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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 45. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
45. Nachwort |
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Macht ist ein Kriegszustand
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„Peter Sodann – Charakterschauspieler mit Charakter“
Peter Sodann (Hrsg.)
Schlitzohren und Halunken.
Von Ackermann bis Zumwinkel:
Eulenspiegel Verlag 2009
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Einigen Leserbriefen im Neuen Deutschland ist zu entnehmen, Peter Sodann gastierte in der Berliner Distel mit einem gutbesuchten Lese-Auftritt, bei dem er das von ihm herausgegebene Buch Schlitzohren und Halunken – Almanach der Missetaten nutzte. Die Medien schweigen weithin dazu. Ein Charakterschauspieler, der Charakter besitzt statt ihn nur zu schauspielern, passt nicht in den glattpolierten Spiegel der Öffentlichkeit. Als populärer Hauptkommissar Ehrlicher im Tatort verschwand der Mann vom Bildschirm, als Politiker hielt er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, sondern lachte sich eins. Als Buch-Herausgeber versammelt er eine Reihe von Ost-Satirikern und einige aus dem Westen, die im vereinten Deutschland alle zusammen unerwünscht bleiben sollen, und jetzt droht er, den ersten Almanach-Band zur Enzyklopädie über die Schlitzohren und Halunken der ganzen Epoche auszuweiten. Meint er etwa, das ginge ganz ohne häufige Fernseh-Präsenz? Nerven hat der Mann wie Lachfalten.
Nächste Frage: War Strittmatter nun wie Grass bei der Waffen-SS oder nicht? Man wird doch noch fragen dürfen. Und antworten.
Seit dem Scheitern der Marx-Leninschen Weltrevolution am erzkonservativen Deutschland sind die Weichen auf Weltuntergang gestellt. Der anarchische Automatismus des Kapitals führt, bleibt jede revolutionäre Transformation aus, zur Katastrophe, Armageddon genannt. Die einzige feste Größe, die den Niedergang begleitet, ist der Streit der Ökonomen über die Ursachen ihrer Konflikte. Die Welt ab Ende des 1. Weltkriegs kulturmorphologisch betrachtet, bietet ebensowenig einen Ausweg wie die Wirtschafts-Astrologen. Allerdings können wir die Ursachen und Begleitereignisse beim existentiellen Finale besser begreifen.
Der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 sowie sämtliche Aufstände im Osten von Ungarn 1956, Prag 1968 und Polen mit Solidarnosc richteten sich nach allgemeinem Sprachgebrauch gegen das kommunistische System. Bei den Formulierungen allgemeiner Sprachgebrauch und kommunistisches System handelt es sich linguistisch und philosophisch gesehen um „Universalien“, die unverzüglich der Dekonstruktion bedürfen. Die feindliche Phrase kommunistisches System zielt ebenso daneben wie die Standard-Sätze der System-Verteidiger, deren Worte die gemeinten Objekte längst verfehlten. In diesem Sinne beruhen jüngste Massenproteste im Westen bis heran zum Stuttgarter Bahnhofskonflikt 2010 ebenso auf sprachlichen Divergenzen. Das von oben Gesprochene und Versprochene verwandelt sich ins Verfehlte, Unangenehme, Drohende. Gert Gablenz würde einwerfen, die Leute verstehen nur noch Bahnhof. Oder mit Berliner Schnauze: Kriechst jleich wat vorn'n Bahnhof, dat de Jesichtszüje entjleisen. Chef Grube, sei wachsam!
Vor Stuttgart drohte ein Gleis-Streit schon in Leipzig. Man verkürzte beizeiten auf vier Kilometer Tunnel und bremste mit den Kosten knapp unter einer Milliarde ab. Die Heldenstädter begnügten sich mit Witzen, für die Stuttgarter kams dann knüppeldicke. Sprachdivergenzen sind systemunabhängig.
