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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 67. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
67. Nachwort |
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Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
Freitod im Leipziger Rosental wegen Blochs Revision des Marxismus?
Die Soko Leipzig erklärt sich als nicht zuständig für unser geplantes Theater der Ernst-Jünger-Exekution am Völkerschlachtdenkmal. Inzwischen ermittelt sie mit Erlaubnis des Intendanten in einem anderen exorbitanten Fall. Es geht um den unklaren Selbstmord eines gewissen Dr. Horn, der unter dem Titel Horns Ende schon literarisiert worden ist. In Wirklichkeit soll dieser Doktor einen Abschiedsbrief hinterlassen haben, der als verschwunden gilt. Falls es das Schreiben tatsächlich gab – wer ließ es verschwinden und weshalb? Oder soll es nur als verschwunden gelten und warum? Der Brief enthält ein Staats- oder Weltgeheimnis, behaupte ich.
Soko Leipzig – übernehmen Sie!
So etwa könnte es im Vorwort zum Drama des Dr. Horn heißen, über den Christoph Hein 1985 im Aufbau Verlag den Roman Horns Ende veröffentlichte. Aber: „Hein erzählt nicht die Geschichte des wirklichen Johannes Heinz Horn, sondern paraphrasiert, verdeutlicht umschreibend oder umschreibt verdeutlichend einen anderen Fall, der auf das Original zurückverweist, was die Freiheit der Literatur verstattet, in der DDR anno 1985 aber auch das Unerlaubte beschreibbar werden ließ. Ein Exempel strategischer Sklavensprache, die der Obrigkeit eins auswischt, weil sie sich ins Unangreifbare, jedenfalls nicht die Repression Hervorrufende rettet, von dort jedoch zurückwirkt. Soweit Literatur wirken kann. Der Roman bezeugt zugleich die subkutane Existenz von luftigen, atmosphärischen Nachlassen aus den fünfziger Jahren in Leipzig, wo Horn am Philosophischen Institut Logik lehrte und in Konflikte geriet, die er durch Selbstmord beendete.“ So ist es in unserem Buch Sklavensprache und Revolte zu lesen. Wer aber war der reale Dr. Horn und warum ist der Vorgang heute noch so triftig wie unaufgeklärt? Weshalb sprach Bloch im Brief vom 19.1.1958 an Hans Pfeiffer vom Haus der Atriden, wie wir im vorigen Nachwort zitierten? Es geht um das einzige Buch der stalinistischen Philosophie, die es damit kurioserweise tatsächlich gibt, auch wenn es die einen nicht wissen, die zweiten nicht wissen wollen und die dritten lieber nachhaltig alles vergessen. Im Nachwort 27 mit dem Titel Der Sohn, der aus der Kälte kam, heißt es darüber:
Wir müssen deshalb zur Klärung auf die „Konferenz über Fragen der Blochschen Philosophie“ zurückblicken, die am 4./5. April 1957 in Leipzig stattfand. Prof. Rugard Otto Gropps Beitrag gab gleich eingangs die Richtung an: „Ernst Blochs Hoffnungsphilosophie – Eine antimarxistische Welterlösungslehre“.
Das Konferenzprotokoll von 352 Seiten erschien in ungewohnter Eile noch im selben Jahr im Deutschen Verlag der Wissenschaften, Ostberlin. Titel: „Ernst Blochs Revision des Marxismus“. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich bereits in Westberlin, beschaffte mir das Buch aber sogleich. Fast jeden der Beiträger kannte ich. Jetzt, im Jahre 2003, also fast ein halbes Jahrhundert später und nach Lektüre der Äußerungen von Bloch-Sohn und Dieckmann-Sohn suchte ich das vergessene Dokument heraus und las es mit zunehmender Anspannung von vorn bis hinten ein zweites Mal durch. Die einzelnen Texte differieren stark.
Drei der Professoren mussten als ehemalige junge Wehrmachtsoffiziere brav auf Linie bleiben. Zwei Assistenten waren 1956 von uns zu halben Blochianern gemacht worden und suchten sich in der Konferenz eilig von diesem „Stigma“ zu befreien. Ein paar Luftnummern übten sich auf Karriere ein. Bleiben die zwei gewichtigeren Professoren Gropp und Johannes Heinz Horn. Ersterer begann den Kriegstanz, der zweite beschloss ihn – Horns Beitrag umfasst ca. hundert Seiten. Der Genosse Professor scheute keine Mühe, sich selbst zu überzeugen. Offenbar misslang es, und so schien ihm sein ganzes Leben misslungen. Er brachte sich um.
