Bloch und Nietzsche werden gegauckt und Berlin wird Weimar
Das vorige Nachwort endete mit Pastor Gauck, der auf dem von Grünen und SPD gemeinsam gebauten Holzweg ins Schloss Bellevue über die ARD- Gehen wir der Reihe nach: Vor gut einem Halbjahrhundert gab es in der DDR einen Aufbruch der Intellektuellen, der im Osten zerschlagen und vergessen gemacht, im Westen erst durch die Medien ausgenutzt, später ignoriert wurde. Aufmerksamkeit erregten die Urteile gegen Wolfgang Harich, Walter Janka, die Sonntag-Redakteure und Erich Loest, sowie die Vertreibung Blochs vom Leipziger Lehrstuhl. Die prominenten Einzelfälle verdecken bis in die jüngste Gegenwart den Fraktions- Es gab aber vor den 68ern und ihren nahtlos anschließenden Opportunismen einen Aufstand intellektueller Genossen und Genossinnen. Freilich in einer DDR, von der auch in der Erinnerung nichts bleiben soll als die Löcher im Käse bourgeoiser Geschichtsbetrachtung Deutschland/West. Soweit die erste Idee zu meinem Bloch-Roman. Wer war Bloch? Als Knabe entfloh er dem Elternhaus in der Industriemetropole Ludwigshafen. Entdeckte in der prächtigen Mannheimer Schlossbibliothek die märchenhaften Abenteuer der Philosophiegeschichte. Revoltierte gegen das Kaiserreich, die Mängel der Weimarer Republik, gegen das Dritte Reich und die Fehler der DDR. Liebte reiche Frauen, auch wenn sie durch Revolutionen, für die er votierte, verarmten. Verstarb zweiundneunzigjährig unversöhnt in einer Tübinger Dreizimmerwohnung, zu der am Ende ein vierter Raum hinzugemietet wurde, der vielen Besucher aus aller Welt wegen.
Bloch heute: Lebte Bloch noch, setzte er der Berliner Republik zu, wie er es mit der Weimarer Republik tat, in seinem Buch Erbschaft dieser Zeit nachzulesen. Das fatale Ende von Weimar kennen wir, das Ende von Berlin ist, so hoffen wir, noch offen. Die Republik bedarf der Energien ihrer Verteidiger gegen die virulenten Gefahren der Entpluralisierung und Entsozialisierung. Bloch und die 56er Reformer in der DDR scheiterten, weil das östliche Modernisierungsverbot keine Veränderungen zuließ. Der damaligen Bewegung in der DDR wird mit verlegener Unwissenheit, wo nicht pauschaler Feindschaft begegnet. Die Welt soll weiter zum ewigen Kreislauf von Krisen und Kriegen verurteilt sein. Wer das nicht will, muss Revolutionen wagen. Sie können intellektuell und politisch die Köpfe und Herzen bewegen oder die Form mörderischer Bürgerkriege annehmen. Jede Alternative ruht nur auf zwei Angeboten. Tertium non datur. Der Bloch-Kreis: Der zwanzigjährige Ernst Bloch war schon revolutionär, als Lenin, Trotzki und Rosa Luxemburg am Exempel Russlands im Jahre 1905 die Revolution erst zu erlernen begannen. 1977 starb er als Revolutionär, da parodierte das revolutionäre Russland nur noch sich selbst. Bloch, Archetyp und Phänotyp zugleich, wollte ursprünglich eine andere Revolution. Bei Lenins Tod 1924 erfasste der Philosoph nicht, was es nach sich zog, dass statt Trotzki Stalin an die Macht gelangte. Begriff jedoch, was Hitler bedeutete. Überzeugt, die Zweite Revolution ließe sich nur als Folge des Roten Oktober erreichen, baute er seine Philosophie im US-Exil und von 1949 an in Leipzig aus, per Sklavensprache getarnt. 1956 revoltierte er offen. Die Weigerung, sich ab 1961 im letzten Exil Tübingen als Renegat zu bekennen, zeugt von Trotz und Hoffnung.
