang mit der Wahrheit, von denen Brecht schon handelte, nehmen offenbar nicht ab, sondern zu. Details, die nicht in den Kram (die Linie) passen, werden verfälscht oder ganz vergessen.
Ein Adenauer-Minister, der schon in jungen Jahren an Hitlers Marsch zur Münchner Feldherrenhalle teilnahm, als einer der letzten Helden? So behielten West wie Ost ihre ganz spezifischen Leichen im Keller. Das sind nach Karl Kraus Familienbande mit der Betonung auf Bande – und die Presse fungiert als deren Sprecher, der weiß, wer die Kasse verwaltet und was jeweils als verbindliche Politik und Kultur zu gelten hat. Die Pflege ideologischer und religiöser Vorurteile gehört in Deutschland nach wie vor Hölderlin zur Hochkultur besitzender Schichten samt ihrer Militärkaste mit medialen Hauptleuten und Computer-Kulis.
Heute morgen lese ich in der Zeitung, es gibt in Rumänien nur noch etwa 15.000 Siebenbürger Sachsen und so sterbe bald ihre »einzigartige Sprache aus.« Wie man weiß, sterben sogar wir echt »sächsischen Sachsen« unter der BRD-Sonne bald weg. Ohne unsere einzigartige Sprache kommt nach uns nur noch die Sintflut. Obwohl wir notfalls sogar hochdeutsch können. Erst verschwanden die Dialektiker, dann der Dialekt.
Während die einen Deutschen samt Sudetendeutschen noch in x-ter Generation die verlorene Heimat beklagen, dünnen außer den Siebenbürger Sachsen auch die Mittel-Ostdeutschen ihr Land, vormals DDR, derart aus, dass sich die Wölfe aus Sibirien ansiedeln. Hitlers Wolfsschanze in Ostpreußen zieht so ganz eigentümliche Folgen nach sich.
Sonst ist Abbau angesagt, der seltsamerweise so teuer kommt wie der Aufbau, der auch schon teuer genug war.
Am Montag, dem 21.4.08 stand in der FAZ: »Beispielsweise war ja bei Golo Mann schon immer zu beobachten, dass seine Urteile … mit großer innerer Freiheit gefällt wurden.« Da fällt mir doch gleich die Schlagzeile der Bild-Zeitung vom 31. Juli 1975 ein: »Golo Mann: In 10 Jahren ist Europa marxistisch.« Im Text wird dann nachgelegt: »Mißtraut den Sowjets.« Inzwischen sind mehr als 3 Jahrzehnte vergangen. Offenbar ist Europa längst marxistisch. Wir merken es nur nicht. Oder doch? Eilte die NATO den in Afghanistan besiegten Sowjets zu Hilfe, weil wir marxistisch geworden sind? Jedenfalls verteidigen deutsche Bundeswehrsoldaten unsere Freiheit dort, wo Sowjetsoldaten nach einem Jahrzehnt Krieg den Schwanz und die Fahne einzogen. Danach verließen sie auch das westvereinigte Deutschland, doch die NATO ist den Russen auf den Fersen bis kurz vor Petersburg, Moskau und was weiß ich wohin noch. Sogar der romantische Liquidator Gorbi zeigt sich neuerdings erschüttert und will den Amerikanern nicht mehr glauben. Armer ent- und getäuschter Träumer.
Das Kind ging an der Hand der Großmutter durchs Dorf. Die Frau blieb an fast jedem Haus stehen. Zeigte darauf: Hier ist der Mann im Krieg gefallen, dort der Sohn, da der Bruder …
Fragte das Kind: Wenn sie gefallen sind, warum standen sie nicht wieder auf?
Kinder fallen leicht und sind schnell wieder auf den Beinen. Das Kind lernte: Im Krieg fallen ist endgültig. Das Kind dachte: Ich gehe nicht in den Krieg, wenn sie dort fallen, ohne wieder aufzustehen. Das Kind hörte von einem zu Tode gekreuzigten Mann, der wieder lebendig wurde und auffuhr in den Himmel. Das Kind wollte weder fallen noch in den Himmel kommen, es lief an Großmutters Hand nach Hause, diesem Mittelpunkt seiner Welt in einem Dorf irgendwo am Anfang und Ende der Zeit, die es so wenig begriff als wäre jeder Tag unendlich.