Soweit das Zitat aus dem Nachwort 27 zur Kriminalgeschichte des Abschiedsbriefes von Prof. Dr. Horn. In Erinnerung an ihn und eingedenk meiner früheren diversen Wutanfälle versuche ich jetzt ganz objektiv und nüchtern zusammenzufassen, was wir wissen können, jedoch bis heute verschwiegen wird.
Die Gründe sind im Sammelband Ernst Blochs Revision des Marxismus – Kritische Auseinandersetzungen mit der Blochschen Philosophie – enthalten. (VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1957) In der Widerlegung Blochs machen Gropp und Horn sich ihre Aufgabe nicht leicht. Gropp war die Polemik eine Herzensangelegenheit. Horn zweifelte an der Attacke gegen Bloch und verfasste seinen Beitrag wider besseres Wissen. Bevor er sich das Leben nahm, schrieb er einen Brief. Niemand, heißt es, kennt diesen hinterlassenen Text. Aus privaten Gesprächen wusste ich einiges über Johannes Heinz Horn, der als Logiker über den Universalienstreit der Scholastik gut informiert war. Als Bloch 1956 metaphorisch Schach statt Mühle zu spielen verlangte und allgemein geglaubt wurde, er plädiere nur für ein höheres ideologisches und politisches Niveau,durchschaute Horn die Metapher, wie er Hans Pfeiffer und mir auf Nachfrage andeutete. Tatsächlich betrifft der Revisionismusvorwurf nur einen Teil des Blochschen Sünden-Katalogs. Blochs Philosophie und Sprache sind von Beginn an Dekonstruktion des Bestehenden, inklusive Ost-Marxismus. Darum ging es. Blochs Enttäuschung über Horn resultiert aus dessen unerwartetem Frontwechsel. Ich hatte Bloch vorgewarnt. Das Protokoll Auswertung 20. Parteitag der Parteiversammlung Philosophisches Institut KMU vom 14.3.1956 vermerkt:
„Zwerenz kritisiert Horn sowie die PL wegen Entstellungen im Referat. Es bestehe Gefahr der Isolierung der PL von den Mitgliedern. Die Versammlung unterschätze die Bedeutung des 20. Parteitages. Sichtbarer Ausdruck dafür sei das Referat von Welsch. Er habe manches vom 20. PT beiseite Geräumte wieder in den Weg geräumt. Er persönlich verwahre sich dagegen, als Intellektueller und Spintisierer bezeichnet zu werden. Die Dogmatiker am Institut seien Wurst und Handel. Die Studenten und Wissenschaftler des Instituts seien zu wenig mit der Praxis verbunden. Keiner habe bisher öffentlich zum 20. PT Stellung genommen. Handel und Wurst seien als starre Dogmatiker alles andere als Propagandisten des Marxismus. Er und Zehm vertrete die Meinung, dass der Marxismus interessant dargestellt werden müsse, sie seien deshalb von der Partei als ›Interessantmacher‹ bezeichnet worden. Welsch verfälsche den 20. Parteitag.“
Da ich Horns wahre Meinung kannte, sprach ich ihn unter vier Augen darauf an. Mein Tagebuch vermerkt unter dem 18.4.1956: „Gespräch mit Horn“. Die Notizen liegen handschriftlich vor mir, sind in der Kopie jedoch schwer zu entziffern. Deshalb hier eine Druckversion:
„Er gibt zu, dass er privat die Lage anders einschätzt. Bezichtigt mich eines Zuviel an Pessimismus, sagt aber selbst, eine Wendung zum Guten sei angesichts der Masse Funktionäre, die 10 Jahre im falschen Stalinschen Geist erzogen wurden, nicht möglich. Was wollen wir paar Einzelnen gegenüber diesem Meer da draußen! Erzählte mir verbittert-resigniert seine Vergangenheit. War bei KPO, musste deshalb im Kriegsgefangenenlager allerhand anhören: Spalter. Fühlt sich aus all diesen Gründen nicht wohl, unsicher. Glaubt, das 15. Plenum komme wieder. Weil jetzt alles liberalistisch geworden sei. Ich denke, das hat ihm Gottfried Handel eingegeben. Klagt weiter, ständig kämen junge Genossen und fragten, was das mit Stalin sei, und sie fragen nach Garantien gegen Wiederholungen.“
