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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 82. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
82. Nachwort |
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Zur Philosophie des Krieges
Die Philosophie des Krieges mündet im Kernsatz von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, den Nietzsche in seinem Zarathustra zur Geschichtsanalyse sowie gleichzeitig zum wünschenswerten Postulat erhob und alles in einem so starken Deutsch wie die Industrie ihre Flieger, Panzer, U-Boote anpreist: Spitzenprodukte eben, Wort wie Stahl und Stahl wie Worte. Ernst Bloch dagegen: Nietzsche stellte die richtigen Fragen, gab aber die falschen Antworten. Bloch dekonstruierte den verabsolutierten Zarathustra- Wiederkunftsgedanken mit seinem Dreisatz. »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.« Der werdende Mensch des aufrechten Ganges differiert zum Tier, indem er nicht des Menschen Wolf ist (bleibt), sondern des Menschen Hüter – Bruder wird, welcher Satz uns schon wieder fremd, weil nicht feindselig genug erscheint.
Dies eine Kurzfassung unserer bisherigen 99 Folgen und 81 Nachworte. Dazu gleich die knappe Verfahrensweise und Begründung meiner autobiographischen Schreibweise, d.h. des Subjektiv-Prinzips. Im Vorspruch zur Serie wird Karl Mays Liebe zu den Indianern artikuliert. Meine Indianer sind auch die anderen Roten, die durch andauernde Verfolgung zu deutschen Indianern mutierten: Behindert, beschimpft, ausgegrenzt, verfolgt, getötet. Wobei sich die Indianer von der Rasse zur Klasse verändern und in einander bekämpfende Stämme zerfallen – wenn die heutigen Polit-Roten nicht scharf Obacht geben, geraten sie ebenfalls auf Irrwege wie die Vorgänger.
Als an der Pleiße geborener Sachse schrieb ich eine Art sächsischer Autobiographie, wobei das kleine Land sich unversehens zum ostdeutschen Gebiet in den Grenzen der DDR ausweitete. West gegen Ost – Sieger gegen Besiegte. Mielke: »Aber ich liebe euch doch alle!« Als einer der frühesten Mielke-Gegner nehme ich den Mann beim viel zu spät ausgesprochenen guten Wort. Mit diesem Satz war der über Jahrzehnte erstarrte, vernagelte Genosse plötzlich wünschenswert statt ver-wünschenswert. Die Tragödie der Kommunisten ist epischer Natur, also ein modernes, letztes oder vorletztes Kapitel im globalen Endspiel.
Unsere geheime Gablenzer Bodenkammer-Bibliothek überstand alle deutschen Untergänge. Das sind der Reihe nach: Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR, Bonner Republik. Nun leben wir in der Berliner Republik und singen immer weiter ein beschädigtes Deutschlandlied, das die DDR mit Recht und guten Gründen verweigerte. Noch wird die zweite Strophe statt der ersten geschmettert, bald wird man vom Torso, dieser Ruine ungescheut zur ersten Strophe zurückkehren. Die Einheit hat ihren Preis der Grenzenlosigkeit.
