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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 65. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
65. Nachwort |
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Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
Die Verteidigung Sachsens zielt nicht auf den mir unbekannten Freistaat, sondern auf den freien Staat, dessen Konturen schon öfter sichtbar wurden. Chemnitz hat seinen Marx-Nischel, Leipzig hatte seine Karl-Marx-Universität und hat noch immer sein Liebknecht-Haus, wo die Stadt-Genossen am 13. August 2011 Karl Liebknechts 140. Geburtstag statt des Berliner Mauerbaus 1961 feierten. Wusste der Leipziger Ulbricht vom Datum-Doppelsinn? Marx besuchte die Liebknechts 1874 in Leipzig und war Pate jenes jungen Karl Liebknecht, den Genosse Noske 1919 von Prä-Nazis umbringen ließ. Im zuletzt erschienenen 64. Nachwort stellte ich die 136 Toten der Berliner Mauer in Bezug zu anderen Opfern und nannte neben denen des Warschauer Aufstands 185 Antifaschisten, die in Plötzensee in einer einzigen Nacht hingerichtet wurden.
Im soeben ausgelieferten Heft 17/11 von Ossietzky setzt Otto Köhler die Berliner Mauertoten in Beziehung zu den bis zu 142 Menschen, die in Afghanistan Opfer des Bomben-Massakers wurden, das Bundeswehr-Oberst Klein befohlen hatte. Das ist scharf nach vorn gedacht. Köhler: Seit dem Fall der Mauer sind die Deutschen von Hemmungen befreit und führen wieder ihren Krieg. Wir empfahlen die Zeitschrift Ossietzky schon häufig zur Lektüre. Im Unterschied zur Tucholsky- Ossietzky-Weltbühne, die 1933 emigrieren musste, gibt es sie noch mitten in Berlin.
Wie die Weltbühne als Vorbild ist Ossietzky in Analyse und Kritik einsame Spitze im Kontrast zur kapitalbourgeoisen Presselandschaft und zugleich konzentrierter als Neues Deutschland oder junge Welt. Abgesehen von internen Unterschieden der Richtung und Qualität teilen sie jedoch gemeinsam mit der Weimarer Weltbühne eine Art von Zukunftsabstinenz, die dem sozialistischen Charakter und seinen Motivationen widerspricht. Übrigens beging zudem Fidel Castro seinen 85. Geburtstag am 13. August. Die Mauer, Liebknecht, Castro – der Tag der Dreiuneinigkeit. Dass die Linke, stilvoll oder nicht, dem Kubaner gratulierte, versetzte die rechte Medienelite in Wut. Die Stahlhelmfraktion in Fernsehen und Presse strebt zurück in vorrevolutionäre Zustände. Am liebsten wäre ihnen 1914, danach wollen sie's packen und statt deutscher Niederlagen nur noch Siege ernten.
Würde die Linkspartei in den anstehenden Wahlkämpfen das radikal-linkssoziale, auch linkssozialdemokratische Leitmotiv Lafontaines im ganzen Land nur klug und resistent genug durchhalten, ohne in alte Konflikte zu verfallen, bliebe ihre 10%-Gesamtquote intakt, unerachtet des Umstands, dass die Gegner stets Gründe zur Marginalisierung liefern werden. Das hat eine lange Tradition. Kommt's drauf an, ziehen die Linken den Kürzeren und die Rechten obsiegen. Dann zieht das ganze Land den Kürzeren. Bis ihnen ein Stalin heimleuchtet.
Der allgemeine Niedergang von heute hellt die Anfänge der DDR allerdings bis an die Grenze des Unerwarteten und Märchenhaften auf. Ein sozialistischer Staat war entstanden? Unglaublich. Sein dumpfes Ende beweist es. Das waren keine Marxisten. Das war die zweite Auflage der Wiedertäufer von Münster. Und wir alle sind dabei gewesen. Unschuldig schuldig und trotzdem schuldlos soweit begreifbar.
