Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel Blochs Diktum Schach statt Mühle spielen verlangte 1956 die Öffnung der DDR-Philosophie und Politik. Beides unternahm Wolfgang Harich im Selbstversuch. Für dieses offene Denken und Lehren plädierte er in seinen 16 Thesen über Marxismus und Philosophie, erst unter der Überschrift Vademekum für Dogmatiker, dann etwas weniger provokativ als Kleines Vademekum für Schematiker. Der Text sollte in Heft 4/1956 der Deutschen Zeitschrift für Philosophie gedruckt werden. Dazu kam es nicht, das Vademekum verschwand. Harich wurde am 29. November 1956 verhaftet. In Neues Deutschland vom 9./10. Juli 2005 berichtet Siegfried Prokop, die 16 Harich- Thesen seien jetzt in einem Archiv aufgefunden worden. Prokop fragt, was daran so explosiv gewesen sei und bietet eine Kurzfassung an, aus der ersichtlich wird, dass es um die im Blochschen Sinne revolutionäre Erweiterung marxistischer Philosophie geht: Frisch, reflexionsmächtig und fern aller Dogmatik. Man mag einwenden, dies sei bloße DDR-Geschichte. Vergangen und vergessen, wie der Philosoph Ernst Bloch selbst, von dem nur noch Einzel-Zitate durch die Medien geistern. Widerlegt wurde der Befund zum Beispiel im Bloch-Almanach Nr.23/2004, der Beiträge über Blochs Ontologie, Phänomenologie und Ästhetik enthält. Außerdem behandelt Jürgen Moltmann Blochs Christologie und der US-Professor Peter C. Caldwell referiert kenntnisreich über Materialismus und Hoffnung. Überraschend ist, diese Artikel entsprechen ziemlich genau den Themen, mit denen Bloch ein Halbjahrhundert früher ein Halbdutzend seiner Studenten für ihre Staatsexamensarbeiten versah. Das ging damals schief, die Repression führte 1956/57 zu Relegationen, Berufsverboten und Haftstrafen. Die heutige Beschäftigung mit Blochs Themen ist im Westen gefahrlos und wird von der Konsumgesellschaft aus mangelndem Interesse kaum wahrgenommen. Was 1956 in der DDR eine Staatsaffäre gewesen ist, schrumpft 50 Jahre später zum Disput unter Spezialisten. Allerdings enthält der Bloch-Almanach mindestens zwei Passagen im Klartext. Auf Seite 20 steht: „So ist menschliches Dasein nach Bloch im Unterschied zu Heidegger nicht von Sorge, Angst und einem Sein zum Tode bestimmt, sondern von Anbeginn an von einem durchgängigen Streben nach humanen Zielen, die in den utopischen Wunschvorstellungen aller Zeiten und Völker gesellschaftlich in Erscheinung treten.“ Wer die Seite 20 nur unaufmerksam liest, kann den gesamten Almanach inhalieren ohne auch nur zu ahnen, worum es mit Bloch gegen Heidegger geht. Der philosophische Fachjargon tarnt den explosiven Inhalt. Hinzu tritt die Geschichtslosigkeit heutiger Autoren, die nicht wissen können oder wollen, dass ihre Vorgänger in Leipzig wegen dieser Arbeiten berufsverboten und kriminalisiert wurden. Wir erleben hingegen, dass ehemalige Maoisten und Leute, die links von sich selber standen, inzwischen im Dienst großbürgerlicher Medien zu maßgerechten Leitartiklern abgesunken, die berühmten 11 Feuerbach-Thesen von Marx mit Spott und Häme zitieren. Kein Gedanke daran, dass ihre vormaligen Parteigötter in der vormaligen DDR diese Thesen 1. verunstalteten und 2. ihre revolutionäre Interpretation mit Staatsgewalt verhinderten. Diese nachhaltig Gewendeten interpretieren gehorsam die Welt Richtung Abgrund und dokumentieren nur den eigenen tiefen Fall.