In jedem deutschen Land war ich, das sei eingestanden, widerwillig Prophet. Die geheim gehaltenen Gablenzer Bodenkammer-Bücher stehen heute in unserer Haus-Bibliothek im Taunus. Vor dem Nazi-Regime schützten wir sie. Ich selbst verließ es zu Fuß über die Front, die Bücher unvergessen im Kopf. Der DDR entging ich »über Nacht« – so damals Neues Deutschland, es begab sich aber bei Tage. Das Ende des zweiten deutschen Staates erwartete ich zum Beginn der achtziger Jahre, es wurde 1989/90 draus, weil F.J. Strauß gewiss nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit mit Milliardenkrediten aushalf. Das Ende aller deutschen Reiche beschrieb ich vorausblickend der leichteren Verständlichkeit halber mit literarischen Mitteln. Zur Leseprobe ein kleiner Abschnitt aus dem Casanova-Roman:
»Man wird die Schlachtfelder der deutschen vaterländischen Geschichte nach den verstreuten Gerippen absuchen, die Knochen der Volksverführer und Marschälle zusammenlesen, die feisten Wänste germanischer Schreihälse einsammeln, die richtsprüchlich Gehenkten aus den Gruben holen, Nürnberg zurücknehmen, Landsberg zur Andachtsstätte ausbauen, Guderian einen großen Mann heißen; man wird den Hauptmann Pabst hier aufbahren, weil er Luxemburg und Liebknecht umbringen ließ, wird die Freikorpskämpfer, den Stahlhelm, die SS durchmustern zur großen Heiligen Allianz, und was nur irgendwie dem Vaterland aufgrund seiner Pestilenz zur höheren Ehre und zum ewigen Ruhme dienen könnte, wird hier eingesammelt, restauriert, numeriert, konserviert und zu erneutem Aufbruch vorbereitet…« (Aus dem Roman Casanova oder der Kleine Herr in Krieg und Frieden, 1966, zitiert nach Seite 621 der vorläufig letzten Ausgabe von 2005 in Ein März-Buch im Area Verlag, 2005)
Wer möchte, kann das ganze vorletzte Roman-Kapitel Germa Nija lesen. Es sind 27 Seiten vorausgesagter Untergang per Wiederholung im literarischen Sarkasmus, Deutschland pur eben.
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Casanova oder der Kleine Herr in Krieg und Frieden
1966 im Scherz-Verlag gestartet, brachte es der Roman als Antikriegs-Erotik-Bestseller auch zu internationalen Editionen.
Unter anderem mit italienischer Ausgabe (unten rechts) und amerikanischer (Grove Press, links). |
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Im Spiegel vom 4.6.2012 waltete auf Seite 143 ein ausnehmend kluger Geschichts-Geist als Zeitgenosse, der ohne jede Ideologie Darwins Evolutionstheorie, Marxens Gesellschaftsanalyse und Freuds Psychoanalysen-Kultur als Grundlage des klassischen Humanismus und der Aufklärung anerkannte. Fragwürdig ist, wenn die Postmoderne als einziges Endresultat legitimiert wird. Unerwähnt bleibt die Fortentwicklung von Marx zu Bloch / Lukács und damit der Linkskultur über Ontologie und Anthropologie, die sich als marxistische Dekonstruktionstheorie zusammenfassen lässt. Die Postmoderne in ihrer Ahnungslosigkeit ist davon unbetroffen wie einst die SED von Bloch / Lukács, nachdem man sie ausgebootet hatte.
Wie im Osten so im Westen, zeitverzögert, also ungleichzeitig, wo die Postmoderne als gutgedüngter Boden wirkt, aus dem die neuen (alten) Krieger sprießen. Der erste Sterben-für-Deutschland-Propagandist im Gefolge der Einheit war Arnulf Baring. Der bisher letzte ist Joachim Gauck. Soweit die kurze Wegstrecke vom zunehmend rechten Kriegs-Professor zum konterrevolutionären Pastorpräsidenten. Denken wir ungerechtfertigt an Hindenburg und Reichsbischof Müller? Das deutsche Militär und die Kirche. Das Volk will nicht, wird von der Elite gehirngewaschen und gehorcht oder betet resigniert. Wir blicken zurück. Hitlers Legion Condor half Franco den Bürgerkrieg zu gewinnen. Eine linksintellektuelle internationale Elite leistete in Spanien damals tapfer Widerstand gegen den Faschismus. Heute marschiert statt einer Legion die Bundeswehr in die neuen Kriege, und eine schreibstubengesattelte Elite bereitet sie vor und nach, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben.