Soeben hob Gregor Gysi im ARD-Sommer-Interview das Alleinstellungsmerkmal der Linkspartei hervor. Tatsächlich sind die anderen mit ihr verglichen eine abstruse Kollektion. Ein Gewimmel von Antimarxisten, die gemeinhin als Antikommunisten gelten, weil Ungenauigkeit der Sprache zum ungenauen Denken gehört. Die Uhr zeigt an, es ist Endzeit. Die DDR sollte ursprünglich gar nicht entstehen. Wir haben Glück gehabt. Sie musste nicht untergehen. Wir haben kein Glück gehabt. Ich wollte eine andere DDR. Für den realen und irrealen DDR-Sozialismus muss sich niemand mehr verbeugen. Nicht SED, nicht NVA, Stasi oder sonst was. Das Konstrukt Deutsche Demokratische Republik litt an einem Webfehler. Statt Befehle aus dem Kreml zu befolgen, hätte das Politbüro in Ostberlin das Lied des Gefangenenchors aus Beethovens Fidelio singen sollen:
O, welche Lust
in freier Luft den Atem
leicht zu heben, O, welche Lust
nur hier, nur hier ist Leben,
der Kerker eine Gruft, eine Gruft!
Die Zeiten laufen immer schneller ab. Neoliberale suchen das linke Ufer, FAZ- Schirrmacher will Sozis an Bord der Titanic holen, im Spiegel werden plötzlich Linksbürgerliche empfohlen, die bisher auch pfui waren. Was der böse Westen alles seinem bösen Klassenfeind im Osten zufügte, seit er ihn besiegte, das können wir inzwischen singen. Ich frage, wie es dazu kommen konnte, dass die Siegermacht Sowjetunion so wehrlos wie ehrlos unterging als wäre sie zum Ende hin nur noch ein Possenspiel gewesen. Der dumme August hieß Gorbi statt Orlow. Und wie geschah es, dass China sich nicht dem Untergang anschloss, sondern zur zweiten Weltmacht aufstieg. Das hat seine guten und schlechten Gründe.
Im Nachwort 55 Welche Revolution darfs denn sein? verwies ich auf meinen frühen ND-Artikel vom 22.11.1990. Die fotokopierte Seite endete mit dem Verweis auf die Niederschlagung des Kronstädter Aufstands von 1921. Das Nachwort 55 erschien am 17.1.2011 im poetenladen. Wie eine Antwort darauf nimmt sich der ND-Text von Prof. Helmut Bock aus, der am 5.3. 2011 im Neuen Deutschland unter dem Titel Die Ursünde der bolschewistischen Revolution zu lesen war.
Bock schiIdert kenntnisreich und relativ unerschrocken den gesamten Tatbestand. Seine Revision der früher gewünschten Sicht macht die Revolution mit den heutigen Bedürfnissen der Linkspartei kompatibel. Das hat ziemlich lange gedauert. Die Niederschlagung der Konstituante 1918 und des Kronstädter Matrosenaufstands als Ursünde der Revolution zu beurteilen lässt allerdings die Frage offen, was bei einem nicht erfolgten Eingreifen aus der Oktoberrevolution geworden wäre – vielleicht die Ursünde einer vernichtenden Niederlage? Man sehe nach in Dantons Tod, wo Georg Büchner für vergleichbare Situationen melancholische Auskünfte erteilt. Auf die Französische Revolution folgte Napoleon.
Heft 18 – Rosa-Luxemburg-Stiftung,
Leipzig (Zoom per Klick)
Theater der Zeit - Heft 3 /1957 Titelseite
Am 8.3. zog Prof. Jörg Roesler in junge Welt die neuen Geschichtslinien weiter mit Wagnis und Vorbild – vor 90 Jahren begann in Russland der Übergang vom Kriegskommunismus zur Neuen ökonomischen Politik. Roesler zieht über NÖP und NÖS die Linie bis zum heutigen China durch. Ich wiederum war schon auf frühere Arbeiten Roeslers eingegangen in Bloch, Behrens und der Chinesische Drache – Anmerkungen zum Verschwinden der Sowjetunion und zur praktizierten Reformation des Marxismus in Asien und anderswo. ( Diskurs Heft 18 Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2005) Vor einiger Zeit las ich Volker Gransows Essay Behrens, Zwerenz und der chinesische Drache. Offenbar gerät da etwas in Bewegung. Ich bin dankbar, fühle mich allerdings auch an Aristoteles, Brecht oder Zwerenz von Peter Hacks erinnert. (Theater der Zeit, Beilage zu Heft 13 Jahrgang 1957) Meine freundliche Erwiderung Aristoteles, Brecht oder Hacks wurde nicht gedruckt, sondern bei einer Haussuchung von der wachsamen Staatssicherheit beschlagnahmt. Was solls, das Hausarchiv bewahrt eine Kopie für bessere Zeiten auf. Zu Peter Hacks siehe Folge 79 im poetenladen. Dass Walter Ulbricht für Hacks nur höhnische Ablehnung erübrigte, entsprach seinen poststalinistischen Normen, wonach diese aus dem Westen zugelaufene Intelligenz den Marxismus als Sadomasochismus missversteht und goutiert.