Ingrid Z. über Blochs letzte Leipziger Vorlesung:
Antizipation ist einer der Schlüsselbegriffe des Philosophen. Nicht antizipiert hatte der DDR-Nationalpreisträger von 1955, welche Folgen sein öffentlicher Auftritt im Hörsaal 40 am 17. Dezember 1956 an der Karl-Marx-Universität nach sich ziehen würde, fortan durfte Bloch die Uni und sein Institut für Philosophie nicht mehr betreten. An diesem Tag redete er sich in ein fünf Jahre währendes unfreiwilliges Leipziger Schweigen. Der Professor las über Neuthomismus und Existentialismus, ein weiträumiges Thema. Ausgewählt habe ich die Passagen über Heidegger und Sartre, wobei vorauszuschicken ist, daß der Franzose Ernst Bloch nie zur Kenntnis nahm, was mich auch heute noch etwas verblüfft, wenn nicht irritiert. Der französische Existentialist schöpfte sonst gern aus dem deutschen Ideen-Fundus und ließ sich von Hegel und Husserl inspirieren. Den dritten Mann – Heidegger rücke ich zunächst etwas beiseite, eine allzu enge Nachbarschaft ist eine Zumutung für Hegel und Husserl. Meine Nachschriften beginnen mit einem akademischen Seitenhieb Richtung Paris, Bloch sagte: „Sartre – geboren 1905 – bedeutender Dramatiker.“ Touchez – an vorderster Stelle wird der Bühnenautor genannt, nicht der Philosoph. Solche kleinen Nadelstiche waren jedoch peripher, verglichen mit dem, was der französische Autor in den eisigsten Perioden des Kalten Krieges aus der Sowjetunion zu hören bekam, von dort wurde er wechselweise definiert als „Menschenfeind, Totengräber, Sänger der Gosse, gekauftes Subjekt, Füllfederhyäne ... “, das hinderte ihn zum Glück nicht daran, beim zartesten Tauwetter-Hauch das Land zu besuchen, in dem man ihm dann einen triumphalen Empfang bereitete. Zurück zu Bloch über Sartre: Da geht es weiter mit dessen Hauptwerk „Das Sein und das Nichts. L'etre et le néant. Was bei Heidegger die Angst, ist bei Sartre Nausea – La nausée – der Ekel.“ Sartres Ausgangsposition wird von Bloch prägnant auf den Punkt gebracht: „Es ist zum Kotzen. Im Ekel aber ist Kraft. Ihn zu überwinden, bedarf es der Résistance. Vorhanden ist die Freiheit zu wählen. Faschismus ist die Unfreiheit schlechthin. Dagegen: Ich kann das Wählen wählen, mein Wollen wollen. Was hindert, wird in Seiendes aufgespalten, ins An sich Seiende. Für kleine Individuen bringt das ein wenig Licht in die Finsternis. Gesucht wird das Ethische. Was wir treiben, hat jedoch keinen Anschluss an die Welt. Unsere Freiheit der Wahl bedeutet: Wir können alles wollen und können doch nichts erreichen. Eine Wahl, die inhaltliche Moral besitzt, ging gegen den Faschismus.“ Soweit Ingrids Teil 1 der letzten EB-Vorlesung in Leipzig. Blochs These, der Mensch sei erst noch im Werden begriffen, richtet sich gegen Nietzsches Satz: „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss.“ Der Bomberpilot und die Bomberpilotin überwinden den Menschen in sich, wenn sie den Tod verbreiten. Steinigung ist ein exorbitant scheußliches Verbrechen unterm Deckmantel islamischer Gesetzestreue. Der mit christlichen Bomben abgeworfene Tod ist potenzierte Steinigung. Foucaults Gedanke, die Philosophie auf eine „Frage des Subjekts in der Politik“ zu konzentrieren enthält, was Foucault nicht wissen konnte, die Erkenntnis der Marxbrüder Lukács und Bloch, die in ihrer Heidelberger Zeit vor 1914 auf Marx setzten und im Prozess dieser Kehre doch differierten. Lukács wurde direkt in der kommunistischen Bewegung aktiv, Bloch auf Distanz. Beiden ging es um ihre Philosophie des Subjekts in Politik und Geschichte. Beide scheiterten an Stalin, der die Subjekte zu Objekten seiner Mordlustlisten machte.