SED-Abzeichen am Revers vorhanden – Abschiedsbrief verschwunden
Der hinterlassene Abschiedsbrief Horns enthielt eine Botschaft. Dass dieses Schreiben verschwand, verschärft die Frage. Wollte Horn etwas gestehen? Sich erklären? Entschuldigen? Ich kannte ihn gut genug und lese aus meinen Notizen zum letzten Gespräch die Seelenqual eines Kommunisten heraus, der sich nach bitteren Erfahrungen scheut, mit der Partei erneut zu differieren. Seinen Auftrag als Genosse erfüllend, fand er im Schreiben keinen akzeptablen Schluss. Es wurde eine Schrift gegen Bloch. Sollte es eher eine für ihn sein? Wagte er es nicht? Mein Vorschlag: Horns Urteile aus dem Minus ins Plus zu kehren. Ich bin mir sicher, sein Abschiedsbrief enthielt den Schlüssel. Zu ergründen, wer ihn wegwarf und warum wäre erhellend. Soko Leipzig, es gibt Aufklärungsbedarf, die Akademiker von links bis rechts sind dazu unwillig oder unfähig.
Der Vorteil des Fragments ist seine Verwendung als Baustein, seine Sammlung und Lagerung ermöglicht Entwürfe je nach stilistischem Bedarf als Lego, Puzzel, Mosaik … Lyrik, Essay, Erzählung, Satire, Polemik, Biographie, Autobiographie, Welträtsel. Nehmen wir unsere Presse: Wohldosiert gibt der BND zu, früheren Kriegsverbrechern Schutz geboten zu haben titelt am 26.9.2011 der für verspätete FAZ-Aufklärung zuständige Peter Carstens. Gemeint ist Gaswagen-Rauff, ein zusammen mit Himmler und Heydrich hauptverantwortlicher Mörder, den der BND anheuerte, erst reichlich löhnte, dann wegen mangelnder Effizienz bald feuerte. Am selben 26.9.2011 kriegt auch Günther Quandt Saures, drei Tage zuvor war er im selben Blatt wegen seiner Nazi-Vergangenheit sogar ein skrupelloser Unternehmer. Foto dabei, Krawatte und NSDAP-Parteiabzeichen. So kleine Wahrheiten schreibt unsereiner seit mehr als einem Halbjahrhundert. So lange braucht's, bis denen die braune Scheiße statt Nationalhymne aus der Kehle quillt. Ach ja, Gottes Zorn und unsere Höllenfahrt, so die FAZ-Schlagzeile am 22.9.2011 zum Papa-Besuch in schwarzen Deutschländereien. In Folge 75 unserer Serie gibt es einen Dialog zwischen Hermann Kant und GZ, eingerichtet für die Bühne. Ungedruckt blieben drei Dreizeiler. Hier werden sie nachgeliefert:
Die Verhältnisse der Menschen menschlich
zu gestalten bedarf es göttlicher Energien,
sprach der Lehrer weise.
Der Schüler Norbert in der letzten Bank
Erschrak und träumte angst: Mein Gott,
wir sitzen in der Scheiße.
Nun schrillten alle Glocken Pause, die
Klasse drängte auf den Hof. Mit Kreide
stand an einer Wand: Der Lehrer, der ist doof.
Berliner Zeitung: Große Konflikte in Leipzig (Zoom per Klick)
Als ich 1957 der neuen DDR-Restalinisierung entwich und statt in Bautzen (Generalstaatsanwalt Melsheimer hatte mir laut Walter Janka zehn Jahre verschaffen wollen) in Westberlin anlangte, war ich wenig erstaunt, in der Bonner Republik einer Horde Renazifizierter zu begegnen. Dafür verübelte ich meinen Ex-Genossen die politische Dummheit, mit der sie sich widerstandslos von Revolution auf Reaktion umschalten ließen. Wir vermochten im Westen mit der neuen Ostpolitik einiges dagegen zu tun. Bis nach dem Ende der DDR die neue Berliner Republik Weimar II zu spielen begann. Über kurz oder lang werden daraus EURO-weite Brüningsche Notverordnungen erblühen. Politisch bringt das im Versuch der EUROPA- Nation-Bildung Krisen, Bürgerkriege, koloniale Kriege in aller Welt mit sich.