Gransow belegt in seinem auf Englisch vorliegenden Essay die vielen verstreuten Quellen zum Leben und Wirken von Fritz Behrens, an den in Sklavensprache und Revolte erinnert wird, wo es abschließend dazu heißt: „Ich sehe in Menschen wie Behrens mit ihrer nicht zu unterdrückenden Wahrheitsliebe und dem unkorrumpierbaren Scharfblick die wahren Zeitzeugen. Statt es sich opportunistisch, mit verlegener List, in der Sonne der Macht wohl sein zu lassen, gehen sie, ohne Trauer, jedoch mit dem Zorn der Gerechten, den schweren Gang in die Anonymität. Wenn es denn Helden gibt, hier sind sie, wenn auch von keinem Nietzsche zum Übermenschen geadelt.“
Behrens' Ökonomie-Konzept, in der DDR abgelehnt, in China einbezogen, was Volker Gransows Essay belegt, konnte heutige Risiken noch nicht berücksichtigen. Zwar entging China den Folgen einer erstarrten Philosophie und Ökonomie, an denen SU und DDR scheiterten, steht aber auf Dauer wie Japan 2011 vor einer von der Gesellschaftsstruktur unabhängigen atomaren Gefahrensituation. Im globalen Existenzkampf wird die Hölle angebohrt. Mag sein, der Samurai stürzt sich in sein Schwert. Der Marxist sollte Besseres in petto haben. Wieviel Marx ist also in China vorhanden und was kann es helfen?
Von Prof. Helmut Peters, DDR-China-Kenner und zeitweise Botschafter in Peking gab es in der jungen Welt vom 21. und 22.2.2011 Überlegungen zu den Beziehungen zwischen Peking und Washington. Analysen dieser fundierten Art finden sich, sporadisch und auf den Außenhandel beschränkt, höchstens noch im FAZ-Wirtschaftsteil, wogegen sich schneller Unmut der Leser regt: „Irritierend und entlarvend … Das Lob über die Machthaber in Peking fällt oft so überschwänglich aus, dass man fast an der Treue der deutschen Wirtschaftselite zur Demokratie zweifeln könnte.“ (FAZ 15.3.2011) Wir verstehen, da möchten welche den Verfassungsschutz gegen die FAZ-Wirtschaftselite einschalten. Welch sonderbare Entwicklung deutet sich hier an? Leser-Unmut äußerte sich auch in der jW, als dort ein prominenter Chinese zwei Seiten Platz erhielt, Chinas 3. Weg zu vertreten. Gleich wurde ihm entgegengehalten, China befinde sich auf keinem marxistischen Kurs. Die Herren Genossen kapieren gar nicht, es ging zwar um Marx, doch auch ums Überleben. Ohne Kurskorrekturen des Maoismus wäre Peking wie die SU und die DDR verschwunden.
Statt einer weiteren Erwiderung hier die erste Seite eines Berichts von Monika Runge, die mit einer Zustandsanalyse immerhin hoffen lässt:
Wegen Platzmangel und weil die Serie im Prinzip aus Fragmenten besteht, bricht der Nachdruck des Runge-Reiseberichtes hier ab, in dem die sächsische Linke ein sozialistisches China als Möglichkeit konzipiert. Wer heute vom Ende des Sozialismus redet, vergisst Chinas 3. Weg, ohne den das Land, das ein Kontinent für sich ist, wie SU und DDR vergangen wäre. Hatten beide auch die Chance eines 3. Weges? Statt des ewigen Streits um die Mauer ist zu fragen, was nach dem Mauerbau hätte geschehen können und müssen. Das an Blochs eingreifendes Denken anschließende Ökonomie-Modell von Fritz Behrens bot den Ausweg. Ulbricht versuchte es mit der NÖSP – zu spät und inkonsequent. Die Möglichkeit zur Transformation wurde nicht genutzt. Der gestrige Untergang im Osten ist als Vorspiel zum heutigen Untergang im Westen entschlüsselbar, wo man vor der reformatorischen Transformation zurückscheut, weil ideologische Blindheit herrscht.