Im Sächsischen heißt Wurst Wurscht, in der Schule aber heißt Wurscht Wurst. Das Kind lernte, es gibt zwei Sprachen. Daheim sagte es Wurscht, außerhalb Wurst. Nur wenn ihm später etwas so egal war, dass es ihm scheißegal wurde, fiel er in den regionalen Dialekt zurück und erklärte: Das ist mir wuscht!
Indem er sich so indirekt ausdrückte, statt scheißegal zu sagen, begann er die Diplomatensprache zu erlernen, in der er später eine Variante der Sklavensprache erkannte.
Als das Kind den Erwachsenen zugerechnet wurde, hörte es (er) bei einem berühmten Professor Frings, dessen Bruder in Köln als Kardinal residierte, Vorlesungen über ein Fach »Mittelhochdeutsch« und legte darin sogar ordentliche Prüfungen ab. In Erinnerung blieb ihm der Begriff »Lautverschiebung«. Gemeint waren geographische Sprachwandlungen, oft von einem nahegelegenen Ort zum anderen. Er dachte an den Turmbau zu Babel. Als er später in Köln den Kardinal predigen hörte, wusste er nur, er verstand ihn nicht. Und seine Nachfolger noch weniger. So prallten die religiösen Lautverschiebungen an ihm ab. Sie waren ihm wurscht.
Er gewöhnte sich bald an, die erlebten Differenzen zu notieren. Als Soldat im Krieg bekritzelte er Zeitungsränder und Papierschnipsel. Ab seinem 25. Lebensjahr führte er Tagebuch. So wurden Lebensstrukturen entdeckt, aus denen nach und nach an die hundert Bücher entstanden.
Damit der Bundestag nicht gänzlich als witzlose Kleinkunstbühne wirken möge, gründeten vitale Parlamentarier ein Laienkabarett mit künstlerischen Ambitionen. Am 28. Mai 2008 spielte es zum 77. Mal seine Gysi-Nummer. Regie Frau Birthler, die es schon mit Kohl und Stolpe vergeblich versucht hatte. Erwähnenswert ist, dass die Ankläger im Reichstagskabarett in Robert Havemann einen verbürgten Antifaschisten und Sowjet-Agenten lobpreisend verteidigen. Sonst werden Kommunisten bei uns durchweg verdammt, beschimpft, verfolgt, bestenfalls verschwiegen, besonders wenn sie wie Thälmann von Nazis ermordet worden sind. Gegen Gysi aber wird der tote Havemann in Stellung gebracht. Ich war mir mitnichten sicher, ob der permanent angeklagte Gysi vom wirklichen Gregor oder auch von einem MdB-Laiendarsteller gespielt wurde. Offensichtlich nahm er den Fall ernst. Das spricht gegen die Schauspieler-These. Handelte es sich jedoch um den tatsächlich agierenden Gysi, vergriff er sich mit der Ernsthaftigkeit im Stilmittel. Es war sonnenklar, das MdB-Laienkabarett bot eine Posse unterhalb jeder Glosse. Also Gosse. Schon der Ort, an dem das Stück aufgeführt wurde, signalisierte die schmierenkomödiantische Absicht der Regie. Die herbeizitierte anklägerische Juristerei gerierte sich, als ginge es um Dantes oder Littells Hölle und stammte doch nur aus dem alten Reichstag. In mir regte sich das Kind mit seinem auf Sprache achtenden Ohr. Wurde es zum verlängerten Ohr des Dionysios? Der tyrannische Größenwahn erklang kabarettistisch. Bei Heinrich Heine steht sehr passend: »Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenn auch die Herren Verfasser …« Moderne Ergänzung: Inzwischen gibt es in diesem Stück auch einige Damen Verfasserinnen …
Am 22. Juni 1995 hob ich das bundestägliche Wohlbefinden durch eine Presseerklärung aus den Angeln. Weil wieder mal die Jagd auf Gregor Gysi eröffnet war, konterte ich unter der Überschrift Ich stehe zu Gregor Gysi frisch von der Leber weg mit den Worten: »… Was gegen Stolpe misslang, soll gegen Gysi nachgeholt werden. Den Hoffnungsträger Modrow hat man auch schon kleinzukriegen versucht.
Mit Gysi soll die Erneuerungsfähigkeit der PDS getroffen werden. Darüber hinaus geht es gegen alle DDR-Bürger, denen Minderwertigkeitsgefühle und Scham eingeredet werden.