Blochs Philosophie und Haltung der permanenten Revolte weist ihn als revolutionären Reformator aus. Den Begriff „Bloch-Kreis“ - analog zum „George- Kreis“ – benutzte Gerhard Zwerenz erstmals 1957, weil Bloch und seine Anhänger als „Gruppe“ diffamiert wurden, was nach sowjetischer Manier seit 1921 als „Gruppenbildung“ (Fraktionsverbot) mit schweren Strafen sanktioniert war. Bestand der engere Bloch-Kreis aus einigen Dutzend Schülern und Freunden des Philosophen, erweiterte die Repression ihn auf Hunderte und Tausende von Anhängern. Blochs Lehrtätigkeit, in Leipzig verboten, traf danach in Tübingen auf den Widerspruch des dortigen Theologie-Professors und späteren römischen Kardinals und Papstes Joseph Ratzinger. Eine Gruppen-Bildung wurde in Tübingen ebenso verhindert wie in Leipzig, wenn auch mit eleganteren Mitteln. Lebensphilosophie im 21. Jahrhundert: Ihr moderner Exponent Ernst Bloch ist der meistverfolgte und verleugnete deutsche Philosoph. Nach dem selbstverschuldeten Ende der Staatssozialisten kehrt man dumpf-deutsch zu Heidegger zurück. Was bleibt sind ein paar EB-Zitate im Feuilleton. Das Blochsche Denken bietet aber die Alternative zur bornierten nationalen Loyalität vom Kaiserreich bis zur heutigen Berliner Republik der Krisen und Kriegsteilnahmen. Bloch ist der Trotzki der Philosophie, der Nietzscheaner unter den Marxisten und Marxist unter den Nietzscheanern, der permanent revoltierende Sisyphos im Gegensatz zu Adorno, dem geistreichen Hamlet. Konträr zu Nietzsches Lehre, der Mensch sei etwas, das überwunden werden müsse, lehrt Bloch, der Mensch ist etwas, das erst erfunden werden muss. Sei es im Gedicht oder der Prosa einer widerständigen Denkfreiheit. Seine Existenzphilosophie enthält die Energie und Lebensweisheit der individuellen Revolte. Von der lebens- zur Überlebensphilosophie: Bloch lehrte von Nietzsche und Marx ausgehend die Notwendigkeit der Weltrevolution im 20.Jahrhundert. Die Revolution pervertierte zu zwei Weltkriegen, Kalten Kriegen und zur Gefahr eines letzten Weltbürgerkriegs zwischen USA und Asien. Blochs Existenzdenken fasst die jüdische, christliche und marxistische Humanität gegen ihre inhärenten Gewaltpotentiale zusammen zur europäischen Botschaft der 3. Linie. Im Rückgriff auf den Philosophen ist eine europäische Friedenskraft erreichbar. Die letzten 6 Abschnitte wurden 2003 und 2004 in verschiedenen Variationen in diversen Medien zur Vorbereitung unseres Buches Sklavensprache und Revolte veröffentlicht. Ihre Schwäche besteht in der Ernsthaftigkeit, mit der Hoffnung verbreitet werden sollte. Wir sind zwar immer noch der Meinung, dass alles gut oder zumindest besser werden könnte, doch erscheint uns das heute lachhaft und zugleich saukomisch, denn erst geschieht, schreibt Karl Marx, die Tragödie und hernach die Farce oder wie wir heute sagen, der Comic-Strip, z.B. die umwerfend erheiternden und ironischen Zeichnungen samt Texten von Volker Reiche, der in der FAZ vom 12.6.2010 den Möchtegernpräsidenten Gauck durch den scharfzüngigen Kater Herrn Paul exakt charakterisierte:
