Die Philosophenschlacht von Leipzig
Der Feind musste abgewehrt werden. Hatte sich bereits eingenistet. Es war 1957 so gefahrvoll wie jetzt im Jahre 2010 wieder – Deutschland gegen Links, also gegen Marx. 1957 hockte dieser Karl mitten in Leipzig und hieß Ernst. Ob nun Marx oder Bloch, das ist gehupft wie gesprungen. Beide sind Revolutionäre und Juden dazu. 1957 schlug das SED-Politbüro den Revisionisten Bloch aus dem Felde. 2010 ist Deutschland zwar bis zur Oder und Neiße vereinigt, doch Marxismus und Kommunismus erheben als Linke schon wieder ihr Haupt. 1941 wurden sie bis zur Wolga, Moskwa, Newa zurückgetrieben und 1989/90 erneut minimalisiert, doch schon Dutschke sagte: Holger, der Kampf geht weiter! Der Verhungerte hörte nicht, der Rufer ertrank in der Badewanne. Deutsche Schicksale. Die Politiker kommen und gehen, der Feind steht links, auch wenn Linke an der Macht sind. Blochs Alternative wurde zur höflichen Aufforderung „Schach statt Mühle“ zu spielen. Das war gegen die Regeln. So spielten sie mit ihm gegen ihn Mensch ärgere dich nicht, das bedeutete, du fliegst raus. Hatte Bloch Stalin akzeptiert wie Hermann der Cherusker die Römer bis zum Aufstand? Der Vergleich hinkt. Marx war weder Römer noch Russe noch Germane. Er ist die Dekonstruktion der Kriegstänze ums Goldene Rindvieh, das noch heute in Metall gegossen vor der Börse in Frankfurt/Main postiert ist. So will's die Regie der antagonistischen Konflikte. In seinem Buch Ist Politik denkbar? schreibt Alain Badiou vom Marxismus als revolutionärer Lehre, die sich in einer Staatslehre verkörperte und doch die „Idee einer Herrschaft der Nichtherrschaft“ war. Von 1917 bis 1956 zog die UdSSR einen „Schlussstrich unter die Geschichte“, ab 1960 bzw. 1976 erneuerte China den revolutionären Ertrag der „siegreichen Subjektivität“. Das Ende von SU und DDR bezieht Badiou in ein allgemeines Ende ein: „Die historische Zerstörung des Marxismus bedeutet nichts anderes als seinen Tod als universelles Ereignis des politischen Denkens … was von seiner Erscheinung überlebt, ist nur ein Sprachkadaver.“
Die postkomischen Akrobaten haben Konjunktur. Der Spiegel am 5. Juli 2010: „Ideologien … Der Denkautomat … Subkultur … Ihr Star ist der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, der Marxismus mit Pop und Psychoanalyse mischt. … Alain Badiou … Antonio Negri …“ Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ging schon am 20. Juni voran: „Der französische Philosoph Alain Badiou kämpft mit Platon und Mao für eine bessere Welt …“ Nun ja, Berliner Antifaschisten und Avantgardisten, mitunter gar beides in einem, laden verfügbare Geist-Revolutionäre gern zum Meeting an die Spree ein. Die Linken in Slowenien, Frankreich, Italien sind auf nicht viel mehr als ein halbes Dutzend Äquilibristen abgeschmolzen, die Berliner Republik mit ihrer stolzen ca. 11%- Linkspartei, auf die von außen nicht ohne Neid-Erstaunen geblickt wird, hat intellektuelle Zusatznahrung von außerhalb dringend nötig. Da bekommt das Feuilleton zu tun. Der vorläufige Abschluss findet sich in junge Welt vom 24./25. Juli – ein fixer xre bespricht die August-Nr. der Blätter für deutsche und internationale Politik, wo „Mitherausgeber Micha Brumlik“ unsere heutige Berliner Republik zur „Postdemokratie“ abwertet. Und zugleich den „Neoleninisten“ entgegentritt. Wer aber