Neulich, am 24./25.9.2011, erinnerte sich die Leipziger Volkszeitung (LVZ) daran, was fünfzig Jahre früher, am 22.9.1961 geschehen, bzw. nicht geschehen ist: „Der Philosoph Ernst Bloch kehrt nach einer Reise in die Bundesrepublik nicht nach Leipzig zurück. Der 50. Jahrestag des Ereignisses ist Grund genug, sich an diese Geschichte zu erinnern.“ Mit Verweis auf unsere gegenwärtige online-Sachsen-Serie im Leipziger poetenladen heißt es: „Zwerenz kannte Bloch von 1952 an und hatte Kontakt mit ihm bis zu dessen Tod 1977.“ Zitat Zwerenz: „Für mich war er der Durchbruch in die wirkliche Philosophie. Er erkannte ja auch die Möglichkeiten nach dem XX. Parteitag, als die Kritik an Stalin möglich wurde, dass die DDR hätte aus der Moskauer Gefangenschaft herauskommen können. Bloch musste aber schweigen – und ging weg, nachdem er nach seinem Abgang von der Uni in Leipzig geblieben war. Er war Hoffnungsphilosoph, wollte also Hoffnung produzieren. Als er merkte, dass das nicht geht, verließ er Leipzig.“
Schlussteil des Thomas Mayer-Artikels: „Zwerenz war 1957 im Zuge der Bloch-Affäre aus der SED ausgeschlossen worden. »Ich hatte schon vier Jahre russische Kriegsgefangenschaft erleben müssen und keine Lust, nach Bautzen zu gehen. Ich haute ab.› Im Westen habe er für seinen Lehrmeister »Quartier gemacht«. Auch heute arbeitet er an der Bloch-Renaissance. In diesem Kontext spricht Zwerenz von den »verschenkten Möglichkeiten Leipzigs«. Soll heißen: Diese Stadt als Schmelztiegel deutscher Geschichte(n).“
Beziehungsvoll spricht die LVZ von Leipziger Geschichte(n). Eine Geschichte beginnt mit Walter Ulbrichts Berliner Brief vom 28.11.1956 nach Leipzig, der die Restalinisierung der DDR mit dem offenen Kampf gegen Ernst Bloch verbindet. Johannes Horns Ende mit Freitod an seinem Geburtstag setzte den Schlusspunkt. Der Genosse Logiker hatte parteitreu funktioniert, wie ihm aufgetragen worden war. Ich will ihm ein Denkmal setzen. Als er seine Niederschrift im Druck las, peinigte ihn das Gewissen. Der von uns zitierte letzte Absatz aus dem Bloch-Brief an Pfeiffer deutet die Gemengelage an. Die zornige Enttäuschung des Philosophen über Horn umfasste bald auch Hans Pfeiffer, den die Partei solange bedrängt, bis er sich zur öffentlichen Distanzierung von seinem einst hochverehrten Lehrer versteht, was ihm der inzwischen in Tübingen lebende Bloch nie verzeihen wird. Pfeiffer gab indessen nicht auf, setzte sich trotz alledem in der DDR-Kultur durch, feierte internationale Erfolge mit seinem Bühnenstück Laternenfest und litt doch heimlich „wie ein Schwein“ – so sein Eingeständnis, als wir uns nach drei Jahrzehnten zum ersten Mal wieder trafen. Dabei erfuhren wir, er hatte während einer Westreise trotz des Risikos versucht, uns im damaligen Wohnort München aufzusuchen, ausgerechnet da waren wir im Italienurlaub. Zum Höhlen-Motiv, das für Hans und mich schwer wog, hatten sich diverse Parallelen ergeben. Pfeiffers Laternenfest stieß in Japan auf reges Interesse, meine Story Der Maulwurf wurde dort Schullektüre. Grub der Maulwurf sich in den Tod, entließ Pfeiffers Höhle von Babie Doly noch nach Kriegsende überlebende Monster. Bei google ist nachzulesen, Hans schrieb in der DDR wie ich