FAZ vom 30.6.2011
Die deutsche Mauer bestand am 22. Juni 1941 aus 3000 Panzern, 5000 Flugzeugen und 3 Millionen Wehrmacht- und SS-Soldaten. Die Mauer rollte auf Rädern bis Leningrad, Moskau, Stalingrad – danach zurück bis zum Berliner Reichstag, den nun die Siegesfahne der Roten Armee schmückte. Anschließend erstarkte die Mauer zum steinernen Gesamtkunstwerk mitten in Berlin, zwergenhaft zwar verglichen mit der großen chinesischen Mauer, doch nicht weniger dauerhaft. Noch in tausend Jahren werden die veruneinigten deutschen Volksgenossen wie anno 2011 im Abstand von fünfzig Jahren ihrer 136 Mauertoten gedenken, um die 55 Millionen Toten des 2. Weltkriegs besser ignorieren zu können, die das ganze Unternehmen Barbarossa beim Barte der Propheten Kaiser Wilhelm, Ludendorff, Hindenburg, Hitler produzierte. Epochal eingeteilt handelt es sich um Präfaschismus, Hitlerfaschismus und Postfaschismus. Letzterer ist noch akut. Am 24.8.2011 gedachte die getreue FAZ des eben verstorbenen belgischen Gelehrten Piet Tommissen, der als eminent fleißiger Carl-Schmitt-Biograph geehrt wird, was dem Blatt in sein geheiligtes Trio Heidegger, Jünger, Schmitt passt. Denn: „Im 2. Weltkrieg hatte er sich freiwillig zur Wehrmacht an die Ostfront gemeldet – und nicht zur Waffen-SS –, deren Neuheidentum für den Katholiken untragbar war.“ Besser ist der aktuelle deutschmediale Zustand von Postfaschismus nicht artikulierbar. Die SS war's, die neuheidnisch den Judenmord beging, was katholisch untragbar ist. Die Wehrmacht hingegen bekämpfte an der Ostfront nur den heidnischen Bolschewismus, was im Namen des Antitotalitarismus legitim war und inzwischen zur deutschen, wo nicht europäischen Staatsräson erklärt wird, das walte Carl Schmitt, der erst die Weimarer Republik, danach den Führer Adolf H. und endlich die Herren Nachfolger in der BRD plausibilisierte.
Pythagoras Brustbild | ingografrunge
Das Nachwort 64 endet mit der ingeniösen Installation Gruß Pythagoras von ingografrunge. Wir übersetzen über mehr als zwei Jahrtausende hinweg das a 2 + b 2 = c 2 als rechts plus links gleich rechts und links, ergo Reaktion plus Revolution gleich Reformation, was als Formel einer sich ständig erneuernden Demokratie gelten darf, die im historischen Deutschland bis heute ausgeschlossen werden soll, wo rechts plus links = rechts ohne links gilt. Entweder unterwirft die Linke sich der Rechten wie die Sozialdemokratie ab 1914 oder sie wird wie 1933 mit allen Linken zusammen abgeschafft. Nehmen wir also das Jahr 1945 – ein nach Freiheit dürstendes Volk hätte statt Adenauer/Heuss keine anderen als Hitlers Häftlinge Niemöller/Kogon an die Spitze des neuen Staates geholt. Die alte Leier ging jedoch weiter. Kein Jahrzehnt später triumphierte die Aufrüstung, die ausgebluteten Kommunisten wurden erneut verboten. Der vielparteiliche Herbert Wehner baute die sanft widerstrebende SPD adenauerkompatibel um. Die DDR errichtete ihre Mauer, ich schrieb sofort, das wird ihr erst nutzen, dann ewig schaden. Die Pythagoras-Formel der DDR lautete: Links plus rechts gleich links. Da war bald nur noch Abbau. Jetzt wirkt die Mauer auch nach Abbruch in den Köpfen als Ideologie weiter. Deutschland als permanenter Staat ohne Linke sucht die inzwischen entstandene neue Linkspartei zu unterwerfen. Diese Linke lernte aus ihren bitteren historischen Niederlagen so wenig, dass sie sich linken lässt. Statt Murx wäre Marx gefragt. Ungescheut antifaschistisch und antistalinistisch. Eine linke Mitte der Phantasie und Logik. Vielleicht ließe sich von China was lernen: Dekonstruktion plus Harmonie. Unterdessen schlägt die bürgerliche Unruhe immer höhere Wellen. Am 23.8.2011 warnt die aufgeschreckte FAZ vor zwei eigenen Untergangspropheten: „Die amerikanischen Ökonomen Paul Krugman und Nouriel Roubini sehen das Ende des kapitalistischen Systems gekommen.