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PEN Tagung in Rudolstadt, mein dort erschienenes Buch erinnert an Blochs Hoffnung, doch vor allem an seinen Trotz
Gerhard Zwerenz
Aristotelische und Brechtsche Dramatik
Greifenverlag 1956
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Dieses Jahr tagte unser PEN-Club im thüringischen Rudolstadt. Der dortige Greifenverlag druckte 1956 mein Büchlein Aristotelische und Brechtsche Dramatik, in dem ich erstmals öffentlich Blochs Prinzip Hoffnung mit dem Prinzip Trotz zusammen behandelte. Das geschah wie bei Bloch selbst als Teil seiner Ästhetik, führte allerdings zu politischen Konsequenzen, was mir nicht unrecht war. Im PEN vom Jahrgang 2012 ist das alles gänzlich unbekannt geblieben. West wusste nie davon, Ost schließt sich an. Eine Generationsfrage? Hätte ich vor Ort darüber sprechen sollen? Blieb wegen Klinik-Aufenthalt fern. Nein, bleibe seit fataler Vereinigungsquerelen weg. Im vorherigen West-PEN fochten wir unsere Konflikte hart und oft auch unfair aus. Immerhin gab es intellektuelle Fronten statt der Waschsalonatmosphäre nach der Aussonderung missliebiger Schriftgenossen. Wenn die Kultur schrumpft, blähen die elitären Kadaver sich erwartungsvoll auf. »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« (Carl Schmitt)
Oder Matthias Matussek per Kommentar im Spiegel 18/2010, Seite 34 über die NATO-Kämpfe in Afghanistan »Ein gerechter Krieg«, denn: »Früher haben sich deutsche Regierungen mit dem Scheckbuch aus solchen Konflikten herausgekauft. Das geht nicht mehr und deshalb haben die deutschen Soldaten Unterstützung verdient. Geben wir sie ihnen.« Was gibt der Befürworter gerechter Kriege im Spiegel denn selber hin? Statt sein Blut wohlfeiles Gelaber. Unterdessen verordnete Obama den Rückzug aus Afghanistan. Ganz wie vorher die Russen. Matussek aber, der Kampf-Trompeter darf seinen gerechten Krieg weiterführen. Der Spiegel braucht Maulhelden, die Seiten zu füllen. Nachzuschmecken ist das »Wir« des Matthias M. – soll das kampfgeile Gespenst aus der Vatikan-Waffenkammer von vorvorgestern sich Verbündete suchen, wo es will. Sein »Wir« verbittet sich ein Großteil des Volkes. All diese heroischen Schwätzer – Baring nicht zu vergessen, der schon seit zwei Jahrzehnten das neue Sterben für Deutschland favorisiert, und der Bu-Prä Gauck, der sich ihm jüngst zugesellte, formieren die neue Heimatfront missionarisch-aggressiver Großschnauzen.
Das Ich ist Wort, Begriff und Subjekt. Alle drei finden einander in der Autobiographie. Geboren in einer Bodenkammer wurde ich meiner guten Großmutter anvertraut. Bis zum vierten Lebensjahr schlief ich wohlgeborgen in ihrem Bett. Danach die Einsamkeit im eng begrenzten Raum unterm Dach. Mehrere hundert Bücher, die sich dort befinden, dienen als Lesehilfe und Welterweiterung. Als ich siebeneinhalb Jahre zähle, werden solche Bücher verboten und verbrannt. Wir vergraben welche im Wald und die anderen in unseren Herzen per Geheimhaltung. So bildeten sich Abwehrfronten. Ich träume vom Segelflug übers Erzgebirge bis nach Prag. Kaum habe ich meine ersten Gleitflüge absolviert, besetzt die Wehrmacht die Goldene Stadt. Dann eben mit Motor. Mit siebzehn Jahren zur Luftwaffe, um als Fliegerheros zu entschwinden. Statt Pilot werde ich Infanterist. Da musst du eben zu Fuß abhauen. Das scheitert, bis