Als Antwort auf die Frage nach Strittmatters Vergangenheit gibt's einen so kuriosen wie typischen West- Ost-Streit und das Buch Erwin Strittmatter und der Krieg unserer Väter von Günther Drommer, dem Autor und früheren Cheflektor des Aufbau-Verlages. Aus den Zeitungsüberschriften: Endlich einer aus dem Osten (FAZ 9.6.08) – Die Legende vom Widerstand (FAZ 7.2.09) – Der Fall des Schriftstellers Erwin Strittmatter ist nicht abgeschlossen (FAS 1.8.08) – Kronzeuge für dies und das (FAS 8.2.09) … Drommers Buch erzählt den Vorgang aus Sicht der nachfolgenden Generation. Die Mischung von fachlicher, doch auch vitaler und existentieller Betroffenheit ist zumindest für die DDR-Seite ungewohnt. Man erwartet klare Beweislegungen und erhält Konfrontationen. Die West-Presse wurde gefüttert von Werner Liersch, auch er wie Drommer in der roten Wolle gefärbter Autor und Redakteur aus Ost-Berlin, der Strittmatter an die Jacke will. Warum die Erforschung der geheimen Strittmatter-Vergangenheit statt in einer Zeitung am Ort des Geschehens im fernen mainischen Schmäh-Blatt publiziert werden musste, bleibt rätselhaft. Allerdings leidet der verlegen als „neue Länder“ definierte Osten so unter medialer Auszehrung, dass alles, was zum kulturellen Potential gehört, entweder weggeht oder resigniert, weil jeder westliche Kohlkopf wichtiger und größer zu sein scheint. West sucht Ost auch kulturell zu dominieren.
Ich dreiteile mich: Den Wahrheitssucher Liersch verstehe ich. Drommers Buch las ich mit Staunen und Gewinn wegen des unbestechlichen Blicks auf die Väter. Strittmatter kenne ich wenig, sympathisiere aber mit ihm, egal was da war oder nicht. Und wäre er nicht inzwischen verstorben, fühlte er sich heimatlos wie die Überlebenden.
Europäische Ideen
Zeitschrift von
Andreas W. Mytze
Im Nachwort 38 verwiesen wir auf eine neue vielschichtige Havemann-Story, die im Sonderheft 2010 der von Andreas W. Mytze in London herausgegeben Zeitschrift europäische ideen enthalten ist. Im Heft 148/2010 berichtet nun u. a. der 1962 in Waldsassen/Oberpfalz geborene Literaturwissenschaftler Volker Strebel Über Erich Loest, genauer gesagt über dessen Buch Prozesskosten. Die Rezension enthält einen Satz, der mich erheitert, hier ist er: „Nicht ausgespart werden auch bittere Erinnerungen an den ehemaligen Gesinnungsfreund Gerhard Zwerenz.“ Was kann da bloß gemeint sein? Die so friedens- wie genauigkeitswillige Ingrid mailte prompt einen Brief, den sie am 9. April 2007 an Erich Loest geschrieben hatte, zur Information an Andreas W. Mytze:
„Lieber Erich, Deine Adresse fand ich im Internet, sie trifft hoffentlich zu. Sehr treffend ist der Titel Deines neuen Buches, von Steidl samt Grüßen an mich abgeschickt und heil angelangt. Danke. Du hast darin mehrere heroische Taten vollbracht. 1. Dich nochmal reingekniet in diesen elenden Lebensabschnitt. 2. Deine Erinnerungen an uns nach rückwärts objektiviert, das packt und rührt einen wie auch alles, was Du über Annelies schreibst, die natürlich auch hier unvergessen ist.
Im von Dir aufgespürten Material sind Details enthalten, die neue Aspekte und Zusammenhänge erschließen. Beispiel: Überlegungen bei Bloch und Mayer, ob Gerhard evtl. doch im MfS-Auftrag „ausgereist“ sei – sehr erheiternd. Gar nicht lustig, der Fall Ralf Schröder, das hält man im Kopf nicht aus. Überraschend und freudvoll die überlieferte Bemerkung Hanns Eislers über Trotzki.
Gerade sehe ich auf Seite 54 vorweggenommene Bitternis, was Deine Beziehung zu Gerhard angeht. Da hat sich Erich wohl gekränkt gefühlt wegen der kleinen Spitze über den sächsischen Dialekt – Dein rabiates Urteil zur Leipziger Allerlei-Wertigkeit hängt in der Luft, bleibt Dir aber selbstverständlich unbenommen.