“ Im Text wird es konkret wie auf der Schlachtbank, denn „Der eine erwog jüngst die Chancen, mit einem Krieg gegen Außerirdische die Weltwirtschaft vor der Rezession zu retten. Der andere sieht den Kapitalismus mit Verweis auf Karl Marx dem Untergang geweiht.“ Wem das noch nicht reicht, der kann im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – FAS- vom 28.8.2011 die exakte, leider sehr verspätete Selbstkritik des emsigen SPD-Intellektuellen Michael Naumann genießen: „Auch die Linken haben nichts geahnt … Aber gibt es sie überhaupt noch? Links sind höchstens noch die Erinnerungen …“ Folgt eine generelle Abwatsche seiner Genossen von Helmut Schmidt bis Gerhard Schröder samt Nachfolgern beim kapitalen Absturz als wäre der multifunktionale Sozialdemokrat Naumann nicht selbst am rasenden Endlauf ins programmierte Chaos beteiligt – früher als Staatsminister und Zeit-Chefredakteur, jetzt als Chefredakteur bei Cicero, wo er auf bürgerliche Kontrollen beim bürgerlichen Absturz hofft, dabei passte er besser zur Zeitung Die Welt und zur Jungen Freiheit.
Google-Bilderseite | Liebknecht-Haus mit GZ (Zoom per Klick)
Jacques Derridas Zentralkategorie der Differenz differiert ihrerseits mit dem auf Feindschaft gerichteten Differenzdenken Carl Schmitts. Wir werden ein- und ausgemauert, ein- und ausgegrenzt, ideologisiert und entideologisiert. Fremdheit, Fremdbestimmung, Feindschaft nehmen zu statt ab. Folgt aus der Differenz ein Feinddenken, wie es der FAZ-Favorit Carl Schmitt lehrte oder kann daraus Derridas intellektualisierte Gegnerschaft werden. Feinde differenzieren nicht. Sie verallgemeinern. Gut ist stets das eigene Lager. Das andere ist Feind. Ein Drittes gibt es nicht. Seit Mauerfall und Wende ist der Westen der Sieger, der Osten der Besiegte. In Wirklichkeit sind wir alle Besiegte, gelingt es nicht, unsere Differenzen zu intellektualisieren. Derrida statt Carl Schmitt. Lässt sich Feindschaft vergessen? Wenn nicht, ist sie barbarisch. Bei google findet Ingrid soeben eine Seite mit wechselnden Vorderansichten des Leipziger Liebknecht-Hauses, und mittendrin schaue ich selber auf einem Schnappschuss etwas bedrückt drein. Wie zu lesen ist, beherbergt das Gebäude auch die Wahlkreisbüros der Bundestagsabgeordneten Dr. Barbara Höll und des Landtagsabgeordneten Dr. Volker Külow. Und wo bleibt die SPD? Wilhelm L. ist ein unvergessbarer Sozialdemokrat, sein Sohn Karl war es, bis er als Kommunist zusammen mit Rosa Luxemburg ermordet wurde. Gehörte die Stafette SPD – KPD – DKP – SED – PDS – Linkspartei nicht endlich als deutsche Euro-Linke vereinigt und freiheitlich sozialisiert ins Liebknecht-Haus? Moderne Revolutionen finden nicht reformerisch, sondern reformatorisch in den Köpfen statt. Sachsen ist Martin-Luther- und Thomas-Münzerland. Soeben mahnt der Krimiklassiker John le Carré: „Goethe ginge heute auf die Barrikaden.“ Wenn in der gegenwärtigen Weltlage gar bürgerliche Ökonomen, denen das Wasser bis zum Halse steht, die Kapital-Analyse von Marx neu empfehlen, wäre die Rückkehr unserer verschieden verfeindeten Linksgenossen zu Marx ein empfehlenswerter 3. Weg – zwar anders als in China, doch anders auch als bisher bei uns. Von den Chinesen ließe sich zumindest ein anderer Blick auf die Mauer lernen. An diesem zentralen Punkt könnte die in Leipzig komprimierte sächsische Geschichte der Arbeiterbewegung von der provinziellen in die europäische, wo nicht universelle Dimension wechseln.
