Vor uns diverse Endkämpfe
Die Artikel-Überschrift lautet: „Vor dem Endkampf“. In der Unterzeile wird der Endkampf konkretisiert: „Der Einsatz in Afghanistan wird militärisch härter.“ Wobei die geographische Ortsbestimmung schon deshalb notwendig ist, weil die Begriffe Endkampf und Einsatz sowohl dem Wortschatz nach vom Goebbelsschen Propagandaministerium wie vom OKW stammen können.
Jetzt also der zukünftige Endkampf in Afghanistan, den der FAZ-Stratege Lothar Rühl kraft seines Kampfblattes am 17. Dezember 09 im besten Kriegsdeutsch gerade noch rechtzeitig vor Heiligabend verkündete, womit er an der FAZ-Front nicht einsam blieb. Schon zwei Wochen zuvor hatte Schreibtischkamerad Berthold Kohler seinen Leitartikel auf Seite 1 rechts oben heldenhaft mit „Endkampf“ betitelt, denn: „Es wäre in der Sache falsch und ein schwerer Schlag für das atlantische Bündnis, Amerika im Endkampf um Afghanistan und Pakistan alleinzulassen.“ Indessen geht es auch um den Jemen, und so baut sich Stück für Stück der globale Weltreligionskrieg auf, bei dem wir unseren Nobelfriedenspreisträger Obama nicht im Stich lassen dürfen mit seinen Flugzeugträgern, Raketen, Drohnen und sonstigen Massenvernichtungswerkzeugen zur Herstellung von Friedhofsruhe.
Zwischen 1945 und heute gab es freilich auch schon einige Endkämpfe, die nicht von Pappe waren. Nun ja, für unsereinen zählt derlei zur Biographie. Ich lebte noch mitten in Leipzig, als am 26. Mai 1954 in der Weltbühne mein vorläufiges Schlusswort zu den damaligen Endkämpfen erschien:
Gert Gablenz, mein erstes Pseudonym, war mir vom Chefredakteur vorgeschlagen worden, weil es Auseinandersetzungen wegen Verdacht auf Pazifismus gab. Das war damals so wie es heute ist. Dabei sitze ich gar nicht mehr in Leipzig, und die Weltbühne existiert auch nicht mehr. Nur die Endkämpfe gehen endlos weiter. Womit wir wieder beim Lieblingsvokabular unserer tapfren Endkampfhelden sind, die so unaufgeklärt wie offenbar unbesiegt in ihren Einsatz ziehen, der sich inzwischen übern Kampfeinsatz zum kriegsähnlichen Einsatz und Kriegseinsatz entwickeln durfte. Da war die Wehrmacht sprachlich exakter. Der Soldat befand sich im Einsatz, d.h. er wurde eingesetzt wie seine Gewehre, Panzer, Bomben und Raketen. Fragt sich, wer den Soldaten einsetzt. Darüber denkt der Soldat nicht nach. Er ist zufrieden, setzt ihn wer ein.
Die einsetzende Obrigkeit kommt bekanntlich von Amtswegen und/oder von Gott. Aber wo geht sie hin? Sie geht zu den Endkämpfern im Einsatz. Die Toten hat möglichst der böse Feind zu liefern. Der ist zwar auch im Einsatz, hat als Feind aber im Endkampf zu unterliegen. Wo nicht, warten wir auf den nächsten Krieg, denn die Rache ist mein, spricht der Herr.