Monolog des Genossen Walter Ulbricht: Odysseus ließ sich, um den Gesängen der Sirenen nicht zu verfallen, an den Schiffsmast binden. Die Fahrt durch die Meerenge von Messina führte zwischen Scylla und Charybdis hindurch. Um nicht mit der gesamten Mannschaft unterzugehen, steuerte er auf nahe Distanz an Scylla heran und vorbei. Das Seeungeheuer verschlang sechs Mann. Die anderen überlebten. So der Genosse Walter aus Leipzig, der Hitler entkam, indem er zu Stalin steuerte und Stalin entkam, indem er einen Teil seiner Mannschaft opferte. Ulbricht legte am 28.11.1956 den Rückwärtsgang ein, um auf gleiche Höhe mit Adenauer zu gelangen. Immer zwischen Scylla und Charybdis hindurch bis zur letzten Insel, wo heilige Rinder weiden und die Götter darauf warten, beleidigt zu sein. Will Faust vorwärts, Mephisto zurück?
Ingrid Z. zu Blochs letzter Vorlesung (2):
Aufgeschrieben habe ich eine Kurz-Fassung, Blochs Sätze waren epischer und ausführlicher, doch wer kann schon mit einer rhetorischen Lokomotive Schritt halten, für dieses Tempo hätte es eines Gerichtsstenographen bedurft, das sind die schnellsten. Aufbewahrt über ein halbes Jahrhundert ist die Essenz seiner Ausführungen, was Blochs Stakkato durch die verknappte Nachschrift noch komprimiert und nicht leichter verständlich macht. Zurück zur Vorlesung: „Der (Faschismus) wird am Ende gleichgesetzt mit dem Bolschewismus, d. h. die Feinde werden verwechselt, siehe Die schmutzigen Hände. Sartre sucht den bekannten 3. Weg. Seit Amerika faschistische Züge zeigt, wieder Änderung seiner Position. Für den soziologisch nicht sehr geschulten Kopf sind diese Wechsel verwirrend. Also ist Sartre ein naiver Politikus, das Ganze umrahmt vom Nihilismus, der Welt selber sind Schweinehund und Edler völlig gleichgültig. Der Anschluss an den dialektischen Materialismus ist von daher sehr weit.“ Sartres berühmtestes Drama um einen politischen Mord, Les mains sales, steckte der Partei quer im Hals, in der Abwertung des Stücks zeigt sich der deutsche Philosoph auf Linie, ebenso im knappen Satz über den vom Franzosen gesuchten „bekannten 3. Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Für Die schmutzigen Hände gab es, was Bloch wahrscheinlich nicht wusste, ganz konkrete Hintergründe. Simone de Beauvoir hatte in Paris einen Sekretär Leo Trotzkis kennengelernt, der ihr Details aus den letzten Jahren des 1940 auf Stalins Befehl im mexikanischen Exil getöteten russischen Revolutionärs erzählte. Ihr Bericht inspirierte Sartre zu seinem auch heute noch häufig aufgeführten Drama, das partiell an den realen Fall Trotzki erinnert. Sartres Analyse des individuellen Terrors, eines parteistrategisch begründeten Mordes aber traf exakt zu, der Vorwurf „naiver Politikus“ schlägt hier auf Bloch selbst zurück. Begegnen können hätten sich beide Denker in einer anderen Frage. Hier wagte der Professor ganz neue Töne. Wir fühlten uns animiert und beschleunigt nach Chruschtschows fulminanter Stalin-Krititk auf dem 20. Parteitag, doch witterte man bereits die retardierenden Instanzen. Sie führten schon lange ein Sündenregister über Blochs Ideologieverstöße, allen voran Rugard Otto Gropp, der seit Jahren am Lehrstuhl des ungeliebten, beneideten, berühmten Kollegen sägte. So erlebten wir zugleich begierig und besorgt, wie unser Ikarus auf dem Katheder sich die Flügel verbrannte. Zwar war Die Sonne, die uns täuschte, bereits 1953 verstorben, aber es fehlte nicht an kleineren Sonnen, denen sich zu nähern man besser nicht riskierte. Soweit Teil 2 von Ingrids Nachschriften der letzten EB-Vorlesung in Leipzig. Neueste Nachrichten aus Auerbachs Keller – Pastor Gauck will den Laden übernehmen, das klappt nicht, weil der Herr keine linken Gäste akzeptiert. Kafka stellt sich vor der Tür quer. Kollege Petrus weise die Sünder vorm Himmelstor ab, die Erde aber sei die Hölle, als böhmischer