Was Sie bis jetzt lasen ist die pure Vernunft, also stinknormal, d. h. heute Utopie ergo Denkgebäude von gestern und chancenlos. Die beim Namen genannten Personen samt ihren Parteien sind einander spinnefeind und leben davon. Erwartungsgemäß wird man sagen, Chinas große Mauer diente der Verteidigung, die kleine Berliner Mauer jedoch der Volksfluchtverhinderung. So der zwergenformatige Kleingeist. Darauf antwortete ich schon am 30. Januar 1957 in der Leipziger Kongresshalle und es braucht daran keinerlei Korrekturen:
Die alte Erde hält den Atem an,
heißer Brodem der Revolution
erfüllt wieder die Räume.
Die Menschen schreien nach Zeitung.
Babys schauen erstaunt,
Bettler schmecken Hoffnungsträume.
Missratne brüten Rache,
ein Vertrockneter weint Jauche,
Aufgeblasene ärgern sich krumm.
Leben – ruft die Menge
Und baut Brücken ins Diesseits.
Die Epigonen schreien stumm …
Die Revolution ist keine Mütze,
in der sich sanft schlafen lässt,
Bommeln baumelnd am Rücken.
Ozeane sind keine Pfütze,
Sand, leicht wassergenässt
Den Buben zum Entzücken.
Am 13. August 2011 gedachten Genossen im Leipziger Liebknecht-Haus unserer guten Vergangenheit, indem sie Karl Liebknechts 140. Geburtstag feierten. Karl Marx kam auf einen Sprung von Chemnitz herüber, wo er jeweils zur Stunde Null Ausgang erhält. Mein im Mendelssohnhaus wohnengebliebenes Pseudonym Gert Gablenz zeigte dem Nischel die Universität, die seinen Namen trug, bis er aus der Stadt vertrieben wurde. Klassenkampf! murmelte das Denkmal. Und: Dieser Genosse Noske ließ meinen Patensohn Karl zusammen mit Rosa ermorden? Klassenkampf – sagte Ernst Bloch, der schon 1957, als die Universität noch nach Marx benannt war, aus ihr verjagt wurde. Darauf Genosse Marx: Kann mir das alles mal einer so dialektisch wie historisch erklären?
Soviel zur heimatlichen Märchenstunde Leipzigs als Kopfbahnhof der Pleiße, die hier endet, mit den Fabriken an ihren Ufern aber sichere Wahlkreise für Bebel und Liebknecht bereithielt, Urzellen der Sozialdemokratie, bis sie 1914 für Kaiser Wilhelm in den Krieg zog und es Burgfrieden nannte. Der Rächer Walter Ulbricht stammte auch aus Leipzig.
Als der Burgfrieden ausbrach, waren Georg Lukács und Ernst Bloch in Heidelberg gerade auf Marx-Kurs gegangen. 1957 wurde Lukács in Budapest und Bloch in Leipzig exkommunistiziert. So entwickelte sich der Leipziger Universalienstreit. Auf den ursprünglichen Universalienstreit der römisch-katholischen Kirche tausend Jahre früher war Bloch schon in den ersten Vorlesungen zu sprechen gekommen. In meinen Mitschriften von 1952 heißt es dazu:
Fünf Jahre später sollte ich gegen Bloch auftreten, trug aber stattdessen am 30. Januar 1957 in der Leipziger Kongresshalle mein Gedicht Die Mutter der Freiheit heißt Revolution vor, denn Bloch war inzwischen verboten worden, das Philosophische Institut der Karl-Marx-Universität zu betreten. Drei Jahrzehnte später musste auch Karl Marx die Universität verlassen und überdauert in Chemnitz als Denkmal. Da werden wir wohl noch ein paar märchenhafte Geheimnisse entschlüsseln müssen. Angelas Papa, ein hochachtbarer freiwilliger DDR-Pastor auf der Suche nach einem 3. Weg, verstarb am 6.8.2011 im Alter von 85 Jahren. Seine Tochter riskierte anfangs den sozialistischen 2. Weg, bis die Karriere zurück zum kapitalen 1. Weg führte. Heute steht Merkel vor dem letzten Kreuzweg. Entweder retour in die nationale Klitsche oder voran in die Transferunion genannte Weltschuldenfalle. Beides wird so teuer, dass der Schwarze Freitag von 1929 zur Idylle verblasst. Unser guter Rat: Lasst euch von den Chinesen aufkaufen. Deren große Mauer ist noch im ruinenhaften Zustand von imposanter Haltbarkeit. Die Mutter der Freiheit hieß bei ihnen Revolution.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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