Im Moment gibt es einigen Ärger um unseren ersten Bomben-Einsatz in Kundus. Der aber ist „Für die NATO nur eine Anekdote“, schreibt die FAZ auf Seite 2 ihrer Ausgabe, in der auf Seite 10 der Einsatz zum Endkampf verkündet wird. So hat alles seine Richtigkeit. Unserer Hausbibliothek entnehme ich zum wiederholten Mal das Wörterbuch des Unmenschen von Sternberger / Storz / Süskind, und dieser dtv-Bestseller der friedenssüchtigen Nachkriegzeit fordert, wie ich erschreckt lese, „das Wort Einsatz endgültig zu entzaubern“. Was aber kann man tun in einem Volk, dessen nachwachsende Elite offenbar, dem Zauber des Analphabetismus verfallend, den Dr. anal als Person der höchsten Kulturstufe empfindet? Vergessen ist schön, doch gar nichts zur Kenntnis zu nehmen noch schöner und karrierefördernd. Wozu also zum Buch greifen, wenn darin konstatiert wird, durch den Gebrauch des Wortes Einsatz „wurde das Ganze der Kriegsmaschine wieder funktionsfähig … so bezeugten die Soldbücher die Zahl der Einsätze, die ein Kampf- oder Nachtflieger geflogen hatte. Einsatzbereitschaft bezeichnete damals nicht so häufig den funktionsgerechten Zustand von Zündkerzen und anderen Maschinenteilen; vielmehr von einem Menschen konnte nichts Höheres gesagt werden, als dass er einsatzbereit sei …“ (kursive Hervorhebungen GZ)
Inzwischen sind wir mit den Endkampf-Einsätzen tüchtig vorangekommen. „Eine Frau und zwei Kinder sind tot. Eine schreckliche Tragödie. Keiner möchte in der Haut der jungen Soldaten stecken, die die tödlichen Schüsse in Afghanistan abgefeuert haben“, dichtete der einschlägig bekannte Georg Gafron Ende August 2008 in dem für so hochmoralische Fragen zuständigen Bild-Kommentar. Und weiter: „Unsere Soldaten sind keine Mörder! Was geschehen ist, ist schrecklich, aber in einem Krieg leider immer möglich.“ Nun werden zwar Kanonen abgefeuert, nicht Handfeuerwaffen, mit denen der Soldat schießt, um zu treffen und zu töten, doch das Resultat ergibt die gewünschte Killer-Rate. Außerdem zahlt unsere Regierung freiwillig 1000 bis 2000 € pro ziviler Leiche. Inzwischen erzielte ein auf deutschen Befehl erfolgter amerikanischer Bombenabwurf bei Kundus eine Killer-Quote, die von gar keinem erlegten Zivilisten bis „an die 140“ reicht, und da die Anzahl im Endkampf nach oben offen ist, dürfte künftig allerhand End-Geld Richtung Hindukusch fällig werden, was sich vielleicht im Bundeshaushalt als Entwicklungshilfe abbuchen lässt.
Nach dieser Abschweifung in die Realpolitik kehren wir zur Semantik zurück, zu der Sternberger / Storz / Süskind die Konnotationen lieferten. Nicht zu vergessen als Vierten im Bunde Victor Klemperer, dessen LTI - Lingua Tertii Imperii als Analyse der Sprache des Dritten Reiches die kriegspolitische Wortbedeutungslehre komplettiert. 20 Jahre nach der friedlichen Revolution herrscht kollektives Vergessen. Regierung, Parteien, Medien und Truppe verdrängen das Wörterbuch des Unmenschen und deklamieren sich ungescheut von Einsatz zu Einsatz voran, womit der Rückfall in vergangen geglaubte Kriegszeiten so notorisch wie unkorrigierbar geworden ist.