Na ja, dann der Faustschlag am Ende, wahrscheinlich Retourkutsche für manches, was Gerhard über Dich schrieb, doch enttäuschend, dass Du Dich dabei ausgerechnet auf Zehm berufst, der sollte mit Worten wie Verrat außerordentlich vorsichtig sein, er hat alles verraten, angefangen bei Bloch und Sartre, eine minimale demokratisch-humanistische Basis, die bei ihm mal vorhanden war, das begann in der Welt* und endet (?) in der Jungen Freiheit, doch wer weiß, wohin der kalte Krieger sich noch wütet – Deutsche Nationalzeitung? Den größten Verrat beging er an seiner eigenen früher vorhandenen Intelligenz. So ein Verbündeter passt zu Dir?“
Soweit Ingrids frohe Botschaft. Ich habe auch eine an den Loest-Spezialisten Volker Strebel als Hilfe bei der Kenntnisnahme von Fakten. In unserer Sachsen-Serie steht die 34. Folge unter dem Titel: Brief mit Vorspann an Erich Loest. Da mir an der Klarstellung liegt, sei hier ein Teil des Textes wiederholt:
Lieber Erich, Dein Buch, das Du an Ingrid schicktest, die es sogleich las, lag einige Zeit, von mir nicht wahrgenommen, im Flur des Hauses im Taunus, das Du ja kennst aus der Zeit, als wir uns noch kannten. So machte ich mich an die Lektüre bis zum unglaublichen Ende, das bringt mich zurück aufs Jahr 1959, als der Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch meinen 1953 in Leipzig begonnenen Roman Die Liebe der toten Männer druckte. Auf der ersten Seite heißt es:
dies buch ist gewidmet meinen freunden erich loest und günter zehm und allen anderen in ulbrichts kerkern dies buch ist geschrieben gegen ihre kerkermeister und alle jene die das unrecht unterstützen, verschweigen oder insgeheim billigen, zur tagesordnung übergehen, den kaisern geben was ihnen nicht ist, von freiheit reden und nichts für sie tun
Obwohl Günter Zehm seine steile Karriere über die Chefredaktion der Welt samt Feuilleton als ständiger Kolumnist der Jungen Freiheit fortführte und krönte, obwohl Du in Deinen Prozesskosten Zehms hirnlosen Vorwurf, Zwerenz sei ein Verräter, erst zurückweist und dann übernimmst, bedaure ich kein Wort im Vorspruch zu meinem Roman. Er dokumentiert meine schmerzhafte Sicht von 1959 im Rückblick auf die DDR im Jahr 1953 und ich erlaubte mir, keiner der gängigen, literarischen, politideologischen Moden zu folgen. Die Liebe der toten Männer ist ganz und gar mein Roman über unsere kommunistische Tragödie.
Zu Zehm habe ich außer einer knappen Trauerbekundung nichts Neues mehr zu äußern. Was ich zu sagen hatte, steht in Kopf und Bauch, Seite 139-152 mit Nachbemerkungen in Sklavensprache und Revolte, abgesehen von der poetischen Erwähnung im Gedichtband Venusharfe Seite 33.
Von den Differenzen abgesehen, die ich früherer Nähe wegen stets etwas untertrieb, ergab sich ein notwendiger Bruch nach Zehms charakterlosen Unverschämtheiten gegenüber Karola Bloch, die ihm in Leipzig häufig hilfreich beistand. Die Karriere in Hamburg war ihm wohl zu Kopfe gestiegen, als er 1979 Karola eine „politisch stramme Person“ nannte, die „den Zugang“ zu ihrem Mann „regelte und überwachte“, was ihn „zu Peinlichkeiten trieb“. Die Peinlichkeiten dieses Welt-Feuilleton-Chefs in der Pose des rechten Politkommissars bestehen u.a. in der Hysterie, die ihn in jede unterstützend gebotene Hand beißen ließ. Als ausgerechnet Fritz J. Raddatz, mit dem mich manche Fehde verband wie trennte, in der Frankfurter Rundschau vom 16.10.1971 meinen Roman Kopf und Bauch in höchsten Tönen begrüßte: „Schonungslos, erbarmungslos, ohne Verstellung … Man liest dieses Buch immer wieder ungläubig, staunend: gleißnerische, hochartifizielle exzessiv schöne Passagen …“, die Seiten über Zehm jedoch ablehnte, nahm ich's als Hamburger Kumpanei zwischen ZEIT- und Welt-Feuilleton, was es wohl auch war, aber nicht nur. Bis ausgerechnet Erich Loest im Jahr 2007 auf den Schmonzes des rechten Schmocks und seinen Verratsvorwurf hereinfällt.