FAS vom Juni 2010 Tatsache ist, mitten im Juni des weltmeisterlichen Jahres 2010 wird sogar im Blatt der Monopol- und Finanzakrobaten vom Main Alarm geschlagen. So herrscht in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 13. Juni die „Angst vor dem nächsten Loch“, denn „Die Gefahr einer zweiten Rezession ist nicht gebannt“ und „Die Angst hat einen Namen, ›Double Dip‹“, womit ein doppelter Niedergang gemeint ist. Das alles ist zu finden in der FAS-Beilage Geld und Mehr, wo die Schlümpfe des Kapitals plötzlich Galgenhumor entwickeln. Ein Klugmichel fragt gar: „Hatte Karl Marx doch recht?“ Unter dieser Überschrift liefert er einen zu 95 % zutreffenden Aufklärungsartikel über Marx in Person und Werk ab, verständlich und nachvollziehbar geschrieben ohne jenes aufgeblasene, akademische Kauderwelsch, dass die Genossen Ober-Marxisten so lieben. Die 5% Falsches sind bereits im Vortext angekündigt, wo es heißt: „Der Kapitalismus geht an sich selbst zugrunde – sagte Marx - gibt ihm die Krise recht? Nein, der Sozialismus kennt zwar keine Bankenkrise, dafür aber genug andere Probleme.“ Das mag ja zutreffen, nur erwähnt der Autor China nicht, ohne dessen Hilfe und Lokomotiven-Funktion der ganze US-EURO-Kladderadatsch längst hätte den dritten Niedergang antreten müssen. Rettet also das kapitalkommunistische China die Dollar-Euro-Welt? Und wie lange noch, falls Charly Marx doch recht haben sollte? Volker Zastrow dazu im Meinungs-Leitartikel: „Es brennt.“ Sie warten ringsum auf die rettende übermächtige Feuerwehr so wie das SED-Politbüro anno 1989 auf die brüderliche Hilfe der Sowjetunion. Die Untergänge laufen zeitverschoben parallel. Der Exitus der DDR ist mit der Verfolgung ihrer sozialistischen Bloch-Alternative ab 1957 ursächlich verbunden. Bis zum Ende Moskaus und Ostberlins dauerte es noch reichlich drei Jahrzehnte. Ob der Untergang des Westens, wir definieren ihn als Rom II, sich Jahrzehnte lang hinziehen wird, ist fraglich. Historisch gesehen war die westeuropäische Linke eine Alternative, mit der Deutschland 1933 Schluss machte. Die seither machthabende Rechte beruft sich auf ihre Vor- und Nachdenker Nietzsche, Heidegger, Ernst Jünger, Carl Schmitt samt Adenauer, Kohl, Schmidt, Merkel und Gauck. Soweit die männlichen und weiblichen Geistesriesen der nationalen Postmoderne. Die ewige Wiederkehr des banal Gleichen erweckte im aufmerksamen Leipzig in Auerbachs Keller den scheintoten Goethe, der auf seinem voluminösen Weinfass einritt wie früher der schwarze Meister Mephisto und dazwischen fuhr wie einstens Gott mitten unter die Tänzer ums Goldene Kalb. (Von da an wird Gott vom Verfassungsschutz als Terrorist überwacht, droht er doch mit Todesstrafe.) Johann Wolfgang aber schreibt sein neues Stück Faust 3 unter dem Titel „Am 30. Juni ist Weltuntergang – Es folgt die gegauckte Republik.“ Der Text wird noch geheimgehalten, die Uraufführung findet in Auerbachs Keller am 30. Juni als Parallele zur Schlacht um den Posten im Berliner Schloss Bellevue statt. Im Interview mit FAZ und Bild soll Goethe geäußert haben, er wolle Widerstand leisten, weil er Weimar nicht dem maladen Nietzsche und dessen fanatischer Schwester samt allen Zarathrustierten zu überlassen gedenke. Frau von Stein nämlich, respektive die Herzogin Anna Amalia und er selbander symbolisierten Weimar und Weimar sei Weimar, ihr Saubeutel, und nicht das Berlin vom Alten Fritz bis hin zur Merkelina. Gauck übrigens soll im 3. Akt selbst gegauckt werden, auf dass seine Wahlunterstützer von