Soweit Gysi als Anwalt innerhalb der DDR-Rechtsordnung blieb, wird ihm mangelnde Opposition vorgeworfen. Soweit Gysi seinen Mandanten optimal half, werden daraus Verratsvorwürfe konstruiert, Hitlers Kinder rächen sich an Hitlers Opfern. Der Delinquent entstammt einer kommunistisch-jüdischen Famllie, die 18 Verwandte im Dritten Reich verlor. Der Kampf geht weiter. Das intrigante Zusammenspiel von Gauck, Bohley und rechten Bundestagsausschußmitgliedern weist, wie Stefan Heym bereits anmerkte, Parallelen zur Affäre Dreyfus auf. Wir werden die Umtriebe protokollieren für die nächste Wende. Sie kommt gewiß in diesem wendereichen Zeitalter.
Ein persönliches Nachwort: Über 30 Jahre hin bis zu 1989 solidarisierte ich mich ungezählte Male mit den Opfern der Diktaturen. Meine Stasi-Akte ist 33 Jahre lang. Heute nach dieser unfairen Wende solidarisiere ich mich mit den jetzt Benachteiligten im Osten und besonders mit der PDS.
Es waren Kommunisten, die unter Hitler und Stalin die meisten Opfer bringen mußten. Auch unter Ulbricht und Honecker. Mein Freund Leo Bauer wurde noch zum Tode verurteilt, meine Freunde Harich und Janka zu 10 bzw. 5 Jahren Haft. Diese Genossen besitzen das Erstgeburtsrecht der Opposition. Nicht jene paranoiden Revolutionsparodisten, die erst auf Gospodin Gorbatschows Genehmigung warteten, um sich unterm Kirchendach hervorzuwagen. Ihr Rachegeschrei ist bloße Anmaßung …
Ich stehe zu Gregor Gysi und hoffe, er hält durch gegen die zur Büchse der Pandora gewordene Gauck-Behörde. Entweder wir verschließen sie oder öffnen die westlichen Geheimakten. Der jetzige Zustand verstößt gegen die grundgesetzliche Gleichheit aller Bürger.«
An dieser Erklärung war ein Wort falsch. Der Satz: »Wir werden die Umtriebe protokollieren für die nächste Wende …« war ursprünglich im Singular formuliert: »Ich werde …« Der Übergang vom ICH zum WIR ist Folge einer Verlegenheit. Statt das lange zu erläutern, sei nur kurz gesagt, ich hatte das ICH meiner Tagebuchnotizen gerade mal satt und flüchtete zum solidarischen WIR, nicht ahnend, was das anrichtete. Meine Absicht, Gregor Gysi etwas zu entlasten, misslang gründlich, denn nun galt ich als Sprachrohr geheimer PDS-Absichten. Ich muss ein Übermaß an Naivität einräumen, weil ich mir nicht hatte vorstellen können, was jetzt losbrach. Von BILD über FAZ und ZEIT gab es Gift statt Antworten. Immerhin setzte Bundestagspräsidentin Süssmuth durch, daß ich mich am Morgen des 30.6.1995 zwei Minuten lang im Plenum dazu äußern durfte. Im Bundestags-Protokoll liest sich das so:
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: … Der Ältestenrat hat sich gestern mit Äußerungen des PDS-Abgeordneten Gerhard Zwerenz …
Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Pfui Teufel! … befassen müssen. Herr Zwerenz hat in einer Pressemitteilung vom 22. Juni 1995 Mitgliedern des Bundestages ein »intrigantes Zusammenspiel« mit dem Bundesbeauftragten Joachim Gauck und Bärbel Bohley vorgeworfen. Durch den wörtlichen Bezug auf die Affäre Dreyfus werden sie in die Nähe von Rassisten und Antisemiten gerückt. Diese Äußerungen setzen Bürgerrechtler, die gegen das SED- Die Ankündigung »Wir werden die Umtriebe protokollieren für die nächste Wende« … Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! Pfui! – Christian Schmidt (Fürth CDU/ CSU): Kommunisten lernen nicht dazu! … kann nur verstanden werden als Versuch, die Mitglieder des Deutschen Bundestages massiv unter Druck zu setzen. Der Deutsche Bundestag läßt dies nicht zu. Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. Die Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. haben die Äußerung des Abgeordneten Gerhard Zwerenz im Ältestenrat scharf verurteilt. Als Präsidentin habe ich das Ansehen des Deutschen Bundestages zu wahren. Die Äußerungen des Abgeordneten Zwerenz sind nicht hinnehmbar. Ich weise sie strikt zurück. Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Einige Abgeordnete der PDS betreten wieder den Saal, in der gleichen Kleidung wie zu Beginn – Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Raus! Es wird gebeten, eine Erklärung nach § 32 unserer Geschäftsordnung abzugeben. Das kann außerhalb der Tagesordnung geschehen. – Bitte. Gerhard Zwerenz, PDS (mit Beifall von der PDS begrüßt): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich bei der Bundestagspräsidentin für die Ermöglichung eines kurzen Gesprächs gestern abend und für die zwei Minuten Redezeit, die mir zugestanden worden sind, bedanken. Ich kann meinen Dank leider nicht auf den Ältestenausschuß ausweiten, weil da keine Anhörung stattgefunden hat. Ich hätte gern mit dem Ältestenausschuß gesprochen. Siegfried Scheffler (SPD): Zur Sache! Dies hat sich als nicht möglich erwiesen. Zuruf von der SPD: Nicht nur da! Mir ist mitgeteilt worden, daß man sich im Ältestenrat beleidigt fühlt. Mein Rat ist, eine g e r i c h t l i c h e K l ä r u n g herbeizuführen. Dann ist wenigstens gewährleistet, daß man angehört wird und seine Belege vorweisen kann. Freimut Duve (SPD): Das sagt ein Mitglied des Schriftstellerverbandes?! Gerhard! ... Herr Duve, wir kennen uns... Zurufe von der CDU/CSU und der SPD Ich bin auch bereit, mich zu entschuldigen, wenn sich die beleidigte Gegenseite bereit erklärt, die P D S – A B G E O R D N E T E N dieses Parlaments fernerhin nicht mehr als MdBs zweiter Klasse zu behandeln. Zurufe von der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.: Oh! Das begann bekanntlich mit der Mißachtung des Alterspräsidenten zu Beginn im Berliner Reichstag, das führt über viele Stationen bis zu neuesten Beleidigungen und auch Lügen. Die CDU/CSU-MdBs Erika Steinbach und Norbert Geis tun dies – durch den Ältestenrat ungerügt – auch jetzt noch. Erst gestern nannte Herr Geis mich einen treuen Gefolgsmann des SED- Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Protokoll für die nächste Wende! Wahr ist: Ich wurde von 1956 bis 1989 vom Staatssicherheitsdienst verfolgt und zum Schluß auch im Westen noch observiert. Das kann man bei der Gauck-Behörde abfragen. Ich bin jederzeit bereit, alles zu tun, damit Ihnen das möglich ist. Aber Sie wollen das ja nicht wissen. Ebenso hatte ich 32 Jahre lang das Verbot, die DDR überhaupt zu betreten. Ich hatte jahrelang sogar ein Transitverbot, während die großen Demokraten, die sich jetzt so aufregen, ihre führenden Politiker jederzeit zu Treffen mit den Herren Honecker und Schalck- Ich erkläre hiermit: Ich bin gern bereit, mit jedem, der sich beleidigt fühlt, zu sprechen. Ich bin aber erst dann bereit, wenn wir weder kollektiv noch individuell beleidigt werden. Wir werden fortwährend beleidigt. Siegfried Hornung (CDU/CSU): Unerhört ist das! Das andere ist jetzt Ihr Problem, meines ist es nicht mehr. Beifall bei der PDS (Protokoll-Ende) Ich notierte dazu: Zu den Spitzensportlern im Schwergewicht der Demagogie zählte wie üblich Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, der mich in seinem Pressedienst vom 28.6.1995 zum »treuen Gefolgsmann des SED-Regimes« ernannte, kurzum: Zwerenz hat »seine Migliedschaft in unserem Parlament verwirkt.« Sehr schön, wozu brauchen wir dann noch Wähler, wenn der Schwarze Sheriff befiehlt. Am selben Tag äußerte sich Erika Steinbach, die »Kulturbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion« gegen ...»Gregor Gysi, Gerhard Zwerenz, Stefan Heym und Co.«, der leider »speiübel« ist, weil Gysi sich »schamlos als Saubermann« gibt, Zwerenz »aus der Geschichte der DDR nichts, aber auch gar nichts gelernt hat – schon gar nicht Einsicht.« (Wie sollte ich auch, da ich die DDR doch gar nicht betreten durfte. Mir reichte auch die Einsicht in die Bundesrepublik, wo ich seit 1957 lebte.) Da ich von Hitlers Kindern gesprochen hatte, die sich an Hitlers Opfern rächen, meldete sich folgerichtig Rainer Eppelmann im FOCUS vom 31.7.95 zur Stelle. Ich schrieb ihm daraufhin einen Brief:
»Sehr geehrter Herr Eppelmann, aus FOCUS 31/1995 erreicht mich Ihr Artikel ›Signale der neuen Schamlosigkeit – Die PDS auf dem Weg zur nächsten Wende?‹ Meine Antwort: Sie wissen nichts und schreiben falsches Zeugnis, dazu noch unelegant. Sie tun mir leid, denn als Christ fallen Sie der Hölle anheim, Sie armer Teufel, ich würde Sie gern retten. Sie behaupten, nur als Beispiel: ›Zwerenz beschimpft die Menschen, die in der DDR Widerstand gegen die SED-Diktatur leisteten ...‹ Das ist nicht richtig, Herr Theologe. Damit Sie vielleicht eine leise Ahnung bekommen, anbei ein paar lose Seiten aus meiner Stasi-Akte, die freilich auch viele Falschinformationen enthält. Im Vergleich zu Ihnen, Herr Kollege, war die Stasi aber tatsächlich jeweils näher an der Wahrheit dran. Im Vertrauen: Möchten Sie nicht ein wenig beichten? Ich vergebe Ihnen so wie meinen Stasi-Feinden. Mit freundlichen Grüßen Gerhard Zwerenz« Die Sprache der tüchtigen Ankläger im Parlament weckte in mir keine besonders romantischen Erinnerungen. Im geheimen Stasi-Briefverkehr figurierten Erich Loest und ich als »schriftstellerische Mißgeburten«. Diese Ost-Wut ist so irre wie Schäubles Bonner Zwischenruf »Pfui Teufel!« Mein Rat an die Parlamentarier, doch eine »gerichtliche Klärung« anzustreben, blieb vergeblich, während der eifrige DDR-Verfolgungsapparat auf seine Weise ein Gericht angestrebt hatte, indem er mir mal wieder einen Haftbefehl spendierte. Darauf antwortete ich per Lyrik:
Ohne Abschied
Ich habe keinen Titel am Namen und keinen Orden auf dem Gewissen, mein Vater war nicht Graf noch General, und Freitag abend badeten wir in der Holzwanne. Als Soldat war ich zufällig einmal tapfer und meist verlaust. Ich wurde verwundet, am Arm, am Bein und am Vaterland. Als der Krieg aus war; glaubte ich, er sei aus. Später sah ich meinen Irrtum ein und studierte ihn, das heißt Philosophie. So hungerte ich mich durch die Jahre. Als ich zu schreiben begann, trug die Welt es mit Anstand. Als einige Apparatschiks sich drüber ärgerten, wurde ich bekannt. Man schickte mir Freunde ins Haus, die helfen sollten. Zufällig waren sie eingeschriebene Mitglieder beim Staatssicherheitsdienst. Bei einer Pause, als sie die Geschichte der KPdSU studierten, fühlte ich den unwiderstehlichen Drang, spazierenzugehen. Seither weiß ich, wie rührend es ist, irgendwo in der Welt Menschen zu wissen, die auf einen warten. Auf die dümmliche Feindseligkeit im Bonner Parlament hin will mir einfach kein Gedicht einfallen. Davon abgesehen liebe ich alle diese Schimpfkanoniere in Ost wie West. Frau Birthler allerdings soll nach zwanzigjähriger staatlicher Gauck-Forschung erneut den »IM-Gysi« suchen. Den Täter haben sie schon, die Tat werden sie noch finden? Adolf konnte vom Krieg gegen »jüdische Kommunisten« auch nicht ablassen. Diesen Vergleich verbieten die Nachfolger. Einem freischwebenden Schriftsteller sind die letzten Helden samt ihrer Sprache aus dem Wörterbuch des Unmenschen absolut Wurscht.
Am Montag, den 14. Juli 2008, erscheint das nächste Kapitel.
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Gerhard Zwerenz
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