Das bringt mich auf einen der Besuche Karola Blochs bei uns im Taunus. Ich fotografierte sie und Ingrid, als wir den steilen Hang des Oberreifenberger Friedhofs erkletterten. Plötzlich tippte Karola mir auf die Brust und sagte: „Du bist schuld, dass Ernst mich für eine Trotzkistin hielt.“ Beschäftigt mit der Kamera, betrachtete ich ihr Wort als jene ironische Art von jüdisch-polnischer Kommunikation, wie sie uns vertraut war. Auch hatte ich mit Ernst schon in Leipzig über Trotzki gesprochen und mich Karola gegenüber wohl ein wenig lustig gemacht, weil Bloch beim Thema gern ins Historische abschweifte. Wie weit das führte, erkannte ich erst mit Hilfe der DDR-Lauscherei. In Der Fall Hans Mayer steht im 82. Bericht der Quelle Wild auf Seite 166, Bloch bemerkte 1957 Mayer gegenüber: „seine Frau habe zweifellos einen trotzkistischen Zug.“ Mag sein, es war mehr die vitale Spontaneität und erfrischende Ehrlichkeit Karolas und weniger meine subkutane Wirkung, die ihr den Vorwurf einbrachte, der gar keiner ist, in der DDR jedoch Gefahr androhte, was Mielke ja auch tatsächlich zu nutzen suchte.
Zurück zum Verratsvorwurf und was ich Dir zu verraten habe. Unsere Bekanntschaft begann 1953, als ein Berliner Klüngel seinen Hochmut an Dir abreagierte und ich in der Weltbühne Dich und unser unheiliges Sachsen verteidigte, denn wir können, wenn angegriffen, doppelt und dreifach hochmütig antworten. Als es nach Deiner Verhaftung 1958 in Mittweida hier in der BRD verdächtig still blieb, schlug ich vom SBZ-Archiv bis zur FAZ in Rundfunk und Presse Alarm. Unser Bund auf Nähe und Distanz hielt bis zum Vereinigungsbruch. Verrat hat zwei Bedeutungen. Ich verrate Dir jetzt etwas, wovon ich glaubte, Du wüsstest es: Ich war gern DDR-Bürger und SED-Genosse, beides wäre ich gern geblieben. Das Land war unsere Chance und hatte 1956 die Möglichkeit einer Erneuerung verdient. Das misslang. Die Vereinigung von 1989/90 bot auch Chancen, doch die Welt wurde danach nicht besser. Im Gegenteil. Jetzt herrschen Vorkrieg, Krieg, Nachkrieg und Scharen bewaffneter Friedensengel zündeln eifrig als potentielle Selbstmörder herum. Wann auch immer die deutsche Einheit ausbrach, folgten Aufrüstung und Schlachtgetümmel: 1871, 1933, 1989/90. So verrate ich dir noch etwas – in Die Liebe der toten Männer folgt auf die erste Widmung eine zweite:
woran man glauben könnte:
1. die toten sind unsere feinde
2. macht ist ein kriegszustand
3. sieg eine perversion
Lieber Erich, es ist mir auf naheliegende und zugleich unangenehme Weise ernst mit diesem dreistufigen Bekenntnis. Ich war 19 Jahre alt, als ich von der Wehrmacht zur Roten Armee ging und niemand hätte mich aufhalten können. Es gibt Notwendigkeiten der Freiheit. Wer sie versäumt, zahlt. Es ist mir auch ernst mit jenem Kapitel in Sklavensprache und Revolte, in dem es heißt, „vor den 68ern (kamen) die 56er“, und das waren wir. Ich bin es geblieben und habe nichts abzuschwören und niemanden anzuklagen. Es sei denn mit einem Gelächter, das beim politischen Tod die Trauer ersetzt. An jenem Tag im Sommer 1957, ich war damals für eine sehr lange Zeit zum letzten Mal in Leipzig, gelang mir nicht, Bloch und Dich eindringlich genug zu warnen. Bloch zahlte mit jahrelanger Isolation, bis er 1961 aus der Stadt wegblieb. Dich kostete der Verbleib in Leipzig 7 Jahre Bautzen. Hätte ich Dir dort vielleicht Gesellschaft leisten sollen? Ich hatte meine 7 Jahre schon hinter mir: 2 Jahre Soldat, 4 Jahre Gefangener, 1 Jahr Tbc-Sanatorium. Niemand hätte mich damals am Verlassen der DDR hindern können, ausgenommen die Genossen selbst, doch hatten sie gerade etwas anderes zu tun.
Mein lieber alter Freund, spätestens nach Hitlers Rede von 1933 am Tisch des Generals Hammerstein, in der Adolf verkündete, er werde Pazifismus und Marxismus vernichten, warnen die Folgen des deutschen Großmacht-Wahns. Dein Buch Prozesskosten ist auf schmerzliche Weise unverzichtbar, bis auf die Anleihe bei einem Rechtsabweichler, dessen irrationale Tollheiten jeder Nachsicht entbehren müssen. Es führt kein Weg zurück.