in der BRD so obsessiv dagegen an, als wären wir Gefangene auf der Suche nach draußen. Das trifft zu. Die Suche nach draußen braucht Sprache. Offenbar glaubten wir noch an die heimliche Macht des Wortes. Die unheimliche Macht/Ohnmacht. Blochs Hegel-Vortrag auf der Berliner Freiheitskonferenz erregte 1956 höchsten Unwillen. Freiheit wovon und wozu? Mein darauf folgendes Gedicht Die Mutter der Freiheit heißt Revolution war das Ende mit Brief und Siegel: Raus aus der Höhle. Das ist heute nicht anders. Horn sah es so und ging in den Tod. Prof. Rochhausen bezeugt Gottfried Handels Satz: „Morgen früh wird Zwerenz, das Schwein verhaftet.“ Die Reaktion von Horn: Dann müssen wir ihn warnen. Das ist, finde ich, ein Gedenken wert. Und die Suche nach dem Abschiedsbrief. Der kämpferische Herr Genosse Gottfried Handel aber, Wissenschaftler und Parteisekretär, durfte seine erfolgreiche Tätigkeit zur Produktion von Parteifeinden bald an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena fortsetzen, wo er ein Buch mit dem Titel Wissenschaftliche Weltanschauung, politische Verantwortung, sozialistische Persönlichkeit herausbrachte. Gewidmet Walter Ulbricht zum 75. Geburtstag. Von Handels Kollegen ist mancher heute noch sehr aktiv. Ein offenes Wort gab es darüber nie. So etwas erwartet auch nicht, wer den ideologischen Zellenwärtern entschlüpfte.
An der Grenze zum Lande Nihilismus stilisierte Schopenhauer sein statuarisches Nein, schöpfte Nietzsche den Übermenschen, dekonstruierte Marx die Ökonomie und setzte vergeblich auf Proletariat und Revolution. Schopenhauer, Nietzsche, Marx zeigen drei disparate Grenz-Möglichkeiten. Sie sind die Klassiker des 19. Jahrhunderts. Das 20.Jahrhundert kennt dagegen zwei Dreiergruppen: a) Brecht, Lukács, Bloch und b) Martin Heidegger, Carl Schmitt, Ernst Jünger. Noch im 21. Jahrhundert stehen sie gegeneinander. Die b-Gruppe wird jeden Tag von ihren Nachfahren geheiligt, die a-Gruppe den Verlierern zugerechnet und tagtäglich nachdrücklicher vergessen gemacht. Beim Marsch in den Abgrund wäre sie nur hinderlich. Nietzsches öde Wiederkehr des Gleichen deutet die Welt als Meta-Karussell, Historie als biologische Lebensgeschichte zwischen Geburt und Tod und als ewiges Gesetz, dessen dominantes Triebwerk Herr und Knecht seien. Die Herren sind die Übermenschen. Dem Knecht gebührt wie dem Weib die Peitsche. Dagegen steht Blochs Lehre, die auf eine vorantreibende Menschwerdung des Menschen tendiert. Bei Nietzsche erfordert die Überwindung des Menschen den Übermenschen, den Schopenhauer als Raubier sieht. Nietzsches blonde Bestie legt den Löwen nahe. Hyäne wäre logischer. Der Mensch als des Menschen Wolf, wie Hobbes uns im Leviathan definiert, ist eine Beleidigung der Wölfe, die ein überaus entwickeltes Sozialverhalten an den Tag legen. Über allem steht das Marxsche Hauptwerk, dessen Titel das reale Kapital dekonstruiert. Seither hat Mensch die Wahl, das eine oder andere Tier oder keins zu sein. Die westliche Wertegemeinschaft wählt nur die Fortsetzung des Tanzes um ihr Goldenes Kalb. Laut Moses 2, 32 strafte sie ihr Gott einst mit dreitausend Toten. Wieviel das bei den heutigen Bevölkerungszahlen ergäbe, sollen die Mathematiker ausrechnen.