ist das? Das sind offenbar die das Feuilleton animierenden Klassenkampf-Seiltänzer Zizek und Badiou, denen Brumlik laut jW mit den Weisheiten des weiland SPD-Philosophen Peter Glotz Paroli zu bieten sucht. Falls wir mal lustig gestimmt sein sollten, werden wir es in den Blättern nachlesen, denn wo Glotz ist, bzw. war, ist Erika Steinbach nicht weit, die angeblich unablässig für bessere Beziehungen zwischen Polen und Deutschland schuftet. Und Micha Brumlik preist Glotz, dessen Kampfgefährtin Steinbach inklusive? Wir können den postkulturellen Wanderzirkus auch mit unserem hauseigenen Personal beschicken. Wie Regierungsvertreter samt Opposition verlauten ließen, ist die linke Weigerung, Joachim Gauck zum Bundespräsidenten zu wählen, ein Grund für den Verfassungsschutz zur Überwachung der Linken. Zwar bin ich kein Parteimitglied, doch strikt gegen Gauck. Ursachen dafür sind in einigen kürzlich veröffentlichten Nachworten aufgeführt. Da nun Prof. H.H. Holz in der jungen Welt vom 8./9. Juni 2010 so unkenntnisreich über Ernst Bloch referieren durfte, trifft es sich gut, dass in unserem Hausarchiv ein Protokoll auftauchte, das trotz Gaucks Ablehnung, meine Stasi-Akte zu veröffentlichen und trotz Holzens Nebelwerferei mehr aussagt, als den Betroffenen lieb sein kann:
Die Kopie dieses Protokolls einer „Aussprache“ erhielt ich nicht über die Gauck-Behörde, wie der fehlende Stempel ausweist. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Sitzung der Bezirkspartei-Kontrollkommission. Zu ihr zählten ihr Vorsitzender, 4 Mitglieder, 2 Mitarbeiter, der Sekretär der SED-Bezirksleitung Wagner sowie deren Abteilungsleiter Kultur. Ferngesteuert wurde die Sitzung vom obersten Bezirkssekretär Paul Fröhlich, den wiederum Walter Ulbricht von Berlin her fernsteuerte. Resultat war mein Parteiausschluss am 1. Juni 1957. Das Ganze war Theater.Verhandelt wurde auf offener Bühne zum Schein gegen mich. Tatsächlich ging es gegen Bloch, Lukács, Hans Mayer, Fritz Behrens, Johannes R. Becher, Paul Wandel, Ernst Wollweber und andere, die sich nicht bedingungslos hinter Ulbricht stellten. Zu den Fakten, die bei Siegfried Prokop nachzulesen sind, kamen inzwischen neue Unterlagen. Herzstück bleibt mein Freiheitsgedicht. Wagner zitiert es laut Protokoll vom 15.5.57 fast zeilengleich wie schon am 30. Januar in der Kongresshalle. Damals hielt ich gegen, indem ich den gesamten Text vorlas. Die Masse der Genossen schwieg. Das war auch eine Entscheidung. Von diesem seltsamen Termin des 30. Januar an gab es mehrere Versuche, Versuchungen, sogar verlockende Angebote, alle unter der Bedingung, gegen Bloch anzutreten. Ich wand mich, griff an, zog zurück, räumte etwas ein, leugnete ab und log, dass sich die Balken bogen, am Ende blieb: Leih deine Feder keinem, schreib dich allein. Hat der Ungläubige eine Seele? Wenn er sie verkauft, hatte er eine. In der Überleitung zum Protokoll vom 15. 5. 