Jude aus Kakanien ist Kafka für Geistesfreiheit, weil als Leser seiner eigenen Bücher darauf angewiesen – so ins Literarische wechselnd, verweigert unser Türsteher dem deutschen Christen Joachim G. den Eintritt, bis der Pastor auch Linke als himmelsfähig anerkennt. Das kann dauern. Mitunter stell' ich mir das Schicksal als guten Freund vor. Ich war eben 19 Jahre alt geworden, als ich vom 20. Juli 1944 hörte: Attentat auf den Führer misslungen. Am 1. August Warschauer Aufstand, am 2. saß ich nachts in einem Zug, der nach Warschau einfahrend unter Beschuss explodierte. Manchmal meint es das Schicksal wirklich gut mit unsereinem. Ich holte tief Luft, nahm Anlauf und sprang über die Grenzen der Front hinweg. So in meinen Träumen. In der Wirklichkeit noch viel traumhafter. Manche Kehren verlaufen spitzwinklig. Andere in langen Kurven. Du musst dich nur entscheiden – zurück oder voran. Gert Gablenz berichtet, bei ihm beschwert sich eine Abordnung der Toten von Stalingrad. Sie gingen an der Wolga als Halbmillionen-Armee zu Bette, d.h. in die Ewigkeit ein – und was schaffen ihre Nachfolger am Hindukusch? Nichts als das alte Muster: Angriff bis zum Rückzug. Ich nahm heute früh 8 Uhr 30 die Phantom-U-Bahn und bin 10 Uhr 15 auf der Station Auerbachs Keller. Die Dreier-Abordnung aus Stalingrad ist zum Empfang angetreten: Erster Kamerad von der Wolga: Ich bin zu Weihnachten 42 verhungert. Zweiter Kamerad: Ich wurde am 1. Januar 43 von Kameraden erschossen. Dritter Kamerad: Ich ließ ihn erschießen. Die drei toten Kameraden traten tadellos auf wie im Leben, d.h. sie logen diszipliniert. Der erste verschwieg, dass er befehlsgetreu bis ins Ende verhungerte. Der zweite verschwieg, er war nur einer von 364 Exekutierten, die im Kessel innerhalb einer einzigen Woche erschossen worden sind. Der dritte sagte nicht, er war der Feldwebel des Hinrichtungskommandos, das für den Vollzug der letzten Urteile des Kriegsgerichts extra durchgefüttert worden ist. (Siehe dazu Fritz Wüllner Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung, Nomos 1997) Wüllner übrigens zählt zu den Totgeschwiegenen der Zunft, weil Außenseiter und Betroffener.
Die Dekonstruktivisten Frankreichs stehen als vormalige Linke unter Zugzwang, sich von früheren Bindungen abzunabeln, was von der Marx- Marx als Gespenst hat seine Meriten: Stalin tritt als Vampir auf. Lenin liest in Auerbachs Keller aus seinem Buch Staat und Revolution vor. Marx nimmt seine Revolutionslehre zurück, denn: Die Diktatur des Proletariats führte zur Diktatur über das Proletariat. Stalin wütend: Das stammt von Trotzki. Marx: Ich sehe nur noch Prekarier. Stalin: Lenin hinterließ uns einen sozialistischen Staat und wir haben ihn verschissen. Gert Gablenz: Wir sehen vom Standpunkt der Weltbühne aus einen 3. Weg. Marx: Tony Blair? (alle lachen) Lenin: Sarrazins SPD? (alle lachen noch lauter) Stalin:Trotzki! (alle verlassen fluchtartig den Raum) Das letzte Wort soll Gert Gablenz haben: Obwohl Pastor Gauck und Banker Sarrazin längst zur deutschen Oberklasse zählen, wollen sie noch ganz oben hinaus. Gauck wird Merkels Nachfolger, wenn nicht – mit Sondergenehmigung – als Protestant Papst in Rom. Sarrazin, viel begnügsamer, reicht das Sozial- und Finanzministerium oder ein Nobelpreis für Gen-Forschung. Notfalls machte er sich auch als PEN-Präsident gut, weil er dort neben den beiden Vizepräsidenten Grass und Christa Wolf residierte. Günter lernte die Waffen- Die Wut, die ich im heißen Sommer 1944 in Warschau und im Herbst in Weißrussland empfand, was heißt empfand, die mich heute noch irregulär stoßweise befällt, weil diese deutschen Wehrmachtssoldaten das Reich verteidigten als sei es ihr Himmelreich, und weil sie, wenn es so war, ihr Land zum Teufel gehen ließen. Ja und dann kommt 1986, fast ein Halbjahrhundert später, ein Hauptmann a.D. Dregger, CDU-MdB sowie hessischer