In der Deserteursdebatte des Bonner Bundestages kam es am 16. März 1995 (13. Wahlperiode, 27. Sitzung) zu einer Kontroverse mit Folgen. Ich sagte: „Der CDU-Ehrenvorsitzende Alfred Dregger, der am 8. Mai 1945 nicht befreit wurde, hat zum Volkstrauertag 1986 im Bonner Bundestag die offizielle Trauerrede gehalten, wo er selbstverteidigend feststellte, dass der deutsche Soldat, der dem Kriegsgegner bis zuletzt widerstand, für seine Person eine ehrenhafte Wahl getroffen habe, was insbesondere für die Soldaten des deutschen Ostheeres gelte.“
[ Zwischenruf von Norbert Geis (CDU/CSU) „Das ist ja auch richtig!“] Darauf ich: „Ja, natürlich sind Sie der Meinung, dass das richtig ist. Selbstverständlich! Sie würden den Krieg heute noch weiterführen.“ Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle: Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU – Norbert Geis (CDU/CSU): „Sie haben von nichts eine Ahnung!“ Soviel zu meiner Ahnungslosigkeit. Wenig später ist im Protokoll zu lesen: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: „Liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich habe eben im Protokoll nachgeprüft: Der Abgeordnete Zwerenz hatte gesagt: ›Selbstverständlich, Sie würden den Krieg – ‹ damit war der nationalsozialistische Angriffskrieg gemeint – ›heute noch weiterführen.‹ Dafür rufe ich ihn zur Ordnung.“ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Bin ich beleidigt wegen des Ordnungsrufs? Sowas trägt unsereins als Auszeichnung. Es ging nicht um den Nazi-Angriffskrieg, sondern um die von Dregger behauptete „ehrenhafte Wahl“ des Widerstands gegen die „Kriegsgegner“. Welch ein Begriff von Widerstand. Ohne jede Hemmung werden die letzten behelmten Sturköpfe zu Ehrenmännern erklärt, obwohl der Endkampf das meiste Blut kostete. Ging es Dregger 1986 noch um die Ehre seiner längst geschlagenen Mitkrieger, stehen wir heute schon wieder vor Endkämpfen. Soweit das Schicksal der Sprache als Militärstiefel.
Inzwischen sind wir auch bürokratieverbal viel weiter gekommen. Erleidet der BW-Soldat im „Einsatzgebiet“ einen „einsatzbedingten Unfall“, kann dieser „Einsatzunfall“ zur „Einsatzversorgung“ führen. (FAZ 25.5.07) Am 21.5. nannte das Blatt den „Militäreinsatz in Afghanistan lebensgefährlich“, denn „Der Bundestag wird ... den künftig eingesetzten Soldaten keine Sicherheitsgarantie geben können.“ Am 22.5. hagelt es gleich im Leitartikel Im deutschen Interesse nur so von dem Wort „Kampfeinsatz – Einsatz in umkämpften Gebieten“, wo das „Engagement ... noch Jahre oder gar Jahrzehnte“ dauern werde, und wer dabei getötet wird, stirbt „für uns alle“, wobei Frau Merkel laut FAS vom 20.5. deutlich machte, „dass der Einsatz fortgesetzt werde.“ Warum auch nicht: Ein weiteres von den Deutschen ausgebildetes afghanisches Bataillon soll jetzt „in den Kampfeinsatz in den Süden“ geschickt werden. (FAZ 7.5.) Ja diese Missionen der Christenheit. Jeder Bombenwurf und Raketenschuss ist eine Mission. Es gibt immer mehr Missionare, die Afghanen gegen Afghanen ausbilden, d.h. Militärberatung für den „Einsatz“. Was verständlich ist, denn „Putin droht dem Westen.“ (FAZ 27.4.) Was auch verständlich ist, weil Putins Vorgänger in Afghanistan geschlagen wurden und abzogen, weshalb nun die Deutschen ihren US-Verbündeten bei der dortigen Kriegsmission helfen dürfen, während man zu Sowjetzeiten darauf verzichtete, die DDR-Volksarmee in den Krieg zu schicken. Laut Frankfurter Rundschau vom 12.7.1994 hielt schon Helmut Kohl es „mit der Würde unseres Landes für unvereinbar, dass die Deutschen sich bei internationalen Pflichten drücken.“ Die Berliner Regierungen drücken sich nicht und lassen deshalb mit Tornados in Afghanistan das Feindgebiet aufklären. Rächt sich dann der Feind, ist er ein Terrorist, und wenn Lafontaine die Bombenflieger samt ihren Feinbildlieferanten als Terroristen bezeichnet, ist er selbst einer.