es im August 1944 in Warschau gelingt. Die roten Russen umarmen und lieben mich so inniglich, dass sie mich erst vier Jahre später freilassen nach Unterschrift zur Verpflichtung für drei Jahre Dienst bei Militär und Polizei. Ich ärgere mir eine veritable Lungentuberkulose an den Hals und entschwinde ins Sanatorium, lese mal wieder Thomas Mann und werde ummontiert zum Dozenten einer Ingenieurschule. Bald bin ich satt und sauer und heuere in Leipzig als Philosophiestudent an mit dem besten Willen, endlich ein Weiser zu werden. Stattdessen verrate ich zuviel von den Lesefrüchten unserer Bodenkammerbibliothek. Dafür wollen sie mich einsperren. Ich gehe, von Flüchen und Haftbefehlen begleitet, westwärts davon. Ein freies ICH auf der Suche nach seiner Autobiographie. Soweit Rückgriffe aufs Vergangene. Nachzutragen ist: Wo immer es sich einrichten ließ, schrieb ich alles auf. Die frühe Lektüre trug ich im Kopf mit mir herum. Zu den drei- bis vierhundert damaligen Bänden gesellten sich im Lauf der Jahrzehnte an die einhundert, die ich mir selber schrieb. Ich rede vom Schreiben, nicht vom Dichten. Die einst verbotenen Bücher sollen nicht vergessen werden, Leute, Leser, Lebende -also Überlebende. Autobiographie ist Kontinuität. Einem Team der Leipziger Universität gelang es in dreizehn Jahren fruchtbarer Forschung, das DNA-Genom des Neandertalers zu knacken, der bis vor 30.000 Jahren in Europa lebte. Wie schön, hätte der Typ Autobiographisches hinterlassen, gelle? Stattdessen wollen seine runtergekommenen Nachfahren heute Ernst Bloch unbekannt vergehen machen. Das Genom der linken Marx-Töter ist bekannt, weil rechterhand entschlüsselbar. Die Protokolle dazu liefere ich seit 1956, als in Leipzig mein erstes Buch erschien und wir bald verscheucht wurden von krakelenden Kretins. Gegen Bloch und Lukács: »Der Einfluss von Lukács ist bei uns gebrochen oder erschüttert worden.« (Prof. Rugard Otto Gropp) »Lukács hat schwere Schuld auf sich geladen. Theoretisch bestehen zwischen Lukács, und Bloch enge Beziehungen.« (Prof. Hermann Ley) Theoretisch setzt hier 1956 meine Autobiographische Dramaturgie ein. Es galt wieder wie 1933 unsere Bücher und ihre Verfasser zu verteidigen. Ich verspürte wenig Lust, das von Bautzen aus zu tun. Die Jahre in sowjetischen Gefangenenlagern steckten mir noch in Knochen und Gedächtnis. So wurde der keineswegs freie Westen für mich zur Freiheitsbastion des freien Wortes. Kein Grund, Marx zu vergessen.
Während der vier Jahre in sowjetischer Gefangenschaft und den neun brausenden Jahren DDR-Zeit brauchte ich meine Lektüre nicht zu verleugnen. Bis 1956/57 die Werke von Lukács und Bloch für klassenfeindlich erklärt wurden. Hatte ich bis zum Parteiausschluss an die marxistische Einheit von Philosophie und Politik geglaubt, sortierte ich jetzt die Vorwürfe im Einzelnen: Verbreitung feindlicher Ideologie – Konterrevolutionäre Ideen – Zuwendung zur Philosophie Blochs – Ablehnung von Parteibeschlüssen gegen Bloch – Antisowjetismus – Verteidigung der eigenen Plattform – Verweigerung von Selbstkritik – Das sollen meine Fehler sein? Ich bekenne mich heute wie damals zu meinen Sünden und erweitere sie. Es gibt in Parteistrategie- und Taktik keine Einheit von Philosophie und Politik mehr. Es gibt auch keine Einheit zwischen Religion (Glaube) und Partei-Politik. Soweit