Landesfürst daher und faselt von Unschuld und Ehrenhaftigkeit der Schrottköpfe, die noch 1944/45 im Osten den Helden markierten. Leben wir denn, verdammt noch mal, in einem Grabenkampf- Da fällt mir Harald Schmidt ein, am 21. September 2006 um 22 Uhr 45 führt er in seiner ARD-Sendung ein Modell mit Figürchen aus Kunststoff vor und deklariert das als Benn-Schmitt-Brecht- Dies ist ein Fragment meiner luftigen Autobiographie. Ich will nichts mehr werden. Das liegt am glücklichen Alter. Vordem wollte ich auch nichts werden. Ich möchte weder Befehle geben noch empfangen. Das nennt man Anarchismus. Der Anarchist ist kein Chaot und weder missvergnügt noch sauertöpfisch wie die regierenden Chaoten, die sich als Elite fühlen und „politische Klasse“ genannt werden, was den Klassenkampf immerhin soweit andeutet, wie es dem ratlosen Bürger schicklich erscheint. Wer aber weiß, diese Menschheit wird bald kollektiven Selbstmord begehen, den schreckt im Alter weniger der bevorstehende Tod als die deprimierende Aussicht, den machtgeilen Großmäulern, die man schon im Leben nicht mochte, bald himmel- oder höllenwärts erneut zu begegnen. Noch ein Grund, die Idee der Auferstehung zu verwerfen. Sie vernichtet Distanzen. Blochs Lehrsatz, wonach der Mensch erst im Werden begriffen sei, erscheint mir nach 85 Jahren Lebenserfahrung etwas zu optimistisch, obwohl er treffsicher gegen Nietzsches Wort, der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss, gezielt war. Wem stößt da nicht Pastor Gauck auf und der lebenslang verbeamtete Schriftsteller Sarrazin? Beide exemplifizieren das fatale Nietzsche-Zitat von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Herren sehen und ihre Botschaften hören führt unweigerlich zum Déja-vu-Gefühl: „Zuweilen scheint ein Jetzt schon gewesen zu sein.“ Ernst Bloch. So lebt sich's im ungelüfteten Museum. Im Nachwort 36 steht, warum mich mein Gedicht Die Mutter der Freiheit heißt Revolution 1957 zur Flucht aus der DDR veranlasste. Am 9.9.2010 lese ich entzückt in der FAZ die Fangzeile Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut, darüber ein schmuckes Farbfoto mit drei Köpfen: Angela Merkel, die in der DDR so mutig promovierte, dass sie anschließend in der dortigen Akademie arbeiten musste, bis die Mauer fiel, was sie verschlief. Daneben Joachim Gauck, der als Pastor in Rostock so mutig Widerstand leistete, dass er dort jederzeit predigen und unbeschadet westwärts und wieder zurück auf die heimatliche Kanzel reisen durfte, endlich der dänische Karikaturist, der Jesus mutig mit der Atombombe auf dem Kopf zeichnete, was die Laudatoren in höchste Begeisterung versetzte, denn, sagte Gauck, auf dem Koppelschloss meines Vaters, des Wehrmachtoffiziers prangten die Worte Gott mit uns und die Kanzlerin fügte hinzu, wir können nicht leugnen, die Atombombe ist christlicher Natur. Donnerwetter, denke ich, die gehen aber wirklich ran wie Perikles, von dem der Satz – Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut – stammt. Alles höchst respektabel. Statt sich Feinde zu schaffen, um sie im Feindesland angreifen zu können, gehen sie in sich, um frei zu werden. Und, kommt es mir in den Sinn, ist das nicht endlich die Revolution als Mutter der Freiheit, die mir vor einem halben Jahrhundert im Osten Verfolgung eintrug? Jetzt verstehe ich auch den Bundeswehr-Oberst Klein, der in Kundus bomben ließ, weil ihn der Mut zum Geheimnis der Freiheit beseelte. Dabei dachte ich immer, Satiriker und Karikaturisten legen sich mit der eigenen Herrschaft an, im Unterschied zu Julius Streicher und Joseph Goebbels. Demnächst dagegen Ingrid Z. mit dem 3. Teil ihrer Nachschriften von der letzten Leipziger Bloch-Vorlesung. Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 20.09.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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