Der unausrottbare Einsatzbegriff zählt zu den Mysterien der Kriegssprache. Sie signalisiert den ewigen Wortschatz unserer Wertegemeinschaften. Es fehlt nur die Aussage: Wer den anderen zum Feind erklärt, macht sich zum Feind des anderen. So ähnlich steht's immerhin in der Bibel. Doch wer sich auf dem Kreuzzug befindet, hat außer seinem Einsatz nur Stroh im Kopf, Angst im Herzen und Mord-Ziele im Sinn. So gesellt sich zur Kriegssprache das Kriegsgeld: „Die Rüstungsindustrie boomt. Dennoch werden mehr als 100 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket bei deutschen Waffenfabriken landen. So war das nicht gedacht.“ (stern 1. 10. 2009)
Soviel zur Semantik unserer asymmetrischen Think Tank-Betreiber, der letzten Menschen mit Hang zur Vervielfältigung von Kriegen im 21. Jahrhundert. Was werden sie vor der Kafka-Tür in Auerbachs Keller vorweisen können außer ihren geheiligten Killer-Zahlen? Bolschewiken besiegt. Islamisten auf der Todfeind-Liste. Vom Ritterkreuz mit Diamanten zum Bundesritterorden mit goldenem Streuobst in der Birne. Der Herr wirft statt Hirn Napalm vom Himmel.
Aus meinem fernen Geburtsort Gablenz frohe Kunde. Der Militärverein von vor 1945 wurde als Frucht der Vereinigung nach 1989 nicht dort, sondern in einem anderen sächsischen Gablenz reanimiert. Mein Heimatdorf ist reingewaschen, was mich freut. Also nenne ich es erleichtert wieder Bad Gablenz, und zwar vom Paradies an, wie der lange Weg hieß, auf dem mein Großvater, der Kesselschmied jeden Morgen zur Arbeit in die Stadt lief. Und abends zurück. Nahebei gab es vom Sommer 1933 bis 1934 die heimlichen Treffen der Widerstandsgruppe „in der Weißbach“. Einer der schon vor 1933 antifaschistischen Aktiven war der Schlosser Alfred Eickworth, dessen Mahnmal-Büste seit dem Ausbruch der deutscher Einheit samt seinem Namen aus der Straße entfernt und im Keller des Crimmitschauer Heimatmuseums verborgen gehalten wird. Denn eines Deserteurs aus der Wehrmacht, der dazu noch von den eigenen Kameraden totgeschossen wurde, gedenkt man heutzutage nicht. Mehr Angst als Widerstandsliebe? Der alte Endkampf ist tot. Es lebe der neue Endkampf. Wie viele linke Widerständler gibt, nein gab es? Ihre Denkmäler werden zerstört, auf sie verweisende Straßen-Namen gelöscht, ihre Angehörigen entwürdigt, ihnen gewidmete Schulen umbenannt. Mehr soll nicht bleiben vom Widerstand der Linken, dieser Minderheit eines Volkes ohne Moral, das die ganze Welt zu unterwerfen aufbrach, ausgestattet mit der feigen Disziplin preußischer Schießprügel. Zum Kontrast bedarf es im www. nur der Frage nach einer NS-Strafanstalt. Ein Klick und wir haben als Beispiel unter vielen die Opferliste vom Zuchthaus Brandenburg-Görden:
Im Zuchthaus hingerichtet oder verstorben
Angesichts der linken Opfer, vorab der kommunistischen Widerstandsmehrheit, verkommt das dumpfe Gerede vom „verordneten Antifaschismus“ zur schamlos- Enthielte die Todesliste so viele Christen wie Kommunisten, gäbe es jede dritte Woche einen Gedenkgottesdienst, und enthielte sie so viele hohe Offiziere, gar noch von Adel, produzierten Kino und Fernsehen mehr Widerstandsfilme als Volksmusik- und Bambiverleihungsfeste. Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 25.01.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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