Dies ist exakt die Frage, vor der die deutsche Rechte kneift und mit pauschalen Anklagen gegen die Sowjets reagiert. Der Verweis auf GULAG soll den Holocaust erträglicher machen ganz wie beim Streit um die Wehrmachtausstellung, wo ein Bildersturm die Bewertung der Wehrmacht in der Kriminalgeschichte Deutschlands kaschierte und verfälschte.
Kautz, der sich auf den Darmstädter Soziologen Helmut Dahmer stützte und im Quellenverzeichnis ostdeutsche Literatur nicht, wie bei anderen üblich, unterschlug, unterlag seither der Omerta, dieser Praxis mafiöser (Geheim-) Bünde. Denn eine offene ehrliche Replik verlangte schonungslose Selbstanalyse. Möglicherweise fielen dabei Perlen aus den Kronen. Also wurde eisern geschwiegen.
Das Buch von Kautz eskaliert damit zum Teil einer sich bildenden neuen Samisdat-Szene, zu der allerhand kleinere Zeitschriften und immer mehr Bücher gehören, die als Nachfolger der vergangenen Underground-Literatur gelten können, wie die Bonner Republik sie in den siebziger Jahren und die DDR ansatzweise in den achtzigern kannte. Zur gegenwärtigen Variante rechne ich auch die bisher erschienenen Folgen von Schröder erzählt. Jörg Schröder pfeift auf honorige teure Verlags-Editionen und bietet vierteljährlich im eigenen MÄRZ Desktop Verlag eine Folge seiner untergründigen Erzählungen. Die einzelnen luxuriös und technisch perfekt produzierten Hefte sind nicht billig, doch für einige hundert Interessierte unverzichtbar, weil hier der übliche Massenschund ebenso wie die staatsnahe Literatur ungnädig realitätsscharf gekontert wird. Schröder erzählt die andere Kultur-, Kapital- und Politgeschichte der Bonn-Berliner Republik, und spätere Historiker, so sie nicht am üblichen Kunsthonig kleben bleiben wollen, werden zu dieser Quelle gehen müssen, statt den Biografien der Staatsschauspieler und den amtlichen Geschichtslegenden ihrer Wissenschaftspriester und literarischen Schleppenträger zu folgen.
Samisdat auch, wo es so illuster hergeht wie im Leipziger Verlag Faber und Faber. Hier erscheint die inzwischen verdrängte DDR-
Die Tendenz zur Zweiteilung von Kultur und Literatur hält unvermindert an. Ein Autor der einstigen DDR-
Ich erinnere mich einer alten russischen Mär, da hebt ein Gott oder Teufel die Dächer der Häuser hoch, um darunter zu schauen. Kautz blickt in Darmstädter Gebäude und Grabstätten und entdeckt in zu Ehrengräbern ernannten Bestattungsgruben vielerlei Helden-Ungetüme. Die Toten-Stories sind sagenhaft. Ordensgeschmückte Skelette stehen auf, des Führers Begleitpersonal nimmt die Parade am Ehrenhain ab. Wer sich in diese deutschen Ehrengräber zu schauen traut, ohne mit Wutanfällen zu reagieren, sollte sich vorher besaufen. Das Buch bietet ein Panorama Darmstädter Katakomben. Den ersten elektrisierenden Stoß erhielt ich auf Seite 24, da ist vom Darmstädter SS-General Karl Wolff und den Erschießungen in Minsk die Rede, erweitert auf Seite 31 mit Himmlers Besuch dort, wo er sich einen Eindruck von den Liquidationen verschaffte. Mein Verhältnis zum nicht weit von unserem Wohnort gelegenen Darmstadt war und ist von guten Erfahrungen geprägt. Gern und oft schrieb ich darüber. Das Negative bagatellisieren wir aus Sympathie mit Freunden. Das zweite Kautz-Buch wurde mir noch stärker als das erste zum Fegefeuer im Gedächtnistheater. Von der Flakhelferschaft bis Hauptmann Dregger, von Wolff (SS) und Best (SS) bis Mengele und Stark (Mordhandlanger) hin zu Carl Schmitt und Richard Wagner (Antisemitismus) reicht dieses Panoptikum einer Stadtgeschichte, denn auf alle diese Namen stieß Kautz bei seiner Erforschung Darmstädter Friedhöfe mit ihren seltsamen Ehrengräbern, wo nicht der Hund, aber ein erstaunlich großer Teil der hündischen deutschen Vergangenheit begraben liegt.
Jörg Schröder, Barbara Kalender, Gerhard Zwerenz Gut gebrüllt, Löwin und Löwe, das ist ein gewagter Weg. Wir sind von Anbeginn Sympathisanten. Und vorher auch schon. Das waren die 60er Jahre.