57 nenne ich die Namen Joachim Gauck und H. H. Holz, die strukturalistisch gesehen dazu zählen. Wer 1957 die Entstalinisierung sabotierte, hinderte den sozialistischen Gang. Wer 2010 nicht mit Stalin bricht, ist nicht hasenrein. Wer 2010 wie SPD und Grüne der Linken zumutet, einen Mann zum Bundespräsidenten zu wählen, für den der Feind links steht, fordert zum Seelenverkauf auf. Die Linke wäre zum Schatten der Seelenkäufer mutiert. Das fatale Stück wird in Auerbachs Keller demnächst mit Faust, Mephisto und Genossen nachgespielt. Nach Ilja Ehrenburgs Tauwetter-Roman und Chruschtschows Rede gegen Stalin stand 1956/57 ein 3. Weg als DDR-Weg Richtung Sozialismus zur Debatte. Die Entscheidung gegen Ehrenburgs Tauwetter und Chruschtschows Anti-Stalin-Rede fiel am 28.11.56 mit Ulbrichts Brief an Leipzigs Statthalter Fröhlich. Becher hatte uns noch einen Tag vorher zu warnen versucht und war gescheitert. Fröhlich stieg auf ins Politbüro. Von da an gings bergab bis zum Ende 1989 mit Honecker. Das stalintreue Politbüromitglied Fröhlich hinterließ diverse Zeugnisse seines NS-Ungeistes, die den Rang des Wehrmacht-Feldwebels in der Sprache konservierten. Der Leipziger Putsch richtete sich gegen die in der Stadt angesammelten linken Intellektuellen. Mit Bloch und Behrens war die Chance eines ost-deutschen (3.) Weges gegeben. Ulbricht schwankte unentschlossen bis zum 28.11. – von da an war es vorbei. Nach einer Rede, in der Fröhlich uns schon am 19.4.56 „ideologische Verrottung“ und „Halunkenideologie“ vorwarf, drohte der anschließende „Genosse Wetzel“ damit, mich in „die Produktion“zu schicken, um „Verbindung zur Arbeiterklasse zu bekommen. Nach zwei Jahren evtl. wieder zum Studium zulassen … “ Dankeschön, Genosse Wetzel. Anbei, leicht verspätet, ein paar Stücke aus meiner „Produktion“. Und die sächsische Arbeiterklasse, die ihr 1957 an den nur scheintoten Stalin verraten habt, hatte ein besseres Schicksal verdient. Die Rache ist süß? Die Rache trägt Trauer. Regieanweisung fürs Bühnenstück: Als Georg Lukács von den Russen in Budapest verhaftet worden war, beschloss Walter Ulbricht in Berlin die Still-Legung des Kraftwerks Bloch und ließ in Leipzig seinen Paul Fröhlich von der Leine. Es galt, die Karl-Marx-Universität von international renomierten Marxisten zu säubern und den Rest besenrein zu übernehmen. Es war damals wie heute: die Politik verblödet und das Feuilleton verblödelt. Weil Ulbrichts Macht im Politbüro wackelte, rief er in höchster Not einen Feldküchenkommandanten zu Hilfe, der an der Pleiße die Aktion Teufelsaustreibung anlaufen ließ. Ulbrichts straff umerzogener ehemaliger Wehrmachts-
Fortan durfte Ernst-Bloch die KMU in Leipzig nicht mehr betreten. Vor seinem Philosophischen Institut spuckte Feldwebel Fröhlich dreimal in die Luft sowie den aufmüpfigen Intellektuellen in die Suppe und der Papst in Rom spendete seinen Segen zur Linkenhatz. Er hatte schon dem Galilei nicht getraut und ein gewisser Darwin lag dem Herrscher über alle Christen auch noch schwer im Magen. Dieser Säuberung der Karl-Marx-Universität von den intellektuellen Kommunisten aus dem Exil, die sich bereits im Widerstand gegen Hitler-Deutschland bewährt hatten, folgte nach DDR-Ende die Vertreibung des Namens Karl Marx. Wir erwarten den Willen zur Wiedergutmachung an den verfolgten Linken, angefangen bei dem deutsch-jüdischen Denker Karl Marx, dessen Namen die entblößte Universität zurückfordern sollte, wenn sie nicht wie einst Hitler Pazifismus, Marxismus und Demokratie zu den Hauptfeinden zählen will. Darüber nächste Woche mehr. Hier nur soviel zum unvollendeten Bloch- Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 23.08.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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