den schlaffen Sozis bis hin zu den stinkenden Grünkohlstrünken statt zu applaudieren nur noch laut quietschen können. Soweit also des Klassikers Komödie nach der Leipziger Tragödie. Da ich Goethes mephistofelisierten Gauck nicht das letzte Wort lassen will, hier ein optimistisches Zitat aus Sklavensprache und Revolte: Die DDR bestand aus zwei Republiken. Die Macht lag in Moskau, das den unterworfenen deutschen Vertrauten das untaugliche Modell verschrieb. In der Gesellschaft aber bildeten sich die Konturen eines anderen Modells heraus, das unterdrückt zu haben die Schuld der Machtinhaber ist, die sich und den sozialistischen Versuch damit zur Untauglichkeit verurteilten, und es ist die Schuld derer, die zum Dritten Reich keinen hinreichenden Bruch zulassen wollten, so geschehen im Westen. Diese verhinderte zweite DDR, eine mögliche, aber nicht realisierte Republik, die durch Blochs Emigration nach Tübingen sich Richtung BRD öffnete, lässt an eine kulturelle Europäisierung denken, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg von der Weltbühne Jacobsohns, Tucholskys, Ossietzkys angestrebt worden ist. Keine schlechten Ahnen am Vorabend des drohenden Weltbürgerkrieges zwischen amerikanischen religiösen Fundamentalisten und den islamischen Massen, denen das geölte, waffenstarrende US-Imperium als modernisierte Kolonialherrenmacht entgegentritt, die jede Widersetzlichkeit mit Strafaktionen ahndet wie das Römische Reich seine Sklavenaufstände. Am 16.6.2010 hielt es die FAZ für an der Zeit, den Nazi-Juristen Carl Schmitt, seinen Schüler und Freund Johannes Gross und Pastor Gauck zu ehren, indem sie aus ihrem FAZ- Auszug aus Wer war wer im Dritten Reich? von Robert Wistrich: „Schmitt, Carl (1888 – 1985) Führender Staatsrechtler der Weimarer Republik … Am 1. Mai 1933 schloss er sich der NSDAP an und war bald der führende Rechtstheoretiker des NS-Staates.“ Ein berühmtes Schmitt-Zitat von 1934 lautet: „Der Führer schützt das Recht.“ So seine Reaktion auf Hitlers Reichstagsrede vom Juli 1934, in der die Mordbefehle im sogenannten Röhm-Putsch gerechtfertigt wurden, denen auch General Schleicher, dessen Regierung Schmitt beraten hatte, zum Opfer fiel. Dass heute eine Zeitung, die sich tagtäglich ihres hohen Niveaus rühmt, Hitlers obersten Nazi-Staatsjuristen und dessen Schüler und Freund Johannes Gross zur Wahlpropaganda für den Bundespräsidenten nutzen zu können vermeint, offenbart unübersehbar – rechts wurde zu wenig gegauckt. So ein Blatt weiß eben, was es seiner klugen Leserschaft zumuten darf und was erwartet wird. Schmitt und Gross sind tot. Gauck lebt fort in ihrer Tradition: Der Feind steht links. Dieser mörderische deutsche Linkenhass hat bei der bürgerlichen Intelligentsia Tradition. Die SPD-Führung samt mitlaufenden Grünen schließt sich der Linie von Carl Schmitt über die FAZ bis zu Joachim Gauck an, obwohl der „mehr Rückhalt für den Afghanistan-Einsatz“ fordert, „denn er ist aus meiner Sicht notwendig.“ Schickt doch das kämpferische Großmäulchen an den Hindukusch statt der Bundeswehr. Kurt Tucholsky: Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft – ! Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 28.06.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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