beides nach 1945 behauptet wurde, misslang es bei der ideologischen Absicherung von Macht in West wie Ost. Feindschaft eben. Um Jahrzehnte verspätet erfahren erst heute Westler die Wahrheit über ihre Bonner Jahre, und die Ostler erfahren, was es mit Gulag oder Katyn auf sich hatte. Den überlebenden Kommunisten, die in der DDR Karriere machten oder sie wie Ulbricht und andere Genossen fortsetzten, fiel die Verdrängung ungleich schwerer. Sie brachen einst auf für Ideen, die sie Schritt für Schritt zu verleugnen gezwungen wurden. Der Kommunist bricht ursprünglich mit der bürgerlichen Ordnung. Was aber, wenn die neue Ordnung nicht hält, was von ihr erwartet wird? Das Jahr 1945 bildet die Zäsur. In der Folge entwickelten die besiegten Deutschen sich in frontale Heldenheerscharen West und Ost, bereit zum Atomkrieg. Mit dem Sieg West über Ost wurde der atomare Vernichtungsfeldzug Richtung Nah- und Fernost vorerst verschoben. Das kriegerische Endspiel zu erreichen bedarf es einer endgültigen intellektuellen und charakterlichen Enthumanisierung der Eliten. Die Parteien lösen dabei keine Probleme mehr, sie schaffen mit ihrem diffusen Personal erst welche, die zu lösen sie so beansprucht, dass für reale Überlebensfragen weder Zeit noch Energie übrig bleiben. So entsteht der Eindruck, das heutige Personal entstammte der Augsburger Puppenkiste, während Adenauer seine Elite von Globke bis Gehlen den unterirdischen Korridoren des Führerbunkers entnahm – Kontinuitäten schaffend vom Militär, den Geheimdiensten, der Bürokratie bis in die leitenden Mitläuferscharen. Am Tag, da Albert Speer das Gefängnis in Spandau als freier Mann, der er nie war, verließ, standen die integrierten Weißwäscher längst zu Diensten. An der Spitze die intellektuelle Pickelhaube Joachim C. Fest als FAZ-Superfeder. Aus dem Job des Kriegsverbrechers war längst ein Beruf mit Zukunft geworden. Und das soll schon alles gewesen sein?
Soviel zu Deutschland. Und was ist mit unserm Nachbarn Frankreich? Im Spiegel vom 3.4.2010 verkündete der Pariser Modedenker und Aggressionist Bernard-Henri Lévy ultimativ: »Denken ist nicht gewalttätig, wohl aber unerbittlich. Entscheidend ist die Unnachgiebigkeit. Was ich in der Philosophie ablehne, ist der Kompromiss. In der Politik ist der Kompromiss das Gesetz …« Das ist so großmäulig wie gefällig formuliert. Der Kriegsheld der Philosophie mischt dabei im Politkrieg emsig mit, versetzte Sarkozy in Bombenstimmung und sucht Hollande anzustecken. Damit ist BHL, so das auch von ihm gern auf sich angewendete Kürzel, selbst Politkrieger und kein Philosoph. Genau wie bei den Religiösen: Im Herzen Friede – in der Hand das Schwert, zur Bombe und Drohne umgebaut. So wird im modernen Krieg aus der Ferne gemordet. Wozu da noch Philosophie, wenn nicht lediglich, um der Barbarei ein philosophisches Mäntelchen zu verpassen.
Lévy zählt zu den Pariser Post-Linken, die vom Marxismus zum Antitotalitarismus retirierten und als Militaristen enden, nachdem die KPF sich selbst aufgab. In Frankreich wie in der der Berliner Republik versuchen trotzdem ein paar romantische KP-Genossen, sich neu zu organisieren, guten Willens und von ihren Niederlagen enthusiasmiert spielen sie die Geschichte verspätet und ungleichzeitig nach als ließe sich der linken Farce noch auf den alten ausgelatschten Wegen entrinnen.