Die Vertriebenen durften sich in der DDR nicht wie in der BRD organisieren, klagt Sachsens Ministerpräsident Tillich. Wollte er die westlichen Plakate und Hass-Reden gegen die Oder-Neiße-Grenze auch im Osten ständig sehen und hören? Hätte er das früher gefordert, wäre seine DDR-Karriere dort schnell beendet gewesen. Als Staatsgast beim Mainzer Karneval am 5.2.2011 erhielt der geborene Sorbe fast soviel Applaus wie die übrigen schwarzen Kurfürsten. Schwarz – schwärzer – Sachsen statt des sich allmählich aufhellenden Bayern. Und Tillichs bittere Klage wegen der in der DDR so arg benachteiligten Vertriebenen – Hans Pfeiffer ist in Schweidnitz geboren, Ingrid Zwerenz in der dicht dabei gelegenen Stadt Liegnitz. Der Historiker Kurt Pätzold stammt aus Breslau. Sie alle studierten an den heute so gern geschmähten DDR-Universitäten, keiner fühlte sich zurückgesetzt oder diskriminiert.
MDR-Film über Gerhard Zwerenz
Bei der Arbeit an der vom MDR produzierten Dokumentation aus der Reihe Lebensläufe drehte das Team auch im Leipziger Ratskeller. Der Film über GZ heißt Ein Unbeugsamer, Ursendung am 24.9.2006 um 22 Uhr 45. Ich saß bei den Aufnahmen im Lokal an einem Tisch, wo ich in den fünfziger Jahren einige Male mit Horn gespeist hatte. Das erzählte ich jetzt vor der Kamera dem Verleger Joachim Jahns und Hartwig Runge. Doch der Logik-Professor Horn hat an der Pleiße auch nach seinem Freitod keine guten Karten. Die Szene blieb im Film ungesendet. Das war natürlich reiner Zufall wegen der dramaturgisch immer unvermeidlichen Kürzungen. Oder weil mein Hinweis auf den verschwundenen Horn-Abschiedsbrief nicht verstanden wurde. Hans Pfeiffer hatte 1990 bei unserem ersten Wiedersehen auf meine Frage hin drei in den Fall verwickelte Männer genannt: Gottfried Handel, Paul Fröhlich und einen sächsischen Stasi-Offizier, dessen Name mir entfallen ist. Soko Leipzig übernehmen Sie?
Warum werden hier so alte Geschichten erzählt? Wenn andere vergessen wollen – ich nicht. Es sind Episoden aus der Verschrottung des revolutionären Marxismus. Ich berichte nur meine Erlebnisse und beharre auf dem autobiographischen Charakter der Notizen. In Hitlers Deutschland blieb mir nur der Weg zur Roten Armee. Aus der DDR, die sich Richtung Stalin restaurierte, blieb 1957 allein die Flucht in den Westen. Da hatte dieser rückläufige DDR Staat noch drei Jahrzehnte bis zum Schluss. Mit der Vereinigung 1990 verlor auch die frühere westliche, nun gesamtdeutsche Linke an Lebenskraft und Bewegungsfreiheit. Das Bestehen einer Linkspartei ist keine Bestandsgarantie. Anfang und Ende der DDR sind der vorläufig letzte Beweis.
Der Selbstmord der Rosa Luxemburg:
Historische Phantasien
Richtigstellung: Hans Pfeiffer war nicht, wie Prof. W. Richter mitteilte, Bloch-Assistent, sondern Assistent von Horn. Insofern erhält der letzte Absatz im Bloch-Brief vom 19.1.1958 an Pfeiffer einen zusätzlichen Reiz des Merkwürdigen, wo nicht Makabren. Horn war elf Tage zuvor im Leipziger Rosental von im Winterwald spielenden Kindern an einem Baum hängend entdeckt worden. Christoph Hein in seinem Roman Horns Ende: „Am letzten Tag der Sommerferien fanden Kinder im Wald seine Leiche.“ So etwas ist Dichters legitime Freiheit. Es herrschte am 8.1.1958 eisige Kälte. Der Professor, perfekt gekleidet mit Anzug Krawatte, Parteiabzeichen trug überdies an einer Schnur um den Hals seinen Abschiedsbrief, den niemand kennen will.
Auf der Rückseite der TB-Ausgabe des Hein-Romans Horns Ende finden sich Lobesworte unseres Freundes, des Essayisten und Übersetzers Lothar Baier. Im Jahr 2004 wählte er den Freitod.
Hans Pfeiffers letztes Buch vor seinem Tod im Jahr 1998 erschien 1987 bei Militzke. Ob der Titel Der Selbstmord der Rosa Luxemburg den Selbstmord Horns paraphrasiert, blieb bisher unerörtert.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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