„Das Regimeopfer Zwerenz schrieb im Neuen Deutschland. Jetzt kandidiert er sogar für die Nachfolgepartei. Das ist politisch nicht mehr zu erklären; nicht mit dem unerschütterlichen Willen zur Opposition und nicht mit unerschütterlichen linken Grundüberzeugungen. Vielmehr erinnert es an ein psychologisches Motiv, das sich bei Dostojewski findet. Es ist die ziemlich sinistre Beobachtung einer Vertauschung von Schuld und Entschuldigung zwischen Täter und Opfer. Mitunter nämlich ist es das Opfer, das sich darum bemüht, Verzeihung vom Täter zu erlangen. So ungefähr nähert sich Zwerenz seinen Feinden von einst in der irrwitzigen Hoffnung, dass sie ihn, wenn er diesmal lieb ist, endlich in Gnaden aufnehmen, umarmen und wegküssen werden von ihm alle Wunden, die sie ihm schlugen.“ (FAZ 19. Mai 1994)
Versuch, sogenannten klugen
Köpfen Platon und Bloch
zu erklären
Zweiter Erklärungsversuch – vergeblich
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In Krieg im Glashaus oder Der Bundestag als Windmühle sage ich das Nötige zu dieser FAZ-Weisheit. Das Kapitel heißt Die Linke im Widerstand und im Elend, Abschnitt 56: Wer da –Genosse oder Ganove? Der FAZ hatte ich schon am 27.11.1965 mit der Erzählung Sizilianisches Gespräch auf die kulturellen Sprünge helfen wollen und, weil es wenig fruchtete, 1972 im Essay-Band Der plebejische Intellektuelle eine weitere Lektion angeboten mit der Variante Dreimal ging Platon nach Sizilien. Was nutzte es. Dreimal 3. Weg ob Platon damals oder Bloch in der Gegenwart, für Genossen wie Ganoven blieb's unterm Horizont. Das Herrschaftsblatt vom Main kriegte den ungebärdigen Linken aus dem Pleißenland nicht auf die Reihe. Gutwillig suchte ich 2004 in Sklavensprache und Revolte einige Fakten zu klären:
19961 war ich ein „nicht zu übersehender Berater des Westens“, was mich ein wenig erschreckte. 1966 passte ihnen unser Protest gegen den Vietnam-Krieg nicht, so wurde Wolfgang Neuss zum „angemaßten Volkstribun“, und ich fiel durch ein „Pamphlet“ und die „aparte intellektuelle Blasse meines Gesichts“ unangenehm auf. In der Tat war ich damals sehr blass, doch rührte das weniger von meinem Kopf als vielmehr von einem Zwölffingerdarmgeschwür her. So wurde ich immer mal auf verschiedene Weise bedacht. 1994 näherte ich mich meinen Feinden von einst – wie im Zitat weiter oben nachzulesen ist …
Zwischendurch besaßen meine Erzählungen „Leuchtkraft“ und ein Karl Korn höchstselbst billigte mir gar „viel epische Kraft und das heißt sprachliche Kraft“ zu, bis ich dann wieder nur meine „bewegliche Vergangenheit vermarkten“ wollte, was in der FAZ offenbar nur bei Angriffsgenerälen wie Erich von Manstein, nazitreuen Ostlanderoberern wie Theodor Oberländer oder emsigen Kriegshinrichtern wie Erich Schwinge erlaubt ist, während Zwerenz anders als die FAZ-Helden „nicht die Kunst des Schreibens“ erlernte. Die maßlose Hass-Sucht erinnert an jenen Wolgodonsker Trink-Wettbewerb, bei dem der Sieger den Preis von zehn Flaschen Wodka nicht entgegennehmen konnte, weil er sich gerade totgesoffen hatte.
Im Nachwort 38 dieser Serie ist auf Seite 3 zu lesen: Vor die Frage gestellt, ob Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Ernst Jünger oder Carl Schmitt in der FAZ am häufigsten genannt werden, sehe ich mich etwas ratlos angesichts der rechtsnationalen Traditionslinie. Ein wagemutiger Professor sollte die Stahlhelmgalerie mal von seinen Doktoranden untersuchen lassen. In letzter Zeit scheint Schmitt zu dominieren.