Das Spitzenprodukt klassischer Philosophie des Krieges stammt aus der Feder des Carl von Clausewitz. Was auch immer danach geschrieben wurde, bleibt meilenweit hinter seinem Werk zurück, das provozierend den simplen Titel Vom Kriege trägt. Seine Logik ist a) unübertrefflich, b) eiskalt, c) tödlich. Das dritte Verdikt ist wortwörtlich als Todesurteil zu nehmen. Nichts spricht deshalb so vehement gegen die Urteilskraft der Militärs als die Tatsache, dass sie alle miteinander und gegeneinander ihren Clausewitz als aktivierenden Kriegslehrmeister begriffen und benutzten. Und kein Stratege, General, Politiker las die doch eindeutige Absage an den Krieg aus der vielzitierten Schrift heraus.
Im Anhang lesen wir bei ihm: »Irgendein großes Gefühl muss die großen Kräfte der Feldherren beleben. Sei es der Ehrgeiz wie in Cäsar, der Hass des Feindes wie in Hannibal, der Stolz eines glorreichen Unterganges wie in Friedrich dem Großen.« Da sei angefügt: US-Präsident Obama mag als Friedensnobelpreisträger bei seinen Mordbefehlen per Drohnen vom großen Gefühl des Sieges im Wahlkampf belebt sein. Welch großes Gefühl aber beherrscht unsere Kriegsmitbetreiber, die bis zur Vereinigung doch die Beschränkung auf den Fall des Landesverteidigung – wie es im Grundgesetz steht – zu schätzen wussten. Alles vergessen, Ihr Siegfriede im Blutwurschtformat? Das zeigt sich, wenn auch verschämt, bis ins lokale Detail. Weshalb, dies nur als Beispiel, verbirgt eine traditionsreiche Industriearbeiterstadt wie das sächsische Crimmitschau die Gedenk-Büste des Gablenzer Wehrmachtdeserteurs Alfred Eickworth im tiefen Keller des Heimat-Museums? Weil er fahnenflüchtig wurde? Weil er als Kommunist schon vorher verfolgt worden ist? Weil die vergangenen DDR-Zeiten Antikommunismus verlangen? Weil man nach der Wende nichts Eiligeres zu tun hatte als die nach ihm benannte Straße in Gablenz wieder mit der früheren Bezeichnung Mühlweg zu versehen? Der gejagte, bedrohte, ermordete Widerstandskämpfer gehört ans Licht statt in den Keller. Wir sind bereit, die Büste im Garten unseres Hauses in Oberreifenberg aufzustellen. Ehre wem Ehre gebührt. Diese Sätze sind ein Antrag an die zuständigen sächsischen Stadtbehörden.
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Alfred Eickworth
Als Widerständler inhaftiert, als Strafsoldat desertiert und totgeschossen |
Über Alfred Eickworth berichtete ich ausführlich in dieser Serie. (Folgen 17, 60, 84, 85, 86, Nachworte 11, 44, 61) Außerdem im Freitag, in Ossietzky und während verschiedener Radio- und Fernseh-Diskussionen zur Wehrmachtausstellung. Anfang 1944 nach einer Verwundung daheim auf Genesungsurlaub hatte ich von Eickworths Desertion und Ende erfahren und schwor mir, mich kriegt ihr nicht. Jedenfalls nicht lebendig. Wenn Gauck heute von unserer »glückssüchtigen Gesellschaft« schwadroniert, drückt es mir die Kehle zu, denke ich an die zur Strecke gebrachten Genossen. Am heutigen 21. Juni gedenken in der FAZ die Kinder und Enkel eines ihrer Vorfahren, der als Offizier heute vor 70 Jahren an der Ostfront fiel: »Er opferte sein Leben für Heimat und Vaterland« heißt es im Blatt. Das ist Nietzsches ewige Wiederkehr der Vater-Länder. Der Herr fiel für den Führer, der Antifaschist Eickworth fiel gegen Hitler. Was hier im Fokus der Kriegskultur steht, gilbt ebenso für Ökonomie und Religion im geschlossenen System. Die West-Elite folgt der des Ostens im Endspiel nach. Die letzten strategischen Denker der abendländischen Revolution stehen verborgen in den Kellern der Museen.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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