Inzwischen lassen wir den beiden die Ossietzky-Hefte zukommen und hier trifft jedes Exemplar von Schröder erzählt zuverlässig ein, handschriftlich signiert als Nr. 100. In der 50. Folge wurde Klassenkampf en miniatur angekündigt. Über das gegängelte Supermarktpersonal heißt es: »Es wird nicht mehr lange dauern, bis eine Kassiererin mal durchknallt und einen … Wüterich mit der Stangensalami erledigt (S. 23). Auf Seite 63 sind wir im Jahr 1964, Bernward Vesper und Gudrun Ensslin geben die Anthologie Gegen den Tod – Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe heraus. Irgendwo hier im Haus müssen noch Autorenexemplare dem aufgeschobenen Atomkrieg entgegendämmern. Schröders wilde Kulturjagd, nachmals Schröder & Kalender, also Jörg und Barbara beschicken und notieren die westdeutsche Underground-Geschichte aus radikal subjektiver Perspektive. Die Mischung von Genie & Geschwätz ist von Fall zu Fall entweder Dynamit oder Knallfrosch, z.B. » ...der alte Frundsberger Grass« oder »Helmut Markwort, Chefredakteur des linksradikalen Wochenmagazins Focus ...« Warum auch nicht linksradikal, wenn jeden Montag im Spiegel Augstein selbstgemordet wird wie Ulrike Meinhof. »War der Verleger Joseph Kaspar Witsch ein CIA-Agent?« fragt Jörg auf S. 34 scheinheilig und: »Ich weiß das alles so genau, weil ich von 1962 bis 1965 Werbeleiter im Hause Kiepenheuer und Witsch war.« Ich weiß das auch genau, denn seit der Kölner Zeit kennen wir uns. Vor Witsch warnte mich damals Hans Mayer und Witsch warnte mich vor Mayer. Beide kannten sich aus Jugendzeiten. Wer war US- wer SU-Agent? Jörg Schröder startete später seine Karriere als Verleger und schoss eben die 50. Folge seiner märchenhaft polemischen Schwarzen Serie in den eifrig wabernden Kulturraum, wo das offizielle Heroentum noch nicht mal zum Karnevalsauftritt reicht.
Jörg Schröder ist Berliner, Jahrgang 1938, Westgänger und Kulturimporteur aus den USA der Anti-
In unserem über ein Halbjahrhundert gewucherten Dschungel-Archiv findet sich ein Bündel Notizen zu gemeinsamen Aktionen, und weil die Großmäuler des Kapitals zusammen mit ihren PC-Kulis die Jagd auf die 68er so fleißig betreiben wie sie ihre Nazi-Eliten plus Bagage lebenslang beschützten, erheben wir uns von den Stühlen zum Salut auf 1968. Da vom »alten Frundsberger Grass« die Rede war, sprechen wir vom jungen Wehrmachtssoldaten Ratzinger, den der Danziger laut eigener Erinnerung im Kriegsgefangenenlager traf. Es begegnen sich eben immer die richtigen Leute. Ratzinger nun, in Benedikt umgetauft, stufte kürzlich die Protestanten zur Nichtkirche hinab und erledigt in seiner Enzyklika Gerettet auf die Hoffnung hin – spe salvi die notorischen Kirchenfeinde Francis Bacon, Marx , Lenin, Adorno, Horkheimer. Ob er auch Bloch niedermacht, können wir nicht beurteilen, denn wir lasen aus der 64 Seiten umfassenden päpstlichen Philippika nur einen Auszug, den das vatikanische Amtsblatt FAZ seinen Gläubigen und Gläubigern präsentierte. So erlauben wir uns der Vollständigkeit halber auf unser Buch Sklavensprache und Revolte – Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West zu verwelsen, wo wir auf Seite 304/5 Ratzinger, heute Benedikt, aus seiner Tübinger Zeit zitieren, z.B.: »Ernst Bloch lehrte nun in Tübingen und machte Heidegger als einen kleinen Bourgeois verächtlich.« Offensichtlich eine Todsünde. Die mit dem ehemaligen Leipziger Philosophen Bloch verbundene »marxistische Versuchung« verdeutlicht, weshalb Ratzinger den Kampf für sein von »existentialistischer Reduktion bedrohtes Christentum« aufnehmen musste.
Am Anfang aber standen wie bei Jörg Schröder die verdammten revolutionären 68er, deretwegen und wegen Bloch der verstörte Professor Ratzinger von Tübingen bis nach Rom entwich, von wo aus er nun, ganz schwarzer Fundi, selbst die eigenen Gläubigen ins Fegefeuer schicken will. Eine Lösung für die schwierige irdische Energiefrage ist das aber auch nicht.
Als ich in Ossietzky 25/07 über die Schwarze Serie von Schröder und Kalender schrieb, erwähnten sie in ihrer taz-Blog-Antwort vom 20.12.07 jenen Bischof Dyba, der mir seinerzeit eine Lesung aus meinem Buch Soldaten sind Mörder im Fuldaer Kolpinghaus verbieten ließ. Nun stieß der Tucholsky-
Zwei heiße Termine seien angemerkt: Erstens feiert der Verlag Edition AV am 2. August ein Fest der Literatur im hessischen Lich, von welchem Ort ich bisher nur ein gutes Bier kannte. Jetzt sammeln sich im Licher Bürgerhaus allerhand lebende und tote, also überlebende Dichterinnen und Dichter wie Leo Tolstoi, Pierre Josef Proudhon, Lily Zografou, Horst Stowasser bis hin zum köstlichen Darmstädter Ehrengrabschänder Fred Kautz. Ein höflicher Rat an die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung: Das Kautz-Buch Wehe der Lüge! Sie befreiet nicht … passte vorzüglich für die nächste Akademie-
Schröder Texte-Kassette für 1.750 Euro Sklavensprache XII
Sie beherrschten die Bildschirme, die Lehrpläne, Ministerien, die Zeitungen und Buchdruckereien, die Armee sowie das Freiwilligenheer der Höflinge. Der Slang der Technik floß aus ihren ständig geöffneten Mäulern. Ihren Nutzen berechneten sie bis auf tausend Stellen hinterm Komma. Im Parlament beriefen sie sich züngelnd auf den Gemeinnutzen. Bescheidenheit predigten sie, mit salbungsvollen Bibelsprüchen jonglierend. Die heimlichen Schweinepriester, die Maden im Speck. Wozu aufregen, sprach der Filosof. Fallen wir denen nicht in den Arm, die sich ihr Grab selber schaufeln. Am Montag, den 4. August 2008, erscheint das nächste Kapitel.
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Gerhard Zwerenz
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