Tatsächlich mussten wir uns in letzter Zeit wegen der Frankfurter Buchmesse mehrmals mit Ernst Jünger befassen. Doch keine Bange, schon am 16.10.2010 wurde der Staatsnotständler Carl Schmitt nachgeliefert: „War er ein Steigbügelhalter der Nationalsozialisten?“ Aber nein, er wurde nur von Herrn Hitler im Galopp geritten, vergleichbar dem Pferd, das es im alten Rom unter Kaiser Caligula schon mal zum Konsul gebracht hatte. Das Blatt der neunmalklugen Köppe lässt Carl den Großen Staatsjuristen aus der Schule plaudern: „Im Grunde war Hitler Buddhist.“ Jetzt begreifen wir, warum Schmitt am 1. Mai 1933 SA-Mann wurde, er wollte sich dem weltweiten Buddhismus anschließen.
Die Schmitt-Würdigung schmückte am 16.10 den FAZ-Kulturteil. Damit der eine SA-Mann nicht so allein in der Presse-Landschaft herumsteht, gesellt sich ein zweiter SA-Mann schon am übernächsten Tag hinzu: Martin Heidegger, Großer deutscher Philosoph der Fremdgängigkeit mit dem „ungreifbaren Ursprung“ im Esoterischen. Quak-quak. War Hitler der Bauch-Redner des deutschen Volkes, stellten sich seine Sparten-Bauchredner 1933 pünktlich ein: Heidegger für Philosophie, Schmitt für Staatsunrecht. Fortsetzung in der FAZ. Ohne ihre Stahlhelm-Garde fühlen die sich dort nackig. Am 18.10.2010 findet sich ein Artikel mit der Überschrift Usedom ohne ›Hans Beimler‹. Den Namen Beimler trug ein Schiff der DDR-Volksmarine. Doch wer war dieser Mann? Nun denn, das Schiff war „benannt nach einem kommunistischen ›Spanienkämpfer‹“ – Spanienkämpfer ist korrekt nach BRD-Usus in Anführungsstriche gesetzt, weil eben kommunistisch, d.h. fremde Heere Ost. Ohne grammatikalische Distanzierung kommt ein deutscher Spanienkämpfer nur davon, zählte er zur Legion Condor, das ist dann gute westdeutsche Tradition.
Dieses Nachwort 45 begann mit einem strahlend weißen Rückblick auf unseren herzhaften Schauspieler Peter Sodann alias Hauptkommissar Ehrlicher. Darauf folgt die Suche nach Strittmatters Vergangenheit, die uns den Sprung aus ihr heraus in seine Volksromane nicht vergessen lassen sollte. Ich erlaubte mir, meine längere Antwort an Erich Loest zu zitieren, den ich einmal kannte und dem ich rate, seine Jahre als Bautzen-Bub nicht zum ewigen Tanz auf der Gallenblase zu missbrauchen. Die kann platzen. In der Anthologie Mein Kriegsende, eben im Propyläen-Verlag erschienen, erinnert er sich als Der Werwolf. Glück gehabt, Erich, von der US-Army oder der Roten Armee gestellt hätte es das Leben kosten können. Im Buch bin ich übrigens mit Fahnenflucht enthalten. Die konnte auch das Ende bringen. Freuen wir uns, es überlebt zu haben, und dass russische und deutsche Genossen es mit uns versuchten, macht sie auch nicht zu Unmenschen. Wenn ich mir die Freiheit nehme, den ewigen deutschen Kriegern samt ihren Parteien und Schreibtischlern meine kleine Lebens- und Todeserfahrung entgegenzusetzen – damit hatte ich ja in unseren Leipziger Zeiten in der Weltbühne angefangen – so ist das, mein Herr, das glatte Gegenteil von Verrat. Jeder Krieg ist ein Verrat am Menschen. Jeder Soldat im philosophischen Sinn, wie Tucholsky es sagte, und mit Freispruch für diesen Satz – ein Mörder. Wer da nicht Schach spielen kann statt Mühle, der spiele halt Mensch ärgere dich nicht.
Inzwischen gibt's geographisches Ungemach. Bild meldet: Pleiße droht neue Ölkatastrophe. Bild Leipzig weiß am 12.10.2010 bereits Abhilfe: China rettet Pleiße – Mit 9000 km Frischwasser-Rohrleitung – nanu, sollte unser Flüsschen so lang sein? Schon in Folge 2 unserer Serie fragte ich: Wird Sachsen bald chinesisch? Und weil Folge 1 fragte: Wie kommt die Pleiße nach Leipzig? lautet nun die aktuelle Antwort: Durch chinesische Rohrleitungen. Und wie alles Rot-Chinesische kommt sie dann gewaltig.
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